A. Neuwöhner u.a. (Hrsg.): Leben am Hof zu Neuhaus

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Titel
Leben am Hof zu Neuhaus. Biografische Skizzen zur Hofkultur einer fürstbischöflichen Residenz


Herausgeber
Neuwöhner, Andreas; Wolfram, Lars
Reihe
Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte (88)
Erschienen
Paderborn 2021: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Niklas Regenbrecht, Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen, Landschaftsverband Westfalen-Lippe

Was ist Hofkultur und wer gehörte zu einem Hofstaat? Über diese Fragen ist schon viel geschrieben worden. Norbert Elias‘ Klassiker über die höfische Gesellschaft1 und Großprojekte, wie jenes zu „Residenzstädten im Alten Reich“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen2, sind Beispiele. Auch zu manchen geistlichen Territorien liegen Einzelstudien vor, wie etwa von Kerstin Kech zur Hofhaltung im Fürstbistum Bamberg.3 Der vorliegende von Andreas Neuwöhner und Lars Wolfram herausgegebene Sammelband „Leben am Hof zu Neuhaus“ vertieft diese Fragen mit einem anderen Blick auf ein kleines, geistliches Territorium. Anhand der Residenz der Fürstbischöfe von Paderborn verfolgt der Band einen biographischen Ansatz.

In sechszehn biographischen Beiträgen werden Künstler, Gelehrte, Architekten, Gäste oder Familienmitglieder der Bischöfe vorgestellt, die in irgendeiner Weise Teil der Hofkultur waren oder sie bisweilen sogar prägten. Die Bischöfe selbst sind hier als Bezugspunkte stets präsent, eigene Beiträge sind ihnen jedoch nicht gewidmet. Die Aufsätze sind chronologisch nach den Lebensdaten der Portraitierten sortiert, zeitlich erstrecken sie sich vom 11. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Es liegt jedoch ein deutlicher frühneuzeitlicher Schwerpunkt in der Betrachtung der Hofkultur des 16. und 17. Jahrhundert, vor allem bezogen auf die Regierungszeiten der Bischöfe aus dem Hause Fürstenberg.

Der Hof von Neuhaus eignet sich nach Ansicht der Herausgeber besonders deshalb, da er zum Ende des Alten Reichs in preußisch-aufgeklärter Sicht „als ärmlicher Hof mit wenig kultureller und repräsentativer Ausstrahlung“ (S. XXIV) galt – ein Bild, welches sich in der Folge verstetigen sollte. Dieses wird als Anlass genommen, dem eine differenziertere Sicht entgegenzustellen. Die Biographien der vorgestellten Personen sind in aller Regel bereits grundsätzlich bekannt und erforscht. Zum Teil handelt es sich bei den Verfassern der Beiträge des Sammelbandes um die Verfasser entsprechend einschlägiger Biographien. Der Vorteil des Bandes liegt hier in der Zusammenfassung und in der Zuspitzung der Biographien auf die Geschichte der behandelten Residenz.

Die portraitierten Personen eint in den überwiegenden Fällen, dass ihre Aufenthaltsdauer an diesem Hof nur von begrenzter Dauer war. Herausgearbeitet wird dies vor allem in den Beiträgen über Künstler, Architekten und Gelehrte, die für bestimmte Aufträge – man könnte es in moderner Ausdrucksweise als Projektstellen bezeichnen – an den Hof kamen und danach in die nächsten Residenzen weiterzogen. An diesen Beispielen werden die personellen Netzwerke und überregionalen Verbindungen deutlich, die herauszuarbeiten sich der Band als Anspruch setzt.

In ihrer grundlegenden Einleitung zur Geschichte des Hofes gehen die Herausgeber zunächst auf die Trennung der Haushaltsführung von Domkapitel und Bischof ein, die eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung des bischöflichen Hofes war. Wie in anderen Bistümern auch, wurden die Bischöfe von Paderborn in Konflikten mit ihrer Stadt im Laufe des 13. Jahrhunderts zunehmend aus der Stadt gedrängt. Die Verlegung der Bischofsresidenz von der Domimmunität innerhalb der Stadt ins wenige Kilometer entfernte Neuhaus wird dabei als Prozess beschrieben, der sich über knapp ein Jahrhundert hinzog und erst in den 1370er-Jahren einen Abschluss fand. Von einer Residenz mit einem Hof, so stellen es die Herausgeber einleitend dar, kann allerdings erst seit Anfang des 16. Jahrhunderts gesprochen werden, als mit einem repräsentativen Schlossbau begonnen wurde. Ebenfalls wird hier konstatiert: „Die konkrete Ausgestaltung des höfischen Alltags und der repräsentativen Ereignisse war aber gerade im geistlichen Fürstentum Paderborn abhängig vom Rang und Stand des gewählten Bischofs.“ (S. XVIII) Ein weiterer entscheidender Aspekt für die Entwicklung einer Hofkultur war die An- oder Abwesenheit der Bischöfe. Die gerade im nordwestdeutschen Raum der frühen Neuzeit häufige Bistumskumulation führte dazu, dass das Bistum Paderborn oft beispielsweise von Köln oder Münster aus mitregiert wurde. Und so kommt es, dass allein zehn der im Band vorgestellten Personen aus der Regierungszeit und der Hofhaltung der Fürstbischöfe Dietrich von Fürstenberg (1546–1618, Fürstbischof von Paderborn seit 1585) und Ferdinand von Fürstenberg (1626–1683, Fürstbischof von Paderborn seit 1661) stammen, die den Hof von Neuhaus bei nahezu dauerhafter Anwesenheit zu ihrem Regierungs- und Repräsentationsort ausbauten, sowie aus der Zeit von Clemens August von Bayern (1700–1761, Fürstbischof von Paderborn seit 1719), der zwar selten anwesend war, dessen Regierungszeit sich jedoch durch besondere Prachtentfaltung auszeichnete. Jene Prachtentfaltung war Teil einer Strategie, etwa über bauliche Zeugnisse, wie dem Bau eines Barockgartens, auch bei Abwesenheit des Fürstbischofs die Herrschaft präsent zu halten.

