Die spätantike Historiografie steht seit einigen Jahren verstärkt im Fokus der Forschung.1 Im Rahmen dieser Arbeiten hat nun auch der Krakauer Klassische Philologe Dariusz Brodka, der bereits mit verschiedenen Einzeluntersuchungen zu diesem Thema hervorgetreten ist2, eine Monografie vorgelegt, die sich mit dem Geschichtsdenken der drei letzten (fast) vollständig erhaltenen griechischen Historiker der Antike beschäftigt.
Das klar gegliederte Buch behandelt in chronologischer Reihenfolge Prokop, Agathias und Theophylakt; nach einem kurzen biografischen Abriss wird dabei jeweils nach den zentralen "Triebkräften" des historischen Geschehens in den Werken der einzelnen Autoren gefragt, nach der Stellung des Menschen darin (vor allem nach dem Problem der Willensfreiheit), nach den Handlungsmöglichkeiten individueller Akteure sowie der Rolle der Masse. Am ausführlichsten widmet sich der Verfasser Prokop (S. 14-151), von dem auch das umfänglichste Textcorpus überliefert ist, während seine Ausführungen zu Agathias (S. 152-192) und vor allem zu Theophylakt (S. 193-227) deutlich knapper gehalten sind. Diese quantitative Gewichtung spiegelt zugleich bereits Brodkas Einschätzung der Qualität der drei Historiker, die in seinen Augen stetig abnimmt (dazu s.u.). Eine Zusammenfassung gibt schließlich noch einmal einen Überblick über die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung (S. 228-239).
Brodka will die "Geschichtsphilosophie" (gemeint sein dürfte eher: das Geschichtsdenken) der drei Historiker erforschen (S. 10). In seiner Arbeit geht es darum, "wie die Historiker die Geschichte verstehen und auffassen" (S. 11). Im Falle Prokops weist der Autor zunächst zu Recht auf das deutlich greifbare Vorbild Thukydides hin und betont, dass die mimesis Prokops sich nicht nur auf Wortschatz und Phraseologie beschränke, sondern auf die "gesamte historiografische Konzeption mit ihren Denkweisen" auswirke (S. 15). Trotzdem sei Prokop Christ gewesen (in dieser gegen einzelne Stimmen in der neueren Forschung gerichteten klaren Festlegung ist Brodka sicherlich rechtzugeben), habe an Wunder und die Macht von Reliquien geglaubt, Heilige verehrt und sei von der Intervention Gottes in menschliche Angelegenheiten überzeugt gewesen (S. 16). Anhand einer eingehenden Analyse der Beschreibung des Kreuzwunders von Apameia bei Prokop (BP 2,11) kann der Verfasser diese Haltung auch überzeugend begründen (S. 22ff.). In mehreren gelungenen Textinterpretationen kann Brodka nachweisen, "dass Gott für Prokopios ein annehmbarer Faktor bei der Erklärung des historischen Prozesses und ein vollberechtigter Beteiligter an den Ereignissen ist" (S. 24). Allerdings dürfte die von ihm in diesem Zusammenhang angeführte angebliche Bemerkung des Perserkönigs Chosroes I., wonach Gott ihm (und nicht Justinian) den Sieg im Kampf um Antiocheia geschenkt habe (BP 2,9,3), für diese Fragestellung nur indirekt relevant sein, da diese Passage wohl eher unter dem Aspekt einer indirekten Kaiserkritik zu sehen ist (S. 25f.).
