Erst jüngst hat Stefan Troebst in H-Soz-u-Kult eine Debatte angeregt, die der Frage nachgeht, was Südost- und Ostmitteleuropa als Geschichtsregionen auszeichne. Für Karl Kaser, der die Frage in einer lesenswerten Einführung in die südosteuropäische Geschichte aus historisch-anthropologischer Sicht beantwortet hat, ist es eine Region der geografischen und kulturellen Vielfalt, der sozialen Überlagerungen und des Nebeneinanders ethnischer Gruppen.1 Dementsprechend mannigfaltig verläuft auch die Geschichte des europäischen Faschismus in Südosteuropa: als eine Geschichte widerstreitender Mehrheits- und Minderheits-Nationalismen, als autochthone Entwicklung und als kulturelle Aneignung externer faschistischer Praxen in einem Gebiet hoher sozialer Ungleichzeitigkeit.
Gewiss, das Ausgreifen von Nationalsozialismus und Faschismus nach Südosteuropa ist bereits mehrfach dargestellt, auch die Geschichte der ethnischen Minderheiten wiederholt beschrieben worden. Dass freilich selbst bei gut erforschten Themen Offenheit gegenüber unkonventionellen Herangehensweisen, die Verwendung neuen Quellenmaterials und ein vergleichender Blick unerwartete Fragen und Einsichten zu generieren vermag, beweist der von Mariana Hausleitner und Harald Roth herausgegebene Band, dessen Titel die Mehrzahl der Beiträge zutreffend charakterisiert, freilich inhaltlich darüber hinaus geht. Räumlich gelten die Beiträge der Geschichte Jugoslawiens, Rumäniens, Ungarns und der Slowakei, zeitlich der Epoche von 1918 - 1947. Obwohl so unterschiedliche Sujets wie der Umgang mit Kriegsdenkmälern in Siebenbürgen (Bernhard Böttcher), der Aufstand in Tatarbunar 1924 (Olga Schroeder-Negru), die Einstellung der deutschen und ungarischen Minderheit zu Faschismus und Nationalsozialismus (Franz Sz. Horváth, Cornelia Schlarb, Thomas Şindilariu, Carl Bethke, Zoran Janjetović, Norbert Spannenberger, József Vonyó, Christof Morrissey), das Schicksal der moldauischen Ungarn (Tschangos) (Meinolf Arens, Daniel Bein), das Judengenozid in Kroatien (Ivo Goldstein) und die Vergangenheitsbewältigung durch die evangelische Kirche in Rumänien (Pierre de Trégomain) thematisiert werden, liegt ein vergleichsweise homogener Sammelband vor. Alle Artikel – sämtlich von Nachwuchswissenschaftler/innen verfasst – wurden auf zwei Workshops in München und Gundelsheim intensiv diskutiert und erst anschließend von den Autor/innen endgültig fertig gestellt. Einleitung und Schluss der Texte binden daher die jeweilige Fragestellung an das Gesamtthema zurück.
