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Titel
Der traurige Patriot. Sebastian Haffner und die Deutsche Frage


Autor(en)
Beck, Ralf
Erschienen
Berlin 2005: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus M. Payk, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Zu Lebzeiten vorwiegend als Querdenker und eigenwilliger Kommentator der Zeitläufte bekannt, wurde Sebastian Haffner erst durch die posthume Publikation seiner autobiografischen „Geschichte eines Deutschen“ im Jahr 2000 in das Rampenlicht einer politisch-historisch interessierten Öffentlichkeit katapultiert. Rasch setzte eine bemerkenswerte Konjunktur ein, in der nicht nur die älteren, größtenteils bereits in Vergessenheit geratenen Bücher des streitbaren Publizisten wiederaufgelegt wurden, sondern auch verschiedene Editionen von Zeitungsartikeln, Essays und Feuilletons einen aufnahmewilligen Markt fanden.

Inwieweit diese Hausse inzwischen noch trägt, sei an dieser Stelle dahingestellt. Man dürfte aber nicht ganz falsch liegen, wenn man annimmt, dass sie auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sebastian Haffner beträchtlich angeregt hat. Eine erste Studie zu dessen Biografie legte Uwe Soukup bereits 2001 vor1, dem man allerdings mangelnde Distanz, harmonisierende Tendenzen und eine gewisse politische Einseitigkeit vorwerfen kann. Daneben ist seit geraumer Zeit eine Bonner Dissertation über Haffners Lebensweg in Vorbereitung, der Ralf Beck mit seiner hier anzuzeigenden Chemnitzer Promotionsschrift nun zuvorgekommen ist.

Beck will indessen keine umfassende biografische Darstellung bieten, sondern konzentriert sich ganz auf Haffners journalistische Auseinandersetzung mit der „deutschen Frage“. Entgegen der landläufigen Auffassung versteht Beck unter diesem Terminus nicht allein das Problem der schwierigen nationalstaatlichen Einheit Deutschlands nach 1806 bzw. der Zweistaatlichkeit zwischen 1949 und 1990, sondern – mit Haffner – vor allem die Frage, „wie Deutschland organisiert werden könne, so dass es international annehmbar sei“ (S. 10). Die „deutsche Frage“ erscheint aus dieser Perspektive zuerst als Problem der stabilen Einbindung Deutschlands in das Kräftegleichgewicht einer „europäischen Friedensordnung“. Eine darüber hinausgehende Aufschlüsselung des untersuchungsleitenden Grundbegriffs wird jedoch nicht vorgenommen, und so bleiben die von Beck an Haffners journalistisches Werk angelegten Kriterien stets etwas undeutlich.

Im Ganzen ist es freilich sinnvoll, sich Haffner über seine Auseinandersetzung mit Deutschland zu nähern; schon Soukup hatte dieses schwierige Verhältnis in den Mittelpunkt seiner Darstellung gerückt, in seinen schillernden Facetten allerdings kaum hinreichend erklären können. Beck zielt in seinen insgesamt acht Kapiteln in besonderer Weise auf die „Grundgedanken“ und „überdauernden Maßstäbe“ (S. 11) in Haffners Beschäftigung mit der „deutschen Frage“. Nach einer knappen Einführung in den Lebensweg bis zum Ende der 1930er-Jahre wird zunächst die Emigration nach Großbritannien in den Vordergrund gestellt. Beck beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf die Entstehungsgeschichte der zentralen Schriften Haffners aus diesem Zeitraum und präpariert ihre Intention einer föderalen Reorganisation des Reiches ebenso sorgfältig wie kenntnisreich heraus. Dabei wird unter anderem ersichtlich, wie sehr Haffners Ablehnung der NS-Diktatur bereits ab 1942/43 von einer deutlichen Abgrenzung gegenüber Stalin und der UdSSR ergänzt wurde (S. 56f.). Es ist darum nur folgerichtig, wenn Beck seinen Protagonisten im nachfolgenden Kapitel als einen „Kalter Krieger“ porträtiert, der sich in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre als scharfer Antikommunist profilierte. Als entschiedener Fürsprecher der „Politik der Stärke“ ließ Haffner seine Idee einer lockeren deutschen Föderation fallen und forderte nun die Konsolidierung der Bundesrepublik durch eine politische, militärische und wirtschaftliche Westintegration.