Während Prokop in den 'Bella' die mangelnde Aktivität Justinians sowie fatale politische Entscheidungen kritisiere, werde dieses Bild in den 'Anekdota' insofern ergänzt, als der Historiker dem Kaiser nunmehr sogar eine zielgerichtete böse Absicht unterstelle. Diese manifestiere sich in dem von Prokop entworfenen Bild des Kaisers als Antichrist und Fürst der Dämonen (es bleibt etwas unklar, warum Brodka so starke Zweifel hat, dies auch mit den persönlichen Anschauungen des Historikers zu identifizieren, vgl. S. 36), womit die Grenzen der Historiografie und auch des politischen Pamphlets gesprengt würden zugunsten einer eschatologischen, vom Weltende her konzipierten Sichtweise. Aus diesem Ansatz entwickelt Brodka die plausible These, dass es gewinnbringender sei, 'Bella' und 'Anekdota' aus der literarischen Verschmelzung von Geschichtsschreibung und Eschatologie als aus dem Verhältnis Prokops zu Justinian und Belisar zu erklären (S. 38). An diesem Punkt der Untersuchung wäre eine Einbettung dieser stark eschatologisch geprägten 'Geschichtsschreibung' Prokops in den weiteren Kontext der historiografischen Literatur des 6. Jahrhunderts sinnvoll gewesen, denn auch bei anderen Autoren, wie z.B. Johannes Malalas oder Johannes von Ephesos, findet sich entsprechendes, so dass sich die Frage stellt, welche Bedeutung generell den apokalyptischen Deutungsmustern in der Historiografie des 6. Jahrhunderts zukommt und welche sozialhistorische Verankerung sie besitzen.
Die enge - auch konzeptionelle - Anlehnung Prokops an klassische Vorbilder einerseits sowie sein christliches, das Wirken der göttlichen Providenz postulierende Weltbild andererseits führte zwangsläufig zu konfligierenden Vorstellungen, wie Brodka am Beispiel von Prokops Umgang mit der Tyche verdeutlicht (S. 40-56): Der Verfasser kann zeigen, wie groß die Probleme des Historikers waren, den Tyche-Begriff nicht nur als hohle Phrase zu gebrauchen, und wie inkohärent letztlich seine Lösungen sind: Zum einen erscheine die Tyche nämlich als ein Faktor, der Gott untergeordnet sei, zum anderen als Manifestation des Willens Gottes in der Welt, und schließlich konstatiere Prokop sogar selbst, dass die Tyche lediglich eine Formel sei, mit der die Menschen das ihnen Unfassbare umschrieben (S. 55).
In der Frage nach der menschlichen Willensfreiheit, die sich vor dem Hintergrund eines von der Providenz Gottes ausgehenden Weltbildes automatisch stellt, habe Prokop ebenfalls versucht, Widersprüchliches miteinander zu verbinden, insofern der Mensch zwar frei entscheiden könne, der Ausgang seiner Handlungen letztlich aber von Gott allein bestimmt werde (S. 59). Zu Recht weist Brodka hier und an anderen Stellen darauf hin, dass ohnehin kein festes theoretisches bzw. geschichtsphilosophisches Modell bei Prokop vorausgesetzt werden dürfe (S. 59, 60, 151). Unter der Rubrik "Die Strukturmomente des historischen Geschehens" (S. 62-108) werden die 'Bella' im einzelnen analysiert, wobei Brodka vor allem das Interesse des Historikers an Krisenpunkten von Geschehnisabläufen herausarbeitet (vgl. S. 79) und damit einen Aspekt berührt, der in jüngerer Zeit auch in der Thukydides-Forschung nähere Aufmerksamkeit gefunden hat.3 Wenn Brodka festhält, dass "im kritischen Augenblick, wie an einer Straßenkreuzung, [...] sich verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten der Ereignisse" eröffnen (S. 81), so könnte dies genauso für Thukydides konstatiert werden, was einmal mehr die enge Abhängigkeit Prokops von seinem klassischen Vorbild illustriert.
