E. Fihl (Hrsg.): The Governor's Residence in Tranquebar

Titel
The Governor’s Residence in Tranquebar. The House and the Daily Life of its People


Herausgeber
Fihl, Esther
Erschienen
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 63,29
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Delfs, Seminar für Südasienstudien, Humboldt-Universität zu Berlin

Das dänische Nationalmuseum hat im Laufe der letzten Jahrzehnte zwei große interdisziplinäre Vorhaben zur Untersuchung der indo-dänischen Verbindungen in den dänischen Kolonialstützpunkten in Indien auf den Weg gebracht: die Tranquebar- sowie die Serampore-Initiative. Hieraus sind zahlreiche interessante Publikationen aus verschiedenen Fachbereichen hervorgegangen.1 Als Abschluss der Tranquebar-Initiative ist nun ein mikrogeschichtlich ausgerichteter, großformatiger, reich und vielfältig bebilderter Sammelband zur Gouverneursresidenz im südostindischen Tranquebar erschienen. Der Band sieht sich ausdrücklich als dänische Erweiterung der ansonsten nach wie vor von britischen Archiven und Quellen dominierten Geschichtsschreibung zur indo-europäischen Verflechtungsgeschichte.

Das an der Koromandelküste gelegene Tranquebar war von 1620–1845 der indische Hauptstützpunkt der Dänen. In Deutschland ist Tranquebar wohl vornehmlich wegen der missionierenden Dänisch-Englisch-Halleschen Mission und der Herrnhuter Brüdergemeine bekannt. Zu den beiden „deutschen“ Missionsunternehmungen sind inzwischen unzählige Publikationen herausgekommen.2 Der vorliegende Sammelband verfolgt nun den reizvollen Ansatz, die dänische Residenz als „prism“ zu nutzen, um „the story of a particular house, and the story of the people who lived, worked and socialised there“ (S. 12) zu erzählen.

Einer instruktiven Einleitung von Esther Fihl folgen acht Kapitel zu Einzelthemen rund um das Haus, beginnend mit dem südindischen Umfeld, der dortigen Bevölkerung und den Handlungsspielräumen der Gouverneure. Die Dänen hatten sich zunächst mit den Herrschern von Thanjavur, die erstere rituell und über die Tribute einbanden, später vor allem mit den Engländern, zu arrangieren, blieben also – so Fihl – in einer marginalisierten Position, wenngleich ihr Handel zeitweise mit Hilfe ihrer (zuweilen vorgeblichen) politischen Neutralität von den Konflikten anderer Mächte profitieren konnte.

Im zweiten Kapitel widmet sich Simon Rastén der Vorgeschichte der Gouverneurssitze. Bis 1784 war das unkomfortable und ungeliebte Fort Dansborg der offizielle Sitz der Gouverneure. Es fänden sich einige, die zeitgleich bereits auf dem Grundstück der späteren Gouverneursresidenz am Paradeplatz gegenüber der Dansborg ein Haus besaßen. Das besagte Grundstück sei auch bei anderen bedeutenden europäischen Funktionsträgern begehrt gewesen, bevor es zur offiziellen Gouverneursresidenz wurde. Rastén schildert die Lebensgeschichten der einzelnen Bewohner und ihrer jeweiligen Häuser. Darauf aufbauend geht Niels Erik Jensen der Baugeschichte der Residenz nach. Vor allem unter Gouverneur Peter Anker, der sich auch künstlerisch als Maler betätigte und Pläne von Haus und Garten zeichnete, seien umfangreiche Baumaßnahmen nach dänischen und britischen Trends vorgenommen worden, um das Haus „more presentable“ (S. 97) zu machen. Insgesamt sei die Architektur das Ergebnis „of a long encounter between Danish, Indian and British building traditions and cultural preferences“ (S. 107). Das achte Kapitel erzählt die Geschichte der Residenz nach der dänischen Zeit und die Bemühungen um ihre Restaurierung.

Louise Sebro wählt für das vierte Kapitel im Kontext des Stadtbildes und der Sozialtopographie einen originellen Zugang zum „privaten“ und „öffentlichen“ Alltagsleben der Gouverneursfamilien und ihrer Bediensteten, indem sie heranzoomend und multiperspektivisch die unterschiedlichen Wege diverser männlicher und weiblicher, europäischer und indigener Akteure zur, in die und in der Gouverneursresidenz verfolgt. Von außen kommend konnte die Stadt von Land oder von See mit jeweils anderer Perspektive auf die Residenz betreten werden. Mehr noch, je nach Herkunft, religiösem Glauben, sozialem Stand, verfügbarer ökonomischer Mittel: „returning home meant very different things“ (S. 118), etwa für einen armen Palanquin-Träger im Vergleich zu dem von ihm durch das Landtor nach Tranquebar getragenen Offizier. Gleiches könne für die Eingänge und Zugangsmöglichkeiten zum Haus selbst wie auch für einzelne „private“ oder „öffentliche“ Räume gelten. Fraglich erscheint die These, dass ab 1815 aufgrund von kaum noch vorhandenen dänischen Fußsoldaten eine „absence of subaltern Europeans“ (S. 127) vorgelegen habe. Es ist anzunehmen, dass einfache Seeleute noch vertreten waren, die ebenfalls keinen Vordertürzugang zur Residenz gehabt haben dürften.

