A. Epple u.a. (Hgg.): Vom Nutzen und Nachteil des Internet

Cover
Titel
Vom Nutzen und Nachteil des Internet für die historische Erkenntnis. Version 1.0.


Herausgeber
Epple, Angelika; Haber, Peter
Reihe
Geschichte und Informatik/Histoire et Informatique 15
Erschienen
Zürich 2005: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
202 S.
Preis
€ 21,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Kaiser, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Mittlerweile ist das Internet ein unverzichtbarer Bestandteil der gegenwärtigen Wissenschaftspraxis geworden. Allerdings besteht deswegen kein Grund, in eine pure Fortschrittseuphorie zu verfallen. Vielmehr gilt es, neben den unvergleichlichen Chancen, die sich durch das World Wide Web ergeben, auch die unbestrittenen Risiken in den Blick zu nehmen. Die sich daraus ableitende ambivalente und kritische, stellenweise sogar pessimistische Haltung kennzeichnet den hier anzuzeigenden Sammelband. Er versammelt zehn Beiträge, die aus zwei Workshops in Hamburg und Fribourg im Jahr 2004 hervorgegangen sind. Beteiligt sind AutorInnen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Es handelt sich zumeist um HistorikerInnen verschiedener Fachrichtungen, aber auch einige EDV-SpezialistInnen und ein Vertreter der freien Wirtschaft zeichnen für die Aufsätze verantwortlich.

Vorneweg sei gleich darauf hingewiesen, dass mehrere Beiträge einen expliziten Schwerpunkt auf didaktische Fragestellungen legen, d.h. die Nutzbarmachung der Neuen Medien im Rahmen der universitären Lehre, aber auch in der Vermittlung von historischen Kenntnissen und Fähigkeiten allgemein hinterfragen. Damit folgen sie dem Herausgebervorwort, das ein eindeutiges Bekenntnis zur „Verzahnung von universitärer Lehre und Forschung“ enthält (S. 6), und zwar gerade mit Blick auf die Einsatzmöglichkeiten der Neuen Medien. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es eben Vertreter innovativer Techniken sind, die sich mit diesem Votum für eine wissenschaftsorganisatorische Konfiguration stark machen, die vielfach als überholt kritisiert wird und im Zuge universitärer Reformen aufgegeben zu werden droht.

Nun zu den einzelnen Beiträgen. Angelika Epple betrachtet die Chancen und Risiken des Internet für die Weiterentwicklung der Geschichtsschreibung (S. 15-32). Einerseits sieht sie deutlich die Vorteile des Hypertextes (Verlinkungen und Interaktivität), aber auch einzukalkulierende Gefahren wie das Zurücktreten, wenn nicht das Verschwinden des Autors mit einer dann drohenden Beliebigkeit in der geschichtlichen Darstellung. In Auseinandersetzung mit Hans Ulrich Gumbrecht plädiert Epple gerade auch bei der Online-Historiografie für die Beibehaltung der historischen Erzählung, wobei sie neben den klassischen linear-chronologischen Elementen die synchronen Ansätze gestärkt sehen möchte.

Welche neuen Wege die Geschichtsdarstellung bereits gefunden hat, beschreibt Jakob Krameritsch exemplarisch am Beispiel der „Schreibwerkstatt“ http://www.pastperfect.at, die das 16. Jahrhundert erschließt (S. 33-55). Ziel des Projekts ist die Schaffung einer „Textlandschaft“ bzw. eines Hypertextnetzwerkes, das den LeserInnen eine aktive und kreative Rolle zuweist. Wichtig ist hier die didaktische Erfahrung mit der Nicht-Abgeschlossenheit der Geschichte, wie sie eben durch den Hypertext vermittelt werden kann. Die Herausforderung, die sich einem AutorInnenkollektiv beim Verfassen von Hypertextbausteinen stellt, hat beim Projekt des „Hypertextcreators“ einen didaktischen Anstrich bekommen, handelt es sich hierbei doch um eine Lehr- und Lernsoftware für den universitären Betrieb.

Methodische Reflexionen über das wissenschaftliche (historische) Arbeiten im Internet steuert Christiane Floyd bei (S. 57-71). Unter den Stichworten der Informatisierung der Geschichtswissenschaft sowie der Reifikation von Datenbeständen und ihrer „Exteriorisierung“ beschreibt sie den Aufbau von Quellenressourcen im Internet und die daraus folgende Wahrnehmungsproblematik von Geschichte. Im Fokus steht die Frage, welche Materialien digitalisiert werden und welche eben nicht: Was durch dieses Raster fällt, hat sich im Prozess der so apostrophierten „Standardisierung“ nicht behaupten können. Letztlich neigt Floyd dazu, diesen Entwicklungen auch positive Aspekte abzugewinnen. Die Risiken werden durchaus erkannt und benannt („Reduktion“), für meine Begriffe aber unterschätzt.

Das Unbehagen über das vorgebliche Allwissen, das im Internet vermeintlich verfügbar ist und nur recherchiert werden muss, formuliert dagegen in aller wünschenswerten Deutlichkeit Peter Haber (S. 73-89). Mit dem Schlagwort des „Google-Syndroms“ veranschaulicht er die Spannung zwischen dem suggerierten Anspruch der Internetdienste wie Yahoo, Google und Wikipedia auf Totalität des Wissens und den tatsächlichen Leistungen. Nicht minder wichtig sind die abschließenden, ebenfalls warnenden Hinweise auf die bereits jetzt sich abzeichnenden Konsequenzen für die Suchstrategien von Lernenden.

