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Titel
Generale in der Demokratie. Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite


Autor(en)
Naumann, Klaus
Erschienen
Anzahl Seiten
383 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver von Wrochem, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Der Wandel der Bundeswehr von einer Abschreckungs- zur Einsatzarmee wird in Politik und Öffentlichkeit begleitet von Fragen nach gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben des Militärs. Dabei halten sich jene auffällig zurück, die in der Bundeswehr für die praktische Umsetzung verantwortlich sind. Über ihre Prägungen und Orientierungen ist nur wenig bekannt. Klaus Naumann möchte mit seiner Studie – über das zeithistorische Interesse hinaus – deshalb auch zeigen, „welche Führungsprofile, Denkstile und Leitbilder sich in der inzwischen fünfzigjährigen Geschichte der Bundeswehr entwickelt haben, um jetzt in den verantwortlich Handelnden ihren Ausdruck zu gewinnen“ (S. 9). Aus den Selbstexplikationen von Offizieren wird ein Kollektivporträt der Militärelite gezeichnet, das zudem erklären soll, wie es gelang, aus dem Personalreservoir einer mit der NS-Vernichtungspolitik verbundenen Wehrmacht eine „überaus sozialverträgliche und konsolidierte Entwicklung einer ‚Armee in der Demokratie’“ zu erreichen (S. 7).

Immerhin stellten ehemalige Wehrmachtoffiziere einen Großteil der etwa 1.000 Generale, die seit 1956 bis zum Ende der Bonner Republik 1990 das Geschick der Armee bestimmten. Gestützt auf generationengeschichtliche Ansätze prüft Naumann, in welchem Maße die Akteursprofile dieser Militärelite „auf dem Erfahrungshintergrund der NS-Zeit, des Kriegs, Nachkriegs und der damit verbundenen Umbrucherfahrungen zu erklären sind und wie sich solche Tiefenprägungen mit den bundeswehreigenen Resozialisationen und Handlungskontexten vermittelten“ (S. 34). Methodisch orientiert sich die Interpretation an den „Vorgaben der objektiven Hermeneutik und der qualitativen Interviewanalyse“ (S. 50), verbunden mit einem „dialogischen Zugriff“, bei dem die Suche nach dem „systematischen Sinn des Geäußerten und Dokumentierten“ in den Vordergrund der Analyse rückt (S. 17).

Die Grundlage des ersten Teils bilden Befragungen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung von 1950 sowie 1951 bis 1955 geführte Gespräche des deutsch-amerikanischen Sozialwissenschaftlers Hans Speier. Im Frankfurter Experiment bestanden von 116 befragten Gruppen 7 aus Wehrmachtoffizieren; 4 davon untersucht Naumann anhand der Wortprotokolle. In den altersgemischten Gruppen gaben Offiziere „als Mentoren der Gründungsjahre“ (S. 31) die Linie vor, die selbst nicht mehr für eine militärische Verwendung in Frage kamen, aber die öffentlichen Kriegsbilder prägten und im NS-Staat als „Exekutivinstrument der politischen Führung“ (Klaus-Jürgen Müller) fungiert hatten. Nach 1945 machten sie „ein vornazistisch geprägtes Wertrepertoire als eine Art konservatives Korrektiv gegenüber den ‚Überspanntheiten’ des NS-Regimes geltend“ (S. 91). Dies war, so sollte ergänzend angemerkt werden, dem Umstand geschuldet, dass sie ihre eigene Radikalisierung im Nationalsozialismus vergessen machen wollten. Zudem zeichnet sich hier eine Kluft ab zwischen Aussagen im öffentlichen Raum und privaten Haltungen, was für die Gesamtergebnisse der Studie mitbedacht werden sollte. Die durch die Propagierung von Sachlichkeit, Funktionalität und Volksgemeinschaftsidealen geprägte Mittelgeneration der Gewaltspezialisten (Jahrgänge um 1913) sowie die jungen Kriegsoffiziere (Jahrgänge um 1920) mit ihrem von Enttäuschungen und pragmatischem Realitätsverlangen geprägten Lebensgefühl zeigten sich offener für eine Modernisierung des Militärs. Gemeinsam war allen Beteiligten das antibolschewistische Weltbild und die Vorstellung, Staatlichkeit werde erst durch die bewaffnete Macht garantiert; daher stimmten die meisten der Westintegration und Wiederbewaffnung zu. Die überwiegende Mehrheit lehnte die Demokratie ab, war aber ansatzweise bereit, das politische Leben mitzubestimmen. Selbst die älteren Generationen, so Naumann, hätten eine innere Wandlungsfähigkeit und damit ein Integrationspotenzial in die neue Gesellschaft besessen.

