A. Patschovsky: Ein kurialer Ketzerprozeß

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Titel
Ein kurialer Ketzerprozeß in Avignon (1354). Die Verurteilung der Franziskanerspiritualen Giovanni di Castiglione und Francesco d'Arquata


Autor(en)
Patschovsky, Alexander
Reihe
Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte 64
Erschienen
Wiesbaden 2018: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XVIII, 136 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Hendryk de Boer, Universität Duisburg-Essen, Historisches Institut

Wie Alexander Patschovsky in der ebenso kundigen wie gründlichen Einleitung zu seiner Edition von Dokumenten zum Ketzerprozess gegen Giovanni di Castiglione und Francesco d’Arquata betont, war es ungewöhnlich, eine derartige Untersuchung nicht der örtlichen Ketzergerichtsbarkeit zu überlassen, sondern sie an die Kurie zu ziehen und sie von einem eigens eingesetzten Richter behandeln zu lassen. Hierbei handelte es sich um den Kardinal Guillaume Court, einen Zisterzienser, dem von Innozenz VI. der Prozess übertragen wurde. Der Papst hatte ebenfalls dafür gesorgt, dass die beiden Franziskanerspiritualen aus Carcassonne nach Avignon überstellt wurden. Als Zeugen traten überwiegend Mitglieder der familia des Kardinals auf, in dessen Palais der Prozess auch durchgeführt wurde. Dieser dauerte Patschovsky zufolge etwa einen Monat und endete mit der Verbrennung der Angeklagten am 3. Juni 1354. Zuvor waren der Prozessbericht Guillaume Courts sowie die beiden Urteile öffentlich verlesen worden. Darauf folgte die Degradation der beiden Franziskanerspiritualen. In einer Ansprache begründete der Kardinal schließlich noch einmal die Urteile, die dann von der weltlichen Gerichtsbarkeit vollstreckt wurden.

All diese Dokumente sind in unterschiedlicher Zusammenstellung und Redaktion in acht Handschriften überliefert und von Patschovsky in kritischer Edition hier erstmals vollständig zugänglich gemacht worden. Dies geschieht in Form eines Mischtextes unter Berücksichtigung der gesamten Überlieferung, wobei die Priorität auf einer Handschrift der British Library (MS Add. 6231A) sowie auf einer der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Cod. 1006 Helmst.) liegt. Angesichts des disparaten Textbestandes kommt die Edition mit einem reichen Variantenapparat daher. Ausführliche sachliche Erläuterungen erleichtern den Gebrauch der Edition erheblich.

Aufgrund des 1354 gewählten Untersuchungsverfahrens ist nicht nur die Avignoneser Untersuchung ausführlich dokumentiert, sondern auch diejenige in Carcassonne. Denn der Prozess an der Kurie stützte sich auf die Protokolle der vorausgegangenen Verhöre. Als belastend galt zudem ein kleines Büchlein mit Glaubenssätzen, welches Giovanni di Castiglione und Francesco d’Arquata bei sich hatten. Dieses hatte schon in Carcassonne dem Stellvertreter des örtlichen Inquisitors als Beleg dafür gegolten, es mit Häretikern zu tun zu haben. Dessen Inhalt ist teilweise überliefert, da er in die Prozessakten übernommen wurde. Nachdem Francesco d’Arquata in Carcassonne dazu gebracht worden war, seinen religiösen Überzeugungen abzuschwören, um diesen Widerruf bald darauf zu widerrufen, vertraten die beiden Beschuldigten in Avignon unverzagt jene Lehren, die zu glauben ihnen vorgeworfen wurde. Rechtlich war das Todesurteil damit unausweichlich, denn beide hatten sich in ihrer Weigerung zu widerrufen beziehungsweise durch den Widerruf des Widerrufs als verstockte Ketzer erwiesen. Damit war das Bemühen des Kardinals, die Angeklagten dazu zu bringen, den ihnen vorgeworfenen Irrtümern abzuschwören, gescheitert.

Was die inkriminierten Lehren betrifft, bietet der Prozess keine Überraschungen. Mit der Lehre, Christus und die Apostel hätten kein Eigentum besessen, vertraten Giovanni di Castiglione und Francesco d’Arquata jene Überzeugung, die – aus Sicht der Franziskanerspiritualen – von Nikolaus III. in Exiit anerkannt und von Johannes XXII. zu Unrecht revidiert worden war, da eine einmal getroffene päpstliche Entscheidung bindend sei. Dass sich die beiden Beschuldigten auf den Apokalypsekommentar des Petrus Johannes Olivi bezogen, machte die Sache aus Sicht der Amtskirche noch schlimmer. Wie die Fragen Guillaume Courts verraten, war vor allem die sich auf Olivi und Joachim von Fiore berufende These, die gegenwärtige Kirche werde von einem Heuchler beherrscht und bald erneuert, aus Sicht der Kurie gefährlich.

Der Kardinal beschränkte sich nicht auf das Dogmatische, sondern war auch bemüht, Informationen über das Unterstützernetzwerk der Franziskanerspiritualen zu erhalten. Auf dieses verweist auch der Inhalt des kleinen Büchleins, für dessen Herkunft sich Guillaume Court ebenfalls interessierte, allerdings ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten. Die darin enthaltene Confessio des Laien Francesco sowie eine allgemeine Confessio verraten einen rechtskundigen Autor. Ein auch andernorts belegter Martyrolog mit den Namen jener 113 Franziskanerspiritualen, die seit 1318 verbrannt worden waren, verweist auf eine eigene, derjenigen der Amtskirche widerstreitende Erinnerungskultur der Bewegung. Giovanni di Castiglione und Francesco d’Arquata hatten das Büchlein wohl in Italien erhalten, sein Inhalt verweist aber auf einen südfranzösischen Ursprung, was wiederum auf ein dichtes Kommunikations- und Beziehungsnetz der Spiritualenbewegung hindeutet.

Patschovskys exzellente Ausgabe erleichtert den Zugriff auf diese hochgradig aufschlussreiche Quelle für weitere Untersuchungen erheblich. Es dürfte noch manche Einsicht zu gewinnen sein – sei es zu den Lehren, der religiösen Praxis und den kommunikativen Netzwerken der Franziskanerspiritualen, sei es zum Avignoneser Papsttum und seinem Vorgehen gegen die religiöse und kirchenpolitische Opposition, sei es zur praktischen Durchführung von Häresieprozessen.

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