Vor etwa 10 Jahren erschien unter dem Titel “Bücher ohne Verfallsdatum” eine Sammlung von Rezensionen historischer Literatur, der ob ihrer Qualität eine fortgesetzte Rezeption gewünscht wurde.1 Es wäre nicht überraschend, soviel Zukunftsprognose sei dieser Besprechung vorangestellt, wenn in einer Fortsetzung dieser Sammlung die nun von Rüdiger Hachtmann vorgelegte Studie zur Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im „Dritten Reich“ Aufnahme finden würde. Für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (folgend KWG), so führt Hachtmann in seine Arbeit ein, begann die eigentliche „Leidenszeit“ erst nach 1945. Der Nationalsozialismus hingegen bot für die KWG eine stetig zunehmende Bereitstellung von „Chancen“ vielfältigster Art. Dass, und in welcher Form, die KWG diese „Chancen“ bereitwillig nutzte, beschreibt in aller Kürze den Gegenstand der besprochenen Studie. Zur „Erfolgsgeschichte“ der KWG zwischen 1933 und 1945 zählen sowohl ein stetig ansteigender Gesamtetat wie auch die Begründung zahlreicher neuer Institute. Trotz der Einbindung in das Wissenschaftssystem des Nationalsozialismus konnte die KWG dabei eine weitgehende organisatorische Selbständigkeit behaupten. Beides, die Förderung der KWG durch das NS-Regime wie ihre gleichzeitige „Autonomie“, ergeben für Hachtmann seine erkenntnisleitenden Fragestellungen. Warum förderte der Nationalsozialismus die KWG überdurchschnittlich? Weshalb konnte die KWG derart expandieren? Wie weit reichte die angesprochene „Autonomie“? Kurzum, in welchem Maße und auf welchen Wegen wurde die KWG in das NS-System integriert? Zur Beantwortung dieser Fragen dient Hachtmann die Untersuchung der Generalverwaltung als bürokratischer, aber auch politischer Kern der KWG, in dem die institutionellen Entscheidungsprozesse zusammenliefen. Zudem fungierte die Generalverwaltung doppelt: Nach „außen“ als herausragender Akteur im Gesamtgefüge der nationalsozialistischen Wissenschaftsgesellschaft, nach „innen“ als integrierendes Zentrum, das der KWG einen hohen innerinstitutionellen „Zusammenhalt“ bescherte.
Bemerkenswert ist, auf welche ausgesprochen ertragreiche Weise Hachtmann die institutionsgeschichtlichen Fragen nach der Rolle der Generalverwaltung der KWG mittels einer dezidiert die handelnden Akteure in den Mittelpunkt stellenden Untersuchungsanordnung beantwortet. Ein methodischer Ansatz, der sich zum einen für die von einem überschaubaren, aber sehr einflussreichen Personenkreis beherrschte KWG anbietet, zudem aber auch die Möglichkeiten einer die prägenden „Strukturen“ bedenkenden „Akteursperspektive“ für die Wissenschaftsgeschichte verdeutlicht. Die handelnden Akteure der Generalverwaltung bezeichnet Hachtmann, in partieller Abgrenzung zu „Wissenschaftspolitikern“, als „Wissenschaftsmanager“. Ein Begriff, der ebenso wie das die Studie betitelnde „Wissenschaftsmanagement“ erst überrascht, um dann jedoch zu überzeugen. Nach Hachtmann beschreibt den „Wissenschaftsmanager“ ein engerer Kontakt zu den Wissenschaftlern sowie die Verwaltung von Forschungseinrichtungen, ohne dabei vom „Wissenschaftspolitiker“ trennscharf unterscheidbar zu sein. Nun wäre auch der Begriff der "Wissenschaftsverwaltung“ zu bedenken, doch macht Hachtmann umfassend klar, weshalb dieser Begriff die Tätigkeit eines Ernst Telschow eher verschleiern denn erhellen würde. Das sehr eigenständige, strategische Agieren der Generalverwaltung rechtfertigt den eben jenen aktiven Part betonenden Begriff des „Wissenschaftsmanagement“, der zudem der Selbstwahrnehmung der Akteure entspricht.
