U. Pfeil: Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen

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Titel
Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990


Autor(en)
Pfeil, Ulrich
Reihe
Zeithistorische Studien 26
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
704 S.
Preis
€ 64,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carine Germond, DFG-Graduiertenkolleg "Europäische Gesellschaft", Universität Duisburg-Essen

Seit einiger Zeit blickt die DDR-Forschung, der in Deutschland eine Krise attestiert wird1, über den nationalen bzw. innerdeutschen Tellerrand hinaus und widmet sich zunehmend den transnationalen Beziehungen Ost-Berlins mit westlichen Staaten. Wenngleich zwei vor kurzem erschienene Studien die außenpolitischen Beziehungen der DDR-Regierung mit Großbritannien unter die Lupe nahmen2, so blieben jedoch jene „anderen“ deutsch-französischen Beziehungen weitgehend ein „vergessener Bereich der deutsch-französischen Beziehungen“ (S. 31).3 Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Beziehungen Ost-Berlins mit Paris lange Zeit im Schatten der privilegierten (west-)deutsch-französischen Zusammenarbeit standen.

Mit seiner nun vorliegenden Habilitationsschrift über die DDR und Frankreich 1949-1990, die er im Dezember 2002 an der Universität Lille verteidigt hat, schließt Ulrich Pfeil diese Forschungslücke auf eindrucksvolle Weise. Der Umfang der ausgewerteten Quellen und Literatur ist beeindruckend und der methodische Ansatz ist überzeugend. Jedoch trügt der Titel des Buches, denn Pfeil behandelt weniger die bilateralen ostdeutsch-französischen Beziehungen als das Dreiecksverhältnis BRD-DDR-Frankreich, wie er einleitend klarstellt. Ihm geht es in erster Linie darum, das Geflecht der Beziehungen der drei Staaten und ihrer Gesellschaften zueinander darzustellen, wobei er Frankreich primär als Aktionsfeld west- und ostdeutscher Außenpolitik und Ziel der legitimationsstrategischen Aktivitäten beider deutschen Staaten darstellt. Dass es sich dabei um ein stark asymmetrisches Verhältnis zugunsten der westdeutschen Seite handelt, geht aus Pfeils Studie deutlich hervor. Dabei schließt er sich einem neuen Forschungstrend in der DDR-Forschung an. In Anbetracht der ständigen Abgrenzung-Verflechtung bzw. Auseinandersetzung-Rivalität zwischen beiden deutschen Staaten soll die DDR-Geschichte nicht mehr getrennt von der Geschichte ihres ideologischen Counterpart erforscht werden, d.h. die DDR sollte nicht mehr separat behandelt, sondern als Teil eines Ganzen untersucht werden (S. 25f.). Für die deutsch-französischen Beziehungen wiederum bedeuten diese methodischen Neuorientierungen, dass das ostdeutsch-französische Verhältnis ohne Beachtung der BRD und des innerdeutschen Systemkonflikts sich nur unvollkommen rekonstruieren lässt.

Als zeitliche Zäsur bzw. den chronologischen Wendepunkt nimmt Ulrich Pfeil die 1973 erfolgte offizielle Anerkennung der DDR. Dabei teilt er die erste Phase 1949 bis 1973 in zwei Kapitel ein. Im ersten Kapitel schildert er die politischen „Nullbeziehungen“ und im zweiten die DDR-Imagepolitik, die durch Kontakte mit Akteuren des Sozial-, Kultur- und Wirtschaftslebens die begrenzten offiziellen diplomatischen Beziehungen ersetzen sollte. Im dritten und letzten Kapitel stehen die offiziellen Beziehungen zwischen Paris und Ost-Berlin nach der diplomatischen Anerkennung bis zur Vereinigung beider deutscher Staaten im Mittelpunkt, wobei Pfeil nicht nur die allmähliche, nicht konfliktfreie Normalisierung der politischen Kontakte beider Regierungen darstellt, sondern ebenfalls deren Auswirkung auf die Kultur- und Parteibeziehungen. Dabei begibt sich Pfeil auf die Spuren der Wechselbeziehung der drei Staaten und ihrer Gesellschaften. Insbesondere geht er den Fragen nach, welche Rolle die französische Seite in der deutsch-deutschen Auseinandersetzung spielte, welche Bedeutung der ostdeutschen Seite für die westdeutsch-französischen Beziehungen zukam und schließlich in welcher Form die westdeutsche Seite auf die ostdeutsch-französischen Kontakte einwirkte.

In der ersten Phase waren die außenpolitischen Kontakte zwischen Frankreich und der DDR von dem Umstand geprägt, dass von zwischenstaatlichen diplomatischen Beziehungen bis 1973 bzw. bis zur Akkreditierung des ersten ostdeutschen Botschafters in der französischen Hauptstadt nicht die Rede sein konnte. Trotz aller Anerkennungsbemühungen seitens der DDR widersetzte sich die französische Regierung stets, den Kontakten zu Ost-Berlin jedweden offiziellen Charakter zu verleihen – nicht zuletzt aus Rücksicht auf den bundesdeutschen Partner, der außenpolitische Priorität behielt. Diese harte Position Frankreichs konnte jedoch nur bedingt verhindern, dass die DDR sich zunehmend als aufstrebender Staat profilierte (S. 95f.). Hier gelang es der DDR, die Autonomiestrebungen General de Gaulles innerhalb des westlichen Bündnisses weitgehend für sich zu nutzen, auch wenn sie damit scheiterte, einen Keil in die (west-)deutsch-französischen Beziehungen zu treiben. Unter dem Zeichen des Kalten Krieges und der Wahrung seiner Sicherheitsbedürfnisse bzw. seiner alliierten Rechte für Deutschland als Ganzes verstand Frankreich seine Beziehungen zu Ost-Berlin als Teil seiner Deutschlandpolitik bzw. als Teil der deutschen Frage.

