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Title
Anton Prokesch von Osten (1795 - 1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts


Author(s)
Bertsch, Daniel
Series
Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 123
Published
München 2005: Oldenbourg Verlag
Extent
754 S.
Price
€ 84,80
Reviewed for H-Soz-Kult by
Philipp Menger, Historisches Institut, Universität Stuttgart philipp.menger@web.de

Anton Prokesch, der sich bei seiner Erhebung in den Ritterstand 1830 selbst das Prädikat „von Osten“ zulegte, war zweifellos einer der bedeutendsten Diplomaten Österreichs im 19. Jahrhundert. Nach einer kurzen militärischen Laufbahn trat der 1795 geborene Grazer in den diplomatischen Dienst ein. Unter anderem brachte ihn diese Laufbahn 1830 nach Ägypten und machte ihn 1834 zum österreichischen Gesandten beim griechischen König Otto I.. Erst am Ende seines Lebens erhielt der Anwalt des Orients die höchsten diplomatischen Weihen. Nach einer kurzen Tätigkeit als Internuntius von 1856 bis 1867 wurde er noch einige Jahre bis 1872 als Botschafter in Konstantinopel akkreditiert. Auch während der Zeit als Internuntius, als er den Vertretern Frankreichs und Großbritanniens nicht im Rang gleich stand, konnte er Dank seiner persönlichen Freundschaft mit Ali Pascha eine besondere Stellung einnehmen. Seine Beförderung kann als Zeichen dafür gesehen werden, dass die österreichische Regierung ihre Beziehungen zur Hohen Pforte zu verbessern suchte. Mit dem Kurswechsel dieser Politik unter dem neuen Außenminister Andrássy ab 1871 und dem Tod Ali Paschas im selben Jahr sah Prokesch seine Möglichkeiten so stark beschränkt, dass er um Entlassung bat. Doch Prokesch war nicht nur Diplomat: auch als Schriftsteller, Numismatiker und Altertumskundler machte er sich einen Namen was sich auch darin zeigt, dass er Mitglied der Akademien der Wissenschaften in Wien, Berlin und Pest und anderer gelehrter Gesellschaften wurde. Es verwundert nicht, dass verschiedene Aspekte seines Lebens untersucht wurden, eine umfassende Biografie bislang aber fehlte.1

Daniel Bertsch, Byzantinist aus Münster, hat sich in seiner Dissertation aus dem Jahr 2002 nun daran gemacht, diese Lücke auf der Grundlage des umfangreichen Nachlasses Prokesch von Ostens zu schließen. Mit der vorliegenden Studie wurde er in osteuropäischer Geschichte promoviert.

Vor allem als Publizist wirkte der 1795 in Graz geborene Prokesch. Und an Hand der vielfachen publizistischen Zeugnisse zeichnet Bertsch chronologisch den Lebensweg dieses ungewöhnlichen Diplomaten nach. Prokeschs publizistische Bedeutung geht so weit, dass er von Heinrich von Srbik in dessen Metternich-Biografie als „Pressechef des Reiches“ bezeichnet wurde. Bertsch gelingt es, eindrücklich zu zeigen, wie Prokesch die Zeitungen nutzte, um gezielt Werbung in eigener Sache zu machen: nämlich Verständnis für das Osmanische Reich und seine Politik zu vermitteln. Die Vorgehensweise ist dabei grundsätzlich chronologisch. Bertsch will keine Diplomatiegeschichte schreiben, vielmehr geht es ihm um die Untersuchung der kulturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Leistungen des Protagonisten. Hierzu hat er umfangreich und akribisch neben den publizistischen Zeugnissen vor allem die Korrespondenz von Prokesch ausgewertet.

Eine besondere Stellung nahm das Land Ägypten in den Tätigkeiten Prokeschs ein. Zahlreiche Aufsätze und Monografien sowie die drei Bände seiner „Erinnerungen aus Ägypten und Kleinasien“ brachten ihm den Ruf ein, einer der besten Kenner der Geschichte und Gegenwart des Landes zu sein. Neben seiner diplomatischen Laufbahn widmete Prokesch einen Großteil seiner Zeit den Altertumswissenschaften. Hier brachte er es zu einigem Ruhm, er korrespondierte mit dem bedeutenden Ägyptologen Champollion und dessen Schüler Rosellini und hatte nennenswerten Anteil an der Entzifferung der Hieroglyphenschrift.

Ägypten blieb nicht das einzige Tätigkeitsfeld des Diplomaten Prokesch: Missionen führten ihn nach Syrien und Palästina (Kap. 4), in den Kirchenstaat (Kap. 5) und schließlich für eine lange Zeit auf den Posten des Gesandten in Athen, wo er von 1834 bis 1849 blieb (Kap. 6). Prokeschs Villa in Athen wurde zu einem der wichtigsten Treffpunkte des kulturellen Lebens der Hauptstadt.