Erfreulich ist das hohe argumentative Niveau der Studien. So diskutiert Bernhard Böttcher die Thesen von George Mosse und Reinhart Koselleck zur Funktion des Totenkultes für die “Nationalisierung der Massen” und kommt für die Siebenbürger Sachsen zu einem negativen Ergebnis, da das Religiöse durchaus überwiege und die Säkularisierung noch zu wenig fortgeschritten gewesen sei. Olga Schroeder-Negru gelingt durch eine minutiöse Schilderung des Ereignisablaufes während des Aufstandes in Tatarbunar herauszuarbeiten, warum die Bessarabiendeutschen sich als erste den Aufständischen entgegenstellen, wie sie von rumänischer Seite dafür Anerkennung erhielten und weshalb sie sich schließlich doch von den bürgerlichen Parteien ab und den rechtsradikalen Gruppen zuwandten. Überhaupt liegt eine der Stärken der Aufsätze im Verzicht auf umfassende Deutungsansätze und der Hinwendung zu lokal- und mikrogeschichtlichen Studien. So zeigt Thomas Şindilariu am Beispiel des Schwimmbadbaus in drei siebenbürgischen Städten, wie zeitlich und örtlich der NS-Jargon ganz unterschiedlich aufgegriffen wurde. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflussten offenbar konservative Widerständigkeit oder “Faschisierung” der nationalen Minderheiten in Südosteuropa, abhängig von der Prägung durch ein vormodernes Nationalbewusstsein, konfessionellen Bindungen, generationellen Erfahrungen und organisatorischen Beziehungsgeflechten. Das militärische Ausgreifen des Dritten Reiches in den südosteuropäischen Raum eröffnete der deutschen Volksgruppe Chancen, Leitungspositionen in Politik und Wirtschaft zu übernehmen, und doch hatten immer die NS-Ideologie und die realpolitischen Interessen Berlins Vorrang vor den Belangen der deutschen Volksgruppe. Pierre de Trégomain, um ein weiteres Beispiel für einen durchaus anspruchsvollen methodischen Zugriff vorzuführen, benutzt die Foucaultsche Diskursanalyse und Überlegungen zum “Sagbaren” (Achim Landwehr), um die Argumentation der lutherischen Kirchenleitung herauszuarbeiten.
Zusammengehalten wird der Band durch eine ausführliche Einleitung Daniel Ursprungs, die einen instruktiven Überblick über die neuere Faschismusdebatte bietet, die einzelnen Beiträge ausführlich kommentiert und in den größeren Zusammenhang einordnet. Gibt es, so fragt der Autor, so etwas wie einen spezifischen “Minderheitenfaschismus”? Ursprung tendiert in diese Richtung, auch wenn er mit Stanley Payne für eine präzise Unterscheidung zwischen genuinem Faschismus, radikaler und konservativer Rechten plädiert. Als Ausgangspunkt dient ihm die von Roger Griffin vorgeschlagene Charakterisierung des Faschismus als “palingenetischer Ultranationalismus”. Damit ist der Faschismus als Ideologie charakterisiert, als spezifische Weltdeutung und können die betrachteten Fälle am Maßstab eines ultranationalistischen Wiedergeburtsdenkens gemessen werden. Doch schon die Differenzierung zwischen einzelnen Varianten des Rechtsradikalismus zeigt, dass der Verweis auf die ideologische Komponente des Faschismus als Unterscheidungskriterium nur begrenzt weiterhilft. Wolfgang Schieder, Hans-Ulrich Thamer, Sven Reichardt, Stanley Payne, Robert Paxton, auch der Rezensent selbst haben vorgeschlagen, den Faschismus als spezifisches gewaltorientiertes soziales Handeln, als durch den Ersten Weltkrieg ausgelöste politische Praxis zu verstehen, die in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auftaucht (als nationaler Sozialismus, als Squadrismus, als Wahlpartei, als terroristische Kaderorganisation, schließlich als spezifische Form der Machtbeteiligung, des Abstoppens der Parteirevolution, der Koalitionsregierung und der Radikalisierung).2 Interessanterweise greift Daniel Ursprung denn auch auf solche Deutungsansätze zurück, um die Ausstrahlung des Nationalsozialismus in den südosteuropäischen Raum zu beschreiben und die unterschiedlich starke Nazifizierung und Faschisierung der jeweiligen ethnischen Gruppen zu erklären.
Anmerkungen:
1 Kaser, Karl, Südosteuropäische Geschichte und Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2002.
2 Schieder, Wolfgang, Faschismus, in: van Dülmen, Richard (Hg.), Das Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt 1990, S. 177ff.; Thamer, Hans-Ulrich, Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002, S. 454ff.; Reichardt, Sven, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002; Payne, Stanley G., A History of Fascism, 1914-1945, Madison 1995; Paxton, Robert O., Anatomie des Faschismus, München 2006; Heinen, Armin, Erscheinungsformen des europäischen Faschismus, in: Dipper, Christof; Klinkhammer, Lutz; Nützenadel, Alexander (Hgg.), Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder, Berlin 2000, S. 3ff.