S. Lippert u.a. (Hrsg.): Tebtynis und Soknopaiu Nesos

Cover
Titel
Tebtynis und Soknopaiu Nesos. Leben im römerzeitlichen Fajum. Akten des Internationalen Symposions vom 11. bis 13. Dezember 2003 in Sommerhausen bei Würzburg


Herausgeber
Lippert, Sandra; Schentuleit, Maren
Erschienen
Wiesbaden 2005: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
VI, 211 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friederike Herklotz, Humboldt-Universität zu Berlin

Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung in Sommerhausen bei Würzburg, die sich mit der Archäologie sowie mit den griechischen und ägyptischen Texthinterlassenschaften von Tebtynis und Soknopaiu Nesos in der Oase Fayum aus römischer Zeit beschäftigte. Ziel war es, ein Gesamtbild des wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Lebens dieser beiden wichtigen Orte zu entwerfen. Das Symposion war interdisziplinär angelegt; an ihm nahmen namhafte Papyrologen, Archäologen und Demotisten aus acht Ländern teil. Organisiert wurde es von Maren Schentuleit und Sandra L. Lippert, den Mitarbeiterinnen des DFG-Projektes „Soknopaiu Nesos nach den demotischen Quellen römischer Zeit“.1

Willy Clarysse (Tebtynis und Soknopaiu Nesos: The Papyrological Documentation through the Centuries, S. 19-27) stellt die Leuvener Datenbank über die Dörfer des Fayums vor (http://fayum.arts.kuleuven.ac.be/). Durch die Auswertung des Materials in dieser Datenbank lassen sich wichtige Hinweise zur Herkunft des Namens von Soknopaiu Nesos und Tebtynis, über das Dorfgebiet und die Bevölkerung sowie über die Entwicklung der Papyrusfunde in den beiden Ortschaften während der römischen Herrschaft ziehen. Ebenso ist ein Vergleich zwischen beiden Orten möglich.

Der Beitrag von Andrea Jördens (Griechische Papyri in Soknopaiu Nesos, S. 41–56) stellt das Material in Soknopaiu Nesos genauer vor und entwirft ein lebendiges Bild der Dorfgemeinschaft; einige Persönlichkeiten und Dokumentengruppen werden dabei detaillierter erörtert, auch allgemeinere Fragen zur Wirtschaft und Sozialstruktur reißt Jördens an. Am Ende ihres Aufsatzes analysiert sie Gründe für den Niedergang von Soknopaiu Nesos im 3. Jahrhundert n. Chr., der sich im spürbaren Nachlassen und anschließenden Verschwinden der Papyrusfunde widerspiegelt.

Thema der Aufsätze von Nadine Quenouille und Fabian Reiter ist die griechische Dokumentation in Tebtynis (Tebtynis im Spiegel neuer griechischer Papyri, S. 117–130; Symposia in Tebtynis – Zu den griechischen Ostraka aus den neuen Grabungen, S. 131–140). Quenouille kombiniert mit Hilfe von zwei Texten, die in Tebtynis gefunden wurden, dem Amtstagebuch des Andromachos und einem Brief des Hieron, Papyrologie und Archäologie und zeigt beispielsweise, wie ein kepotaphos, ein Gartengrab, konstruiert werden könnte. Fabian Reiter stellt die Funktion von Ostraka, die Namen, Daten, Titel und Darstellungen enthielten, anhand des archäologischen Fundkontexts – sie wurden in der Nähe von deipneteria (Speisezimmern) gefunden – dar. Offenbar standen diese Ostraka in Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Leben von Vereinen, die deipneteria als Versammlungsort nutzten.

Paola Davoli (New Excavations at Soknopaius Nesos, S. 29–39) berichtet über die Ergebnisse zweier archäologischer Kampagnen in Soknopaius Nesos, bei denen nicht nur eine topographische Karte erstellt werden konnte, sondern auch völlig neue Informationen über das Aussehen des Tempels gewonnen wurden. Darüber hinaus fand sich eine größere Anzahl von griechischen und demotischen Ostraka bzw. Papyri.

Mario Capasso (Libri, Autori e Pubblico a Soknopaiu Nesos, S. 1–27) stellt die ersten Ergebnisse seiner Forschungen über die griechischen literarischen Papyri in Soknopaiu Nesos vor. Eine solche Untersuchung hatte der Autor schon im Ergebnis der von ihm und Silvio Pernigotti geleiteten Ausgrabungen im 42 km westlich gelegenen Bakchias vorgelegt.2

Während die Erforschung der griechischen Papyri des Fayums weit vorangeschritten ist, stand die Entzifferung der demotischen Quellen gleicher Herkunft und gleicher Datierung (vor allem 1. und 2. Jahrhundert n.Chr.) zum Zeitpunkt der Tagung im Jahre 2003 noch am Anfang.3 Für den Ort Soknopaiu Nesos konnte vor allem das Würzburger DFG-Projekt die Situation ganz entscheidend verbessern. In ihrem Aufsatz „Die Tempelökonomie nach den demotischen Texten aus Soknopaius Nesos“ (S. 71–78) geben Maren Schentuleit und Sandra Lippert eine Art Zwischenbericht und gestatten einen Einblick in das Finanz- und Verwaltungssystem des Soknopaius-Tempels in römischen Zeit, der eine bedeutende Rolle im Kontext des römischen Steuersystems spielte.

