A. Hiatt (Hrsg.): Cartography between Christian Europe and the Arabic-Islamic World, 1100–1500

Cover
Titel
Cartography between Christian Europe and the Arabic-Islamic World, 1100–1500. Divergent Traditions


Herausgeber
Hiatt, Alfred
Reihe
Maps, Spaces, Cultures
Erschienen
Anzahl Seiten
xiv, 235 S.
Preis
€ 100,58
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felicitas Schmieder, Historisches Institut, FernUniversität in Hagen

Kartographische Untersuchungen werden, nicht zuletzt in der Folge des „spatial turn“, zahlreicher und die Frage nach der gegenseitigen Befruchtung, in welcher Richtung auch immer, zwischen dem lateinischen Europa und der islamischen Welt im (sogenannten) globalen Mittelalter ist ebenfalls bereits seit wenigstens zwei Jahrzehnten regelmäßig zu finden. Dennoch bringt dieser schmale Band – introduction, conclusion und sechs Kapitel, von denen zwei vom Herausgeber stammen – wichtiges Neues. Der Titel spiegelt die Hauptlinien des Inhalts und ist dennoch erklärungsbedürftig: Es geht um kosmographische und enger geführt geographische und dann kartographische Wissensbestände, die zwischen der arabisch-islamischen und der lateinisch-christlichen Welt ausgetauscht wurden (oder auch nicht) und die in gemeinsamen, aber unterschiedlich rezipierten und weiterentwickelten antiken Traditionen wurzelten: Divergierende schon antike Traditionen also, wie der Untertitel betont, und damit synchrone wie diachrone kulturelle Grenzüberschreitungen. Dabei wurde Wissen hier eher nebenbei rezipiert und ausgetauscht, weil geographisches und erst recht kartographisches Wissen eher als Anhängsel oder Bestandteil anderer, institutionalisierter Disziplinen wie der in signifikanter Menge übersetzten Geometrie und Astronomie (mit)überliefert wurde.

In seiner ausführlichen, konzeptionell maßgeblichen Einleitung erklärt A. Hiatt die Problematik in zwei Zugriffen: über die vielfältige kartographische Überlieferung des Mittelalters bzw. über die Frage nach kulturellen Transfer- und ggf. Austauschprozessen zwischen der lateineuropäischen und der islamischen Sphäre mit Hinweis auf den jüdischen Beitrag nicht zuletzt bei der Vermittlung. Nach wichtigen Überlegungen zur Terminologie fällt der Blick auf die gemeinsamen Wurzeln für das Bild der Welt und ihrer Regionen und die je eigenen Entwicklungen, die knapp überblicksartig durchgegangen werden: „It is worth emphasising that, aside of any question of influence, in its basic form the world image in the Latin West and the Arabic-Islamic world was essentially the same, comprising an outer encircling ocean, a prominent Mediterranean basin and Nile […], the tendency to emphasise urban space, and a lively interest in regional and provincial subdivisions. That said, at the level of detail very considerable divergences between the traditions emerge.“ (S. 21) Kurz kündigt die Einleitung die Punkte an, an denen Ähnlichkeiten und Unterschiede deutlich werden. Wenn vieles von vornherein gemeinsam ist und die Übersetzer des 12. und 13. Jahrhunderts neben Recht, Literatur und Musik auch die Kartographie eigentlich beiseiteließen – welche Belege kann man dann finden für „Austausch“? Die Suche ist alles andere als neu und doch: „It is possible that cartographic relations between Christian Europe and Islam may be characterised by difference and divergence rather than exchange and sharing.” (S. 36) Auch der vorliegende Band strebt nicht nach einer Lösung, schon gar nicht auf allen Feldern der Kartographiegeschichte, aber er meldet für diese Zweifel an am dominanten Narrativ, wonach die „westliche“ Seite so wenig zu bieten gehabt habe, dass der intellektuelle Transfer stets vom Islam in die lateinische Christenheit verlief. Die Fallstudien, die in diesem Band versammelt sind, um gegenseitigen Austausch zu verfolgen, reichen von textlichen und methodischen Zugriffen auf die Geographie über das eminent einflussreiche ptolemäische Corpus bis hin zu konkreten kartographischen Beispielen, die nachweislich auf den kulturellen Grenzen stehen, wie dem Werk des al-Idrisi (12. Jahrhundert im normannischen Sizilien), dem Atlas Catalan (14. Jahrhundert, aus jüdischer Feder auf der noch nicht allzu lange wieder christlichen Insel Mallorca) und den Weltkarten des Petrus Vesconte und Marino Sanudo (frühes 14. Jahrhundert, Genua bzw. Venedig unter offensichtlichem arabischem Einfluss).