Mittels einiger durchgehend verwandter Begrifflichkeiten und Konzeptionen gibt Hachtmann seiner Arbeit einen analytischen Rahmen, in welchem einzelne Aspekte der Institutionsgeschichte behandelt werden können, ohne die Perspektive unzulässig zu verkleinern. So werden in „Netzwerken“, deren zentralen Stellenwert für die Wissenschaftsgeschichte Hachtmann zu Recht betont, genau jene Beziehungsgeflechte von wechselnder Qualität und Quantität nachgezeichnet, die das alles andere als statische System „Wissenschaft“ am besten umschreiben können. Aus der Untersuchung von „kulturellem, symbolischen und sozialem Kapital“, von „Habitus und Mentalität“ sowie dem die KWG prägenden „meritokratischen Prinzip“ destilliert Hachtmann schließlich eine „corporate identity“ der KWG. Ergänzend vorstellbar wäre eine Anwendung der vom Wissenschaftssoziologen Ludvik Fleck entwickelten Konzeption von „Denkstil“ und „Denkkollektiv“2, legt doch insbesondere das als spezifisch umrissene, institutionalisierte „Selbstverständnis“ der Generalverwaltung einen gesonderten „Denkstil“ nahe, ebenso ist die Beschreibung der Akteure als „Denkkollektiv“ zumindest als anregend vorstellbar.
Eine zweibändige Studie von knapp 1400 Druckseiten kann (und sollte) nicht deskriptiv rezensiert werden, im Folgenden werden daher, orientiert an der Struktur der Arbeit, einzelne Aspekte von besonderem Interesse herausgegriffen. So ist die Entscheidung Hachtmanns, die Geschichte der Generalverwaltung der KWG im „Dritten Reich“ nicht 1933 beginnen zu lassen, in jeder Hinsicht zu begrüßen. Durch die breite Einbettung des eigentlichen Gegenstandes in seine Vor- wie Nachgeschichte wird die beklagenswert oft schlicht übernommene, nach 1945 vollzogene „Exterritorialisierung“ des Nationalsozialismus aus der deutschen Geschichte vermieden. Ohne Verknüpfung mit seiner Entstehungsgeschichte „ortlos“, konnte der Nationalsozialismus wie ein unvorhersehbares „Unwetter“, wie eine unbeeinflussbare „Katastrophe“ dargestellt werden – Metaphern, wie Hachtmann zeigt, die nach 1945 symptomatisch für den Umgang der KWG mit ihrer Vergangenheit wurden.
Seit ihrer Gründung geprägt von „Nationalismus, Monarchismus und Affinität zum Militär“, wurde der Erste Weltkrieg für die KWG und ihre „Manager“ zum „prägenden Erfahrungshorizont“, der auch die enge Verbindung von moderner Kriegsführung und militarisierter Wissenschaft als „Erfolgsmodell“ für die Zukunft anempfahl. Nach der Niederlage verblieb die Wissenschaft als eine der Ressourcen, die den Wiederaufstieg Deutschlands zur Weltmacht sicherzustellen versprach. Der von Hachtmann ausgeführte Wandel der KWG in den 1920er-Jahren von einer preußischen zu einer nationalen Einrichtung lässt fragen, ob vielleicht auch dieser Umstand zur vergleichsweise mühelosen Integration der KWG in das um eine Zentralisierung der föderalen Struktur des deutschen Wissenschaftsbetriebes sehr bemühte NS-System beigetragen hat. Nicht zuletzt gelingt es Hachtmann in diesem Abschnitt eindrücklich, die postulierte Akteursperspektive für die Nachzeichnung der vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus reichenden personellen Kontinuitäten der Generalverwaltung der KWG nutzbar zu machen.
