Wat is‘nen Begriff? Da stelle ma uns mal janz dumm und sagen: En Begriff iss nen Bedeutungsinhalt einer Bezeichnung oder Vorstellung. Doch woher kommt die Bedeutung? Sicherlich liegt sie nicht im Ausdruck selbst verborgen; eher ist sie eine Folge des regelmäßigen Begriffsgebrauchs in spezifischen Sprechsituationen. Begriffsbedeutungen sind keine Substanz, sondern etwas Performatives. Sie hängen vom Gebrauchskontext ab und wandeln sich. In den Wissenschaften erfüllen Begriffe fundamentale Funktionen: Sie sind Werkzeuge des wissenschaftlichen Denkens und konstituieren wissenschaftliche Aussagen. Dies gilt besonders für die Grundbegriffe einer Disziplin, die höchsten Ansprüchen in Bezug auf Logik, Präzision und Klarheit genügen sollen. Merkwürdigerweise erfreuten Georg Wilhelm Friedrich Hegel jedoch gerade solche Begriffe, „welche eine spekulative Bedeutung an ihnen selbst haben“.1 Ähnlich dachte auch Wilhelm von Humboldt, den vor allem die in der Idealität eines Begriffs liegende „Unbestimmtheit des Gegenstandes“ interessierte.2 Das Ausgesprochene könne – so Humboldt – das Gemeinte niemals auf einen endgültigen Begriff bringen, dafür aber das in ihm noch Unausgesprochene formgebend vorbereiten. Das Denken in Begriffen steigert das Denkvermögen paradoxerweise nicht aufgrund der semantischen Exaktheit der Begriffe, sondern wegen der großen Bandbreite des sprachlichen Ausdrucksvermögens.
Dass disziplinäre Begriffsarbeit etwas Schöpferisches und Aktives ist, wissen die Herausgeber:innen der „Geschichtsdidaktische[n] Grundbegriffe“. Nachhaltige Wissensproduktion und konzeptuelles Fachlernen erfordern die Vernetzung von Fachbegriffen in verschiedenen Kontexten. Für das Verständnis disziplinärer „Gegenstände“ erfüllen Fachtermini nicht nur orientierende, sondern auch konstituierende bzw. determinierende Funktionen. Deshalb sind sie nicht selten auch strittig und umkämpft. Im „Vorweg“ (S. 6) des als „Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf“ untertitelten Kompendiums heißt es dazu dann auch, dass Expert:innen oft „über die genaue Bedeutung“ der Begriffe streiten, was Studierenden und Lehrkräften häufig fremd bliebe. Ziel des Wörter- und Bilderbuchs „in einem“ ist daher, die Leser:innen zum Nachdenken anzuregen, wobei die Bilder nicht bloß illustrieren, sondern einen visuell-ästhetischen Zugang zu den assoziierten Bedeutungen bieten sollen, indem Text und Bild miteinander und mit den Leser:innen in Dialog treten. Dabei auftretende „Unschärfen“ seien „kalkuliert und sollen zur Einmischung ermutigen“ (ebd.).
