A. Alexandridis u.a.: Archäologie der Photographie

Cover
Titel
Archäologie der Photographie. Bilder aus der Photothek der Antikensammlung Berlin


Autor(en)
Alexandridis, Annetta; Heilmeyer, Wolf-Dieter
Erschienen
Anzahl Seiten
218 S., 253 s/w Abb.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Klamm, Berlin

Um es vorweg zu nehmen: Im Umfeld unzähliger an Michel Foucaults „Archäologie des Wissens“ anschließender Veröffentlichungen führt der Titel des hier vorliegenden Bandes leider in die Irre: Weder handelt es sich um eine als ‚Archäologie’ verstandene Geschichte der Fotografie noch um eine umfassende Geschichte der archäologischen Fotografie, sondern eher um eine Einführung in diese anhand einer vielfältigen Auswahl aus den Beständen der Berliner Antikensammlung.

Die Klassische Archäologie ist als Wissenschaft schon immer auf Abbildungen angewiesen. Unter den Verfahren kommt der Fotografie seit ca. 1850 eine besondere Bedeutung zu, deren (wissenschafts-)historische Untersuchung jedoch noch weitgehend aussteht. Dies konstatieren auch die Autoren des vorliegenden Bandes, von deren umfassender Kenntnis der Bestände von Museum wie Fotothek der Band profitiert: Wolf-Dieter Heilmeyer ist der ehemalige Direktor der Antikensammlung in Berlin; Annetta Alexandridis hat deren Fotothek geordnet und bearbeitet. Entsprechend haben sich die Autoren die einzelnen Abschnitte untereinander geteilt.

Im einleitenden Kapitel „Archäologie und Photographie“ umreißt Heilmeyer leider nur sehr knapp und etwas unsystematisch die Prämissen der Darstellung: Die „Photographie“ wird als historisches Dokument gesehen, dem selbst Kunstcharakter zukommen kann. Heilmeyer sieht die wissenschaftliche Nutzung der Fototheken gegenüber einer Digitalisierung der Bilddokumentation im Rückgang, wodurch sie selbst eine Musealisierung erfahren. Zugleich sind viele der alten Fotoabzüge und -negative vom Verfall bedroht und müssten wegen ihres geschichtlichen und auch künstlerischen Wertes dringend restauriert werden.

In den disparaten Beständen der Berliner Fotothek sind einerseits die reichen Dokumentationen der Ausgrabungskampagnen des Museums seit 1875, andererseits Fotografien als Geschichtszeugnisse der Berliner Museen selbst erhalten. Vor diesem Hintergrund wirkt Heilmeyers Gliederung der archäologischen Fotografien nicht sehr glücklich, denn in einer ersten Gruppe ‚Ortsphotografie’ versammelt er z.B. sowohl topografische Aufnahmen archäologischer Monumente durch reisende Fotografen, Grabungsdokumentationen als auch die Aufnahmen der Museumsbauten. Diese Zusammenstellung disparater Objektbereiche und Entstehungsanlässe scheint wenig geeignet, historische Funktion und Wert der Fotos für eine wissenschaftliche Aufbereitung systematisch aufzubereiten. Die zweite und dritte Gruppe in Heilmeyers Systematik stellen ‚Sachfotografie’ (Aufnahmen archäologischer Objekte) und ‚Skulpturfotografie’ dar, wobei die Unterteilung der Objekte zwar einer des Faches folgt, für die Klassifizierung der Fotografien jedoch wenig hilfreich erscheint.

Im Anschluss skizziert Alexandridis eine kurze Geschichte der archäologischen Fotografie. Erste Fotografien archäologischer Monumente entstanden überwiegend durch Nicht-Archäologen in der Tradition der Bildungs- und Forschungsreisen: Sie wiederholen oft durch Stiche bereits bekannte Ansichten von Monumenten und Landschaften. Im Zuge der systematischen Dokumentation von Kunstdenkmälern entstanden umfangreiche Corpora von Fotografien archäologischer Objekte, die den wissenschaftlichen Ansprüchen der Fachwelt aber nur bedingt genügten. Im Gegenzug begann im späten 19. Jahrhundert die Produktion von Atlanten, die den Denkmälerbestand einer Objektgruppe für die Wissenschaft aufbereitet darbieten sollten – wofür aber nicht nur die Fotografie zum Einsatz kam.

Das folgende Kapitel „Die großen Grabungen: Photographie als Dokumentation“ von Alexandridis ist dem Einsatz der Fotografie zur Grabungsdokumentation seit 1875 gewidmet: Hier entstanden bereits Aufnahmen von Einzelobjekten, Fundzusammenhängen, Freilegungsfortschritten und Gesamtansichten von Grabungsstätten, teilweise ergänzt um Aufnahmen zu Geografie und Landschaft. Jedoch wurden Schichtenabfolgen und im Verlauf der Freilegung zerstörte Funde nicht systematisch bildlich festgehalten. Den erhaltenen Fotografien kommt somit ein kaum zu überschätzender Dokumentationswert für die Geschichte der Grabungsplätze zu, auch wenn sich darunter Aufnahmen unterschiedlichster Bildtraditionen – von Ruinenromantik bis Messbild – finden. In den Grabungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird die wissenschaftlich-dokumentierende Fotografie zum Standard. Eine Aufarbeitung dieser Bestände im Abgleich mit schriftlichen und zeichnerischen Grabungsdokumentationen würde vermutlich eine Vielzahl bisher ‚übersehener’ Informationen zutage fördern.

