H. Böning: Für Glaubensfreiheit und gegen Absolutismus

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Titel
Für Glaubensfreiheit und gegen Absolutismus. Die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs im Jahrgang 1609 der beiden ersten gedruckten periodischen Zeitungen der Welt
Weitere Titelangaben
Ein Lesebuch


Autor(en)
Böning, Holger
Reihe
Presse und Geschichte 141
Erschienen
Bremen 2020: Edition Lumière
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakub Zygalski, Neuphilologische Fakultät, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Mit diesem Buch legt Holger Böning eine direkte thematische Anknüpfung an sein vorheriges Werk zur zeitgenössischen, öffentlichen Berichterstattung über den Dreißigjährigen Krieg und dessen Vorgeschichte in den frühen Druckzeitungen vor.1 Als „Lesebuch“ konzipiert, erscheint der vorliegende Band in der Tat weniger als Quellenedition oder Anthologie, sondern vielmehr als Möglichkeit und auch Einladung zur profunden Auseinandersetzung mit historischen Pressetexten des Jahres 1609 aus den beiden weltweit frühesten gedruckten Zeitungen: der Straßburger Relation und dem Wolfenbütteler Aviso. So möchte das Lesebuch die quantitativ ausgedehnte und insbesondere inhaltlich konsekutive Rezeption historischer Zeitungstexte fördern, auch sprachdidaktisch eine Übungsmöglichkeit zur Kräftigung der Lesefähigkeit dieser Art von Texten aus einer älteren Sprachstufe des Deutschen bieten und durch die fortlaufende Lektüre einer hierdurch Gestalt und Tiefe annehmenden historischen Erzählung zudem auf bestimmte Weise unterhalten.

Die erklärte Hauptintention des Werks ist es, eine Dokumentation der Bedeutung von Zeitungsberichterstattung für die „Ausbildung mentaler Haltungen“ (S. 12) zu leisten, welche man in der Tat als Leser/in im Verlauf der eigenen Rezeption der Texte beobachten kann. Sowohl die Art dieser Berichterstattung vor dem Dreißigjährigen Krieg als auch die dem Lesepublikum präsentierten Informationen ermöglichen demzufolge ein Nachvollziehen der damaligen öffentlichen Meinungsbildung (vgl. S. 21). Ein weiteres Hauptanliegen Bönings ist offenkundig die chronologisch „durchgehende Lektüre“ (S. 30): Dabei wird durch vorhergehende Artikel erklärendes Orientierungswissen für die nächsten Artikel beim Lesepublikum geschaffen, so dass die zusammenhängende „Erzählung des historischen Geschehens“ (S. 22) als wichtiger erkenntnisfördernder Faktor der qualitativen und wirkungsästhetischen Leistungsfähigkeit der frühesten Druckzeitungen rezipiert werden kann. Zudem widerspricht der Autor so der Behauptung, die an mancher Stelle in der Literatur zum Dreißigjährigen Krieg erscheine, dass die frühe Zeitungsberichterstattung sich vor allem durch ihre „fragmentierte Form“ und einen lediglich aufzählenden Stil auszeichne (S. 94; vgl. S. 22–24).

