„Überall ist der Ball rund“, so schreiben es der/ie Herausgeber/in in ihrer Einleitung, setzt sich aus Beiträgen zusammen, „die sich verschiedenen Bereichen der ost- und südosteuropäischen Fußballgeschichte aus den unterschiedlichsten Perspektiven nähern“ (S. 9). Und tatsächlich: Aufsätze, die auf wenigen Seiten die gesamte Historie des Fußballsports eines Landes nachzeichnen, stehen neben Detailstudien zu einzelnen Spielern oder Vereinen. Texte, die sich ersten Ballberührungen widmen, sind ebenso vertreten wie Betrachtungen zu aktuellsten Entwicklungen. Die insgesamt vierzehn Beiträge befassen sich mit der Geschichte des Fußballs in sieben verschiedenen Ländern, wobei dem russisch-sowjetischen und dem tschechoslowakischen Fall mit der Hälfte der Texte die größte Aufmerksamkeit zuteil wird. Der Band begreift sich explizit als erster Anstoß zu einer historiografischen Auseinandersetzung mit Fußball in Ost- und Südosteuropa. Doch die Präsentation einer großen Auswahl an Untersuchungsgegenständen und -(zeit)räumen allein ist nicht alles, was „Überall ist der Ball rund“ leisten will. Konzeptionell versteht sich das Werk als Beitrag zu einer „modernen Sportgeschichte“, die als Teil der „allgemeinen Geschichte“ betrachtet werden müsse (S. 9). Weg von einer Sportgeschichte, die sich in der Darstellung des sportlichen Geschehens erschöpft, hin zu einer Einbettung des Sports in politische, kulturelle und soziale Kontexte! So lautet, kurz gefasst, die Forderung der Herausgeber.
Viele Beiträge werden diesem selbst gestellten Anspruch jedoch nur bedingt gerecht. Zwar operiert fast jeder Text, zumindest implizit, mit der These vom „Fußball als Spiegel der Gesellschaft“ und beinahe überall finden sich Verweise auf die Indienstnahme des sportlichen Wettkampfes für politische Zwecke. Damit hat es jedoch leider allzu oft sein Bewenden. Gerade jene Aufsätze, in denen versucht wird, mehrere Jahrzehnte nationaler Fußballgeschichte aufzubereiten, beschränken sich (schon allein aus strukturellen Gründen) weitgehend auf nur mäßig interessante Aneinanderreihungen von Spielergebnissen, Zuschauerzahlen und Vereinsgründungsdaten. Andererseits mangelt es auch nicht an Aufsätzen, in denen durchaus anregende oder strittige Thesen vertreten werden. Einige von ihnen seien im Folgenden kurz betrachtet.
Thorsten Pomian widmet sich mit Dinamo Kiev einem der legendärsten und erfolgreichsten Vereine der Sowjetunion. Seine Untersuchung zerfällt dabei in zwei Teile, wovon ersterer sich auf einer allgemeinen Ebene mit der Einbindung von Fußballklubs in das politische und gesellschaftliche System der Sowjetunion auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang betrachtet Pomian auch die Rolle der Spieler als Staatsamateure und äußert die Vermutung, „dass ein Spitzensportler in der Sowjetunion oft wesentlich mehr Freiheiten für Undiszipliniertheiten besaß als seine Kollegen bei westlichen Klubs, die als reguläre Vereinsangestellte arbeitsrechtlich zu belangen waren“ (S. 64). Leider wird dieser Punkt im zweiten Teil seines Textes, der sich mit Dinamo Kiev und seinem legendären Trainer, Valerij Lobanovskij, befasst, nicht wieder aufgegriffen.
Die Ausführungen Anke Hilbrenners nehmen in mehrerlei Hinsicht eine Sonderstellung unter den Beiträgen des Bandes ein. Dies liegt nicht nur am Gegenstand – kickende Frauen in Russland – sondern auch an ihrer Herangehensweise. Obgleich sie vor allem einen ebenso knappen wie präzisen Überblick über die Geschichte des russisch-sowjetischen Frauenfußballs liefert, interessiert sich Hilbrenner nicht nur für den Sport „an sich“. Sie versucht vielmehr, das Anliegen des Bandes mit Leben zu füllen und Frauenfußball als Phänomen und Ausdruck jener Kultur zu deuten, in der sich die Spielerinnen bewegen. Dabei kommt sie zu interessanten Ergebnissen. Anders als es in Westeuropa häufig der Fall sei, werde das Eindringen von Frauen in den „Männersport“ Fußball in Russland nicht als Bedrohung einer maskulin dominierten Sphäre wahrgenommen. Dies hänge damit zusammen, dass Frauen ihr Spiel nicht mit emanzipatorischer Rhetorik verknüpften, sondern sich dergestalt „weiblich“ inszenierten, dass Männer gern kommen und zusehen würden. Fußballspielende Frauen forderten also mit ihrem Tun dominierende Geschlechterhierarchien nicht heraus, sondern trügen vielmehr zu ihrer Reproduktion bei (S. 90f.).
