M. P. Schennach: Tiroler Landesverteidigung 1600-1650

: Tiroler Landesverteidigung 1600-1650. Landmiliz und Söldnertum. Innsbruck 2003 : Universitätsverlag Wagner, ISBN 3-7030-0378-2 455 S. € 48,00

Schennach, Martin P. (Hrsg.): Ritter, Landsknecht, Aufgebot. Quellen zum Tiroler Kriegswesen 14.-17. Jahrhundert. Innsbruck 2004 : Tiroler Landesarchiv, ISBN 3-901464-19-0 413 S. € 19,19

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Willem Huntebrinker, Europäisches Graduiertenkolleg 625, Technische Universität Dresden

Das Interesse an militärgeschichtlichen Fragestellungen ist in den letzten Jahren unübersehbar stark gestiegen. 1 Gerade die Frühneuzeitforschung ist mit der „neuen Militärgeschichte“, die sich bemüht, das Militär in der Gesellschaft zu untersuchen, um ein innovatives und produktives Arbeitsfeld erweitert worden. 2 Der Erfolg dieser Forschungsrichtung liegt wohl auch darin begründet, dass es ihr gelungen ist, traditionelle Fragestellungen – etwa nach dem Zusammenhang zwischen Staats- und Heeresverfassung – fruchtbar mit sozial- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen zu verbinden, etwa mit der Frage nach dem Leben der Soldaten und ihrem Verhältnis zur Bevölkerung. Martin Paul Schennach hat nun gleich zwei umfangreiche Publikationen, eine empirische Studie und eine Quellensammlung, zum Kriegswesen im Tirol der Frühen Neuzeit vorgelegt, die sich in diesem breiten Forschungsfeld verorten lassen. Quellenbasis dafür ist das militärische Verwaltungsschriftgut der Tiroler Archive. Wie Schennachs Quellenedition bezeugt, ist dieses Material äußerst umfangreich und vielschichtig.

In seiner Dissertation hat sich Schennach der Tiroler Landesverteidigung im Zeitraum von 1600 bis 1650 gewidmet. Dabei vereint der Autor zwei Interessen: Zum einem fragt er nach der Relevanz des Militärs für die Ausgestaltung frühmoderner Staatlichkeit, indem er die Entwicklung der Militärverwaltung im Spannungsfeld von landesherrlichen und landständischen Behörden und Ämtern beleuchtet. Allerdings war auch das Alltagsleben der Tiroler Bevölkerung während der Frühen Neuzeit durch Truppenwerbungen und -durchzüge, Einquartierungen und Dienstpflicht in der Landmiliz in zunehmendem Maße durch Kontakte zum Militär geprägt. Daher will Schennach gleichzeitig den Einfluss des Militärs auf die Alltagswelt der Bevölkerung thematisieren. Dabei versucht er auch gegen „Klischees im Tiroler Geschichtsbewußtsein“ (S. 11) anzuschreiben, wie etwa den „wehrhaften Tiroler Bauern“ (ebd.) oder die „wilden Horden“ (S. 18) landfremder Söldner.

Den Beginn des Untersuchungszeitraums markiert die Reform der Tiroler Landmiliz im Jahr 1605, die – wie die Arbeit verdeutlicht – nachhaltige Neuerungen in der Landesverteidigung zur Folge hatte. Mit dem Ende des Untersuchungszeitraums um 1650 ist ein klassisches Datum gewählt, da hier zumindest im europäischen Maßstab das Zeitalter der stehenden Heere anbrach, das für das Kriegswesen neue Rahmenbedingungen hervorbrachte. Allerdings wird der Untersuchungszeitraum in der Arbeit oftmals, vor allem mit Rückblicken ins 16. Jahrhundert, sinnvoll ausgedehnt, da auf diese Weise sowohl Kontinuitäten als auch Wandlungen in der Landesdefension nachgezeichnet werden können. Der Aufbau des Buches ist klar und überzeugend gestaltet. Die Untersuchung gliedert sich in drei Kapitel. Der erste Teil ist der Administration des Kriegswesens als der organisatorischen Grundlage der Landesverteidigung gewidmet. Daran schließen sich die Kapitel zur Landmiliz und zum Söldnertum an. Sie waren die beiden tragenden Säulen für die Landesdefension in einem frühneuzeitlichen Territorium.

