„Wer aber Frieden will, der rede vom Krieg“: Diese Forderung Walter Benjamins erfüllt der Flensburger Historiker und Sozialwissenschaftler Gerhard Paul ebenso ambitioniert wie kompetent. Er legt ein Buch vor, das mit klarer Argumentation und großer Materialfülle zu fortgesetzter interdisziplinärer Forschungsarbeit anregt. Die Bedeutung der Wechselbeziehung von Medien und Krieg kann für die Neuzeit sicherlich gar nicht überschätzt werden, dennoch ist hier die Forschungsliteratur bislang dünn gesät. Eine umfassende Untersuchung des Bildes vom Krieg anhand einer Analyse der Bilder vom Krieg, wie sie Pauls Buch bietet, war längst überfällig.
Das Buch besticht vor allem durch seine neun in die Darstellung integrierten „Visual Essays“. Die 205 zum Teil farbigen Abbildungen veranschaulichen den Forschungsgegenstand und informieren den Leser über die individuelle „ästhetische Kennung“ (S. 22) jedes Konfliktes. Mit welchen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen wird der moderne Krieg in Bilder umgesetzt? Wie und durch wen wird ein Bild dabei selbst zu einer propagandistischen Waffe umfunktioniert? Gerhard Paul geht für die Beantwortung dieser Fragen von den ersten fotografisch dokumentierten Kriegen des 19. Jahrhunderts aus und analysiert den Krimkrieg, den Amerikanischen Sezessionskrieg, die deutschen Kriege gegen Dänemark und Frankreich und den Spanisch-Amerikanischen Krieg auf der Grundlage zugehöriger bildlicher Quellen. Bereits hier wird der enge Bezug der frühen Kriegsfotografie zu Darstellungsformen und Zeichen in Malerei und Grafik von der Renaissance bis ins frühe 19. Jahrhundert offensichtlich. Die bildliche Darstellung dieser vormodernen Epoche europäischer Konfliktaustragung wird als einführendes Kapitel vorangestellt. Die Visualisierung des modernen Krieges im 20. Jahrhundert – gezeigt an den Beispielen Erster Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg, Zweiter Weltkrieg und Vietnamkrieg – folgt darüber hinaus tradierten Vorstellungen vom „Krieg an sich“. Mit der Untersuchung postmoderner Kriege der Gegenwart anhand des Golf-Krieges 1991, des Kosovo-Krieges, des Anschlags auf das World Trade Centre und des Krieges in Afghanistan endet der sprichwörtliche Bilderbogen.
Im Zentrum der Darstellung stehen die Medien Fotografie, Film und Fernsehen. Der Leser erhält neben einem detaillierten Überblick über den Umgang mit Krieg in der gedruckten Tages- und illustrierten Presse auch Einblick in die Besonderheiten der Umsetzung im Spiel- und Dokumentarfilm sowie in Nachrichtensendungen. Für die postmodernen Kriege werden die Darstellungen auf Internetseiten sowie in Video- und Computerspielen in die Untersuchung einbezogen. Gerhard Paul vertritt die These, dass die immer stärkere Visualisierung des Krieges Hand in Hand geht mit dem Unsichtbarwerden seiner Realität. Der moderne Krieg entziehe sich letztlich jeder bildlichen Darstellung. Die Bildmedien versuchten den Krieg in visuelle Rahmen einzufassen und ihn „zu einem zivilisatorischen Akt umzuformen“. Der Krieg sei aber als antizivilisatorische Katastrophe per se in solcherlei Ordnungsstrukturen nicht festzuhalten. Im Gegenteil: Die modernen Bildmedien, so Gerhard Paul, trügen zur immer neuen Illusion einer Plan- und Kalkulierbarkeit von Kriegen bei (S. 11). Diese Illusion sei umfassend durch die ständige Präsenz der Bilder. Fotografien von Kriegen hätten sich, so Paul, oft zu Ikonen des 20. Jahrhunderts entwickelt, sie seien eingebrannt in die „Festplatte der kollektiven Erinnerung“ (S. 483). Beispielhaft stehen die Bilder der Kriegszermalmten des Ersten Weltkrieges, das Foto des nackten Mädchens Kim Phúc aus Südvietnam auf der Straße nach einem Napalm-Angriff oder die Aufnahmen von Folterszenen aus dem Irak-Konflikt 2003.