Zwei Beiträge (von Andreas Neuwöhner und Roland Linde) stützen sich beispielsweise auf das Tagebuch des Bruders des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg und zeigen die geselligen Aspekte des Hoflebens, die der Fürstbischof, sein Bruder und der Freund und Nachbar Graf Simon VI. zu Lippe mit Jagden, Karneval, Feierlichkeiten und wiederholt protokolliertem „stark gesuffe“ (S. 50) zu verbringen pflegten. Die Beiträge nähern sich anhand der gleichen Quelle von zwei verschiedenen biographischen Seiten dem Thema und zeigen neben den anschaulichen Beschreibungen von Zechgelagen, wie sich einerseits Familien- und andererseits Nachbarschaftspolitik in einem geistlichen Territorium gestalten konnten.

In ähnlicher Weise wird auch in den Beiträgen zu Ortensio Mauro und Agostino Steffani (von Hans-Walter Storck und Lars Wolfram) aus zwei biographischen Perspektiven deutlich, wie die italienischen Netzwerke des Paderborner Fürstbistums funktionierten und wie sich deren Akteure gegenseitige Karrierehilfen leisteten. Allein schon die ungewöhnlichen Karrieren von Mauro, der als Sekretär, Dichter und Diplomat in Diensten des Paderborner und des Hannoveraner Hofes stand, sowie seines italienischen Landsmannes Steffani, der als Sänger, Komponist, Hofkapellmeister, Diplomat und Weihbischof an den Höfen von München, Hannover, Mainz und Paderborn tätig wurde, lohnen die Lektüre.

Ortensio Mauro war es auch, der im Auftrag seines fürstbischöflichen Dienstherrn – daneben aber auch im eigenen Interesse – die Korrespondenzen mit Gelehrten führte. Im Falle eines berühmten Gelehrten wie Gottfried Wilhelm Leibniz griff der Fürstbischof bisweilen allerdings auch selbst zur Feder. Markus Lauert betont in seinem Beitrag über Leibniz allerdings die Einseitigkeit des gelehrten Austausches: „Leibniz informierte den Bischof, dieser antwortete knapp und voll des Lobs. Beide handelten dabei im Rahmen ihrer ständisch festgelegten Rollen: Ferdinand als Herrscher und Fürst, Leibniz als Gelehrter und Berater. Der gemeinsame Bildungshintergrund ermöglichte das Sprechen über Standesschranken hinweg, er löste sie jedoch nicht auf.“ (S. 174) Einen anders gelagerten Fall der Zusammenarbeit mit einem Gelehrten, als jenen von Leibniz, dessen Beitrag zur Neuhäuser Hofkultur sich in Korrespondenz und einem einmaligen kurzen Besuch erschöpfte, behandelt der Beitrag von Hermann-Josef Schmalor. Der vorgestellte Gelehrte, Jesuit und Hofhistoriker Nikolaus Schaten arbeitete mit seinem Dienstherrn Ferdinand von Fürstenberg, nicht in Form von gelegentlicher Korrespondenz, sondern bei längerfristiger Anwesenheit am Hofe in direkter und persönlicher Weise zusammen, dass beide – der Historiker und der Bischof – ihre jeweils eigenen Geschichtswerke veröffentlichen konnten.

Die Beiträge zu Künstlern wie dem Maler Carl Ferdinand Fabritius oder dem Architekten Franz Christoph Nagel (beide von Roland Pieper), der den Neuhäuser Barockgarten für Bischof Clemens August von Bayern gestaltete, zeigen die künstlerischen und architektonischen Verbindungen des Hofes, sowohl in die umliegende Region als auch in überregionale Netzwerke.

In der Gesamtschau zeigt der Band mit seinem biographischen Ansatz anschaulich Beziehungsnetzwerke, die personellen Verknüpfungen des bischöflichen Hofes mit seinem eigenen Territorium, aber auch jene in Richtung größerer Residenzen und Zentren, wie München, Wien und Rom. Eine gewisse Konzentration auf Bischöfe aus dem Hause Fürstenberg mag der Quellenlage geschuldet sein. Weiterhin positiv hervorzuheben ist die reichhaltige Bebilderung des Bandes. Jedem Beitrag ist ein Portrait der besprochenen Person vorangestellt, ergänzt um zahlreiche weitere Abbildungen. Eine durchgängig gute Lesbarkeit und Anschaulichkeit können den Band auch für ein breiteres Publikum interessant machen. Es erfolgt kein vergleichender oder strukturgeschichtlicher Blick auf Hofkultur. Durch den individuellen biographischen Zugang gewinnt der Leser einen ausschnitthaften und dennoch gut informierten Blick auf Familien- und Verwandtschaftspolitik, Diplomatie, Festkultur, Kultur- und Wissenschaftspflege des Hofes eines kleinen geistlichen Territoriums des Alten Reiches während der Frühen Neuzeit.

Anmerkungen:
1 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, Frankfurt am Main 1969.
2 URL: <https://adw-goe.de/forschung/forschungsprojekte-akademienprogramm/residenzstaedte/> (01.09.2021).
3 Kerstin Kech, Hofhaltung und Hofzeremoniell der Bamberger Fürstbischöfe in der Spätphase des Alten Reichs, Würzburg 2016.

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