Das derzeit in der deutschen Öffentlichkeit vorherrschende Bild der Friedensbewegung in den USA beruht wohl vor allem auf der Wahrnehmung ihrer allgemeinen Schwäche angesichts des Irak-Krieges und des »War on Terrorism«. Zuvor wurde es aber ebenso geprägt durch die Erinnerung an die machtvollen Proteste gegen den Vietnamkrieg in den 1960er und 1970er Jahren, die ja über Amerika hinaus ein weltweites Echo fanden und für die »68er-Bewegung« eine zentrale Rolle spielten. Diese Epoche steht deshalb auch schon seit längerem im Mittelpunkt der historischen Friedensforschung innnerhalb und ausserhalb der USA. Weniger bekannt – und zumindest aus europäischer Perspektive auch weniger erforscht – ist dagegen die Geschichte der Friedensbewegung in den Vereinigten Staaten von den 1920er bis zu den 1950er Jahren. Gerade in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen entstanden jedoch in den USA wie in Europa zahlreiche pazifistische Gruppen und Organisationen, die auch nach 1945 noch aktiv blieben und auf deren programmatische Diskussionen und persönliche Netzwerke die Friedensbewegung der 1960er und 1970er Jahre zurückgreifen konnte. Ein Beispiel dafür ist die War Resisters League, die 1923 in New York gegründet wurde und bis heute die wichtigste nicht-religiöse, Männern und Frauen gleichermaßen offenstehende radikalpazifistische Organisation in den Vereinigten Staaten geblieben ist.
Scott H. Bennett hat nun die erste Studie zur Geschichte der War Resisters League (WRL) vorgelegt und sich dabei bewusst auf die Zeit vor dem Vietnamkrieg beschränkt. Er zeigt, in welchen Etappen die War Resisters League »has evolved from a single-issue pacifist registry, educational forum, and political pressure group devoted exclusively to war resistance into an organization advocating nonviolent direct action and civil disobediance in promoting a multi-issue agenda for advancing peace and social justice.« (XV)
Die Darstellung umfasst acht chronologisch angeordnete Kapitel. Das erste Kapitel beschreibt die Gründungsphase der WRL. Es ist zugleich ein Porträt von Jessie Wallace Hughan (1876 – 1955), auf deren Initiative die WRL entstand und die dreissig Jahre lang die Zentralfigur der War Resisters League war. Seit 1914 aktive Pazifistin, formulierte Jessie Wallace Hughan »a strategy of war resistance based on the premise that a pacifist minority, pledged in advance to withhold support for war, could mobilize public opinion and stop governments from declaring war by persuading them that sufficient support to wage war did not exist.« (1)
In dieser Überzeugung gründete Hughan 1915 als Vorläufer der WRL die Anti-Enlistment League, die sich gegen eine amerikanische Beteiligung am Ersten Weltkrieg wandte und bis zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im April 1917 bestand. Nach 1918 bemühte sich Jessie Wallace Hughan darum, in den USA eine Friedensorganisation zu schaffen, die Männer und Frauen aller Glaubensrichtungen und politischen Überzeugungen einte und sich in ihrem radikalen Pazifismus von der religiösen und bürgerlich-liberalen Friedensbewegung sowie vom kommunistischen Antimilitarismus abgrenzte. Hughans Vorbild war die 1921 als Zusammenschluß mehrerer europäischer Friedensgruppen gegründete War Resisters International, als deren amerikanische Sektion sich die War Resisters League 1923 konstituierte.
Das zweite Kapitel des Buches ist der Organisationsgeschichte der WRL von 1923 bis 1941 gewidmet. In dieser Zeit wuchs die WRL von einigen hundert auf 900 aktive, beitragzahlende Mitglieder und 19.000 eingeschriebene Sympathisanten. Eine wichtige Rolle spielten dabei amerikanische Kriegsdienstverweigerer des Ersten Weltkrieges und mehrere bekannte Einzelpersönlichkeiten der amerikanischen Friedensbewegung (z. B. John Haynes Holmes, Devere Allen und A.J. Muste), die sich für die WRL engagierten und so ihren Einfluss im linken politischen Spektrum stärkten.
Die erste politische Zerreißprobe für die War Resisters League war die Diskussion über ihre Haltung zum Spanischen Bürgerkrieg 1936 – 1939, die Scott H. Bennett im dritten Kapitel seiner Studie analysiert. Im Mittelpunkt der Debatte stand die Frage, in welchem Maße der Spanischen Republik nicht doch auch die Anwendung zumindest von »Polizeigewalt« gegenüber ihren Gegnern erlaubt sein sollte und wie in der Bevölkerung ein effektiver gewaltloser Widerstand gegen General Franco zu organisieren sei. Um eine Spaltung ihrer Anhängerschaft zu vermeiden, gab die WRL keine offizielle Stellungnahme zum Spanienkrieg ab, beteiligte sich aber an der humanitären Hilfe für die Bürgerkriegsflüchtlinge in Europa.