So widmet sich A. Hiatt (The Transmission of Theoretical Geography) den im arabischen und lateinischen Raum unterschiedlichen Weiterentwicklungen antiker Theorien zur Darstellung der Erdkugel und der bewohnten Welt. Nach kurzem Blick auf die arabische Tradition folgt eine ausführliche Untersuchung der Klimata-Theorie im lateinischen Westen vom 11. bis zum 15. Jahrhundert. Besonders wichtig ist hier die pseudo-aristotelische Schrift De causis proprietatum elementorum – übersetzt vom wohl berühmtesten der Übersetzer des 12. Jahrhunderts, Gerhard von Cremona –, weil sie in zwei Handschriften die einzige tatsächlich vom Arabischen ins Lateinische übersetzte Karte enthält, die zudem im Westen rezipiert wurde: In einer Handschrift des Kommentars des Albertus Magnus zu diesem Werk ist, sehr ungewöhnlich, eine entsprechende Karte erhalten (alle drei Karten sind zum Nachvollzug abgebildet). Karten gehen ganz generell leicht im Kopiervorgang „verloren“, doch diese Vorlage scheint nicht auf lateinische Karten gewirkt zu haben.

Zu den bemerkenswerten Fakten der gemeinsamen Tradition gehört, dass die Geographie des Ptolemäus, die ab dem 15. Jahrhundert zum Standardwerk schlechthin im Westen werden sollte, auch im arabischen Raum zwar viel früher rezipiert wurde, aber nur marginal bekannt war. Ein vollständiger, übersetzter Text aus dem Griechischen lag hier wie dort erst im 15. Jahrhundert vor. Jean-Charles Ducène hält die Schwierigkeiten der Forschung fest: Früher erwähnte Übersetzungen sind, falls sie in welcher Gestalt auch immer tatsächlich existiert haben, verloren. Der Einfluss ptolemäischer Ideen auf die arabischen Geographen ist während des Mittelalters dennoch ungleich höher als im Westen. Auch wenigstens eine Karte ist erwähnt, deren Aussehen wir allerdings wie so oft nicht kennen. Wie im Westen war das Wissen eher indirekt, aber umfangreicher – und indirektes Wissen gelangte noch indirekter in den Westen durch die Übersetzung von Werken, die es nutzten.

Dagegen ist das antike astronomische Wissen der Griechen durch Übersetzung aus dem Arabischen reichhaltig in den lateinischen Westen gelangt. Aber ob der Einfluss sich auf die Himmels-Kartographie erstreckt, ist schwer feststellbar: Es sind nur wenige Zeugnisse aus dem arabischen Raum bekannt, die man als Grundlage für Vergleiche nehmen könnte (keine Karten, nur wenige Himmelsgloben). Elly Dekker diskutiert und falsifiziert eine These, wonach jüdische Himmelskarten – abgenommen von arabischen Himmelsgloben und einer hebräischen Übersetzung des ptolemäischen Sternenkatalogs beigegeben – der Vermittler gewesen sein könnten. Zwischen der im Westen vorherrschenden nicht-mathematischen Lehre, bei der Sterne in Sternbildern beschrieben wurden, und der arabischen Berechnung auf der Grundlage des ptolemäischen Almagest lagen lange Zeit zu große Differenzen und später als Astrolabien und Himmelsgloben kamen Himmelskarten im Westen erst im 15. Jahrhundert auf.

Einer der berühmtesten Vermittler ist al-Idrisi, der am Hof König Rogers II. in Palermo sein oft sogenannten Rogerbuch verfasste, „a beacon of inter-faith co-operation” (A. Hiatt, Geography at the Crossroads; S. 113). Viele Fragen bleiben bis heute unbeantwortet; wie leider viel zu oft ist das Werk im Textbestand ediert, die Karten aber sind es nicht. Und wie sich der gesamte vorliegende Sammelband in erster Linie als Bestandsaufnahme versteht, so auch dieser Aufsatz zu „a major work of impressive dimensions, incompletely edited, partially studied, yet of obvious importance” (S. 115). Entsprechend werden einige Fragen und weiter zu untersuchende Beobachtungen hervorgehoben, darunter für wen und warum al-Idrisi sein Werk schrieb und seine Karten zeichnete (die keine der Erzählungen des Textes wiederzugeben scheinen): arabisch-muslimische Leser oder den König, wobei die Nutzung der arabischen Sprache und die Hinzufügung der bis dahin in arabischen (Karten-)Werken eher unbekannten lateineuropäischen Regionen zu diskutieren sind. Wollte al-Idrisi ein wissenschaftliches, politisch neutrales Werk schaffen? Sind antiquarische Kenntnisse wichtiger angesichts der alten, nicht-muslimischen Namen für die Iberische Halbinsel und eines großen Interesses am antiken römischen Reich?