In der Tat gelingt es Pfeil, nicht nur die Anerkennungstaktik der ostdeutschen politischen Verantwortlichen nachzuweisen. Im zweiten Kapitel legt er ihre Wirkungsmöglichkeiten auf ihre französischen kommunistischen Bündnisgenossen – Parteien und Gewerkschaften – sowie ihre diskursiven Strategien und personellen Verbindungen offen. Dabei ging es der DDR-Staatsführung in erster Linie darum, auf indirektem Wege Forschritte in der DDR-Anerkennungspolitik, möglicherweise bis zur de facto Anerkennung, zu erzielen. Pfeils Untersuchung macht im Übrigen klar, dass die ostdeutsche „Andersartigkeit“ bewusst als Teil der propagandistischen Selbstinszenierung der DDR benutzt wurde. Sie setzte auf einen historisch-moralisch heraufbeschworenen Antifaschismus, der als ideologische Grundlage bzw. Bindeglied zwischen PCF und SED sowie zu alten Résistance-Kämpfern fungieren sollte, selbst wenn die Akzente anders gesetzt wurden. Diese „Andersartigkeit“ wurde geschickt und gezielt in Richtung Frankreichs eingesetzt, da sie weitgehend dem traditionsreichen, im französischen Unterbewusstsein weiterhin präsenten Bild der „deux Allemagnes“ entsprach, und sie verlieh diesem Doppelbild eine neue politische Dimension mit deutlichen Wertungen: das „gute“ Deutschland, die DDR, versus das „böse“ bzw. friedensfeindliche Deutschland, die BRD (S. 416f.). Dass diese „Imagepolitik“ etwa zwei Drittel des Buches ausmacht, verdeutlicht die relativ erfolgreiche Strategie der ostdeutschen Regierung, soziale, gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Kontakte ständig zu politisieren bzw. schleichend für außenpolitische Zwecke zu instrumentalisieren und allmählich „als ein alternativer deutscher Staat wahrgenommen zu werden“ (S. 429).

Die diplomatische Anerkennung änderte an dieser Konstellation nichts Wesentliches, weder auf Regierungsebene, da die französischen Präsidenten ein grundlegendes Interesse an dem Status quo hatten, noch auf Parteiebene. So kommt es nicht von ungefähr, dass selbst im letzten Kapitel, das den offiziellen Beziehungen gewidmet ist, die diplomatischen und politischen Kontakte eine eher geringe Rolle spielen. Im Übrigen war Frankreich nicht gewillt, die ostdeutsch-französischen Kulturbeziehungen zu formalisieren, weil die DDR-Führung sie weiterhin zur staatlichen Profilierung auf der internationalen Szene instrumentalisieren wollte. Doch die hierfür notwendige Öffnung zum Westen leitete einen Prozess der Erosion ein, welchen die DDR immer weniger beherrschte (S. 519). So scheiterte das DDR-Vorhaben, ihre „staatliche Souveränität und ‚Zwei-Nationen-Theorie’ in Abgrenzung zur BRD sowohl institutionell wie auch geschichtspolitisch abzusichern“, zum größten Teil (S. 498). Die zunehmenden Kontakte zwischen der DDR und Frankreich konnten im Endeffekt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Präferenzen der französischen politischen Verantwortlichen schlechthin Bonn galten.

Pfeils quellengestützte, dickleibige, aber gut lesbare Untersuchung hebt unverkennbar hervor, dass die DDR ihre Wirkungsmöglichkeiten im Hinblick auf Frankreich und die bundesdeutsch-französische Partnerschaft weitgehend überschätzte. Seine Studie ist insofern eine bemerkenswerte Leistung, als das ost- und westdeutsch-französische Beziehungsgeflecht nicht allein auf der politisch-diplomatiegeschichtlichen Ebene, sondern gleichzeitig als asymmetrische und dynamische Dreiecksbeziehung auf der wirtschaftlichen, soziokulturellen und gesellschaftlichen Ebene erforscht wird. Dadurch setzt diese Studie neue methodische Maßstäbe für eine histoire croisée und sollte deshalb alle Historiker der im weitesten Sinne verstandenen deutsch-französischen Beziehungen in ihren Forschungen weiter anregen.

Anmerkungen:
1 Exemplarisch siehe hierzu Bispinck, Henrik; Hoffmann, Dierk; Schwartz, Michael; Skyba, Peter; Uhl, Matthias; Wentker, Hermann, „Ist die DDR-Forschung wirklich in der Krise“, in: <http//www.ifz.muenchen.de/neu/ddr/forschung.pdf>.
2 Vgl. Bauernkämper, Arndt (Hg.), Britain and the GDR. Relations and Perceptions in a Divided World, Berlin 2002; Hoff, Henning, Großbritannien und die DDR 1955-1973. Diplomatie auf Umwegen, München 2003.
3 Erste Ansätze bietet hierfür Röseberg, Dorothee (Hg.), Frankreich und „das andere Deutschland“. Analysen und Zeitzeugnisse, Tübingen 1999.

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