Einem oftmals stiefmütterlich behandelten Aspekt der Wissenschaftsgeschichte, der Finanzierung von Wissenschaft, widmet Hachtmann ein gesondertes Kapitel. Da die Erschließung und Ausbeutung von Finanzquellen aller Art zu den zentralen Aufgaben der Generalverwaltung zählte, können die auf diesem Gebiet erzielten Ergebnisse zu Recht als „Indikator“ für Erfolg gelten. Vor allem aufgrund der mangelnden Vergleichbarkeit mit anderen Institutionen sowie der Neigung der Generalverwaltung zu einer bewusst intransparenten Haushaltsführung ist eine präzise Bewertung der Finanzlage der KWG schwierig, doch arbeitet Hachtmann die wesentlichen Entwicklungslinien klar heraus. Deutlich wird die besondere Relevanz der KWG für die NS-Aufrüstungspolitik, auch fanden die wechselnden Prämissen des NS-Regimes in der Finanzierung einzelner Institute der KWG ihren Niederschlag, summiert nahmen die Einnahmen der KWG während des Nationalsozialismus deutlich zu. Dass die Zuwendungen insbesondere ab 1937 stark anstiegen, interpretiert Hachtmann auch als Ausweis für eine zuvor feststellbare „gewisse Distanz“, dies entspräche der weitgehend etablierten Binnenperiodisierung der NS-Zeit mit einer Konstituierungsphase bis circa 1935/36. Im weiteren Sinne ebenfalls zur Bestimmung des Handlungsrahmens, in welchem sich die Generalverwaltung der KWG bewegte, zählt die ausführliche Diskussion der Herrschaftsstruktur des NS-Systems sowie zentraler wissenschaftspolitischer Institutionen. Auch einer „Typologie des Nationalsozialisten“ widmet sich Hachtmann, und beschreibt den Nationalsozialismus als „antiintellektuell, aber nicht wissenschaftsfeindlich“. Der Gewinn dieses Abschnittes liegt in einer fraglos hilfreichen, vertieften Kontextualisierung des Handelns der Generalverwaltung und ihrer Protagonisten.
Vor dem Hintergrund der als existenzbedrohend wahrgenommenen Krise der Weimarer Republik waren die Repräsentanten der KWG festen Willens, die „NS-Machtergreifung“ als „nationalen Aufbruch“ zu begreifen und ihre „Begleiterscheinungen“ weitgehend auszublenden. Die Bedeutung der „subjektiven Befindlichkeiten der entscheidenden Akteure“ für den Übergang der KWG von der Republik zur Diktatur kann Hachtmann durch seine akteurszentrierte Untersuchungsanordnung nachvollziehbar verdeutlichen. Neben der ohnehin bestehenden, partiellen Interessenkongruenz zwischen KWG und NS-System wäre ergänzend zu fragen, inwieweit die zum Autoritären neigenden Organisationsstrukturen der KWG die Einbindung in den „Führerstaat“ zusätzlich erleichterten, dies wird von Hachtmann gesondert diskutiert. Durchaus erschütterten die antisemitischen Diskriminierungen des NS-Regimes die führenden Repräsentanten der KWG. Doch, so zeigt Hachtmann deutlich, galten auch die anfänglichen Versuche des Schutzes für jüdische Kollegen zuvorderst den „herausragenden Wissenschaftlern“, deren Ausgrenzung mit dem für die KWG konstitutiven „meritokratischen Prinzip“ konfligierte. Der jedoch alsbald einsetzende, juristisch zu diesem Zeitpunkt keineswegs zwingende Prozess der Anpassung an die Vorgaben des NS-Staates mündete, so Hachtmann, bereits 1934/35 in eine „routinierte antisemitische Alltagspraxis“. Engagement für jüdische Kollegen zeigte die Generalverwaltung in den Folgejahren ausschließlich unter dem „Primat der wissenschaftlichen Leistung und der unmittelbaren Nützlichkeit für die KWG“, Priorität hatte einzig der Erhalt der KWG als autonomer Forschungsverbund. Dass gerade die KWG vor 1933 als vergleichsweise wenig judenfeindlich und „liberal“ gelten konnte, verdeutlicht lediglich den zivilisatorischen Bruch.