In der Analyse von Speiers Befragungen werden auch Bruchstellen im Offizierskorps veranschaulicht. So gab es „konservative Kritiker“, welche die Politik der Westintegration und Wiederbewaffnung ablehnten. Die „kritischen Außenseiter“ wagten Angriffe auf das Verhalten der Militärelite im Nationalsozialismus und die Traditionen des Offizierskorps. Mehrere dieser Außenseiter kamen aus dem süddeutsch-katholischen Milieu – ein Hinweis auf die nachhaltige Wirksamkeit milieuspezifischer Prägungen. Am anderen Ende der Skala standen „konservative Gewaltexperten“, deren Professionalitätsbegriff jede herrschaftskonforme Verwendung zuließ. Die Mehrheit der befragten Offiziere zeigte eine Mischung aus „operativer Kompetenz und politischem Voluntarismus; das Bekenntnis zu den Werten und Traditionen des Soldatentums; und das Wunschbild eines Gegensatzes zwischen Sachverstand und ‚Amateuren’“ (S. 161). Obschon sich die unaufhaltsame soziale Wandlung der Militärelite im zunehmenden Einfluss der Offiziere mit bürgerlichem Habitus zeigte, blieb das Gewicht verhaltensnormierender Traditionen stark.

Den Schwerpunkt der Studie bilden fünf Fallanalysen, die auf fünf in den Jahren 2000/01 geführten lebensgeschichtlichen Interviews mit ehemaligen Bundeswehrgeneralen beruhen. Über die darin angelegten individuellen Sinn- und Lebensentwürfe der Befragten soll die generationelle Typik individueller Fälle bezeugt werden. Da die Aussagen frühere Verhaltensmuster und Einstellungen der Interviewten nur bedingt belegen können und auf weitere Quellen weitgehend verzichtet wird, nimmt der Autor eine gewisse Gefahr autobiographischer Selbststilisierung in Kauf. Eine Begründung der Auswahl aus den insgesamt zwölf geführten Interviews wäre auch unter diesem Aspekt wünschenswert gewesen. Zwei Interviewte gehörten der unteren Generalität an, die anderen drei zählten zur Militärführung; alle sind in den Anfangsjahren der Bundeswehr beigetreten. Mit Wolfgang Altenburg und Klaus Dieter Naumann (kein Verwandter des Autors) sind zwei Generalinspekteure vertreten, die an exponierter Stelle wirkten und daher als einzige mit Klarnamen auftauchen.

Zuerst wird mit einem 1914 geborenen Brigadegeneral der Luftwaffe aus dem katholischen Milieu des Rheinlandes die Generation der zwischen 1913 und 1921 Geborenen charakterisiert, welche den Kern der Frontoffiziere des Zweiten Weltkrieges stellten, oft dem nationalsozialistischen Ideal des militärischen Führers entsprachen und Probleme bei der Rückkehr in die Bürgerlichkeit hatten. Diese Aufbaugeneration der Bundeswehr war bis Anfang der 1980er-Jahre einflussreich. Der „Mainstream eines traditionsverhafteten, NS-affinen und nur-soldatischen Milieus“ (S. 206) wird in Naumanns Beispielfall jedoch aus einer Position der Distanz beschrieben. Der Interviewte tritt als Repräsentant einer Minderheit auf und belegt, dass diese Offiziersgeneration nicht nur aus „Spätheimkehrern in die Staatlichkeit“ (Johannes Gross) bestand.

Ein Generalmajor der Luftwaffe (Jahrgang 1924) wird als typischer Vertreter der vor 1927 Geborenen dargestellt, die sich als junge Kriegsoffiziere durch „Einsatzbereitschaft, Härte, Fürsorge und Indoktrination“ auszeichneten (S. 211), während der 1970er-Jahre in obere Verwendungen aufrückten und bis Mitte der 1980er-Jahre die Armee prägten. Repräsentative Vertreter dieser vorsichtig gewordenen Generation ließen sich nur partiell auf Demokratisierungsprozesse ein. Die strategischen Neuerungen etwa der Atombewaffnung vollzogen sie als kompetente „Abschreckungssoldaten“ mit (S. 228), hielten aber an einer traditionalen Gemeinschaft des Soldatentums fest und pflegten in Abwehr ihrer lebensgeschichtlichen Verunsicherung das Bild einer ehrenhaften, missbrauchten Wehrmacht.