In den modernen Kriegen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr vom Feldherrenhügel aus gelenkt wurden, war der Überblick über die Gesamtsituation endgültig unmöglich geworden. Der Krieg zerfiel in Einzelschlachten und Einzelszenen, die mit traditionellen Visualisierungsstrategien und Ikonografien nicht mehr einzufangen waren: Den Atomtod, das Sterben auf große Entfernung konnte niemand abbilden. Gerhard Paul deutet die Fotografie als ein „Medium der Ungleichzeitigkeit“, das aufgrund der Natur des Krieges von vornherein auf „ikonografische Ersatzhandlungen und vormoderne Sujets“ angewiesen gewesen sei. 1
Die Entwicklung dieser speziellen Ikonografie, so Paul, war zum einen abhängig von den technischen Möglichkeiten. Zum anderen waren es vor allem die Kriegsfotografen selbst, die den Rahmen der Darstellung durch ihre eigene kulturelle und ästhetische Vorprägung mitbestimmten. Untersuchungen über den Vietnamkrieg zeigten etwa, dass Reporter durch „unreflektierte Annahmen über den Wert des ,Krieges an sich’“ sowie durch verinnerlichte Kriegsbilder und eine Sprache geprägt waren, die ihnen vorgaben, wie und was über den Krieg zu berichten war (S. 320). Diese Annahmen wurzelten unter anderem in der Erfahrung früherer Kriege und in der Rezeption ihrer Bilder. Die daraus entstehenden mentalen Motive werden von Gerhard Paul in großem Umfang in seine Analyse einbezogen. 2 Diese verinnerlichten Bilder seien von den äußeren Bildern mit ihrem „physischen Bildkörper“ zu unterscheiden (S. 12). Beide Bildarten, so Paul, blieben aber häufig direkt aufeinander bezogen und trugen jeweils zur Visualisierung eines Krieges bei.
Gerhard Paul spricht jedem industrialisierten Krieg seine eigene Bildsprache zu, betont jedoch auch die wiederkehrenden, überzeitlichen Muster. Dazu gehören die weitgehende Ausblendung von Leid, Elend, Chaos, Tod und unmittelbarer Gewalt. Von Beginn der Bildberichterstattung an wurden hingegen, auch unter dem Druck der Zensurbestimmungen, bürgerliche und christliche Wertvorstellungen von Heldenhaftigkeit und Karitas, Sauberkeit und Ordnung in der Kriegsfotografie transportiert. Dazu kam im 20. Jahrhundert eine „Entertainisierung des Krieges als Sport, Event und Reise“ (S. 472), sowie immer stärker die Darstellung von Krieg als Möglichkeit zum kulturellen Erlebnis. Die Rezeption der Medien hatte zum Teil unkalkulierbare und unbeabsichtigte Folgen: Wo der Krieg durch das Bild nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig Einzug in die Wohnzimmer hielt, konnte es einerseits zu einer Normalisierung des Kriegsereignisses kommen. Andererseits wurden die Bilder aufgrund eines großen anonymen Marktes immer spektakulärer. Fotografen brachen kalkuliert mit Tabus, um ihren Verkaufswert zu steigern. Diese Nahdistanz zwischen Krieg und Wohnzimmer führte etwa bei den Aufnahmen aus Vietnam oder dem Somaliakonflikt zum sogenannten „body-bag-Syndrom“ (S. 475). Die Bilder konnten in ihrer Direktheit und Gewalthaftigkeit nicht ertragen werden und unterminierten auf diese Weise die Kriegsbereitschaft der Heimatfront.
Zwei kleine Kritikpunkte, die im Grunde Geschmacksfragen darstellen, zielen dahin, dass der Autor notwendigerweise eine Auswahl treffen musste. Gerhard Paul lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers erstens bewusst auf diejenigen europäischen und amerikanischen Kriege mit massiver medialer Präsenz. Dadurch spart er zu einem Großteil die Konflikte aus, die einer Visualisierung aus politischen oder militärischen Gründen entzogen waren. Diese medial kaum präsenten „bilderlosen“ Konflikte dürften als Kontrastfolien ruhig stärker in die Untersuchung integriert sein: Dem Falkland Krieg und den US-amerikanischen Interventionen in Grenada und Panama sowie dem Afghanistan-Konflikt sind im Buch nur sporadische Aussagen innerhalb größerer Kapitel gewidmet, die aber durchaus Appetit auf mehr machen. Zweitens sucht der Leser vergebens nach den besonderen Umständen der medialen Präsentation sogenannter „Kolonialkriege“. Der Burenkrieg, der Boxeraufstand in China oder auch der Konfliktherd Algerien werden nicht behandelt, würden sich aber für eine Analyse im Rahmen der Untersuchung durchaus anbieten.
Das Buch leistet, dies sei zum Abschluss deutlich hervorgehoben, einen bereichernden Beitrag zum vielfach geforderten „visual turn“ in den Geisteswissenschaften. Es wird durch seine Materialfülle sowie durch seinen übersichtlichen Handbuchcharakter dem Sozial- und Medienwissenschaftler ebenso wie dem Historiker und dem Didaktiker ein informatives Nachschlagewerk sein. Es bietet Anregungen für weitergehende Forschungen ebenso wie Grundlagen für die Vermittlung von Medienkompetenz im Unterricht.
1 In seinem Vortrag auf dem Kieler Historikertag im September 2004. Paul sprach in der Sektion „Geschichte der Kriegsberichterstattung“ von Ute Daniel, Braunschweig, über die Kriegsfotografie des 20. Jahrhunderts.
2 Methodisch folgt Gerhard Paul dem Werk von Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001.