Die lateineuropäischen Karten, die am ehesten auf al-Idrisi zurückgehen könnten, stammen aus dem früheren 14. Jahrhundert. Stefan Schröder wirft in einem in mehrfacher Hinsicht methodisch wichtigen Beitrag einen Blick auf die Karten aus der Feder des Pietro Vesconte und des Marino Sanudo im Umkreis des päpstlichen Hofes in Avignon. Weil sie im Vergleich zu den bis dahin angefertigten mappae mundi (bspw. Hereford, Ebstorf) wenig heilsgeographische Anteile enthalten, wurden diese Karten gerne als Schritt in die Moderne verstanden: „Seen from this perspective, the ‘transitional maps’ seem to open a new chapter in the history of mapmaking that leads more or less directly to the mathematically-oriented mapping of early modern times. However, the term ‘transitional’ fails to cover the multiple functions of these maps and the complexity of their conception of space.” (S. 140). Da mittelalterliche Karten unterschiedliche Raumvorstellungen repräsentieren je nachdem, wie sie eingesetzt wurden, wie wurden die Karten des Vesconte und Sanudo eingesetzt? Wie wurde transkulturelles Wissen adaptiert und mit lateinisch-christlichen Raumvorstellungen kombiniert, zumal wo die lateineuropäischen Kartographen zudem mit unterschiedlichen rezenten Informationen zurechtkommen mussten? Schröder kritisiert die (an einem modernen Karten-Verständnis orientierte) teleologische und zudem eindimensionale Bezeichnung als transitorische Karten ebenso wie die typologische Charakterisierung als transkulturell – beides geht an den Intentionen der Kartenmacher vorbei.

Emmanuelle Vagnon greift mit dem Begriff der plurikulturellen Quellen ein ähnliches Problem auf. Sie betont eingangs die ganz generell zahlreichen und unterschiedlichen Quellen von Karten je nach deren Funktion und Sitz im kulturellen Leben ihrer Epoche, was eine Fortschrittsgeschichte hin zu einer bestimmten Funktion in einem bestimmten wissenschaftlichen oder praktischen Umfeld – zumindest – problematisch macht. Beim Atlas Catalan kamen schon früh islamische Einflüsse, die jüdischen Kartenmacher und der offensichtlich starke textliche Einfluss Marco Polos in die Diskussion. Neu im Zugriff der Autorin ist der systematische Abgleich mit Kaufmannsarchiven. Faszinierend ist weiterhin der Blick auf kulturelle Grenzen überschreitende ikonographische Einflüsse.

Die zusammenfassenden Bemerkungen von A. Hiatt und Yossef Rapoport fokussieren noch einmal auf die „Divergent Traditions“ der Stichproben, die der Band liefert. “In conclusion, it may be helpful to summarise in clear terms the extent of sure and certain transference between the Latin West and the Arabic-Islamic world, at the same time as indicating shared and divergent aspects of geographic culture.” (S. 189) Nicht zuletzt veränderte die Auseinandersetzung mit arabischem Material die Darstellung der Ozeane und damit das Bild der Welt sichtbar und signifikant. Auch wenn das Material von Muslimen kam, wurde es akzeptiert, weil es aus der antiken Überlieferung vertraut war (man könnte gegen diese Einschränkung einwenden, dass Kommentatoren zu Autoritäten werden konnten, obwohl sie als Muslime bekannt waren). Auch Weltkarten des 14. und 15. Jahrhunderts zeigen Spuren von arabisch-islamischem Einfluss, der politisch-strategisches Interesse an früher unbekannten Regionen zeigt, wie dem indischen Ozean oder afrikanischen Regionen. Umgekehrt gibt es relativ wenige sichere westliche Einflüsse auf arabische Geographie: Genannt werden kann der ins Arabisch übersetzte Orosius, der ein kulturelles Transfer-Milieu wie das Palermo Rogers II. und al-Idrisis betont. Mögliche Hindernisse bei der Einordnung geographischen und kartographischen Transfers in das Gesamtbild der Übersetzungen und kulturellen Einflüsse bleiben: Geographie als solche war im Westen noch kein institutionalisiertes Wissens-Thema; die vielen geographischen Details aus fernen Regionen zu identifizieren und sie dann vor allem kartographisch umzusetzen, blieb schwierig; die Funktion, die gerade lateinische mappae mundi hatten, kann bei der Rezeption den Blick gelenkt oder gar versperrt haben.

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