In den folgenden Kapiteln beschäftigt sich Hachtmann eingehend mit der organisatorischen und forschungspolitischen Tätigkeit der Generalverwaltung im „Dritten Reich“, beginnend mit der in einem Prozess der „Selbstmobilisierung“ erfolgenden Integration der KWG in das Wissenschaftssystem des Nationalsozialismus. Die Übereinstimmung der Protagonisten der KWG mit dem NS-System als „Teilidentifikation“ qualifizierend, zeigt Hachtmann vor allem am Beispiel der ab 1933 nochmals verstärkten, aber auch zuvor bereits betriebenen Einbindung in die Rüstungsforschung, wie KWG und NS-System „Ressourcen füreinander“3 bereitstellten. Die KWG hatte die spezifischen Bedingungen des NS-Systems akzeptiert, die Besetzung freier Führungspositionen geschah, den „rassistischen Selektionsfilter“ befolgend, ganz überwiegend nach dem Leistungsprinzip, so dass Hachtmann zu Recht von einem „geschäftsmäßigen Alltag“ spricht. Dieser war, wollte die KWG ihre herausragende Stellung im Wissenschaftssystem behaupten, den sich wandelnden, möglichst mitzugestaltenden Rahmenbedingungen anzupassen. Anhand der wissenschaftspolitischen Umsetzung des Vierjahresplanes kann Hachtmann überzeugend nachweisen, dass der bestehende wissenschaftliche Freiraum der KWG dem NS-System nicht abgerungen werden musste, sondern vom Regime gewünscht, da zur Effizienzsteigerung der wissenschaftlichen Kriegsvorbereitungen vonnöten war. Mit der Übernahme der Leitung der Generalverwaltung durch Ernst Telschow vollzog die KWG 1937 auch in ihrer organisatorischen Führung den Wechsel zum nationalsozialistischen „Wissenschaftsmanagement“. Die von Telschow übernommene, „wissenschaftspolitische Schlüsselstellung“ als Forschungskoordinator des (späteren) Reichsamtes für Wirtschaftsausbau zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt die KWG und das NS-Wissenschaftssystem kaum noch separat, sondern nur in einer vielfältig strukturierten Einheit gedacht werden können. Die Integration der KWG in die nationalsozialistische Wissenschaftsgesellschaft war erfolgreich vollzogen.
