Es ist ein mutiges Unterfangen, zur längst nicht flächendeckend erforschten Geschichte der westdeutschen (Medien-)Öffentlichkeit eine Überblicksdarstellung vorzulegen. Christina von Hodenberg ist für eine solche Unternehmung aber schon deshalb gut gerüstet, weil es ihr dankenswerterweise nicht um eine introvertierte Mediengeschichte geht, sondern um die breiteren „Wandlungsprozesse in Staat und Gesellschaft Westdeutschlands“ (S. 15). Die Herkunft ihrer Habilitationsschrift aus dem Umfeld der von Ulrich Herbert geleiteten Forschergruppe zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland1 ist also von Beginn an unverkennbar, und in ihrer konzisen Einleitung wird denn auch als Ziel benannt, übergreifende Prozesse wie Demokratisierung, Liberalisierung und Verwestlichung anhand der Veränderungen in der massenmedialen Öffentlichkeit und in der journalistischen Praxis detaillierter als bisher auszuloten. Die zugrunde gelegten Konzepte – von der politischen Kulturforschung über Bourdieus Feldbegriff bis hin zu neueren generationengeschichtlichen Überlegungen – werden erfreulich zwanglos und pragmatisch gehandhabt; überhaupt herrschen eine angenehm unprätentiöse Sprache und ein unaufgeregter Duktus vor, ohne dass auf klare Urteile verzichtet wird.
Kapitel 1 und 2 bieten eine erweiterte Einführung zum eigentlichen Untersuchungsthema, indem zunächst ein umfangreicher ideengeschichtlicher Teil vorgeschaltet wird, der die akademische Theoriebildung zum Begriff der Öffentlichkeit in den 1950er und 1960er-Jahren umreißt. Im kurzen zweiten Kapitel werden einige hilfreiche Basisdaten zur strukturgeschichtlichen Entwicklung der westdeutschen Medienlandschaft geliefert.
Kapitel 3 nimmt den Zeitraum vom Kriegsende bis ungefähr 1957 als „Ära der eingehegten Kritik“ in den Blick. In einer kenntnisreichen Übersicht zur bereits gut erforschten Pressepolitik der westalliierten Besatzungsmächte arbeitet von Hodenberg deren Bemühungen heraus, durch Lizenzierungen, personalpolitische Eingriffe und ideelle Einflüsse eine demokratische Neuorientierung in den deutschen Medien anzuregen. Dass diese Bestrebungen zunächst kaum nachhaltige Erfolge verbuchen konnten, wird im nächsten Abschnitt an Adenauers semiautoritärer Medienpolitik vorgeführt, wobei besonders die Steuerungsversuche des Bundespresseamtes detailliert beschrieben werden. Auf der anderen Seite wird aber auch nachgewiesen, wie sehr die meisten Journalisten in dieser Zeit noch ein eher kooperatives denn kritisch-kontrollierendes Verhältnis zu staatlichen Stellen pflegten, was von Hodenberg mit der gelungenen Wortschöpfung eines „Konsensjournalismus“ umschreibt (S. 195).
Das sozialgeschichtliche Profil des westdeutschen Journalismus wird in Kapitel 4 rekonstruiert, vor allem aber mit generationsgeschichtlichen Perspektiven angereichert. Wie in anderen jüngeren Untersuchungen werden auch hier die ungefähr von Anfang der 1920er bis Mitte der 1930er-Jahre geborenen Jahrgänge prominent in den Mittelpunkt gestellt und in Anlehnung an Dirk Moses (und Joachim Kaiser) als „Fünfundvierziger“ bezeichnet. Damit wird das Kriegsende als zentrales sinnstiftendes Moment aufgerufen, und in der Tat ist es plausibel, diese auch „skeptische“, „HJ-“ oder „Flakhelfer-Generation“ genannte Altersgruppe im Spannungsfeld von Enttäuschung und Desillusionierung, Befreiung und Neubeginn anzusiedeln. Antiideologische Entschiedenheit, demokratisches Engagement und eine hohe Affinität zu westlich-liberalen Idealen sind für diese Generation ebenso kennzeichnend wie frühe und meist beachtliche Karriereverläufe oder die Tatsache, dass die NS-Belastungen der älteren Vorgesetzten und Kollegen eben nicht skandalisiert wurden, sondern zu stillschweigenden Arrangements führten (S. 267ff.).
Der Aufstieg der Fünfundvierziger in der westdeutschen Medienlandschaft zwischen 1958 und 1965 bildet das Herzstück der Untersuchung. In Kapitel 5 wird detailliert aufgezeigt, wie jüngere Journalisten/innen gegen den Konsens der frühen Adenauer-Zeit eine dezidiert „zeitkritische“ Berichterstattung durchsetzten, was beim Publikum rasch ebenso populär wurde wie bei offiziösen Stellen auf Empörung stieß. Vor allem am Beispiel der beiden Fernsehmagazine „Panorama“ und „Report“ kann von Hodenberg nachweisen, wie sich ein Stil der kalkulierten Skandalisierung und der regierungskritischen Provokation mit einem Anspruch auf Demokratisierung verkoppelte, zugleich aber auch von subtilen Karriereerwägungen durchzogen war. Gegen die Selbstmythologisierung ehemaliger Beteiligter wird zudem argumentiert, dass sich eine Sendung wie „Panorama“ weder als Schrittmacher einer zeitkritischen Avantgarde noch als Vorläufer der Achtundsechziger-Bewegung verstehen lasse; sie sei „Symbol einer Wandlungsbewegung im Journalismus, nicht die Bewegung selbst“ gewesen (S. 319). Auch im prominenten Fall der „Spiegel“-Affäre von 1962 habe es sich zwar um eine besonders intensiv wahrgenommene Krise gehandelt, nicht jedoch um den eigentlichen Wendepunkt in der Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit.
