M. Frölich u.a. (Hgg.): Lachen über Hitler - Auschwitz-Gelächter?

Cover
Titel
Lachen über Hitler - Auschwitz-Gelächter?. Filmkomödie, Satire und Holocaust


Herausgeber
Frölich, Margrit; Loewy, Hanno; Steinert, Heinz
Reihe
Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts 19
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
€ 27,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Classen, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Harald Schmidt hat in einem Interview einmal gesagt, er habe früher geglaubt, es müsse in Deutschland möglich sein, Witze über Michel Friedmans Krawatten zu machen; heute sei ihm klar, dass daran überhaupt nicht zu denken sei.1 Jenseits der satirischen Übertreibung steckt dahinter eine treffende Beobachtung: Bei kaum einem Thema sind die diskursiven Grenzen so eng gezogen und werden so rigide bewacht wie im Falle des deutsch-jüdischen Verhältnisses und des Holocaust. Nichts scheint hier weniger angezeigt als Humor und Satire.

In letzter Zeit gibt es allerdings Indizien, dass sich dies ein wenig ändern könnte. Speziell im Film haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges satirische Formen etabliert – was freilich von Skandalisierungen und aufgeregten öffentlichen Debatten begleitet ist. Die Diskussionen um Roberto Benignis Komödie „La vita è bella” („Das Leben ist schön“, Italien 1997) weisen darauf hin, dass dieser Film den Kristallisationspunkt eines diskursiven Umbruchs markiert, bei dem das Verhältnis zum Nationalsozialismus und zum Holocaust zwischen den Generationen neu bestimmt wird. Hier setzt der vorliegende Tagungsband ein: Untersucht wird dieser Wandel, der sich seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre auch an zahlreichen anderen Filmen ablesen lässt – wie etwa „Train de Vie“ (Frankreich 1998) oder „Jacob the Liar“ (USA 1999). Das „tragische“ Narrativ scheint durch dasjenige der Komödie bzw. der Satire abgelöst oder ergänzt zu werden.

Ihre Einleitung nutzen die Herausgeber nicht nur, um dieses Phänomen zu beschreiben. Vielmehr ergreifen sie auch explizit Partei, indem sie mit Imre Kertész den „Holocaust-Konformismus“ einer auf „Authentizität“ zielenden Darstellung zurückweisen. Kunstwerke, so die Autoren, tragen eine eigene „Wahrheit“ in sich, die nicht in der Vermittlung von Informationen aufgeht, sondern auch Vorstellungen, Wünsche und Phantasien repräsentiert (S. 16f.). Daher plädieren sie für eine Entgrenzung der NS- und Holocaust-Repräsentationen gerade auch im Hinblick auf satirische Genres: „Lachen darf man nicht, lachen muss man“, so der programmatische Titel. Aus dieser Positionierung ergeben sich die zentralen Fragestellungen, die sich mehr oder minder explizit durch den Band ziehen: Wann kann eine Darstellung für sich in Anspruch nehmen, dem historischen Gegenstand gegenüber „angemessen“ zu sein, und welche spezifische Leistung kommt satirischen Genres bei der Darstellung zu?

Die Verschiebung der diskursiven Grenzen, also des Sag- und Zeigbaren, sowie die Potenziale und Grenzen unterschiedlicher narrativer Muster sind das Thema der ersten Aufsätze. Für die israelische Filmwissenschaftlerin Yosefa Loshitzky bleibt auch Benignis Universalisierung des Holocaust zu einer Metapher für den Sieg der Menschlichkeit über „das Böse“ dem Tabu verhaftet, sich den Holocaust vorzustellen. Aus ihrer Perspektive bildet der Film daher zusammen mit Spielbergs „fiktionaler Inszenierung des Unvorstellbaren“ und Claude Lanzmanns Tabu direkter visueller Repräsentationen eine aufeinander aufbauende „Holocaust-Filmtrilogie des 20. Jahrhunderts“, deren „merkwürdige, gar nicht so heilige Trinität“ (S. 34) es erst noch zu durchbrechen gelte.

Weniger skeptisch fällt der Blick Hanno Loewys und Joachim Paechs auf die Holocaust-Komödien aus. Während ersterer die Affinität konventioneller Holocaust-Erzählungen zum Genre der Romanze herausarbeitet, aus denen Authentifizierungsstrategien à la Spielberg keinen Ausweg bieten, unterstreicht letzterer das aufklärerische Potenzial satirischer Annäherungen an das Thema und erhofft sich davon, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust „nicht mehr auf den durch Rituale der Ernsthaftigkeit geschützten Bereich der Schulstunden, Versammlungen und Gedenkveranstaltungen“ beschränkt bleibe (S. 66). In beiden Aufsätzen werden jedoch zugleich die hohen Voraussetzungen des Lachens problematisiert: Es sei, so Loewy, immer an ein gemeinsames „kulturelles Wissen“ gebunden, das in fragmentierten Öffentlichkeiten ein prekäres Gut ist (S. 61f.).