Gelungen ist vor allem Brodkas Analyse der Schilderung der Gotenkriege durch Prokop, die sich als ein Prozess erweisen, in dem die Römer aufgrund fehlgeleiteter Handlungen zunehmend die Kontrolle über das Geschehen verlieren, ohne dass Totila trotz vielversprechender Ansätze seinerseits Herr des Ereignisablaufes zu werden vermag (S. 101f.). Die wachsende Eigendynamik des Krieges im Urteil des Historikers – erneut eine Analogie zu Thukydides – wird hier anschaulich herausgearbeitet. Im 8. Buch der 'Bella' schließlich (und in den 'Anekdota') zeige sich eine vertiefte Aneignung der machtpolitischen Analysen des Thukydides durch Prokop (S. 102ff.), manifest insbesondere in der Thematisierung des Rechts des Stärkeren (S. 106f.). Auch die von Prokop artikulierten Vorstellungen von der Natur des Menschen weisen enge Berührungspunkte mit Thukydides auf, wie Brodka im Folgenden aufzeigt (S. 109ff.).
Schwer nachvollziehbar erscheint mir hingegen die These, dass "das negative Bild Belisars aus den 'Anekdota' unter dem historiografischen Aspekt mit der Logik der Geschichte, die in den 'Bella' entworfen wird, völlig" übereinstimme (S. 118). Zwar ist Brodka zuzustimmen, dass sich das Belisar-Enkomion zu Beginn des 7. Buches der 'Bella' (BG 7,1,1-22) vor allem auf die erfolgreichen Jahre 533-540 bezieht (S. 117f.), dass das 2. Buch Belisars nicht sonderlich spektakuläre Aktionen im Osten zumindest rechtfertige und sich für die Zeit nach 540 bei Prokop eine zunehmende Enttäuschung über die wachsende Erfolglosigkeit des Feldherrn ablesen lässt. Allerdings beziehen sich die scharfe Kritik an Belisar und die üblen Schmähungen gegen ihn in den 'Anekdota' doch vor allem auf dessen persönliche Angelegenheiten (vor allem sein Verhältnis zu Antonina), so dass hier ein ganz anderer Bereich als sein Wirken als Feldherr angesprochen wird. Natürlich fällt Prokop von einem Extrem ins Andere, wenn er Belisar in den 'Bella' (zumindest partiell) idealisiert und in den 'Anekdota' schmäht (S. 119). Eine generelle Übereinstimmung beider Aspekte, bedingt durch Belisars zunehmende Erfolglosigkeit im Krieg, lässt sich daraus aber nicht ablesen, da die 'Anekdota' – wie gesagt – seine soldatischen Qualitäten nur marginal thematisieren.
Im Folgenden weist Brodka auf die negative Zeichnung des Chosroes durch Prokop hin; der Perserkönig sei vor allem durch Affekte geleitet gewesen, die sich bei einem Herrscher in besonders verheerender Weise auswirken könnten (S. 121). Hier hätte man freilich weiterfragen müssen, inwieweit das Chosroes-Bild Prokops nicht im Wesentlichen auf traditionellen Barbaren-Topoi basiert. Im Hinblick auf Justinian habe Prokop die historische Bedeutung des Kaisers erkannt (S. 128 – ich bezweifle das: Besaß Prokop als Zeitgenosse überhaupt den Horizont, um 'historische Bedeutung' lebender Personen erkennen zu können?). Trotz allem sei sein Justinian-Bild eher negativ. Wie bei Thukydides zeige der Krieg bei Prokop zwei Gesichter, zum einen die eigentliche kriegerische Auseinandersetzung mit dem Gegner, zum anderen die inneren Wirren. Während bei dem Athener der Krieg die menschlichen Schwächen offen lege, erfülle bei Prokop diese Funktion der Kaiser selbst. Für Thukydides sei daher der Krieg der bíaios didáskalos, der "Lehrer der Gewalt" (wohl eher: Lehrer durch Gewalt) gewesen, bei Prokop sei dies dann Justinian (S. 142-144).
