Studenten- und Universitätsgeschichte sind zwei historische Arbeitsbereiche, deren Akteure ein sehr unterschiedliches Fachprofil aufweisen. Während Universitätsgeschichte traditionell im Forschungsbetrieb der Hochschulen verankert ist und von professionellen Historikern betrieben wird, wird die Studentengeschichte in weiten Teilen von Amateuren im guten Sinn des Wortes beherrscht, denn Studentengeschichte ist, betrachtet man die große Masse der Veröffentlichungen zu diesem Bereich, Geschichte der studentischen Korporationen und ihrer Mitglieder, kurz (Studenten-)Verbindungsgeschichte. Gegenstand der Verbindungsgeschichte sind die einzelnen Korporationen und ihre mehr oder minder berühmten, jedenfalls um den Bund verdienten Mitglieder. Wer sich mit Studentengeschichte in diesem Sinn beschäftigt, betritt ein schwieriges Feld, denn die einschlägigen Arbeiten gehören zumeist der „grauen“ Literatur an, die von Bibliotheken selten systematisch gesammelt wird. Auch im Rahmen des Pflichtexemplarrechts werden Verbindungspublikationen nicht immer erfasst, wenngleich sie dem Grunde nach in den meisten Fällen einer Ablieferungspflicht unterliegen. Vor diesem bibliothekarischen Hintergrund erweist sich die bibliografische Recherche zu einem studentengeschichtlichen Thema als sehr anspruchsvoll. Hier verspricht das von Friedhelm Golücke herausgegebene Verfasserlexikon zur Studenten- und Universitätsgeschichte Abhilfe. In alphabetischer Reihenfolge stellt es in bio-bibliografischen Artikeln einschlägige Autoren der Studenten- und Universitätsgeschichte vor. Dabei werden in der Mehrzahl reine Verbindungshistoriker gewürdigt.
Aus dem Bereich der Universitätsgeschichte seien die Lemmata zu Laetita Böhm (S. 49ff.), Wilhelm Erman (S. 94f.), Heinrich Denifle (S. 76ff.), Sebastian Merkle (S. 222ff.), Mitchell Ash (S. 18ff.), Bernhard vom Brocke (S. 57ff.), Notker Hammerstein (S. 128ff.), Alois Kernbauer (S. 168ff.), Jürgen Miethke (S. 230ff.), Rainer A. Müller (S. 238ff.), Masami Thomas Nagatomo (S. 241f.) und Rainer C. Schwinges (S. 304ff.) genannt, jeweils mit großen Bibliografien. Ein Artikel zu dem bekannten Erfurter Universitätshistoriker Erich Kleineidam jedoch fehlt, der Duisburger Hochschulgeschichtler Manfred Komorowski wiederum ist bearbeitet (S. 180). Hier wäre es sinnvoll gewesen, wichtige Autoren einzelner Hochschulorte als Grundgerüst des Lexikons durchgängig zu berücksichtigen. In der gebotenen Form hat die Auswahl der behandelten Autoren etwas Zufälliges.
Manchmal ist auch nicht einsichtig, warum ein Artikel aufgenommen wurde. So ist es unklar, mit welchen Recht der renommierte Freimaurer-Historiker und Aufklärungsforscher Helmut Reinalter bearbeitet und unter die Studentenhistoriker gezählt worden ist: Aus den bei seinem Artikel aufgeführten Veröffentlichungen wird der Bezug zur Studenten- oder Hochschulgeschichte jedenfalls nicht deutlich (S. 273f.). Ganz anders verhält es sich, um ein positives Beispiel herauszugreifen, bei dem sehr ausführlichen Artikel über Paul Ssymank, dem Nestor der Studentengeschichte und wissenschaftlichen Hochschulkunde (S. 313ff.). Verfasst wurde der Artikel von seinem Sohn Harald Ssymank, ebenfalls ein wichtiger Studentenhistoriker. Merkwürdig ist nur, dass Harald Ssymank, dem auch ein Artikel gewidmet ist (S. 312f.), schon 1992 verstorben ist. Hier liegt offenkundig eine postume Zweitverwertung vor, die bibliografisch als solche nicht kenntlich gemacht wird.