Andrew Monson (Sacred Land in Ptolemaic and Roman Tebtunis, S. 79–91) macht deutlich, dass die traditionelle Meinung, wonach der römische Staat nach der Eroberung ägyptisches Tempelland konfiszierte, zu kurz greift, da sie lediglich von wenigen griechischen Dokumenten (z.B. P. Tebt. 2, 302; BGU 4, 1199) ausgeht und zeitgenössische demotische Quellen nicht miteinbezieht. Sollte sich, so Clarysse 4, zeigen, dass das ägyptische Landbesitzsystem zumindest teilweise noch weiter bestand, hätte der Tempel seine traditionelle Rolle innerhalb des Verteilungssystems der römischen Provinz behalten.

Alexandra von Lieven und Kim Ryholt beleuchten in ihren Beiträgen die Inhalte der Tempelbibliothek von Tebtynis, welche die größte Einzelsammlung von ägyptischen literarischen Texten, die jemals gefunden wurde, beinhaltete (Religiöse Texte aus der Tempelbibliothek von Tebtynis – Gattungen und Funktionen, S. 57–70; On the Contents and Nature of the Tebtunis Temple Library. A Status Report, S. 141–170). Während sich von Lieven vor allem auf die religiösen Texte konzentriert, die unterschiedlichen Gattungen vorstellt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Soknopaiu Nesos festmacht, gibt Kim Ryholt einen umfangreichen Überblick über die in der Bibliothek gefundenen Texte. Ausführlicher befasst er sich mit der Frage, ob das Tempeldeposit von Tebtynis tatsächlich eine Bibliothek darstellte (vgl. bes. S. 157–162).

Joachim Friedrich Quack stellt den neuesten Forschungsstand zur Überlieferungsstruktur des „Buches vom Tempel“ vor (S. 105–115) und zeigt, dass in Soknopaiu Nesos der Bestand hieratischer Handschriften (und literarischer Texte überhaupt) insgesamt deutlich geringer als in Tebtynis zu sein scheint, der prozentuale Anteil des „Buches vom Tempel“ jedoch höher war. Dies könnte darauf schließen lassen, dass möglicherweise das Leben in Soknopaiu Nesos deutlicher von der Priesterschaft dominiert wurde, als man bisher annahm (S. 114).

Bryan Muhs (The Grapheion and the Disappearence of Demotic Contracts in Early Roman Tebtynis and Soknopaiu Nesos, S. 93–104) beschäftigt sich mit dem Verschwinden von demotischen Kontrakten gegen Ende des 1. Jahrhundert n. Chr. Dies erstaunt auf den ersten Blick, denn die Grapheion-Büros, in denen diese Verträge ausgefertigt wurden, leiteten weiterhin zweisprachige hellenisierte Ägypter, die ihr Amt innerhalb der Familie weitervererbten. Gründe für die schrittweise Aufgabe von demotischen Kontrakten könnten darin gelegen haben, dass die Vertragspartner von nun an verpflichtet waren, jeden Vertrag in griechischer Sprache zu unterschreiben und sich dadurch die griechische Sprache mehr und mehr durchsetzte.

Ghislaine Widmer (On Egyptian Religion at Soknopaiu Nesos in the Roman Period. P. Berlin P 6750, S. 171–184) stellt den Papyrus Berlin P 6750 vor, der ein Kompendium von religiösen Texten beinhaltet; der Anfang und das Ende sind leider nicht mehr vorhanden. Der Papyrus könnte eine Liturgie gewesen sein, die im Kontext von institutionalisierten Feiern des Monats Hathyr benutzt wurde, die zum Fest der Geburt des Gottes Soknopaios gehörten.

Der letzte Beitrag bietet eine Zusammenfassung des Symposions (Willy Clarysse, S. 185–189). Zudem werden auch die Vorträge vorgestellt, die leider nicht im Tagungsband publiziert wurden.

Ergänzt wird der Band durch einen Sachen-, Ortsnamen- und Personenindex, ein Register der ägyptischen und griechischen Wörter sowie durch ein Quellenverzeichnis (S. 191–211). Ein Literaturverzeichnis ist lediglich dem Aufsatz von Kim Ryholt beigefügt (S. 164–170). Dies ist bedauerlich, da so die Literatur aus den Fußnoten erschlossen werden muss. Einige Beiträge enthalten Illustrationen.

Ingesamt stellt der Tagungsband ein sehr gutes Beispiel für eine gelungene interdisziplinäre Herangehensweise dar. Für die Erforschung des griechischen und des römischen Ägypten sind das Heranziehen von griechischen und ägyptischen Dokumenten sowie der Austausch zwischen den einzelnen Spezialisten – Papyrologen, Demotisten, Althistorikern und Archäologen – dringend notwendig. Man darf auf den Tagungsband eines weiteren Symposions dieser Art gespannt sein, das vom 29. Mai bis 1. Juni 2007 in Freudenstadt unter dem Thema „Graeco-Roman Fayum – Texts and Archaeology“ stattfand.

Anmerkungen:
1 Förderung von 2000 bis 2005. Zum Inhalt des Projektes vgl. http://www.aegyptologie.uni-wuerzburg.de/sokno.html (07.06.2008).
2 Bittelli, Gabriele u.a., The Bologna and Lecce Universities Joint Archaeological Mission in Egypt: Ten Years of Excavations at Bakchias (1993–2002), Napoli 2003.
3 Vgl. jetzt die von Karl-Theodor Zauzich herausgegebene Kurzreihe: Demotische Dokumente aus Dime, Wiesbaden 2006ff. (bisher zwei Bände erschienen, vier Bände geplant).
4 Vgl. Tebtynis und Soknopaiu Nesos, S. 187.

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