René Küppers Thema ist der tschechoslowakische Fußball in der Zwischenkriegszeit und unter deutscher Besatzung. Für die Zeit zwischen 1918 und 1938 nimmt er an, dass der Fußball im Allgemeinen und deutsche Vereine im Besonderen eher wenig zur Anstachelung nationaler Spannungen beitrugen. Er spricht von einer „weitgehend gelungenen Kooperation“ (S. 142) zwischen Tschechen und Deutschen auf diesem Gebiet. Anders habe es bei den zahlenmäßig bedeutenderen Turnvereinen ausgesehen, wo „intransigente Volkstumskämpfer“ (S. 145) das Heft in der Hand gehabt hätten. Angesichts der deutschen Besetzung stellt Küpper die Frage, ob Fußball zwischen 1938 und 1945 zur nationalen Selbstbehauptung der Tschechen beigetragen habe oder aber ein Mittel zu ihrer Entpolitisierung gewesen sei (S. 146). Beide Beobachtungen scheinen zutreffend zu sein, nur lassen sie sich nicht dichotomisch gegenüberstellen. Denn während Fußballspiele tatsächlich immer wieder seitens der tschechischen Bevölkerung dazu genutzt wurden, Widerstand gegen die Deutschen anzudeuten, entsprang die Vorstellung einer entpolitisierenden Wirkung des Fußballs wohl vor allem dem Wunschdenken der Nationalsozialisten.
Britta Lenz untersucht ebenfalls das Verhältnis von Fußball und Politik. Sie tut dies am Beispiel der ungarischen Nationalmannschaft in den Jahren zwischen 1948 und 1954. Überzeugend beschreibt sie das stets spannungsgeladene Verhältnis zwischen Parteiführung, Fans und Nationalelf in jenen Jahren. Die offizielle Propaganda konnte sich mit ihrer ideologisch aufgeladenen Deutung der außergewöhnlichen Erfolge beim Publikum nicht immer Gehör verschaffen. Zuschauer begriffen das Stadion als Freiraum und, so sieht es Lenz, „der Stadionbesuch wurde für Teile der Bevölkerung zur Ersatzbefriedigung und zum Trostspender in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Rechtlosigkeit“ (S. 287). Doch nach der Niederlage im Finale von Bern 1954 kam es aus Enttäuschung über das verlorene Spiel zu Krawallen, die sich schließlich zu gewaltsamen Protesten gegen das Regime steigerten. Fußball war nun tatsächlich, wenn auch anders als von Partei- und Staatsführung intendiert, zu einem Teil des politischen Verkehrs geworden.
Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Sebastian Balta. Mit den 1930er-Jahren beschreibt er das „goldene Jahrzehnt“ des rumänischen Fußballs. Bei der Lektüre seines Aufsatzes stellt sich der Eindruck ein, es sei dies zugleich eine Epoche unvergänglicher Anekdoten und Geschichten gewesen. Da spielt das „Pferd“ gemeinsam mit dem „Reaktor“ in einer Mannschaft, da muss der König persönlich mit den Arbeitgebern der Nationalspieler verhandeln, um den Kickern die Teilnahme an der Weltmeisterschaft zu sichern, und da markieren Spieler trotz herausgesprungener Kniescheibe entscheidende Treffer. Der Text ist über weite Strecken ein Genuss. Balta hat ein Gespür für Sprache und wichtiger noch: Er hat einen Sinn für jene Geschichten, die, wie es ein immer wieder bemühter Allgemeinplatz behauptet, „nur der Fußball schreibt“.
„Überall ist der Ball rund“ ist insgesamt eine durchaus lohnende Lektüre. Der Band trägt dazu bei, Fußballgeschichte(n) jenseits der viel beschriebenen „großen“ Nationen in den Blick zu nehmen. Langfristig, so wäre es zu wünschen, könnten aus der Beschäftigung mit den jeweiligen nationalen Binnenperspektiven die Grundlagen für eine gesamteuropäische Geschichte des Fußballs erwachsen. Ost- und Südosteuropa sind – das zumindest machen alle Beiträge deutlich – integrale Bestandteile auch einer solchen Geschichte.