Recht bunt nimmt sich der Kreis der dem Verbindungswesen zuzurechnenden Autoren aus. Soweit ersichtlich sind alle wichtigen studentischen Dachverbände (Burschenschaften, Corps, Sängerschaften, konfessionelle Verbindungen, etc.) vertreten. Unabhängig von ihrem biografischen und bibliografischen Gehalt auf dem Gebiet der Studentengeschichte sind die Artikel eine Fundgrube für eine Sozialgeschichte des historischen Amateurs. So sind es sehr oft Juristen und Bibliothekare, die hochschul- und studentengeschichtliche Literatur schreiben. Schöne Beispiele für mitunter beeindruckende Produktivität der „Liebhaberhistoriker“ bieten die Artikel über Walter Brod (S. 61ff.) und Rainer Assmann (S. 21ff.), zwei Corps-Historiker, oder aus dem Bereich der Burschenschaft Helge Dvorak (S. 85ff.) und Hermann Haupt (S. 133ff.), letzter war freilich studierter Historiker und Bibliothekar.
Unter den Amateuren finden sich auch bekannte Persönlichkeiten, so etwa der Freiburger Pathologe Ludwig Aschoff, der im Rahmen dieses Lexikons vor allem als Studenten- und Hochschulhistoriker gewürdigt wird (S. 17f.). Da man als Leser solche Einträge nicht vermutet, ist die Lektüre des Lexikons immer für Überraschungen gut. Aber genau das ist ein gewisses Problem. Nicht immer ist ein klares Profil bei der Auswahl zu erkennen. Das wurde bei den Autoren der Hochschulgeschichte schon bemängelt. Auch sind die Artikel in Stil und Duktus nicht einheitlich. Von Beiträgen mit hoher wissenschaftlicher und bibliografischer Qualität bis hin zu etwas rührseligen Nachrufen reicht das Spektrum. Bei den Bibliografien hätte man sich manchmal eine stärkere Fokussierung auf das Thema des Lexikons gewünscht, so dass vor allem bei Historikern zumindest kleinere Arbeiten, die nicht das Hochschul- und Studentenwesen zum Gegenstand haben, ruhig hätten ausgelassen werden können, so etwa bei Dieter Anton Binder (S. 44ff.), dessen Veröffentlichungen zur Geschichte des Deutschen Ritterordens oder der Freimaurerei sicher kein besonderes Interesse der Leser des vorliegenden Lexikons beanspruchen können.
Eine Besonderheit des Werkes ist es, dass auch lebende Autoren berücksichtigt werden. So findet sich ein Artikel über den Herausgeber Golücke (S. 115f.) und nahezu alle weiteren Autoren des Lexikons. Das ist eine ungewöhnliche Art von Selbstreferenz. Man kann es aber auch positiv sehen: Auf diese Weise wird das fehlende Mitarbeiterverzeichnis weitgehend kompensiert und aktuelle Literatur nachgewiesen. Bei jüngeren Personen aber, deren Lebenslauf sich naturgemäß auf Ausbildung und Berufseinstieg beschränkt, werden mitunter minutiös Fakten wie DLRG-Mitgliedschaft und Namen der Betreuer einer theologischen Diplomarbeit 1 oder gar das Bestehen eines Vordiploms 2 erwähnt. Diese Marginalien gehören wirklich nicht in ein Lexikon mit einem über die bloße Gegenwart hinausgehenden Anspruch. An diesem Punkt wird die Grenze zu einem „Who is Who“ überschritten.
In der vorliegenden Form vermag das Lexikon trotz seiner unbestrittenen bibliografischen Qualität nicht ganz zu befriedigen. So fehlen Register. Da die einzelnen Autoren durchaus Schwerpunkte in ihrem literarischen Schaffen haben, hätten sich Hochschul- und Korporationsverzeichnisse angeboten. Auch hätte eine stärkere Hand des Herausgebers manchem allzu nachrufhaft klingenden Artikel eine nüchternere Form geben oder die Bibliografien stärker auf die eigentliche Thematik des Lexikons fokussieren können. Gleichwohl ist das Werk zu begrüßen. Hier liegt erstmals für einen unübersichtlichen Teil der Hochschulgeschichte ein brauchbares Findmittel vor. Jeder, der über Hochschul- und Studentengeschichte arbeitet, sollte es einmal in die Hand nehmen. Es ist zu wünschen, dass sich das Nachschlagewerk in einer späteren Auflage konsolidiert. Trotz einiger Kritik verdient Golückes Arbeit, der in seinem Nachwort Inkonsistenzen bei der Auswahl der Personen durchaus eingeräumt hat, große Anerkennung, vor allem wegen der Sichtung und Aufbereitung des immensen bibliografischen Materials.
Anmerkungen:
1 Vgl. Artikel „Weyer, Ruprecht van de“, S. 351f.
2 Vgl. Artikel „Kleifeld, Helge“, S. 173f.