Mit Wolfgang Altenburg (Jahrgang 1928) wird die Generation der Flakhelfer (1927–1930) bzw. „45er“ vorgestellt, die keine Fronterfahrung hatte und Anfang der 1980er-Jahre in Führungspositionen rückte. Der Einstieg in die Bundeswehr schloss sich oft an eine erste zivile Tätigkeit an. Daher verkörperte der Soldatenberuf für diese Gruppe keine unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext gedachte Daseinsform mehr. Für sie gab es keine unbedingte Loyalität; in bewusstem Abstand zu den Kriegsgedienten vertraten diese Generale in einer Mischung aus Pragmatismus und Innovationsbereitschaft die westdeutschen Interessen im militärischen Bündnis. Ihre Primärerfahrung war der Krieg auf dem eigenen Territorium, und Kriegsverhinderung bildete ihre Handlungsmaxime.

Am Beispiel eines Generalleutnants des Heeres (Jahrgang 1933) porträtiert Naumann Angehörige der Kriegsjugendgeneration (bis Jahrgang 1937), die häufig aus idealistischer „Gesinnungsmilitanz“ (S. 359) freiwillig im Bundesgrenzschutz bzw. in der Bundeswehr dienten. Die schockartige Konfrontation mit Krieg und Nachkrieg und das damit verknüpfte bedrohte Lebensgefühl förderten ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Eine starke Bindung an die Kriegsvätergeneration führte in dieser Altersgruppe zu gegensätzlichen Positionen. Während sich eine Minderheit mit teils drastischen Urteilen aus dieser empfundenen Loyalität befreite und sich für Militärreformen wie die Innere Führung einsetzte, sah sich die Mehrheit als Erbverwalter des traditionellen deutschen Soldatentums und kritisierte das reformierte Soldatenbild.

Klaus Dieter Naumann (Jahrgang 1939) hatte aufgrund seiner Konfrontation mit Bombenkrieg und Kriegsfolgen das Bedürfnis, „Lebensbedingungen jenseits von Ohnmacht und Hilfsbedürftigkeit zu sichern“ (S. 322) und Krieg in Deutschland zu verhindern, was für ihn – eher untypisch für die Kriegskindergeneration – einen „wenn nötig präventiven Einsatz deutscher Soldaten“ einschloss (S. 341). Die ersten wehrpflichtigen Jahrgänge (ab 1937) begleiteten den Wandel der Bundeswehr zur Einsatzarmee in Führungspositionen. Die enge Bindung an die kriegsgediente Elterngeneration äußerte sich in dem „Gefühl, davongekommen und anderen etwas schuldig geblieben zu sein“ (S. 321). Der Generalinspekteur verstand sich als (militär)politischer Akteur der demokratischen Gesellschaft und damit als „Bürger in Uniform“, dessen selbstbewusstes Auftreten die Phase ablöste, in der die Bundeswehrelite geräuschlos Sicherheit produziert hatte. Wiederholt scheint in der Analyse Sympathie für diesen Standpunkt durch – etwa wenn Naumann ihm „Nüchternheit, Illusionslosigkeit, Realitätssinn“ attestiert (S. 336).

Für die Frage, inwieweit die Militärelite in der parlamentarischen Demokratie angekommen sei, bleibt der grundsätzlich positive Befund der Studie gebunden an die Einschränkung, dass nur Ausnahmegestalten „sich öffentlich aus der Deckung wagen und damit den normativ fixierten Anspruch, ‚Staatsbürger in Uniform’ zu sein, offensiv im sicherheits- und militärpolitischen Prozess der Meinungsbildung zur Geltung bringen“ (S. 353). Gerade die fünf Fallstudien verdeutlichen zudem, dass Faktoren wie (Sozialisations-)Milieu, institutioneller Verwendungszusammenhang und Stellung in der militärischen Hierarchie, die Nutzung von Handlungsspielräumen und individuelle Entscheidungen von zentraler Bedeutung sind. Mit Blick auf die Entwicklung der Bundeswehr wäre zudem interessant, ob es besondere Ausprägungen in den Teilstreitkräften gibt – die Porträts lassen darauf nur bedingt Rückschlüsse zu. Die Vorannahme institutioneller Generationstypen mit verschiedenen Erlebnisschichtungen und Erfahrungsbeständen erscheint dennoch im Ganzen plausibel. Und der Anspruch, „Anstöße, Triebkräfte und Profile im Wechselspiel von Beharrung und Wandel in der dem Zivilisten unbekannten Welt eines militärischen Gewaltapparates“ aufzuzeigen (S. 359), findet sich auf eindrückliche Weise eingelöst.

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