Brodkas Prokop-Analysen zeigen vor allem eines: Der spätantike Historiker stand in noch viel stärkerem Maße in der Tradition der klassischen Geschichtsschreiber, als bisher angenommen wurde (und als Brodka explizit ausführt). Gleichzeitig war er – dies dürfte nach Brodkas Arbeit nun endgültig sicher sein – bekennender und gläubiger Christ. Die Spannung, die sich aus diesen beiden Polen ergab, nutzte Prokop offenbar als intellektuelle Herausforderung, um ein Geschichtswerk zu verfassen, das nach klassischem Muster konzipiert war, sich aber dennoch in das christliche Weltbild fügte. Daraus ergab sich das eigentümliche, für die Forschung bis heute schwer zu deutende Oszillieren zwischen traditionellen Elementen und christlicher Frömmigkeit, daraus ergab sich aber auch die Möglichkeit, einem vordergründig besonders stark an klassischen Normen orientierten Geschichtswerk, den 'Bella', ein aus eschatologischem Denken heraus verfasstes Werk wie die 'Anekdota' an die Seite zu stellen und durchaus ernsthaft zu postulieren, damit ein Supplement zu den 'Bella' zu bieten. Diese heute kaum mehr nachvollziehbare Haltung spiegelt Aspekte des Bildungs- und Politikdiskurses in der oströmischen Elite des 6. Jahrhunderts. Es wäre spannend gewesen, nun weiter zu fragen, wie sich der aus den Prokop-Analysen gewonnene Befund in die Sozial- und Kulturgeschichte des 6. Jahrhunderts einbinden lässt.
Auch im Fall des Agathias, dessen christliche Haltung vor kurzem erneut infrage gestellt worden ist4, geht Brodka mit guten Gründen davon aus, dass es sich doch um einen christlichen Historiker gehandelt habe, der allerdings weder an Talent und Qualifikation noch an Erfahrung an Prokop heranreiche (S. 152f.). Während Prokop in seiner imitatio des Thukydides den Gesetzmäßigkeiten historischer Prozesse nachgegangen sei, gehe es Agathias nur noch um moralische Belehrung (S. 154). So habe etwa die Tyche für Agathias nicht mehr dieselbe Bedeutung wie für Prokop, sondern sei bestenfalls noch als rhetorischer Topos zu betrachten, der die unvorhersehbaren Veränderlichkeiten von Situationen beschreibe (S. 155).
Auch für Agathias sei Gott die höchste in der Geschichte wirkende Instanz; Gott habe eine Weltordnung eingerichtet, in der sowohl die Erde mit ihren Naturerscheinungen und -katastrophen als auch die Menschen in ihrem Handeln weitgehend autonom seien. Insofern könnten sich Erdbeben ereignen, ohne dass sie direkt als konkret begründbare göttliche Strafen auf bestimmte Ereignisse zu beziehen seien. Gott habe es eben so eingerichtet, der Mensch könne die natürlichen Erscheinungen ohnehin nicht durchdringen, und der Historiker habe sich eine entsprechende Diskussion nicht zur Aufgabe zu machen (S. 158-162).
Es fragt sich allerdings, warum Agathias gerade diese Probleme dann doch so ausführlich diskutiert, wenn die Dinge für ihn eigentlich so einfach liegen. In dieser Frage scheint mir Brodka doch eine allzu große Kohärenz des Weltbildes des Historikers vorauszusetzen und dessen Zweifel an der Stimmigkeit der ihm bekannten Erklärungshypothesen für Naturkatastrophen und der Theodizee-Frage insgesamt zu unterschätzen – möglicherweise ein Resultat des Umstandes, dass der Verfasser (wie der größte Teil der Forschung) die historiografischen und analytischen Fähigkeiten des Agathias doch unterschätzt und ihm daher kein entsprechendes Reflexionsvermögen zutraut (vgl. S. 175, 177, 183, 184, 189, 191f.). Meine in dieser Hinsicht abweichende Sichtweise habe ich an anderer Stelle dargelegt.5 Dass Agathias tatsächlich nur moralisch belehren, nicht aber Kausalzusammenhänge analysieren wollte, erscheint mir zweifelhaft. Die Tatsache, dass seine Analysen zu keinem (auch für Agathias nicht) befriedigenden Ergebnis geführt haben, bedeutet nicht, dass Agathias gar nicht erst den Versuch unternommen hätte, zu analysieren.