Das multimodale Text-Bild-Format ist für die geschichtsdidaktische Begriffsarbeit innovativ. Es fußt auf der begründeten Einsicht, dass Bedeutung etwas Relationales ist, das Kontext benötigt. Zu fragen bleibt jedoch, ob Bilder im Allgemeinen und die ausgewählten Bilder im Speziellen den zur Klärung der Grundbegriffe angemessenen Kontext bieten. Die Herausgeber:innen selbst trauen ihren Bildern offenbar keine ausreichenden Fähigkeiten zur Kontextualisierung zu. Andernfalls hätten sie diese nicht mit Kurztexten („Ansichtssachen“) ergänzt, um „die Aufmerksamkeit für die Details der Bilder zu schärfen“ (ebd.). Auffällig ist jedenfalls, dass die erläuternden Kurztexte zu den textbegleitenden Bildern häufig in Frageform und unter Verwendung graduierender Modalpartikel im Modus des Konjunktivischen gehalten sind. So heißt es etwa bei der Analyse einer Fotoquelle, die eine zerstörte Industrieanlage zeigt: „Warum? War es Krieg, ein Anschlag? Oder lediglich eine Armee von Abrissbaggern? […] Ergibt das alles einen Sinn? Wer soll hier aufräumen? Wie soll man das sortieren?“ (S. 10) Quellen- und Begriffsarbeit wird hier als diskursiv-hermeneutischer Aushandlungsprozess greifbar. Im Band finden sich aber auch „Ansichtssachen“, die genau bestimmen wollen, was ein Bild verdeutlichen soll (zum Beispiel woher Fremdheitserfahrungen herrühren, S. 8) oder welche Deutungen ein Bild nicht zulässt (Beispielsweise zeigt ein Stalinplakat nicht, dass das sowjetische Staatsoberhaupt „für ein repressives, grausames Regime stand“, S. 104). Die erhoffte epistemische Funktion der Bilder stößt anscheinend an Grenzen. Nicht nur stehen sie in einem vieldeutigen Bedeutungsverhältnis zum Begriff, darüber hinaus enthalten sie auch noch vielfache und überaus komplexe Referenzen, deren angemessene Deutung wiederum erhebliches Kontextwissen voraussetzt.
Wichtigstes Element des Kompendiums sind jedoch nicht die Bilder und „Ansichtssachen“, sondern die jeweils eine Seite umfassenden Erklärtexte zu den „Grundbegriffen“. Deren Funktion ist die problemorientierte Erörterung der jeweiligen Begriffsbedeutungen. Als disziplinäre Kondensation sprachlicher Konventionalisierungen hat eine solche Zusammenstellung aber auch eine kanonisierende Wirkung, wenngleich die Herausgeber:innen betonen, keinen „neuen Kanon von Grundbegriffen festlegen“ zu wollen (S. 6). Das mit Hardcover, Hochglanzbildern und alphabetischem Karteiregister ausgestattete Buch vermittelt dennoch den Eindruck, dass die ausgewählten Begriffe für den geschichtsdidaktischen Diskurs besonders wichtig seien. Vergleicht man die getroffene Auswahl mit dem 2006 erschienenen „Wörterbuch Geschichtsdidaktik“3, fällt auf, dass der Umfang mit 65 gegenüber 157 Einträgen deutlich geringer ausfällt. Dies ist nicht zuletzt der Ausstattung des Buches mit Farbbildern geschuldet, die immerhin 65 Seiten Buchumfang ausmachen. Gleichwohl enthalten die „Grundbegriffe“ auch Einträge, die das „Wörterbuch“ nicht als eigene Lemmata erläutert. Hierzu zählen unter anderem die Begriffe „Alterität“, „Class“, „Emanzipation“, „Holocaust-Education“, „Inklusion“, „Kontrafaktische Geschichte“, „Leib/Leiblichkeit“ und „Race“. Begriffe, auf deren Erläuterung die „Grundbegriffe“ gegenüber dem Wörterbuch verzichten, sind demgegenüber unter anderem „Bildquelle“, „Curriculum“, „Dekonstruktion“, „Ereignis“, „Heuristik“, „Kontinuität“, „Living History“, „Oral History“ und „Projektarbeit“. Der gesamtgesellschaftliche Trend der sogenannten identitätspolitischen Diskurse scheint auch an der Geschichtsdidaktik nicht spurlos vorüberzugehen.
