Ähnlich wie bei der Erforschung des Kolonialismus, wo sich schon vor einiger Zeit zunächst der Blick von den Zentren auf die Peripherie verlagerte, bis schließlich, in Umkehrung der Perspektive, gewissermaßen „das Imperium zurückschlug“, so hat sich auch die Geschichtsschreibung des Ost-West-Konflikts zwischen 1945 und 1989 neuerdings vom direkten Verhältnis der Supermächte und Europa als zentralem Schauplatz des Kalten Kriegs ab- und verstärkt anderen Regionen zugewandt – mit dem Ziel, ein genaueres Bild der gut 40 Jahre währenden „Teilung der Welt“ zu erhalten.1
Dies ist nicht allein dem Aufkommen des Schlagworts „Globalisierung“ seit Mitte der 1990er-Jahre geschuldet, sondern wohl auch der internationalen Entwicklung seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, die bislang weit weniger friedlich verlief als nach Mauerfall und Untergang der Sowjetunion häufig erwartet. Die Betrachtung des Kalten Kriegs über die hochgerüstete, unter der Drohung atomarer Vernichtung stehende, aber ohne größeren militärischen Konflikt lebende nördliche Hemisphäre hinaus zeigt dann schnell, dass von einer Epoche des „langen Friedens“2 kaum die Rede sein kann.
Mit einer Reihe der in der so genannten Dritten Welt geführten „heißen“ Kriege und ihrer Bedeutung im Kontext des Ost-West-Konflikts beschäftigt sich der von Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Dierk Walter herausgegebene Sammelband, der auf eine Tagung des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) vom Mai 2004 zurückgeht.3 In 13 Fallbeispielen soll „in erster Linie die Qualität und Struktur der Konfliktlogik im Einzelfall“ (S. 11) hinterfragt, also untersucht werden, welche Rolle die „Faktoren des Kalten Kriegs“ im Verhältnis zu anderen Determinanten in den jeweiligen militärischen Auseinandersetzungen gespielt haben.
Als Auswahlkriterium galt ein begründeter „Anfangsverdacht“, dass es sich tatsächlich um „Stellvertreterkriege“ handelte, wie es zeitgenössisch und auch historiografisch bis heute noch oft pauschal heißt, oder doch zumindest eine „Bedingtheit durch die globale Blockkonfrontation“ anzunehmen war. Näher untersucht werden in dem Band der griechische Bürgerkrieg 1946-1949 (Jon V. Kofas), die von der Kolonialmacht Großbritannien bekämpften „Emergencies“ in Malaya und Kenia 1948-1960 (Dierk Walter), der Koreakrieg 1950-1953 (Bruce E. Bechtol, Jr.), der „Abnutzungskrieg“ in Vietnam 1965-1973 (Bernd Greiner), der Wettbewerb der Supermächte in Südasien sowie die von Indien, Pakistan und China geführten Regionalkriege 1954-1972 (Amit Das Gupta), der Kalte Krieg in Südafrika (Elaine Windrich), die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 (David N. Gibbs), der Bürgerkrieg in El Salvador 1980-1992 (James S. Corum), der indonesische Kolonialkrieg in Osttimor 1975–1999 (Brad Simpson), der irakisch-iranische Krieg 1980-1988 (Henner Fürtig), Ägypten im Kalten Krieg (Thomas Scheben), die Nahostkriege zwischen Israel und seinen Nachbarn (Bruce Kuniholm) sowie die Interventionen Kubas in Afrika 1975-1991 (Piero Gleijeses).
Den einzelnen Untersuchungen gehen drei übergreifende Beiträge voran. Robert J. McMahon ordnet die „heißen Kriege“ allgemein in den Kalten Krieg ein und streicht heraus, dass sowohl aus amerikanischer als auch aus sowjetischer Sicht die Dritte Welt ab den 1950er-Jahren zum „wichtigsten“ oder gar „entscheidenden“ Schauplatz der Ost-West-Konfrontation wurde. McMahon betont dabei die Bedeutung von Faktoren wie politischer Glaubwürdigkeit und atomarem Gleichgewicht oder die Spielräume für die im Rückzug befindlichen europäischen Kolonialmächte einerseits und die Unabhängigkeitsbewegungen andererseits, die das „System des Kalten Kriegs“ geschickt für eigene Zwecke ausnutzten. Seine Feststellung allerdings, der Kalte Krieg habe „Verlauf, Richtung und Dauer fast jeder dieser Auseinandersetzungen machtvoll beeinflusst“ (S. 33), wird von den Einzeluntersuchungen des Bandes gelegentlich in Frage gestellt.