Die Qualitäten Theophylakts, der bereits dem 7. Jahrhundert angehört, schätzt Brodka noch geringer ein. Seine Ziele seien nur noch ästhetischer und didaktischer Natur, wobei sich der pädagogische Impetus aber in Grenzen halte (S. 194, 202). Theophylakt betone seine christlich-religiöse Haltung wesentlich deutlicher als Prokop und Agathias, sein Weltbild sei einfach: "Die Providenz Gottes ist eine Quelle der Ordnung und garantiert die Fortdauer dieser Ordnung. Die Mächte des Bösen wollen diese Ordnung verwirren und zerstören. Ihre Versuche können auf Dauer keinen Erfolg erzielen. Das Resultat ihrer Unternehmungen können höchstens vorübergehende Verwirrung und Chaos sein." (S. 196f.) Stereotypen und Topoi durchzögen das Geschichtswerk, die Schilderungen – insbesondere die Schlachtschilderungen – seien oberflächlich und zumeist als einfache Aufzählungen gestaltet. Brodka zufolge fehlt Theophylakt jeglicher Blick für das Wesentliche, er achte nicht auf Handlungsmotivationen und forsche nicht nach Kausalzusammenhängen historischen Geschehens (S. 211); das Niveau der historischen Kritik sei niedrig (S. 216). Die Akteure erscheinen nicht als Persönlichkeiten, sondern als Typen (der gute/schlechte Herrscher, der Feldherr usw.), die nach einem ethischen Schema handeln, d.h. danach, wie sich der 'Typ' in einer bestimmten Situation verhalten oder eben nicht verhalten solle (S. 227).
In den Einzelbeobachtungen ist Brodka sicherlich zuzustimmen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob aus der schematischen, stereotypen Darstellungsweise in Theophylakts Werk wirklich auf ein niedriges Niveau der historischen Kritik beim Autor geschlossen werden darf. Von seinem Zugriff her darf man Theophylakt nämlich – trotz seiner klassizistischen Attitüden – getrost in den Bereich der Kirchengeschichte einordnen. Dort aber stellt 'historische Kritik' keine analytische Kategorie dar, weil sie aufgrund der allumfassenden Providenz Gottes keine Rolle spielt - Theophylakt brauchte also gar nicht in dem Sinne wie noch Prokop oder auch Agathias kritisch zu hinterfragen.
Brodkas Buch ist implizit eine Geschichte des Niedergangs der antiken griechischen Historiografie (obwohl der Terminus 'Niedergang', soweit ich sehe, nicht fällt). Der Verfasser schätzt die Qualitäten Prokops besonders hoch ein. Agathias hingegen "fehlen ... sowohl das Talent des Prokopios als auch die politische, militärische und geografische Sachkenntnis" (S. 234). Und Theophylakt stellt schließlich den Tiefpunkt dar: "Im Vergleich zu Prokopios oder Agathias ist bei Theophylaktos eine deutliche Vereinfachung der Struktur der historischen Erzählung zu beobachten." (S. 235) Eine solche Beurteilung setzt gleichbleibende Beurteilungskriterien voraus, und darin liegt m.E. das Problem: Bereits Prokop und Agathias schreiben unter gänzlich anderen Voraussetzungen - Prokop unter Justinian, d.h. in einer Zeit, in der gewaltige Erwartungen sich zunächst zu erfüllen schienen und dann einer großen Ernüchterung wichen, Agathias in der nachjustinianischen Zeit; Theophylakt schließlich arbeitete unter der Herrschaft des Herakleios im 7. Jahrhundert. Prokop schrieb Zeitgeschichte, Agathias und Theophylakt jedoch nicht. Kann man an Autoren, die unter solch unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen schrieben und die - von Brodka selbst hervorgehoben - derartig unterschiedliche Ziele verfolgten, dieselben Beurteilungskriterien anlegen? Brodka weist einmal beiläufig darauf hin, dass das Werk Theophylakts "von den tieferen Umwandlungen der Mentalität in immer breiteren Kreisen der Gesellschaft" zeuge (S. 201). Damit scheint mir ein zentraler Punkt angesprochen zu sein: Jeder der drei Autoren verfasste sein Werk unter spezifischen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen, die gleichsam den Rahmen dessen boten, was uns heute vorliegt. Auch Prokops Werk zeugt insofern von "tieferen Umwandlungen der Mentalität in immer breiteren Kreisen der Gesellschaft", allerdings in einer anderen und für den heutigen Leser vielleicht nicht mehr ganz so abrupten Weise.