Böning erläutert und interpretiert sparsam und lässt die Zeitungstexte überwiegend für sich sprechen, doch werden die jeweiligen inhaltlichen Stränge informativ und knapp eingeführt, so dass die Rezipient/innen sich im potenziell zunächst ungewohnten Sprachduktus der Artikel schneller zurechtfinden können. Zur Erläuterung seiner „behutsame[n] Übertragung“ (S. 14) der frühneuhochdeutschen Originaltexte in eine leichter lesbare Variante – ein wichtiger Aspekt dieser Bearbeitung – erklärt Böning, die Texte seien, „wenn man auf bestimmte historische Schreibweisen“ verzichte, zum Beispiel bei der Interpunktion, heute getilgten Doppelkonsonanten, dem Gebrauch von „u“ statt „v“, Umlauten (vgl. S.16f.), oder bei variierenden Schreibweisen von Namen wie „Khlesl“ (Clessel, Clößel, Clössel; S. 199), dem „aktuellen Hochdeutsch“ (S. 14) überraschend ähnlich. Bönings orthografische Angleichungen und vorsichtige lexikalische Vereinheitlichungen ermöglichen es den Leser/innen, die Zeitungsartikel flüssiger zu lesen, ohne dass sie dem Leseerlebnis jener in Syntax und Schreibweisen häufig variierenden historischen Sprachstufe abträglich wären. So lassen sich weiterhin Eigenheiten von Satzbau und Stilistik und auch kommentierende Textpassagen in den Artikeln deutlich erkennen, die jedoch, wie der Autor anmerkt, gleichermaßen aus den Federn der unterschiedlichen Briefkorrespondenten wie auch des Aviso- oder des Relation-Herausgebers stammen können (vgl. S. 28f.).

In einer kurzen Einleitung rekapituliert der Presseforscher die grundsätzliche historische Erkenntnis seines Vorgängerwerks: Der Dreißigjährige Krieg „begann in Wirklichkeit nicht 1618“, da „die kriegsauslösenden Konfliktlinien 1609 bereits sämtlich vorhanden“ waren (S. 33). Ferner unterstreicht Böning die Leistungsfähigkeit der frühen Zeitungen sowohl als öffentliches, periodisches Informationsmedium wie auch als geschichtliche Quelle. Danach folgen vier Großkapitel zu den im behandelten Jahr vorherrschenden Themenschwerpunkten: Im ersten Kapitel geht es um die Konflikte im Vorfeld des Majestätsbriefs Kaiser Rudolfs II. an die böhmischen Stände und die Auswirkungen des Briefes selbst. Dabei spielen permanente glaubensfreiheitliche Kämpfe der Stände in Böhmen und Schlesien mit dem Kaiser in Prag, die Konflikte der österreichischen, mährischen und ungarischen Stände mit dem Erzherzog Matthias in Wien sowie der „Bruderzwist“ zwischen Rudolf und Matthias die wichtigste Rolle.

Als Machtproben des Kaisers werden im zweiten Kapitel der Streit um Donauwörth und der bereits internationale Kreise ziehende Konflikt um die Jülich-Klevische Erbfolge dargestellt. Hier zeigt die Berichterstattung eindrücklich, wie rasch nach dem Tod eines Erblassers ohne geregelte Nachfolge die Diplomatie zu versagen scheint und sich die Zivilbevölkerung massiven militärischen Vorbereitungen, das heißt Befestigungen, Zwangsrekrutierungen, Plünderungen, bald Belagerungen sowie Kampf und Gewalt ausgesetzt sieht. Auch im Fall der Reichsacht über die Stadt Donauwörth und ihrer folgenden Rekatholisierung durch den bayerischen Erzherzog werden große Bevölkerungsgruppen de facto zum Spielball der machtpolitischen Motive Weniger. Die Zeitungen machen die Menge der betroffenen Menschen indirekt sicht- und vorstellbar, wie ein „extract“-weise ebenfalls öffentlich verbreitetes Amtsdokument wie der Majestätsbrief dies nicht vermag.

Im dritten Teil betrachtet Böning die europäischen Konfliktparteien und Bündnispartner näher: Hier geht es um Frankreichs Einfluss auf die verschiedenen dargestellten Konfliktlinien, um die Verhandlungen zwischen Spanien und den Niederländischen Generalstaaten über einen Waffenstillstand, um das Agieren der Kurpfalz und der Protestantischen Union, um den Papst als permanent treibende Kraft der Gegenreformation und schließlich um die stetige Bedrohung durch die bis zum heutigen Budapest vorgerückten Türken. Strategische Begehrlichkeiten anderer Länder und fürstlicher Bündnisse gehen dabei einher mit absolutistischen und gegenreformatorischen Plänen des Kaisers sowie denjenigen des Papstes. Das Einflussrepertoire des Pontifex auf die Politik des Reichs reicht dabei von Auftragsmorden an einzelnen protestantischen Geistlichen (vgl. S. 206), über wirtschaftliche und statusmäßige Anreize (vgl. S. 332f.) bis zu Exkommunizierungsdrohungen selbst gegen den König Ungarns, Erzherzog Matthias (vgl. S. 87). Den Abschluss bildet ein Kapitel über die alltäglichen Dinge in der Welt, abseits der konfessionellen und politischen Konflikte: Wunderzeichen, Unterhaltung, Unglücksfälle und Verbrechen, Wissenschaftliches und Kurioses.