Klar strukturiert ist auch das erste Kapitel zur Verwaltung des Kriegswesens. Hier werden verschiedene Behörden und Ämter dargestellt, die mit militärischen Angelegenheiten betraut waren und die wiederum in landesherrliche und landständische Einrichtungen unterteilt waren. Dem Leser wird so nicht nur die Komplexität der Verwaltungsaufgaben, sondern auch das Zusammenspiel verschiedener Institutionen und Entscheidungsträger vor Augen geführt. Bei der Abhandlung der einzelnen Einrichtungen und Ämter achtet Schennach besonders genau auf die Differenzen zwischen Norm und Praxis, indem er zwischen den scheinbar klar definierten Aufgaben der Einrichtungen und ihren tatsächlichen Handlungen unterscheidet. Hierbei wird deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit der obrigkeitlichen Verwaltungsordnung oftmals stark divergierten. Unklarheiten und Konflikte hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen gehörten auch in der Tiroler Kriegsverwaltung zu den üblichen Begleiterscheinungen der Bürokratie.

Schennach zeigt zudem, dass der Tiroler Landesherr in seinem militärpolitischen Handeln auf zwei Einflussfaktoren besondere Rücksicht nehmen musste: Zum einen in „außenpolitischer“ Hinsicht auf die dynastischen Interessen des Hauses Habsburg, zum anderen in „innenpolitischer“ Hinsicht auf die eigenen Landstände, wobei die Spannungen zwischen Landesfürst und Landständen detailliert nachgezeichnet werden.

Wo aus dem Kontakt zwischen Militär und Bevölkerung Konflikte erwuchsen, standen zwei Schlichtungsinstanzen zur Verfügung: das Amt des Kriegskomissars und die Landräte. Beide Einrichtungen konnten bei Konflikten zwischen Söldnern bzw. Miliz auf der einen Seite und der Bevölkerung auf der anderen als Vermittler tätig werden. Schennach gewährt dem Leser aber verschiedene Einblicke in die Alltagspraxis dieser Institutionen, die sie nicht nur als Kommunikationskanal zwischen Untertanen und Obrigkeit zeigen. Vielmehr sollten sie auch dazu dienen, obrigkeitliche Interessen im Kriegswesen bei den Söldnerverbänden und Landmilizeinheiten anzumelden und durchzusetzen.

Dank Schennachs Betonung der Differenzen zwischen Norm und Praxis der Konflikte zwischen landesfürstlichen und landständischen Interessen und der institutionellen Möglichkeiten der Kommunikation und Konfliktregulierung gelingt es, dem Kapitel weit mehr analytische Tiefe zu verleihen, als es eine deskriptive und an Funktionen orientierte Darstellung frühmoderner Behörden und Ämter, gegliedert nach ihren normativen Funktionen, erwarten lassen würde.

Das zweite Kapitel widmet sich mit der Landmiliz einer spezifischen Organisationsform des frühneuzeitlichen Kriegswesens. Den Ausgangspunkt bilden dabei die Regelungen zu Organisation, Zusammensetzung und Aufgaben der Landmiliz. Damit ist der normative Hintergrund entfaltet, vor dem Schennach dann die Praxis untersucht. Dabei werden ganz unterschiedliche Aspekte, wie das „Mustern und Exzerzieren“, die Modalitäten der Dienstverpflichtung, die Ausnahme von der Dienstpflicht oder auch der „Kampf gegen die Korruption“ abgehandelt. Gemeinsam ist diesen Teilen, dass sie alle soziale Konflikte deutlich werden lassen, die aus dem Dienst in der Landmiliz erwuchsen. So waren etwa Ausnahmen von der Dienstpflicht umstritten, wenn sie durch die soziale Stellung des Betroffenen oder dessen Zugehörigkeit zu einer spezifischen Korporation bedingt waren. Dies wird anhand von Spannungen zwischen Arm und Reich in Städten und Gerichtsorten ebenso wie am Beispiel der eingezogenen Bergleute und des Adelsaufgebots deutlich gemacht. Gelungen ist dabei die Gewichtung zwischen der Behandlung der organisatorischen und normativen Grundlagen der Landmiliz einerseits und der vielfältigen sozialen Spannungen andererseits, die im Kontext der Landmiliz entstanden.

Das letzte Kapitel behandelt das Söldnerwesen, das im Untersuchungszeitraum die vorherrschende Form militärischer Organisation war. Das Hauptaugenmerk gilt auch hier dem sozialen Kontakt, den Spannungen und Konflikten zwischen Söldnern und Bevölkerung. Dabei betrachtet Schennach auch das Zusammenspiel militärischer und „ziviler“ Behörden, etwa bei Truppendurchzügen und Einquartierungen, wobei er immer wieder die organisatorischen und normativen Grundlagen des Söldnerwesens einbezieht. Die Ausführungen behalten so stets die drei analytischen Fluchtpunkte Militär, Bevölkerung und Obrigkeit im Blick. Dem Autor gelingt es, die strukturellen Bedingungen vieler typischer Konfliktsituationen aufzudecken, und vermeidet damit die einseitige Opfer–Täter–Perspektive der Quellen . So profitierten auch „Zivilisten“ von der Plünderung ihrer Nachbarstadt, ja waren daran sogar indirekt beteiligt (S. 346f.).