Insgesamt gesehen hat Brodka einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der spätantiken griechischen Historiografie geleistet. Auch wenn manches seiner Einzelergebnisse noch der weiteren Diskussion bedarf, und trotz einiger terminologischer und konzeptueller Unschärfen (z.B. Geschichtsdenken/Geschichtsphilosophie/Geschichtsbild, das Konzept des "Volksglaubens" u.a.) hat er wichtige Grundlinien für das Verständnis der drei letzten oströmischen Historiker aufgezeigt, das christliche Bekenntnis Prokops und des Agathias nunmehr sicher nachgewiesen und die Verankerung insbesondere Prokops in der traditionellen Geschichtsschreibung klar herausgearbeitet. Seine Ergebnisse nunmehr in der Sozial- und Kulturgeschichte des 6. und 7. Jahrhunderts zu verorten, bleibt die Aufgabe, die von Historikern zu leisten sein wird.
Anmerkungen:
1 Erwähnt seien etwa Croke, B.; Emmett, A. M. (Hgg.), History and Historians in Late Antiquity, Sydney 1983; Whitby, M., Greek Historical Writing after Procopius. Variety and Vitality, in: Cameron, A.; Conrad, L. I. (Hgg.), The Byzantine and Early Islamic Near East I: Problems in the Literary Source Material, Princeton 1992, S. 25-80; Leppin, H., Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret, Göttingen 1996; Rohrbacher, D., The Historians of Late Antiquity, London 2002; Marasco, G. (Hg.), Greek and Roman Historiography in Late Antiquity, Leiden 2003. Speziell zu Prokop, Agathias und Theophylakt vgl. Kaldellis, A., Procopius of Caesarea. Tyranny, History, and Philosophy at the End of Antiquity, Philadelphia 2004; Ders., The Historical and Religious Views of Agathias. A Reinterpretation, Byzantion 69 (1999), S. 206-252; Whitby, M., The Emperor Maurice and His Historian. Theophylact Simocatta on Persian and Balkan Warfare, Oxford 1988.
2 Vgl. Brodka, D., Das Bild des Perserkönigs Chosroes I. in den "Bella" des Prokopios von Kaisareia, in: Styka, J. (Hg.), Studies of Greek and Roman Civilization, Kraków 1998, S. 115-124; Ders., Prokopios von Kaisareia und Justinians Idee der "Reconquista", Eos 86 (1999), S. 243-255; Ders., Die geschichtsmächtigen Faktoren in den "Historiae" des Agathias von Myrina, Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 52 (2002), S. 161-176.
3 Vgl. Stahl, H.-P., Literarisches Detail und historischer Krisenpunkt im Geschichtswerk des Thukydides: Die Sizilische Expedition, Rheinisches Museum 145 (2002), S. 68-107.
4 Vgl. Kaldellis 1999 (wie Anm. 1).
5 Meier, M., Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n.Chr., Göttingen 2003, S. 238ff.; Ders., Prokop, Agathias, die Pest und das 'Ende' der antiken Historiographie. Naturkatastrophen und Geschichtsschreibung in der ausgehenden Spätantike, Historische Zeitschrift 278 (2004), S. 281-310, bes. 294ff.