Die Verwandlung Haffners von einem militanten Antikommunisten zu einem Verfechter von Entspannung und Koexistenz bildet den nächsten Hauptteil. Seit Ende der 1950er-Jahre zielten seine deutschlandpolitischen Vorstellungen zunehmend auf engere und kooperativere Beziehungen zwischen den beiden deutschen Teilstaaten. Über diese jähe Wendung ist viel gerätselt worden, verblüffte (und provozierte) Haffner doch nun mit Meinungsäußerungen, in denen der Gegensatz zwischen der Bundesrepublik und der DDR, zwischen kapitalistischer Demokratie und sozialistischer Diktatur zu einer Quantité négligeable wurde (S. 103ff.). Für die Zeit ab 1969 wird Haffner schließlich als ein „Anwalt des Status quo“ präsentiert, der die deutsche Zweistaatlichkeit als einen für den europäischen Frieden eher förderlichen Faktor interpretierte. Entgegen den eigenen, nur wenige Jahre zurückliegenden Warnrufen vor einem drohenden Faschismus beschrieb er die westdeutsche Gegenwart nunmehr mit markanten positiven Akzenten. Die innere Stabilität und Sicherheit der Bundesrepublik begrüßte Haffner beispielsweise ebenso lebhaft, wie er zugleich das Ende eines aggressiven deutschen Nationalismus diagnostizierte. Dank der europäischen Integration sei Westdeutschland in einem außenpolitisch saturierten, „postnationalstaatliche[n] Status quo“ (S. 184) fest verankert.

Die chronologische Abfolge der Kapitel wird mit einem „Epilog“ beschlossen, der leider nur sehr knapp Haffners ambivalente Reaktionen auf die Deutsche Einheit im Jahre 1990 vorstellt. Es folgt ein resümierender Abschnitt über den Publizisten als „politische[n] Denker“, in dem Beck einerseits die Vorliebe seines Protagonisten für (kontroverse) historische Vergleiche nachzeichnet, andererseits dessen Meinungsumschwünge im Rahmen einer systematischen Gesamtschau begreiflich machen möchte. Hier offeriert Beck einen Erklärungsansatz, der Haffners Sprunghaftigkeit strikt von persönlichen oder weltanschaulichen Sympathien trennt und sie allein jener „politischen Vernunft“ zuschreibt, als deren Imperativ die „staatliche Selbsterhaltung“ (S. 215, 218) gesetzt wird. Aus dieser Perspektive erscheinen Haffners wechselvolle Stellungnahmen zur „deutschen Frage“ also nicht als Positionswechsel, sondern im Gegenteil als von einer konstanten, wiewohl oft exaltiert vorgetragenen Sorge um die Stabilität Deutschlands und den Frieden Europas bestimmt. Dabei ist es durchaus plausibel anzunehmen, dass Haffner in den Kategorien einer traditionalen Außen-, Macht- und Geopolitik dachte. Ob sich seine journalistische Tätigkeit damit als „Staatsdienst“ (S. 231) adäquat beschreiben lässt, erscheint gleichwohl zweifelhaft; hier dürfte Beck doch in ähnlicher Weise über das Ziel hinausschießen wie mit seiner einleitenden Behauptung, Haffner sei der bedeutendste Journalist der Bundesrepublik gewesen (S. 9).

Die Konzentration auf die „deutsche Frage“ als durchgängiger roter Faden kommt der Anschaulichkeit der Untersuchung sehr zugute. In nahezu jedem Unterkapitel kehrt Beck zu seiner Ausgangsfrage zurück, subsumiert darunter die gerade entwickelten Teilergebnisse und zieht eine kurze, instruktive Bilanz. Andererseits wird durch diesen überscharfen Fokus manches Potenzial verschenkt. So hätte man sich gewünscht, dass Beck der intellektuellen Entwicklung seines Protagonisten auch jenseits der „deutschen Frage“ ein gewisses Eigengewicht zugebilligt hätte. Ebenso wäre es vorteilhaft gewesen, die historische Entwicklung des publizistischen Kommunikationsraums der Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er-Jahren stärker einzubeziehen. Überhaupt fällt an dieser Stelle auf, dass kaum je eine Einbettung in die aktuelle Forschungssituation geleistet oder weiterführende Literatur berücksichtigt wird; selbst für historisch-politische Grundtatsachen bleibt die Leserschaft vielfach auf Texte von und über Haffner verwiesen.

Sicherlich ist die Akribie und der Fleiß herauszuheben, mit der Beck zahllose Veröffentlichungen seines Protagonisten auch an entlegenen Stellen aufgespürt hat. Erfreulich ist auch, dass die unveröffentlichten Korrespondenzen aus dem Nachlass einbezogen wurden, wenngleich eine kursorische Durchsicht des – leider vom Text separierten – Fußnotenteils erkennen lässt, dass sie nur bei vereinzelten Passagen tatsächlich eine Rolle spielen. Doch in der Summe bleibt die Untersuchung ebenso brav wie blass. Für die weitere Beschäftigung mit den deutschlandpolitischen Vorstellungswelten Haffners wird das Buch zweifellos heranzuziehen sein; darüber hinaus bietet es jedoch nur wenige innovative Ergebnisse oder frische Einsichten in die Biografie dieses publizistischen Außenseiters und intellektuellen Enfant terribles.

Anmerkung:
1 Soukup, Uwe, Ich bin nun mal Deutscher. Sebastian Haffner. Eine Biographie, Berlin 2001.

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