In Kapitel 6 diskutiert von Hodenberg schließlich die „Radikalisierung der Kritik“ zwischen 1965 und 1973/74, mithin die einsetzende Polarisierung und Politisierung der massenmedialen Öffentlichkeit. Während sich beispielsweise „Stern“, „Zeit“ und „Quick“ in diesem Zeitraum deutlich nach links orientierten und dadurch Auflagengewinne erzielten, mussten konservative Presseorgane wie „Welt“ und „Christ und Welt“ eine schwindende Resonanz hinnehmen. Zugleich radikalisierten sich nicht wenige jüngere Nachwuchsjournalisten im Umfeld der Oppositionsbewegungen der späten 1960er-Jahre und praktizierten bald einen „engagierten“ Journalismus, der eine aktive politische Positionierung mit der Anklage bestimmter Missstände verband und dabei zwischen Gesellschaftsreform und offener Systemablehnung changierte. Allerdings weist von Hodenberg vor allem auf die thematischen Konvergenzen zu den Fünfundvierzigern hin, deren Leitvorstellungen einer Demokratisierung und einer kritischen Öffentlichkeit man doch verpflichtet geblieben sei. Ein letzter Blick gilt den Mitbestimmungs-Kampagnen der frühen 1970er-Jahre, welche in nicht wenigen Redaktionen und Verlagen für Spannungen und persönliche Verwerfungen sorgten. Eine Schlussbetrachtung fasst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammen.
Die Untersuchung besticht durch eine souveräne Zusammenschau der vielfältigen Entwicklungen und unterschiedlichen Ebenen. Es ist ein großer Verdienst, die Wandlungen der westdeutschen Öffentlichkeit nicht nur anhand ausgewählter Inhalte oder eines einzelnen Mediums auszuleuchten, sondern individualbiografische Aspekte und kollektive Verhaltensweisen ebenso einzubeziehen wie institutionelle Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb der Massenmedien. Damit steht die Studie auf einem breiten Fundament, trotz einzelner Unschärfen im Detail und einer in ihrer Heterogenität nicht immer unproblematischen Quellenlage.
Zum generationengeschichtlichen Deutungsmodell ist anzumerken, dass die diskursiven Entstehungsbedingungen der Fünfundvierziger-Generation noch stärker berücksichtigt werden könnten. Es würde sich anbieten, die Genese und die Wirkmechanismen eines kommunikativ vermittelten, stellenweise imaginierten Identitätsentwurfs gerade dort zu untersuchen, wo sich pädagogisch-demokratisches Sendungsbewusstsein mit hegemonialen Ambitionen verknüpfte. Hieran könnte sich etwa auch die Frage anschließen, inwieweit die gängige Vorstellung von einem Generationen-Konflikt in den 1960er-Jahren neu überdacht werden sollte.2
Vor diesem Hintergrund wäre es zugleich wünschenswert gewesen, das komplexe Ineinander, die Abhängigkeits- und Loyalitätsverhältnisse sowie die altersübergreifenden Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen differenzierter herauszuarbeiten, was bei von Hodenberg meist zugunsten einer analytisch sauberen Trennung in den Hintergrund tritt. So erfahren die Leser/innen zwar kursorisch etwas über die Interaktion der unterschiedlichen Altersgruppen (S. 119, S. 261-277, S. 304), doch oft werden die älteren Generationen einzig als Vertreter eines antimodernen Widerstandes präsentiert, gegen den die Liberalisierung der Bundesrepublik „erkämpft“ werden musste (S. 453). Die moralisch aufgeladene Vorbildrolle älterer Publizisten wie Walter Dirks, Axel Eggebrecht, Sebastian Haffner oder Eugen Kogon wird demgegenüber lediglich erwähnt, nicht jedoch systematisch aufgeschlüsselt; man hätte hier zudem gezielter nach dem Stellenwert der Emigration fragen können.
Auf der anderen Seite wirkt auch die ab Mitte der 1930er-Jahre geborene Alterskohorte der „Achtundsechziger“ zuweilen etwas farblos und freischwebend. In Übereinstimmung mit der jüngeren Forschung wird zwar nachgewiesen, dass diesen Akteuren/innen keineswegs das Verdienst zukommt, eine allfällige Demokratisierung der Bundesrepublik erzwungen zu haben. Doch ob ihr Stellenwert als Juniorpartner/innen der Fünfundvierziger bei dem Großprojekt einer westlich-liberalen Neuorientierung hinreichend beschrieben ist, bleibt fraglich. So weist von Hodenberg in ihrem ideengeschichtlichen Prolog durchaus auf antiliberale Berührungspunkte etwa zwischen Carl Schmitt und den Achtundsechzigern hin (S. 76ff.).
Diese Anmerkungen schmälern freilich nicht den Rang einer überaus lesenswerten Forschungs- und Darstellungsleistung, die für jede künftige Beschäftigung mit der westdeutschen Medien- und Öffentlichkeitsgeschichte als Referenz heranzuziehen sein dürfte. Die Befunde und Deutungen, die von Hodenberg in einer imponierenden Leistung zusammengetragen hat, werden dabei weiter ergänzt und präzisiert, wohl aber nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden.
Anmerkungen:
1 Vgl. Herbert, Ulrich (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002.
2 Vgl. Schildt, Axel, Die Eltern auf der Anklagebank? Zur Thematisierung der NS-Vergangenheit im Generationenkonflikt der bundesrepublikanischen 1960er Jahre, in: Cornelißen, Christoph (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main 2003, S. 317-332, hier S. 320.