S. Barck: Im Dialog mit Werner Mittenzwei

Titel
Im Dialog mit Werner Mittenzwei. Beiträge und Materialien zu einer Kulturgeschichte der DDR


Herausgeber
Barck, Simone; Münz-Koenen, Inge
Erschienen
Berlin 2002: Trafo Verlag
Anzahl Seiten
353 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
PD Dr. Gerd Dietrich, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Nach dem kontrovers aufgenommenen Buch von Werner Mittenzwei "Die Intellektuellen Literatur und Politik in Ostdeutschland " nun das Buch über und das Gespräch mit Werner Mittenzwei. So wenig "Die Intellektuellen" eine Soziologie oder Geschichte der Intellektuellen/Intelligenz in der DDR ist, so wenig liegt hier eine Kulturgeschichte der DDR vor. Gleichwohl werden für beides anregende Beiträge vorgestellt. "Im Dialog" ist hervorgegangen aus einem Kolloquium, das anlässlich des 70. Geburtstages von Mittenzwei im Herbst 1997 in Berlin stattfand. "Organisiert von den Kollegen des von ihm im August 1969 begründeten Zentralinstituts für Literaturgeschichte (ZIL) an der Akademie der Wissenschaften der DDR, handelte es sich um eine Veranstaltung, auf der es - wie im Umgang mit W. M. typisch - angeregt streitbar und zugleich höchst freundschaftlich zuging. Es gelang etwas, das Brecht (der von W. M. lebenslang bevorzugte Gegenstand seines wissenschaftlichen Interesses) für Veranstaltungen solcher Art bereits in den 30er Jahren empfohlen hatte - 'die Leute in Arbeit zu verwickeln'. Vieles wurde diskutiert, manches blieb fragmentarisch und weckte den Wunsch nach weiterem Dialog oder auch nach Kontroverse." (S.11) Das Besondere dieses Buches ist es, dass nicht nur die Kolloquiumsbeiträge abgedruckt werden, sondern dass W. M. auf jeden Beitrag ad hoc antwortete und zur Diskussion anregte, was man ebenso nachlesen kann. Darüber hinaus komplettieren unveröffentlichte Quellen und schwer zugängliche Materialien den Band. Das ist also keine akademische Festschrift, sondern ein Arbeitsbuch mit einer Vielzahl nachdenkenswerter Angebote:
Da stellt Bärbel Schrader den jungen Theaterkritiker Mittenzwei und Therese Hörnigk den "P.E.N.- Bruder Brecht" vor, während Martina Langermann über den "Streit um die 'blinde Metapher'. Brecht, Kafka und die Folgen" spricht. Da denkt Inge Münz-Koenen über "1968/1988: Der postmoderne Lukàcs" nach, Werner Mittenzwei gibt "Erlesenes - Zerlesenes" von 1995 hinzu, Peter Th. Walther behandelt die "Akademiereform als Rahmenhandlung", Petra Boden zeichnet die Choreographie der Gründung des ZIL nach und Fritz Mierau erinnert "Es war einmal ein Institut..." Da macht Dorothea Böck abschweifende Betrachtungen zum 'Erbe': "Parallen und Kontraste. W. M. und die Relikten", Simone Barck betrachtet die "Exilforschung in der DDR - zwischen Nationalpreis und Parteiverfahren oder: Ein Lehrstück über Diskursspielräume in der Literaturwissenschaft in den 70er Jahren“, Hans G. Helms knüpft an den Mittenzwei von 1980 mit "Zur Ästhetik des Widerstands" an und Karlheinz Barck analysiert die Spielanteile des Liberos der Literaturwissenschaft W. M. "Im Abseits ist kein guter Kampfplatz". Da äußert sich Jan Knopf zur Neuausgabe der Werke Brechts "Ein Klassiker unklassisch präsentiert", Sebastian Kleinschmidt "Geschichtsschreibung, streng narrativ" und Hans G. Helms "Eine historische Mär von den Zwisten und Kümmernissen konservativer Literaten" machen Bemerkungen über das Buch von W. M. "Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen" von 1994 und Martin Fontius erinnert sich der Lektüre von "Mittenzweis Brecht-Biographie". Und zu all dem gibt, wie gesagt, Mittenzwei seinen würzigen Senf dazu!

In den Dokumenten und Materialien kann man erstens Auszüge aus der Debatte in der Akademie der Künste am 26.10.1984 zum Thema: "Biographie als produktive Aneignungsform des Erbes - das Beispiel Bertolt Brecht" nachlesen. Zweitens kommentieren Simone Barck und Inge Münz-Koenen den Zensurfall Brecht-Biographie bzw. deren Aufnahme in Ost und West. Im Folgenden sind hierzu Gutachten von Elisabeth Simons, Hermann Kähler, Magdalena Frank und Wolfgang Kießling, eine Aktennotiz von Ruth
Glatzer, zwei Briefe Klaus Selbigs an Klaus Höpcke und jeweils ein Brief von Mittenzwei an Elmar Faber und von Karheinz Selle an Klaus Höpcke sowie Auszüge aus Rezensionen und Interviews chronologisch aus den Jahren 1985/1986 wiedergegeben. In einem dritten Komplex werden Konzeptionspapiere und Anweisungen zur Gründung des ZIL von 1968 und 1969 vorgestellt. Und viertens ist ein bisher unveröffentlichtes Gespräch Hans G. Helms mit Werner Mittenzwei vom Januar 1991 dokumentiert: "Und so ein Mann wollte ich eigentlich werden" oder "Das Geheimnis des Theaters". Im Anhang befinden sich ein Schriftenverzeichnis, ausgewählt von W. M. selbst, sowie zahlreiche Fotos, Faksimiles, Personenregister und Autorenvorstellung.

Man kann diesen Band wohl kaum von Anfang bis Ende durchlesen, aber wo man auch einsteigt und wo sich das Interesse festhakt, er fordert in allen seinen Beiträgen und Teilen zum Dialog, zur Diskussion und zur Kontroverse heraus, zum Nach- und zum Weiterdenken. Der Libero, um Karlheinz Barcks Vergleich aufzunehmen, ist im modernen Fußball zwar abgeschafft, aber für eine kritische Analyse seiner Rolle in der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte der DDR kann man fündig werden. Hier agierte jedenfalls nicht "Pannen-Oli", sondern ein aufmerksamer, wenn auch nicht lupenreiner Libero. Freilich hatte er ein Heimspiel...

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