Der gedankenreiche und konzeptionell hervorstechende Beitrag von Marc Frey über „Muster von Interaktionen“ zwischen den USA und der Dritten Welt weist unter anderem auf den dort – im Gegensatz zum bipolar organisierten Europa – vorherrschenden Polyzentrismus hin, insbesondere bei Dekolonisierungskonflikten. Dieser war innerhalb der „freien Welt“ anzutreffen, wo die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten häufig überkreuz lagen, und auch im „kommunistischen Lager“, wo der Sowjetunion in der Volksrepublik China schnell ein Konkurrent erwuchs. Frey verweist auch auf die Bedeutung ideologischer Grundvorstellungen und kultureller Vorprägungen bei Washingtoner Entscheidungsträgern, auf die Rolle von Geheimdiensten und bilateralen Polizeiausbildungsprogrammen.
Etwas unbefriedigend ist dagegen der spiegelbildliche Beitrag von Roger E. Kanet über „sowjetische Militärhilfe für nationale Befreiungskriege“. Abgesehen von seltsamen Begriffen wie „israelischer Imperialismus“ (S. 61), womit Kanet möglicherweise dem Duktus seiner Quellen folgt, ist sein Verständnis sowjetischer Außenpolitik vergleichsweise eindimensional und nicht immer leicht nachzuvollziehen. Nach Kanets Einschätzung war die Sowjetunion um 1979 aufgrund ihrer internationalen Interventionen auf dem Höhepunkt ihrer Macht, die dann aber doch recht abrupt zerfiel, ohne dass der von US-Präsident Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre vollzogene „Rollentausch“ (nun unterstützten die USA, und nicht mehr die Sowjetunion, weltweit Guerillas gegen instabile und unpopuläre Regime) dabei ein „Hauptfaktor“ gewesen wäre (S. 78).
Unterschiedliche Qualität haben auch die Einzelstudien. Herausragend ist der brillante, quellenreiche, panoramaartige Essay Bernd Greiners über den Vietnamkrieg („Die Blutpumpe“). Greiner betont einerseits den exzeptionellen Charakter dieses Kriegs; andererseits nimmt er ihn als Ausgangspunkt für vergleichende Überlegungen. So verweist er auf den Zusammenhang zwischen asymmetrischem Krieg und entgrenzter Gewaltanwendung bzw. die Verwendung „symmetrischer Mittel“ höchst unterschiedlicher Kriegsgegner.
In anderen Untersuchungen wird dagegen auf eine eingehendere Betrachtung der Natur der jeweiligen „heißen Kriege“ oft verzichtet. Bemerkenswert sind viele Beiträge dennoch. Sie zeigen unter anderem, dass den Einflussmöglichkeiten der Supermächte, beispielsweise in den Fällen Nahost oder Indien/Pakistan, gelegentlich enge Grenzen gesetzt waren. Zu bedauern ist, dass mit der Ausnahme Großbritanniens, für das Dierk Walter globalpolitisches Denken und die Dauerhaftigkeit strategischer Elemente womöglich etwas überbetont, andere Mächte wie Frankreich oder China nicht als eigenständige Akteure beleuchtet werden. Generell hätte eine größere Einheitlichkeit der Aufsätze möglicherweise ein größeres Maß an vergleichenden Erkenntnissen erbracht.
Die in der „Wahrnehmung des Kalten Krieges [...] dominante Logik eines bilateralen globalen Konfliktes zweier nahezu monolithischer Blöcke aufzubrechen“ (S. 11) ist das Hauptanliegen der Herausgeber. Diesem Anspruch wird der insgesamt anregende Band ohne Zweifel gerecht. Er steckt ein faszinierendes, für künftige Forschungen noch sehr umfangreiches Feld der internationalen Geschichte ab.
Anmerkungen:
1 Zuletzt beispielsweise: Westad, Odd Arne, The Global Cold War. Third World Interventions and the Making of Our Times, Cambridge 2006.
2 Gaddis, John Lewis, The Long Peace. Inquiries into the History of the Cold War, New York 1987.
3 Dies war die zweite Tagung der Konferenzreihe „Zwischen Totalem Krieg und Kleinen Kriegen. Studien zur Gesellschaftsgeschichte des Kalten Krieges“, die 2002 am HIS etabliert wurde. Einige Beiträge erschienen bereits an anderen Orten; siehe Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), H. 1: Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg, auch online unter URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Inhalt-1-2005; Mittelweg 36 14 (2005), H. 1>.