Der zweite Abschnitt des Buches beschäftigt sich mit zeitgenössischen Satiren über den Nationalsozialismus aus den 1940er-Jahren. Burkhardt Lindner analysiert hier die beiden Chaplin-Filme „The Great Dictator“ (USA 1940) und „Monsieur Verdoux“ (USA 1947) und fragt nach dem Zusammenhang zwischen der strukturellen Amnesie beim Lachen und der Verdrängung des Genozids. Stephan Braese widmet sich am Beispiel von Heinrich Manns „Filmroman“ „Lidice“ (1942) den Möglichkeiten von Literatur und Satire im Angesicht des nationalsozialistischen Terrors, und Ronny Loewy untersucht amerikanische Anti-Nazi-Filme aus dem Zweiten Weltkrieg. Diese eher werkimmanent angelegten Aufsätze leisten nicht immer eine hinreichende historische Kontextualisierung; so wirkt es beispielsweise etwas anachronistisch, wenn Braese Alexander Abusch vorwirft, er habe in einer Rezension für das „Freie Deutschland“ zu wenig Sensibilität für die „ästhetische Eigentümlichkeit“ und die „subversive literaturpolitische Aufladung“ von Heinrich Manns Roman bewiesen (S. 118). Am instruktivsten ist hier noch Ronny Loewys knappe Skizze, die zeigt, wie stark sich die Präsentation der Feinde am normativen Mainstream des (klein)bürgerlichen Amerikas orientierte: Die Nazis wurden in den Hollywood-Produktionen als verantwortungslose und latent schwule Junggesellen gezeichnet, die es auf die Zerstörung der Familie abgesehen hätten.

Der dritte Abschnitt des Buches wirft die zentrale Frage nach der Bedeutung von Generationen für den Wandel der Vergangenheitsdarstellungen auf. Die engere Frage nach dem Umgang mit deutscher Schuld thematisiert neben Thomas Elsässers wenig kontextualisierter Auseinandersetzung mit Herbert Achternbuschs avantgardistischem Film „Das letzte Loch“ (BRD 1981) insbesondere Christian Schneider in seiner psychoanalytisch fundierten Analyse von „La vita è bella“. Er interpretiert den Film als „maßgeschneidertes Angebot“ an die „zweite Generation“ (S. 142), also die Kinder der NS-Täter, die die versöhnende, regressiv-befreiende Botschaft des Filmes von ihrem Schuldkomplex befreien könne. So scharfsinnig viele von Schneiders Beobachtungen sind, so einschränkend erscheint hier die psychoanalytische Fixierung auf Schuld und Elternbeziehungen: Zum einen kann sich dies praktisch nur auf den deutschen Kontext beziehen und erklärt somit kaum die Anlage und Wirkung des (italienischen) Films, zum anderen wäre selbst für Deutschland erst noch zu belegen, dass das Gefühl von Schuld tatsächlich über Minderheiten hinaus einen generationellen Erfahrungszusammenhang im Sinne Karl Mannheims konstituiert hat.

Auch die beiden übrigen Aufsätze dieses Abschnitts konzentrieren sich auf „La vita è bella“. Silke Wenks Interpretation des Films als „post-mémoire-Film“, der die Ebene der nachträglichen Konstruktion von Erinnerung stets mitthematisiere, vermag der Rezensent nicht nachzuvollziehen, ebensowenig wie die auch in Kathy Lasters und Heinz Steinerts emphatischer Auseinandersetzung mit dem Film vertretene These, das Ende des Films repräsentiere einen „rücksichtslos[en] Verstoß gegen die Genre-Regeln“ (S. 195).

Im vierten Kapitel werden vor allem neuere Satiren und Remakes der 1990er-Jahre in den Blick genommen. Besonders hervorzuheben ist hier Margrit Frölichs Analyse des Originals und des Remakes von „Jacob der Lügner“ nach Jurek Beckers berühmtem Buch. Frölich zeigt eindrucksvoll, wie die Absage an alles Heroische und den „Mythos des Authentischen“, die die DEFA-Verfilmung durch Frank Beyer 1974 auszeichnete, in der amerikanischen Neuverfilmung von 1999 in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Neben einer Abhandlung über die Komödien von Mel Brooks (Kathy Laster und Heinz Steinert) und einer Untersuchung der narrativen Struktur von „Train de Vie“ (Géraldine Kortmann) findet sich hier ein Aufsatz von Ruth Libermann, die anhand verschiedener Beispiele aus Film, Kunst und Literatur den Potenzialen und Gefahren einer „karnevalesken“ Darstellung des Holocaust nachgeht. Schließlich widmet sich Lutz Koepenik den deutsch-jüdischen Melodramen der späten 1990er-Jahre wie „Comedian Harmonists“ (1997) und „Aimée und Jaguar“ (1998), deren satirische Grenzverschiebungen und Versöhnungsinszenierungen er kritisch als Ausdruck nationaler Normalisierungswünsche interpretiert. Eine umfangreiche Filmografie zur Komödie und Satire in der Repräsentation des Holocaust rundet den Band ab.

Insgesamt bietet das Buch eine Fülle anregender Erkenntnisse und Interpretationen, und wer sich über satirische Filme zum Nationalsozialismus und zum Holocaust informieren möchte, wird hier gut bedient. Eine Schwäche liegt vor allem darin, dass Bezüge zu neueren Erinnerungskultur-Forschungen, wie sie aus sozialpsychologischer, historisch-kulturwissenschaftlicher und politologischer Richtung vorgelegt worden sind, nur punktuell und auch nur von einigen Autoren hergestellt werden. Anstatt die Bedingungen einer sich verändernden Erinnerungskultur zu reflektieren, die unter anderem durch Transnationalisierung, Aufmerksamkeitszyklen und Kommerzialisierungstendenzen, geschichts- und identitätspolitische Interessen sowie die Ablösung von der Primärerfahrung geprägt ist, verstehen sich zahlreiche Beiträge offenbar eher als Parteinahmen in den aktuellen Debatten. Besonders die Abwehr von Authentizitätsansprüchen führt bisweilen zu einem unkritischen Blick auf die aktuellen Tendenzen, deren Kosten etwas unterbelichtet erscheinen – etwa im Hinblick auf die Entkonkretisierung und Vermarktung der NS-Erinnerung.

Anmerkung:
1 Interview mit Harald Schmidt und Thomas Gottschalk, in: stern, 18.2.1999, S. 46-58.

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