Die zweite Zäsur in der Geschichte der War Resisters League war der Beginn des Zweiten Weltkrieges in Europa im September 1939. Die Verantwortung dafür sah die WRL nicht allein auf deutscher Seite, sondern auch bei den USA, Frankreich und Großbritannien, die durch den Versailler Vertrag den Aufstieg Hitlers erst ermöglicht hätten. Ein Eingreifen Amerikas in den Krieg lehnte die WRL ab und trat stattdessen für einen schnellen Verhandlungsfrieden ein, der auch der beste Weg sei, um die Juden vor weiterer Verfolgung zu bewahren. Bei dieser Haltung blieb die WRL selbst nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 und bekräftigte damit ihren »Dissent from the ›Good War‹« (Kapitel 4). Allerdings setzte sie den amerikanischen Kriegsanstrengungen keinen aktiven Widerstand entgegen und verhielt sich – nicht zuletzt angesichts der Überwachung durch das FBI – gesetzeskonform, um ihre Existenz nicht zu gefährden.
Den Schwerpunkt ihrer Arbeit legte die WRL im Zweiten Weltkrieg auf die politische und praktische Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern (Kapitel 5). Seit Inkrafttreten des Selective Training and Service Act am 16. September 1940 hatten »Conscientious Objectors« in den USA die Möglichkeit, einen zivilen Ersatzdienst in »Civilian Public Service Camps« zu leisten. Diese Option nahmen bis 1945 insgesamt 12.000 Kriegsdienstverweigerer wahr, im gleichen Zeitraum gab es 6.000 Totalverweigerer, die zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. In den CPS Camps herrschten allerdings häufig kaum weniger unzumutbare Arbeits- und Lebensbedingungen als in den Gefängnissen. So kam es regelmäßig zu Arbeitsniederlegungen, Hungerstreiks oder »Walkouts« aus den Lagern. Diese CO-Revolten führten zwar nur zu geringen praktischen Verbesserungen. Andererseits hatten sie aber auch eine politische Radikalisierung vieler Kriegsdienstverweigerer zur Folge, die zur dritten Zäsur in der Geschichte der War Resisters League führte.
Diese dritte Zäsur, die Scott H. Bennett in Kapitel 6 (»The Pacifist House Divided«) untersucht, bestand darin, daß jüngere Kriegsdienstverweigerer des Zweiten Weltkrieges ab 1945 nach und nach die Führungspositionen innerhalb der WRL einnahmen und damit zugleich einen programmatisch-strategischen Wandel der Organisation einleiteten. Angesichts der neuen Bedrohung durch Atomwaffen und den Ost-West-Konflikt sowie mit Blick auf die gesellschaftliche Situation im eigenen Land genügte vielen WRL-Aktivisten die traditionelle »War resistance« nicht mehr, und sie bemühten sich um eine stärkere Anbindung an die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Die WRL entwickelte sich so von einem »single-issue« zu einem »multi-issue movement«. Ausserdem diskutierte sie neue Aktionsformen wie etwa »Tax Resistance«, d.h. die totale Steuerverweigerung oder die teilweise Einbehaltung der Steuer in Höhe des Prozentsatzes der Militärausgaben am amerikanischen Staatshaushalt. Der Tod Jessie Wallace Hughans am 10. April 1955 markierte schliesslich auch symbolisch das Ende einer Ära und den Neuanfang.
In den beiden letzten Kapiteln seiner Studie (»Nonaligned International Pacifism: The WRL and the Cold War, 1945 – 1955« und »Present at the Creation: The WRL, Direct Action, Civil Disobedience, and the Rebirth of the Peace and Justice Movements, 1955 – 1963«) führt Scott H. Bennett diese Entwicklung weiter aus. Programmatisch suchte die WRL einen »Dritten Weg« zwischen den Blöcken, praktisch wurde sie zur »›service agency‹« (217) für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Darüber hinaus leistete sie Hilfe für verschiedene neu- oder wiederentstehende Friedensgruppen in Westdeutschland, Österreich und Japan und trug so dazu bei, »[to] sow the seeds for the nonviolent social movements of the sixties and seventies.« (174)
Scott H. Bennett hat mit seinem Buch über die Geschichte der War Resisters League eine Studie vorgelegt, die zum einen auf einer breiten Quellengrundlage (in erster Linie WRL-Akten und Nachlässe aus der Swarthmore College Peace Collection sowie Interviews mit einzelnen Aktivisten) beruht und zum anderen aus einem souveränen Umgang mit der Sekundärliteratur heraus argumentiert. Sie schließt eine Forschungslücke in der Geschichte der Friedensbewegung in den USA von den 1920er bis zu den 1950er Jahren. Darüber hinaus beschäftigt sich Bennett mit der WRL aber nicht allein in nationaler Perspektive, sondern macht ebenso ihre grenzüberschreitenden Verbindungen deutlich. So bietet das Buch auch wertvolle Anregungen für die deutsche und für die transnationale historische Friedensforschung. Vor allem aber zeigt es: »Insisting that nonviolent techniques constitute an effective political strategy for creating a more just and peaceful world, the War Resisters League has promoted radical pacifism, not quietistic passivism.« (246)