Die Arbeit beruht auf der Basis umfangreicher Quellenstudien. Allerdings sind die empirischen Informationen oft zu detailliert und umfangreich und nicht immer dazu geeignet, die untersuchten Aspekte analytisch zu klären. Auch die landesgeschichtlichen Gesichtspunkte erscheinen oft zu dominant. Insgesamt aber verortet sich Schennachs Buch zu recht in der Forschungslandschaft der „neuen Militärgeschichte“. Der Autor zeigt, wie stark das Militär das Leben der Bevölkerung und das Handeln der Obrigkeit in der Frühen Neuzeit prägte und zum Gegenstand von Konflikten, aber auch der Kooperationen zwischen Obrigkeit und Untertanen wurde. Es bleibt zu wünschen, dass diese Studie eine Anregung für weitere empirisch fundierte Arbeiten zum Verhältnis von Militäradministration, Miliz und Söldnertum in anderen Territorien sein wird.

Die Quellensammlung zur Tiroler Militärgeschichte, die Schennach ebenfalls herausgegeben hat, ist in Teilen komplementär zur Arbeit, aber auch als eigenständiges Werk gut benutzbar. Die Auswahl der edierten Dokumente soll einerseits die zunehmende Bedeutung des Militärs für die Alltagswelt der Bevölkerung deutlich machen, andererseits die Intensivierung landesfürstlicher Herrschaftsansprüche im Bereich der Verwaltung und Organisation des Militärs sichtbar machen. Anders als in der Dissertation ist der zeitliche Rahmen mit dem 14. bis 17. Jahrhundert weiter gesteckt. Die Aufmachung der Edition ist insgesamt betrachtet von überzeugender Qualität.

Eine etwa hundert Seiten starke Einleitung zum Tiroler Kriegswesen vom Spätmittelalter bis ins 17. Jahrhundert ist der Edition vorangestellt. Entsprechend dem edierten Material nimmt der Autor hier unterschiedliche zeitliche und inhaltliche Gewichtungen vor. Die Einleitung bietet reichhaltige Hintergrundinformationen, so dass der Kontext der Quellen detailliert erschlossen werden kann. Allerdings sind die Bezüge zwischen Quellenteil und Einführungstext nicht immer explizit, so dass ein Zugriff auf die Quellensammlung dann schwierig ist, wenn sich der Leser einen raschen Überblick über den Kontext einzelner Quellen verschaffen will. Eine stärkere Verweisdichte zwischen Einleitungstext und Editionsteil hätte sich hier positiv ausgewirkt.

Die 65 ausgewählten Dokumente bieten zeitlich und inhaltlich einen repräsentativen Einblick in die Quellen zur Tiroler Militärgeschichte. So können Instruktionen an Amtsträger oder Landtagsbeschwerden als typische Quellen frühneuzeitlicher Militärgeschichte angesehen werden. Die Quellensammlung erlaubt einen vertieften Einblick in die Problemlagen und zeigt verschiedene Entwicklungslinien der Militärverwaltung und -organisation. Allerdings dürfte es nicht durchgehend leicht fallen, Fragen nach Kontinuität und Wandel nachzugehen, da gerade für die ‚typischen Quellen’ oftmals vergleichbares Material aus anderen Zeitabschnitten fehlt.

Vergleichbare Quelleneditionen zur frühneuzeitlichen Militärgeschichte, die modernen Ansprüchen genügen würden, sind äußerst rar. Schennachs Edition schließt diese Lücke zumindest im Hinblick auf Tirol. Dabei wird auch Material präsentiert, das von genereller Aussagekraft ist. Daher dürfte die Quellensammlung auch für Lehrveranstaltungen mit militärhistorischem Horizont geeignet sein.

Anmerkungen:
1 Davon zeugt schon alleine das vermehrte Erscheinen von militärhistorischen Sammelbänden und Einführungen. Als Beispiele seien hier lediglich genannt: Kühne, Thomas; Ziemann, Benjamin (Hgg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000; Nowosadtko, Jutta, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002. Nowosadtko erörtert auch Gründe für das gesteigerte Interesse der Forschung, vgl. S. 11f.
2 Vgl. etwa die Homepage des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V. URL: http://www.amg-fnz.de und die dort aufgeführten Publikationen und Projekte.

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