Mittels einiger Haushaltsinventare, Auktionsprotokolle und Seezollbücher untersucht Martin Krieger (Kap. 5) Einrichtung und Dekoration der Gouverneursresidenz. Haushaltsartikel seien kaum überliefert. Während das in Indien produzierte Mobiliar im 17. Jahrhundert noch einen hybriden Stil aufgewiesen hätte, seien Möbelstücke später zunehmend europäisch geprägt gewesen, wenngleich ihnen das verwendete Baumaterial immer noch eine asiatische Erscheinung gegeben hätte. Obwohl die meisten Artikel des Hauses eine asiatische Herkunft aufwiesen, seien einige Haushaltsartikel aus Europa oder aus anderen europäischen Handelsplätzen in Asien importiert worden.

Wie in allen europäischen Stützpunkten, lebten auch in Tranquebar nur verhältnismäßig wenige Europäer. Der Zensus von 1790 zählte 157 Dänen und 20 andere Europäer bei einer Gesamteinwohnerzahl von knapp über 3721. Hinzu kam die nicht einbezogene Bevölkerung ohne eigenen Haushalt, beispielsweise die Soldaten, so dass mit ca. 200–250 Europäern zu rechnen war.3 Dies förderte den europäischen Zusammenhalt. Louise Sebro beschreibt in Kapitel 6 demgemäß die Gouverneursresidenz und die Landhäuser als Knotenpunkte eines pan-europäischen Netzwerkes. Einerseits hätte es diverse politisch-strategische Erwägungen und Konflikte im Geheimen Rat bezüglich des Verhältnisses zu anderen Kolonialmächten gegeben. Andererseits stellt Sebro eine Situation fest, „where friendships could exist across political divides“ (S. 197), beispielsweise bei der Okkupation durch die Briten von 1808 bis 1814.

Das nächste Kapitel beschreibt die indischen Einflüsse auf die Gouverneursfamilien sowie die sehr verschiedenen, immer wieder neu ausgehandelten Sichtweisen auf Indien und damit verbundene Einzelaspekte wie die einheimischen Informanten oder indisches Essen, dessen Zubereitungsarten beispielsweise nach der Rückkehr nach Europa oft beibehalten wurde. Sich manchmal widersprechende Kategorien seien „authenticity“ und „Danishness“ gewesen. Hervorzuheben sind die seltenen weiblichen Perspektiven – so die enttäuschte Abenteuerlust von Adèle Mourier, die sich 1832 darüber beschwerte, „that it is not wild enough“ (S. 219). Insgesamt tendierten die weiblichen Beschreibungen dazu, das indigene Leben detaillierter zu behandeln, was Sebro auf die unterschiedlichen Rollen(bilder) und Arbeitssituationen zurückführt. Das achte Kapitel erzählt die Geschichte der Residenz nach der dänischen Zeit und die Bemühungen um ihre Restaurierung.

Die insgesamt sehr gelungenen Aufsätze werden begleitet von 25 Vignetten, die sich den „offshoots“ (S. 12) des Hauptthemas zuwenden, wie Kastenkonflikten, den Landgärten oder Einzelpersonen – eine sehr gute Idee. Die zum Teil relativ langen Vignetten sind jedoch integriert in die Aufsätze, was zumindest beim Rezensenten den Lesefluss behinderte. Vielleicht wären sie besser am Ende der jeweiligen Kapitel aufgehoben gewesen. Hilfreich wäre überdies ein Namensindex. Einigen Aufsätzen hätte die Berücksichtigung Hallescher oder Herrnhuter Archivquellen gut getan. Zwar finden deutschsprachige Missionsquellen sowie Sekundärliteratur und Bilder aus dem Halleschen Archiv Erwähnung, archivalische Missionsquellen sind jedoch nicht ersichtlich. Interessant wäre etwa gewesen zu untersuchen, inwieweit Produkte aus der Tischlerei der Herrnhuter Eingang in das Mobiliar der Residenz gefunden haben. Auch für die Festkultur, moralische Fragen und die manchmal angedeutete Rolle des Alkohols in der kolonialen Gesellschaft hätten die missionarischen Quellen mit ihrer freilich besonders sensitiven pietistischen Wahrnehmung eine Bereicherung sein können.4 Gleiches gilt für die Betrachtung der verschiedenen Gouverneure, wenn, als symptomatisches Beispiel, die Missionare und die übrige Bevölkerung aufgrund der chronischen Rechtsunsicherheit und konkurrierender Institutionen 1778 sehnsüchtig auf die Ankunft des sich verspätenden neuen Gouverneurs Abbestée warteten.5 Diese kleineren Kritikpunkte tun dem Lesevergnügen in diesem interessanten und schön gestalteten Sammelband jedoch keinen Abbruch.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Übersicht über die online-Publikationen:
https://natmus.dk/historisk-viden/verden/asien/indien/tranquebar/publikationer-2004-2016/tranquebar-initiativets-skriftserie-2004-2016/
2 Vgl. Thomas Ruhland, Pietistische Konkurrenz und Naturgeschichte. Die Südasienmission der Herrnhuter Brüdergemeine und die Dänisch-Englisch-Hallesche Mission (1755–1802), Herrnhut 2018 sowie Andreas Gross u.a. (Hrsg.), Halle and the Beginning of Protestant Christianity in India, Halle 2006.
3 Vgl. Rigsarkivet København, Det kgl. Ostindiske Guvernement, Mandtal over Indbyggerne i Tranquebar og Landsbyerne, 1790.
4 Vgl. Tobias Delfs, “What shall become of the mission when we have such incompetent missionaries there?” Drunkenness and Mission in Eighteenth Century Danish East India, in: Harald Fischer-Tiné, Jana Tschurenev (Hrsg.), A History of Alcohol and Drugs in Modern South Asia. Intoxicating Affairs, London 2014, S. 65–89.
5 Vgl. den Brief des Missionars Kohlhoff an Freylinghausen, 08.10.1778, AFSt/M 1 B 69: 3. [Missionsarchiv der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale].

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