Jörg Jochen Berns schrieb über die Zeitung des 17. Jahrhunderts, sie sei ein „antiabsolutistisches Medium, obgleich sie im Schoße des Absolutismus entstand“2, und auch in diesem Geist präsentiert Böning das Pressematerial. Der aufstrebende Absolutismus in Europa ist, wie der Titel vorausschickt, ein zentraler Aspekt des Lesebuchs – ein weiterer ist der Kampf protestantischer Stände um freie Religionsausübung und um die Emanzipierung vom römisch päpstlichen Katholizismus, repräsentiert durch Kaiser, Papst und katholische Mächtige. Insbesondere das Ringen um Glaubensfreiheit verdient Böning zufolge größere Aufmerksamkeit in der Geschichtsschreibung zu Ursachen und Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs als bisher (vgl. S. 32). Außerdem weist Böning im letzten Kapitel darauf hin, dass die frühe, voraufklärerische Zeitung dazu beigetragen habe, herrscherliche Politik als „gewöhnliches Menschenwerk“ (S. 361) sichtbar zu machen, was ein zusätzlicher Punkt gegen die Annahme von der vorherrschenden „Arkanpolitik“ (S. 30) mit ihrem mystifizierenden Absolutheitsanspruch in jener Epoche ist. Politik wird durch die Berichterstattung bereits vielfach zum publiken Geschehen. Zwar können die „Zeitungen der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts […] noch kaum als durchgängig aufgeklärtes Medium“ (S. 361) gesehen werden, sind sie doch ein mediales Zeugnis aus der Hand der Menschen, der Korrespondenten und Verleger ihrer Zeit. Dennoch sind sie Teil einer aufgeklärten printmedialen Zukunft, die ihre Macher als „Einmannredaktionen“ (S. 17) und als Innovatoren zweifellos erahnt haben.

Neben dem Personen- und Sachregister ist dem Band ein hilfreiches Glossar beigegeben, das die Worterklärungen aus den Fußnoten übersichtlich auflistet. Zahlreiche Abbildungen zeigen überwiegend in den Berichten erwähnte Persönlichkeiten, so dass es erfreulicherweise häufig ein Gesicht zum jeweiligen Namen gibt.

Während Holger Böning in der Studie von 2018 die frühen Zeitungen bereits als leistungsstarke historische Quelle gezeigt hatte, demonstriert er mit seinem Lesebuch eindrucksvoll und ganz anhand für die flüssigere Lektüre aufbereiteter Originaltexte die lebendige Anschaulichkeit und den Detailreichtum in der Berichterstattung der beiden 1609 erscheinenden gedruckten Zeitungen.

Anmerkungen:
1 Holger Böning, Dreißigjähriger Krieg und Öffentlichkeit. Zeitungsberichte als Rohfassung der Geschichtsschreibung, 2. stark vermehrte Aufl., Bremen 2019 (1. Aufl. 2018).
2 Jörg Jochen Berns, Medienkonkurrenz im siebzehnten Jahrhundert. Literarhistorische Beobachtungen zur Irritationskraft der periodischen Zeitung in deren Frühphase, in: Elger Blühm / Hartwig Gebhardt (Hrsg.), Presse und Geschichte II: Neue Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung, München 1987, S. 185–206, bes. S. 200.

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