So sind die folgenden personellen Veränderungen in den Gremien der KWG auch schlichte Fortschreibungen dieser Integration, durch welche die polykratischen Umformungen des NS-Systems mitvollzogen wurden. Das federführend von Telschow unterhaltene, formelle wie informelle Beziehungsnetzwerk sicherte im Kontext der stetig zunehmenden „Personalisierung und Informalisierung der Politik“ im NS-System die unverzichtbaren Kontakte in die politische Administration wie zu politischen Entscheidungsträgern, im Übrigen eine sorgsam gepflegte Tradition der Generalverwaltung. Die von Hachtmann so nüchtern wie präzise als „zeitgemäßes Wissenschaftsmanagement“ betitelte Amtsführung Telschows erzielte denn auch in Form zahlreicher Institutsneugründungen messbare Erfolge. Kaum Veränderungen brachte der Kriegsbeginn für die KWG, die Umstellung auf Kriegsbedingungen setzte bereits 1937 ein und wurde 1939 lediglich fortgesetzt. Der nahtlose Übergang in den Krieg kann, soviel sei ergänzt, auch nicht überraschen, war der „Kriegsfall“ doch letztlich Ziel und Zweck einer nicht geringen Anzahl der Unternehmungen der KWG. Ihre Stellung im NS-Wissenschaftssystem konnte die KWG auch nach der Kriegswende 1941/42, welche das NS-Regime zu „umwälzenden wirtschafts- und wissenschaftspolitische Maßnahmen“ zwang, weiter ausbauen. Am Ende dieser partiellen Neuordnung der Wissenschaftslandschaft stand eine nochmalige Stärkung der Position der KWG, die Übernahme der Präsidentschaft der KWG durch Albert Vögler spielte hierbei eine wichtige Rolle. Das „Interregnum“ Telschows, zwischen dem Tod Carl Boschs und dem Amtsantritt Vöglers, verdeutlichte zudem nochmals die Schlüsselstellung der Generalverwaltung. In seiner die komplexen Vorgänge nachzeichnenden Darstellung kann Hachtmann eindrucksvoll belegen, das diese Stellung der KWG ein Ergebnis überdurchschnittlichen Engagements für den Sieg des nationalsozialistischen Deutschlands war, die „KWG war […] ein wesentlicher Teil der Kriegsführung und Kriegsplanungen des NS-Regimes, der an Bedeutung gewann, je länger der Krieg dauerte.“ (S. 922)
Einige Überlegungen einflussreicher NS-Wissenschaftspolitiker zur Gestaltung zukünftiger internationaler Wissenschaftsbeziehungen geben schließlich einen Ausblick darauf, wie sich die Zusammenarbeit von Militär, NS-Regime und Wissenschaft nach dem erhofften siegreichen Kriegsende fortgesetzt hätte. Die herkömmliche „demokratisch-meritokratische“ internationale Wissenschaftskommunikation sollte von einem Modell der „wissenschaftlichen Herrschaft der deutschen Forschung“ abgelöst werden, deren vorrangiger Zweck die dauerhafte Absicherung der deutschen Herrschaft in den eroberten Gebieten wäre. Durch den tatsächlichen Kriegsverlauf bald obsolet, kann Hachtmann anhand der Expansion der KWG ab 1938 jedoch zeigen, dass diese Vorstellungen keineswegs rein spekulativ waren. Vergleichbar der allgemeinen Hierarchisierung des Herrschaftsbereiches des Nationalsozialismus, stufte die KWG ihre Expansion außerhalb des „Altreiches“ dreifach ab: „einvernehmlich“ wurde vor allem im angeschlossenen Österreich Kooperation gesucht, „entwicklungspolitisch“ geprägt war die Zusammenarbeit in verbündeten Ländern. Einer ausgesprochen „aggressiven“ Expansionspolitik waren hingegen die besetzten Ostgebiete ausgesetzt, ihre wissenschaftlichen Ressourcen eignete man sich skrupellos an. Für die Generalverwaltung der KWG endete der Kampf für das „politische und militärische Überleben des nationalsozialistischen Deutschlands“ (S. 1019) erst mit der Kapitulation.