Der diskursive Ansatz der „Grundbegriffe“ erscheint vielversprechend. Kann doch die Beschäftigung mit Kontroversen die Leser:innen zu eigenen Reflexionen ermuntern. Leider – und das ist hier der Hauptkritikpunkt – vermeiden manche Einträge, diesen selbstgesetzten Anspruch zu erfüllen. Den Rezensenten wundert jedenfalls, dass einige Begriffserläuterungen die sie betreffenden Streitfragen außeracht lassen. So bleibt den Leser:innen des Lemmas „Geschichtskultur“ (S. 50) verborgen, dass Geschichtsdidaktiker:innen darüber streiten, ob der Leitbegriff nur aktuelle Phänomene umfasst oder geschichtskulturelle Praktiken und Manifestationen auch historisiert werden sollten. Die Ausführungen zum Begriff „Narration“ (S. 100) erklären zwar, dass in Erzählungen zeitdifferente Ereignisse miteinander verbunden werden, lassen jedoch den Einwand beiseite, dass es nicht die Ereignisse selbst sind, die beim Erzählen miteinander verbunden werden, sondern Aussagen, die auf Ereignisse verweisen. Ein sprachbewusstes Geschichtsverständnis sollte diesen Einwand zumindest zur Diskussion stellen. Diskussionswürdig dürfte auch die Frage sein, inwieweit sich das Verb „erzählen“ als Aufgabenoperator eignet, um Schüler:innen zum historischen Erzählen zu ermuntern. Die strittige Frage findet jedoch weder im Eintrag zur „Narration“ noch in den Erläuterungen zu den „Operatoren“ (S. 102) Erwähnung. Erhöhtes Konfliktpotenzial bergen auch die Begriffe „Identität“ (S. 72) und „Race“ (S. 112). Hier ist den Autoren zugute zu halten, dass sie die Diskurskontexte in aller gebotenen Kürze kenntnisreich besprechen und sensibel problematisieren. Wünschenswert wären aber auch hier Hinweise auf strittige Fragen, wie etwa nach dem diskriminierenden Konstruktcharakter der Begriffe. Der Hinweis, dass „Critical Whiteness“ nicht nur Schwarzes „Empowerment“ fordere, sondern „zur (Selbst-)Reflexion privilegierter weißer Positionen im sozialen Gefüge“ anrege (ebd.), ist sicherlich berechtigt. Dennoch ließe sich diskutieren, inwieweit People of Colour einen weißen Zuspruch überhaupt benötigen, um sich emanzipieren zu können. Diskussionen hervorrufen könnte auch das dem Begriff „Race“ beigefügte „Nachdenk“-Bild, dass zwei mit bunten Hemden und roter Gesichtsfarbe verkleidete Kinder zeigt. Die Absicht, damit auf die Gefahr geschichtskultureller Stereotypisierungen aufmerksam zu machen, ist begrüßenswert. Allerdings wäre hier auch ein Hinweis auf die vor allem in den Vereinigten Staaten geführten Diskurse angebracht, die das sogenannte Blackfacing als gängige rassistische Handlung kritisieren.
Zusammenfassend sind neben der hochwertigen Ausstattung des Buches vor allem die allenthalben spürbare diskursive Grundhaltung sowie der leserfreundliche Duktus der Erklärtexte zu loben. Angenehm ist auch, dass die Autor:innen darauf verzichten, ihnen nicht ins Konzept passende Begriffe pauschal abzuqualifizieren. Schade ist hingegen, dass mancher interessante Streitpunkt der Geschichtsdidaktik nicht expliziert wird. Vielleicht hätten die sechs Herausgeber:innen und Verfasser:innen noch weitere Autor:innen zur Mitarbeit einladen können, die aufgrund ihrer einschlägigen Forschungen über besondere Kenntnisse zu einzelnen Begriffsdiskursen verfügen. Die konzeptionelle Grundidee, die Lemmata mit „Nachdenk“-Bildern anzureichern, bleibt in funktionaler Hinsicht diskussionswürdig. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Wunsch der Herausgeber:innen erfüllt und ihre Text-Bild-Kombinationen viele Leser:innen zum kritischen Nachdenken anregen.
Anmerkungen:
1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bänden. Band 5: Wissenschaft der Logik. Erster Band: Die objektive Logik (1812/13), Frankfurt am Main 1986, S. 113.
2 Wilhelm von Humboldt, Latium und Hellas, in: Andreas Flitner / Klaus Giel (Hrsg.), Werke in fünf Bänden. Band 2: Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik – Die Vasken, 3. Aufl., Darmstadt 1979, S. 62f.
3 Ulrich Mayer u. a. (Hrsg.), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Taunus 2006.