Anschliessend kommentiert Heilmeyer unter dem Titel „Photographie als historisches Dokument: Geschichte der Berliner Museen“ eine informative Bilderschau aus der Geschichte der Antikensammlung und der Berliner Museumsinsel. Anhand der historischen Abbildungen werden unterschiedliche Gestaltungen der Museumsräume in den drei im historischen Verlauf von der Antikensammlung belegten Gebäuden gezeigt: das Altes Museum, das Neues Museum, das Pergamonmuseum und der Stüler-Bau in Charlottenburg. Ergänzend wird an einigen Fotografien die Geschichte der Gebäude und der Sammlungen im Zweiten Weltkrieg und danach dargestellt.

Das Kapitel „Die Antikensammlung im imaginären Museum“ von Heilmeyer präsentiert zu unterschiedlichsten Zeiten entstandene Fotografien ausgewählter Einzelstücke der Antikensammlung und dokumentiert damit die Vielseitigkeit des Mediums wie der Sichtweisen. Es dürfte sicherlich großes Interesse seitens heutiger Archäologen finden.

Alexandridis und Heilmeyer verfolgen im Kapitel „Photographie und Objekt“ die fotografisch dokumentierte Geschichte archäologischer Objekte der Berliner Antikensammlung z.T. von ihrer Auffindung bis jetzt. Sie gehen dabei auch auf die verschiedenen Interpretationen der Objekte in der archäologischen Forschung ein. So werden Einsichten in verschiedene Zustände und Kontexte der Objekte möglich.

Leider wird dieses fast ausschließlich an Skulpturen abgehandelt. Damit schreiben die Autoren eine seit der Herausbildung der Klassischen Archäologie in Deutschland bestehende privilegierte Zuweisung eines Kunstcharakters an Statuen – in Abgrenzung zu anderen Objektgattungen – fort. Die in der Frühzeit der Fotografie diskutierte Frage, ob das Medium für die Wiedergabe archäologischer Objekte überhaupt und wenn ja, unter welchen Bedingungen, geeignet sei, wird nur angerissen – ebenso wie das Problem der Wiedergabe von Materialbesonderheiten. Da der Fotografie im 19. Jahrhundert viele Fachvertreter noch skeptisch gegenüber standen, lebten unterschiedlichste Darstellungs- und Reproduktionstechniken noch lange fort, was in den Überlegungen im vorliegenden Band noch stärker hätte berücksichtigt werden können. Immerhin gehen die Autoren kurz auf die Abbildungskriterien antiker Skulptur ein: Sie verweisen auf die von Lorraine Daston und Peter Galison aufgearbeitete Geschichte der ‚Objektivität’ als eines Bewertungskriteriums (nicht nur) für archäologische Aufnahmen.1 Dabei stellen sie zwar fest, dass der „Vergleich, ein methodisches Grundprinzip zum Zwecke jeglicher Klassifizierung [...] durch die Visualisierung vereinfacht, wenn nicht gar erst ermöglicht [wurde]“ (S. 183) – eine aus diesem Hinweis abzuleitende Historisierung der Abbildungskriterien unterbleibt hier jedoch weitgehend und beschränkt sich auf den hermeneutischen Allgemeinplatz, dass es bei der Produktion der Fotografien nicht darum gegangen sein könne, „die ‚richtige’ Ansicht zu liefern“. Denn: „‚Richtig’ sind sie nur im Rahmen eines jeweils zu bestimmenden Erkenntnisinteresses.“ (S. 184) Das Beispiel unterschiedlicher Fotografien römisch-republikanischer Porträts verdeutlicht diese wechselseitige Abhängigkeit von Abbildung und Erkenntnisinteresse und zeigt damit das Potential entsprechender Forschungen zu einer Wissenschaftsgeschichte der Archäologie auf.

Der durch die Vielzahl seiner Bilddokumente beeindruckende Band kann zwar keine erschöpfende wissenschafts- oder fotografiehistorische Aufarbeitung des umfangreichen Materials in der Fotothek der Berliner Antikensammlung leisten, was in diesem besonders die Materialfülle zusammenstellenden Band zweifellos auch nicht beabsichtigt war, jedoch als Anregung für solch eine wünschenswerte und interessante Ergebnisse versprechende Forschung dienen. Dabei würde man sich zum Teil eine stärkere Historisierung der Fotografie als Medium wissenschaftlicher Darstellung wie als Form künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Dargestellten und der dahinter liegenden Erkenntnisziele und Gestaltungsinteressen wünschen. Auch wenn die Druckqualität der in der Regel überdurchschnittlichen Wiedergabe nicht immer Reichtum und Tiefe der Originalfotos wiederzugeben vermag – die in Abzügen unterschiedlicher Art und Qualität erhaltenen historischen Aufnahmen werden nur in Grauwerten wiedergegeben, so dass z.B. die durch unterschiedliche Tonungen hervorgerufene andere Qualität von Albuminpapieren nicht zur Geltung kommt –, so erhalten an Archäologie und ihrer Geschichte Interessierte mit diesem Band einen lesens- und vor allem ansehenswerten Einstieg in eine kritische Reflexion zum fachspezifischen Gebrauch des Mediums Fotografie, der zweifellos zur weiteren Beschäftigung mit dieser Thematik und den reichen Materialbeständen einlädt.

Anmerkung:
1 Daston, Lorraine; Galison, Peter, Das Bild der Objektivität, in: Geimer, Peter (Hg.), Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 29-99.

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