Nur mit einem Wort betitelt Hachtmann das abschließende Kapitel zum Übergang der KWG in die Bundesrepublik – „Weichenstellungen“. Vielfältige Assoziationen weckt dieses Bild, welches das nach 1945 nahtlos fortgesetzte „Wissenschaftsmanagement“ der Generalverwaltung präzise beschreibt. Die Vorstellung, zwar die Fahrtrichtung anpassen, aber keinesfalls die bewährten Gleise verlassen zu wollen. Den damit verbundenen Willen, bei allen notwendigen „Zugeständnissen“ die Herkünfte und Traditionen der KWG fortzuführen. Ein Halt, auch eine „Einhalten“ war nicht geplant, und kaum jemand sah einen Anlass, den „Lokomotivführer“ auszutauschen. Hachtmann verdeutlicht mit der detaillierten Nachzeichnung des Weges von der KWG zur Max-Planck-Gesellschaft, deren Generalverwaltung wiederum Ernst Telschow vorstand, dass die Kontinuitäten fraglos umfassend, aber auch mühsam sichergestellt, ja „erarbeitet“ waren. Der Umgang der Generalverwaltung mit der Geschichte der KWG im „Dritten Reich“ ist in den Begriffen ihrer eigentlichen Tätigkeit erstaunlich gut zu beschreiben. Durchaus strategisch denkend, geknüpfte Netzwerke nutzend und vorhandene Ressourcen einsetzend, wurde die Vergangenheit „gemanagt“. Mit der präzisen Darstellung dieser nachholenden rhetorischen „Desintegration“ der KWG aus dem Nationalsozialismus endet Rüdiger Hachtmanns Untersuchung zur Generalverwaltung der KWG in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Zuallererst die auch in dieser Besprechung nur in Stichworten zu rekapitulierenden Ergebnisse dieser Studie rechtfertigen ihren grundsätzlichen Zuschnitt und die Auswahl ihres Untersuchungsgegenstandes. Überzeugend dokumentiert Hachtmanns Arbeit den analytischen Gehalt reflektierter Wissenschaftsgeschichtsschreibung, wenn diese die Teilsysteme von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zugleich einzeln fokussieren wie in ihrem Zusammenspiel interpretieren kann – und somit ihren Erklärungsanspruch deutlich ausweitet. Eine begriffliche Entsprechung findet dies in der Formulierung einer „Wissenschaftsgesellschaft“, die nicht zuletzt aufgrund der integrativen Grundstruktur dieser Arbeit gut gewählt erscheint. Dass eine auf die handelnden Akteure ausgerichtete Untersuchungsperspektive für eine Institutionsgeschichte ausgesprochen fruchtbar sein kann, belegt Hachtmann überzeugend. Der Gefahr allzu „subjektiver“ Blickrichtungen setzt er eine präzise Auslotung der Spielräume und Handlungsoptionen der Protagonisten entgegen, allenfalls eine analytisch weiter gefasste Anwendung der Konzeptionen „generationell geprägter Erfahrungs- und Prägegemeinschaften“ wäre ergänzend anzuregen. Schließlich unterzieht Hachtmann seinen Untersuchungszeitraum einer ausgesprochen überzeugenden Binnenperiodisierung, die je nach Fragestellung politisch, wissenschafts- oder institutionsgeschichtlich begründete Zeiträume definiert. Einzig das Volumen der Studie scheint die Kritik zwingend zu fordern, zwei Bände à 700 Seiten lassen befürchten, dass der pure Umfang die Rezeption verhindern könnte. Doch ist dies der Preis für das lobenswerte Unterfangen Hachtmanns, der Komplexität seines Gegenstandes umfassend gerecht zu werden, ohne seine Ergebnisse apodiktisch zu präsentieren. Stets fügt er zu den seine Argumentation stützenden Informationen auch andere Überlegungen ermöglichende Aspekte hinzu, die Genese seiner Thesen ist stets nachvollziehbar. Nicht zuletzt um diesen spannenden, erkenntnisreichen Weg mitzugehen, sei, auch wenn die Fülle der Themenfelder die Studie ins Lexikalische neigen lässt und eine dementsprechende Benutzung nahe legt, die Lektüre vom Anfang bis zum Ende anempfohlen. Das kostet fraglos Zeit, die man sich jedoch nehmen sollte, denn ein „Verfallsdatum“ ist für dieses Buch nicht in Sicht.
Anmerkungen:
1 Schöttler, Peter; Wildt, Michael (Hrsg.), Bücher ohne Verfallsdatum. Rezensionen zur historischen Literatur der neunziger Jahre, Hamburg 1998.
2 Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt am Main 1980 (zuerst: 1935).
3 Hachtmann nimmt hier Bezug auf die bekannte, von Mitchell Ash entwickelte Konzeption.