Eigens über die Problematik der Suchstrategien im Internet referiert Stefanie Krüger (S. 91-105), derzufolge die digitalen Recherchen mit denen in analogen „Suchräumen“ kombiniert werden müssen. Das Plädoyer für eine eigene, dem Medium angemessene Methodik geht konkret in zwei Richtungen: Zum einen werden HistorikerInnen künftig in den Publikationen über ihre Suchstrategien genauer Auskunft geben müssen; zum anderen – und grundlegender – ist zu wünschen, dass AutorInnen den Rechercheprozess aktiv mitgestalten, indem sie auf der Grundlage gängiger Standards die eigenen Werke mit Metadaten zu versehen lernen.

Sabine Schindler stellt die Internet-Auftritte historischer Stätten und Museen in den Vereinigten Staaten vor (S. 107-130), die im Dreieck von Popularisierung, Idealisierung und Kommerzialisierung gefangen sind. Dabei ist das Medium zwar nicht die Ursache für diesen unkritischen Umgang mit historischen Themen, aber die Web-Seiten führen die fragwürdige Präsentation, die an den historischen Stätten selbst geboten wird, bruchlos fort.

Durchaus ernüchternd, wenngleich nicht überraschend ist der Befund von Stephanie Marra (S. 131-138), dass den wenigen seriösen, d.h. von historischen Fachvertretern betriebenen und damit qualitätsgeprüften Internet-Portalen eine Vielzahl von Online-Angeboten meist privater Provenienz gegenübersteht, die zwar den Anstrich von historischer Gediegenheit vermitteln wollen, dabei aber eine plakative bis verzerrende Geschichtsvermittlung betreiben.

Inwieweit die Neuen Medien und speziell das Internet für die universitäre Lehre der Geschichtswissenschaften eingesetzt werden können, diskutiert Jan Hodel (S. 139-161). Anhand von drei Beispielen, nämlich den Online-Vorlesungen, der Vermittlung von historischem Basiswissen und historischen Arbeitsgrundlagen mittels Online-Lehrgängen sowie den Möglichkeiten des kooperativen Verfassens von wissenschaftlichen Texten im Rahmen der Online-Lehre, lotet er neue didaktische Konfigurationen aus. Der Beitrag selbst beurteilt die hier angestrebte Medien-Kompetenz der HistorikerInnen aber nur bedingt positiv.

Diese abwägend-zurückhaltende Bewertung, die ansonsten den gesamten Band kennzeichnet, findet sich nicht mehr im Beitrag von Franz X. Eder und Eduard Fuchs (S. 163-181), die am Beispiel der Unterrichts- und Lernangebote von „Geschichte Online“ ihre Vorstellungen vom webbasierten Lernen präsentieren und ihre Befunde somit aus der Praxis gewonnen haben. Die Module zu geschichtswissenschaftlichen Arbeitstechniken, zur Literatur- und Informationsrecherche und zur Geschichtsdidaktik sowie der Hypertextcreator – etwa für den interaktiven Aufbau einer Wissensbasis im Seminarrahmen – werden vorbehaltlos positiv bewertet. Der besondere Wert dieses Projekts lag zudem in der Kooperation verschiedener Universitäten in Österreich, der Schweiz und in Deutschland.

Ebenfalls auf ein konkretes Projekt rekurriert der Bericht von Andreas Kränzle und Gerold Ritter über das Online-Lernangebot „Ad fontes“, das Geschichtsstudierende auf die Arbeit in einem Archiv vorbereiten möchte (S. 183-199). Hervorzuheben sind die flexiblen Einsatzmöglichkeiten und Zugangsweisen dieses Programms – eine Eigenschaft, die die Unterrichtspraxis bestätigt. Der didaktische Erfolg in der universitären Lehre wird auch durch die entsprechende Einschätzung seitens der Studierenden bestätigt, bei denen sich eine gestiegene Lernmotivation feststellen ließ.

Für die meisten Beiträge des Sammelbandes, die vor dem Hintergrund einer konkreten Projekterfahrung entstanden sind, lässt sich eine positive, ja zuversichtliche Einstellung festhalten. Bezeichnenderweise geht diese Haltung den AutorInnen, die sich an grundsätzlichen Fragestellungen versuchen, tendenziell verloren – jedenfalls bricht sich hier sehr viel mehr das Bewusstsein für eine ambivalente Einstellung zum Internet und ein Blick für Fehlentwicklungen Bahn. Überspitzt könnte man sagen, dass die Praktiker und Aktivisten im Netz ein relativ ungebrochenes Verhältnis zu ihrem Tun haben, während Skepsis und Unsicherheit eher diejenigen kennzeichnen, die um methodische Grundlagen ringen. Durchweg findet sich in den Beiträgen hingegen eine große Sachlichkeit; sie macht den Blick frei für die anstehenden Herausforderungen, die das Internet der Geschichtswissenschaft (und mutatis mutandis auch anderen Geisteswissenschaften) stellt. Darauf hinzuweisen und damit die nächsten notwendigen Aufgaben vor allem im Bereich der Didaktik und der Methodik zu benennen ist der eigentliche Ertrag dieses gelungenen Bandes.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension