G. Ernst (Bearb.): Tommaso Campanella. L'Ateismo trionfato

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Titel
Tommaso Campanella. L’Ateismo trionfato overo riconoscimento filosofico della religione universale contra l’antichristianesmo macchiavellesco. 2 Bde


Autor(en)
Ernst, Germana (Bearb.)
Erschienen
Anzahl Seiten
Bd. 1: LXIV, 267 S.; Bd. 2: 390 S.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Kämpf, Accademia di architettura, Università della Svizzera italiana, Mendrisio

Die Forschungen über den italienischen Philosophen und Staatstheoretiker Tommaso Campanella erfahren mit der vorliegenden historisch-kritischen Edition des ‚Ateismo trionfato’ nicht nur einen bedeutenden Zuwachs, sondern auch eine gewichtige Korrektur. Während man nämlich bislang glaubte, dass die ursprüngliche italienische Version des Manuskriptes von 1607 verloren gegangen sei und man sich deshalb mit der 1631 in Rom und 1636 in Paris publizierten lateinischen Übersetzung begnügen musste, gelang Germana Ernst im Fondo Barberini der Biblioteca Apostolica Vaticana die Entdeckung ebendieser Urfassung. Doch nicht allein dieser – an sich schon Aufsehen erregende – Fund bestimmt den Rang der vorliegenden Publikation, sondern auch seine mustergültige Auswertung.

Ernst, die bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen zu Campanella hervorgetreten ist, bietet zunächst eine ebenso umfangreiche wie ausgewogene Einleitung in den philosophischen, historischen und politischen Kontext der Entstehung des Manuskriptes und seiner frühen Rezeption (Bd. I, S. VII-LV). Ihr folgt dessen textkritische Beschreibung (Bd. I, S. LVII-LXIV) und schließlich die historisch-kritische Edition (Bd. I, S. 1-229). Als geradezu luxuriös, aber auch als Zeichen großer wissenschaftlicher Transparenz darf man die Entscheidung bewerten, in einem zweiten Band das Gesamtmanuskript als Faksimile wiederzugeben. Somit dürfte Ernsts Transkription jeder Anfechtung standhalten. Zu begrüßen ist auch die Publikation einer weiteren Archivalie im Anhang (Bd. I, S. 231-238): Es handelt sich um eine bislang unpublizierte anonyme Schrift, die kurz vor der Sitzung der Inquisitionskommission am 17. Februar 1628 für den Kardinalnepoten Urbans VIII., Francesco Barberini, verfasst wurde, um diesen über die Maßnahmen zu informieren, die man von kirchlicher Seite vom 4. Juli 1607 bis zum 3. Februar 1628 gegenüber dem als bedrohlich eingestuften Querdenker ergriffen hatte.

Der aufgefundene Urtext ist – nach Meinung seiner Entdeckerin – vor allem aus zwei Gründen besonders wertvoll (Bd. I, S. IX): Zum einen überliefert er die Erstfassung einer Schrift, deren spätere Versionen stark von der Tätigkeit der Zensoren geprägt sind; Campanella kalkulierte deren Reaktionen beständig mit ein und nahm sie teilweise vorweg. Zum anderen handelt es sich aber auch für den Autor selbst um ein Schlüsselwerk, mit dem er jene persönliche Krise überwand, in die ihn sein Aufenthalt im neapolitanischen Kerker von Sant’Elmo gestürzt hatte. Nach eigener Aussage erschienen ihm hier Engel und Dämonen, Wesen, deren Existenz er in der Nachfolge des Aristoteles bisher bezweifelt hatte. Für die Entwicklung der Philosophie Campanellas war diese Erfahrung von zentraler Bedeutung: Denn wenn jene Kreaturen ohne Körper existieren könnten, so sei dies auch für die menschliche Seele vorstellbar (Bd. I, Kapitel VII, S. 74, kommentiert von Ernst, Bd. I, S. IX-XI). Es sei dahingestellt, inwieweit solche Erlebnisse auf die innere Zerrüttung zurückgehen, welche die Inquisition bei Campanella verursachte. Er selbst beschrieb seine Situation als inhuman; auf Tageslicht und eine ausreichende Ernährung musste er verzichten (Campanella zitiert bei Ernst, Bd. I, S. XIII).

Für eine geistesgeschichtliche Auseinandersetzung mit Campanellas Text ergeben sich aus der entdeckten Urfassung einige neue Perspektiven. Bedeutend ist hier vor allem die Entwicklung des Schrifttitels und damit der in diesem enthaltenen rezeptionsästhetischen Vorgabe. Nach Angaben Campanellas stammte der effektvolle erste Teil desselben, ebenjener ‚Ateismo trionfato’, von dem deutschen Konvertiten Kaspar Schoppe (unter anderem auch unter dem Namen Gaspar Scioppius) (1576-1649) (Ernst in Bd. I, S. XIX), einer zentralen Figur in der sich verhärtenden Konfessionalisierung. Schoppe hatte sich vom 26. April bis zum 17. Mai 1607 in Neapel aufgehalten und dort enge persönliche Kontakte zu dem eingesperrten Campanella aufgebaut (Ernst in Bd. I, S. XVI). Als deren unmittelbares Resultat muss der Titelvorschlag Schoppes gelten, den Campanella bereits in die Urfassung seiner Schrift übernahm (Ernst in Bd. I, S. XIX-XX). Der Kalabrese empfand also – im Gegensatz zur Forschung des 20. Jahrhunderts – den Vorschlag Schoppes keinesfalls als entstellenden Fremdkörper oder gar, um der Vorstellung Luigi Firpos zu folgen, als „pompös“1, sondern stellte ihn fortan seinem ursprünglichen, weitaus nüchternen und prozessbetonten Titel, ‚Riconoscimento filosofico della religione universale composto […] contra l’antichristianesimo macchiavellesco’, voran.

Die Urfassung kann nun auch weitaus präziser als bislang datiert werden: Die Widmung des Manuskripts an Schoppe vom 1. Juni 1607 markiert dessen Fertigstellung (Ernst in Bd. I, S. XXI). Schoppes nur kurz zuvor beendeter Neapel-Aufenthalt muss somit auf Campanella wie ein Katalysator gewirkt haben, denn noch in den Briefen an Papst Paul V. vom 13. August 1606 und an Kardinal Odoardo Farnese vom 30. desselben Monats wird das Manuskript als im Entstehen begriffen angekündigt (Ernst in Bd. I, S. XIII-XVI). Der positive Einfluss Schoppes auf Campanella dürfte jedoch bis zur Fertigstellung der lateinischen Version des Manuskriptes einen deutlichen Dämpfer erfahren haben: Dem ambivalenten Lob für Schoppe – als weder gesellschaftlich noch materialistisch in irgendeiner Form motivierter Missionar – fügte Campanella seiner Widmung in der lateinischen Fassung noch einen wichtigen Satz hinzu. Darin warnte er Schoppe vor einem möglichen Plagiat seiner Ideen und vor einer Vernachlässigung seiner Person. Da beides später eintreten sollte, könnte Campanellas Schrift wenigstens ansatzweise auf bereits Vorgefallenes rekurrieren; Schoppes Verhalten müsste bei Campanella immerhin einen ersten Argwohn geweckt haben (Ernst in Bd. I, S. XXIII-XXIV). Schoppe die Widmung ganz zu entziehen, wie er es dann 1630 tun sollte (Ernst in Bd. I, S. XX), konnte und wollte sich Campanella offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht leisten.

Die Begegnung mit Schoppe muss für Campanellas Arbeit sehr wichtig gewesen sein. Der Konvertit, so der Kalabrese, sei geradezu prädestiniert, seine Lebenserfahrung anderen, vor allem den überwiegend den dunklen Kräften der Reformation anheim gefallenen Deutschen, als Modell anzubieten. Die geistigen Grundlagen hierzu möchte er, so Campanella, Schoppe gern in seiner Schrift liefern (Ernst in Bd. I, S. XXV-XXVI). Die Re-Katholisierung Nordeuropas hielt er anscheinend für dringend notwendig, um die Welt vor einer fortschreitenden Verrohung zu bewahren: Die Ausbreitung protestantischer Strömungen habe zu einer Entartung der Religiosität geführt, die völlig zum Handlanger der Politik degeneriert sei. Schuld an dieser Entwicklung sei jedoch in erster Linie die Doktrin Machiavellis, die im Namen der Staatsräson jedes wie auch immer geartete Vorgehen billige und so auch den Glauben instrumentalisiere. Hierdurch würde der Charakter der Religiosität als rein zweckbezogene und daher künstliche Erfindung des Menschen propagiert, die die Tatsachen nachhaltig entstelle (Ernst in Bd. I, S. XXVI-XXVIII). Eine solche Entwicklung will Campanella dauerhaft verhindern, indem er das Christentum römischer Prägung als Naturreligion ausdeutet (Ernst in Bd. I, S. XXVII-XXXVII).

Damit wird dieses Christentum jedoch einer philosophischen Analyse unterzogen, die Campanella zum Verhängnis wurde, insbesondere weil er mögliche Anfechtungen des Glaubens in derart starker Form verbalisierte, dass seine orthodoxen Leser nachhaltig verunsichert wurden (Ernst in Bd. I, S. XXX-XXXI). Diese Reaktion erschien bereits in jenem Gutachten der Inquisitionskommission, das Kardinal Roberto Bellarmin am 28. August 1621 veröffentlichte (Ernst in Bd. I, S. XLI-XLII) und das Campanella jede weitere schriftstellerische Tätigkeit untersagte (Ernst in Bd. I, S. XL). Für den Kalabresen änderte sich diese Situation erst wieder, als man ihn nach fast 27 Jahren Haft in Neapel im Juli 1626 nach Rom brachte (Ernst in Bd. I, S. XLII), wo man ihn im Sommer 1628 wieder auf freien Fuß setzte (Ernst in Bd. I, S. XLVI). Dort konnte der ‚Ateismo’ dann in einer lateinischen Fassung 1631 erstmals erscheinen, jedoch nur, um nach wenigen Wochen wieder von der Zensur beschlagnahmt zu werden (Ernst in Bd. I, S. XLVIII). Endgültige Ruhe vor Rom hatte der Autor erst mit seiner Übersiedelung nach Paris, wo er 1636 die zweite – und definitive – Druckfassung des ‚Ateismo’, erneut auf Latein, veröffentlichte.

Während so die Arbeit am ‚Ateismo’ nach beinahe 30 Jahren ein vorläufiges Ende erlebte, fand sie erst mit dem Druck der italienischen Urfassung 2004 ihren eigentlichen Abschluss. Das von Campanella erkannte und von Ernst so mustergültig herausgearbeitete Konfliktpotential bleibt allerdings hochaktuell: Obgleich in einem Zeitalter miteinander konkurrierender Konfessionen und verschiedener Glaubensmodelle das Streben nach einer Rationalisierung der Weltanschauungen unausweichlich wurde, scheint eben dieser Versuch einer geistigen Durchdringung das Fundament der Religion zu bedrohen.

Anmerkung:
1 Firpo, Luigi, in: Ghisalberti, Alberto M. (Hrsg.), Dizionario biografico degli italiani, XVII, Rom 1974, S. 372-401, hier: S. 383.

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