Während dieser Zeit entstand seine wohl bekannteste Schrift, die „Geschichte des Abfalls der Griechen vom Türkischen Reiche“, der Bertsch ein ganzes Kapitel widmet. Diese Schrift basiert auf den Papieren der österreichischen Staatskanzlei über den griechischen Unabhängigkeitskampf seit 1821, die Prokesch um französische und englische Dokumente ergänzt hat. Dass ihm die Staatspapiere zur Verfügung standen, hatte Prokesch seinem Gönner Friedrich von Gentz zu verdanken.

Ausnahmen von der chronologischen Anlage des Buches bilden die Kapitel 11-13, in denen die Freundschaft mit dem Schriftsteller Alexander Warsberg (Kap. 11) und Prokeschs wissenschaftlichen Arbeiten (Kap. 12) sowie seine Einstellungen zu den Religionen des Mittelmeerraumes (Kap. 13) verhandelt werden. Die chronologische Vorgehensweise hat sicherlich manches für sich, doch birgt sie einerseits die Gefahr, Redundanzen zu produzieren, und andererseits, dass vieles disparat bleibt. Dieser Tendenz kann sich auch Bertsch nicht ganz erwehren.

So stark die Passagen über Prokeschs literarische und wissenschaftliche Tätigkeiten sind, so offenbaren sich Schwächen in den Kapiteln über Prokesch als Diplomaten. Hier ist die Arbeit nicht auf dem Stand der historischen Forschung. Wichtige Personen und Problemfelder, ohne die Prokeschs Tätigkeiten nicht zu verstehen sind, werden zudem häufig zu kurz behandelt. Ein weiteres Manko der Arbeit ist, dass Quellen häufig paraphrasiert und unmittelbar folgend noch einmal wörtlich zitiert werden (Ein Beispiel ist die Grazer Ehrenpromotionsurkunde von 1868 auf S. 534f.). Gerade die Person Prokesch-Ostens würde sich wie kaum eine zweite anbieten, Kultur- und Diplomatiegeschichte miteinander zu verbinden. Die vielfachen Ansätze zu einem solchen methodischen Zugang, die in den letzten Jahren diskutiert wurden, tauchen in der Arbeit nicht auf.

Gleichwohl erfährt man eine Fülle von Details aus dem Leben Prokeschs. Man hätte sich jedoch an manchen Stellen lieber Kontextualisierungen und Hintergrundinformationen gewünscht, wo statt dessen aus den Quellen, die Bertsch mit großer Akribie und Sorgfalt aus fast ganz Europa zusammengetragen hat2, oft seitenweise zitiert wird, ohne dass eine Kommentierung des Zitierten stattfindet (als Beispiele S. 123f., 176f., 527ff.). Es handelt sich um eine überaus ambitionierte Arbeit, die die Person Prokeschs in all ihren Facetten darstellen möchte. Diesem Anspruch fällt die Arbeit letzten Endes auch zum Opfer. Sie ertrinkt förmlich in der Flut der von Bertsch präsentierten Details. Vieles bleibt dabei dann notgedrungen ungenau oder nur am Rande behandelt.

So bleibt ein ambivalenter Eindruck der voluminösen Studie zurück. Besonders lohnend ist die Lektüre dort, wo es um Prokeschs Eindrücke und die Auseinandersetzungen mit dem Orient geht. Ein ausführliches Register und ein Anhang mit Dokumenten erleichtern den Zugang ebenso wie eine genaue Übersicht über den Nachlass von Prokesch-Osten (S. 663-686). Beeindruckend ist schon die Menge an Literatur und Quellen, die Bertsch verarbeitet hat. Weniger wäre manches mal mehr gewesen: das Buch ist nicht zuletzt auch wegen der vielen Zitate, unter denen die Lesbarkeit stellenweise sehr leidet, zu lang geworden.

Anmerkungen:
1 Als Beispiele seien genannt: Engel-Janosi, Friedrich, Die Jugend des Grafen Anton Prokesch-Osten, Innsbruck 1938; Moutafidou, Ariadni, Anton Prokesch von Osten in Athen 1834-1849. Ein Beitrag zu einem differenzierten Bild seiner politischen Ziele und seines Staatskonzepts, in: Österreichische Osthefte 43 (2002), S. 27-44 und Rumpler, Helmut, Die Türkei und Europa im Werk und Denken von Anton Prokesch von Osten, in: Beer, Siegfried; Marko-Stöckl, Edith; Raffler, Marlies; Schneider, Felix (Hrsg.), Focus Austria. Vom Vielvölkerstaat zum EU-Staat. Festschrift für Alfred Ableitinger zum 65. Geburtstag, Graz 2003, S. 142-152.

2 Es verwundert, dass gerade die Archive in Istanbul nicht genutzt wurden, obwohl konzediert wird, dass dort eine Suche nach Quellen „vermutlich lohnenswert“ sei. (S. 19, FN3)

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