A. Herbst u.a.: Deutsche Kommunisten

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Titel
Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945


Autor(en)
Herbst, Andreas; Weber, Hermann
Erschienen
Anzahl Seiten
992 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Eumann, Köln

Die Hochzeit der Forschung über die Arbeiterbewegung und die Arbeiter liegt inzwischen einige Jahre zurück. Auch die Forschung über die Geschichte des deutschen Kommunismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Teilbereich der Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung hatte ihren Höhepunkt, lange bevor die Wende von 1989 die besseren (westlichen) Ansätze mit den besseren (östlichen) Quellen vereinigte. Ein biografisches Handbuch über die führenden Funktionäre der Weimarer KPD und des kommunistischen Widerstands kommt daher leider etliche Jahre zu spät.

Der große Vorzug des vorliegenden biografischen Handbuchs liegt darin, dass es eine ganz spezielle Kollektivbiografie der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ist, und als solche die besondere Tragik des Kommunismus im 20. Jahrhundert auf individueller Ebene nachzeichnet. Keine andere gesellschaftliche Gruppe hatte so sehr zugleich unter den Verfolgungen im nationalsozialistischen Einflussbereich und unter den stalinistischen “Säuberungen” in der Sowjetunion zu leiden wie die Funktionäre der Weimarer KPD. Von den 1.400 hier aufgenommenen kommunistischen Parteifunktionären kamen in den 1930er und 1940er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts allein 400 ums Leben. 222 von ihnen wurden Opfer des NS-Regimes, 178 im sowjetischen Exil getötet. Die Biografien dieser Menschen dem Vergessen zu entreißen, darin liegt das Hauptverdienst dieses Werkes.

Den biografischen Einträgen ist eine kurze einleitende Skizze der Geschichte der KPD in der Weimarer Republik vorangestellt. Darin wiederholen die Autoren in erster Linie die sattsam bekannten Thesen aus der 1969 erschienenen Dissertation Hermann Webers über die “Stalinisierung” der KPD, also über ihre wachsende Abhängigkeit von der Kommunistischen Internationale und die zunehmende Entdemokratisierung der Partei. Eine grundlegende sozialstatistische Auswertung dieses einzigartigen Materials, wie sie bei kollektivbiografischen Werken heutzutage obligatorisch ist, sucht man leider vergebens. Eine solche hätte wissenschaftliche Einblicke in die Weimarer KPD liefern können, die kein anderer Forschungsansatz zu leisten vermag. Zentrale sozialhistorische Fragen auf der Aggregatebene wie etwa nach der sozialen Herkunft der KPD-Funktionäre, ihren Beitrittswegen, den Kriterien der Rekrutierung hauptamtlichen Personals, den Karrierewegen oder den Verfolgungsschicksalen bleiben daher unbeantwortet. Die daran anschließende Typologie kommunistischer Funktionäre - “allerlei fanatische Revoluzzer, kompromißlose Radikalinskis, verwegene Abenteurer, korrumpierte Egoisten, rücksichtslose Gewaltmenschen und zynische Karrieristen und selbst brutale Rabauken” (S. 29f.) - bleibt auf der Oberfläche.

In ihren auf die Einleitung folgenden, recht kurzen Anmerkungen zur Methode begründen die Autoren die Aufnahme von Personen in das Handbuch. Ein nahe liegendes Kriterium wäre - sofern quellenmäßig ermittelbar - die Hauptamtlichkeit eines Funktionärs in Kombination mit einem Mindestzeitraum. Weber und Herbst haben dies übersetzt in eine Reihe von mehr als 20 unterschiedlichen Funktionen und Ämtern, darunter die Teilnahme am Gründungsparteitag Ende 1918, die Zugehörigkeit zum Zentralkomitee, die Tätigkeit als Redakteur des Zentralorgans “Rote Fahne” oder als Parlamentarier im Reichstag oder in den Landtagen. Mit diesem Filter wird man sicherlich den überwiegenden Teil der hauptamtlichen Funktionäre erfassen. Darüber hinaus findet man hier aber auch eine ganze Reihe von Funktionären, die das jeweilige Kriterium oft nur rein formal erfüllten. Gerade in den letzten Jahren der legalen Parteiexistenz wurden aus ideologischen Gründen vielfach ‚einfache‘ Genossen für Parteitage delegiert und für den Reichstag aufgestellt, die aber sonst weiter keine Rolle gespielt haben. Demgegenüber bleiben die vielen Quasi-hauptamtlichen außen vor, die sich in der Endphase der Weimarer Republik über die Leistungen des Arbeitsamtes oder der städtischen Wohlfahrt mehr schlecht als recht finanzierten. Neben den ausgewiesenen Funktionären wurden mehr als 20 der Partei angehörige oder nahe stehende Prominente wie zum Beispiel John Heartfield, Wilhelm Reich oder Heinrich Vogeler in das Handbuch aufgenommen.

Den Großteil des fast tausendseitigen Buches bilden mit 850 Seiten selbstverständlich die 1.400 biografischen Einträge. Die einzelnen Artikel beginnen mit Informationen über den Geburtstag, den sozialen Familienhintergrund, den Schul- oder Studienabschluss bzw. den Ausbildungsberuf und den ausgeübten Beruf. Die politische Sozialisation lässt sich anhand von Informationen über den Gewerkschafts- und Parteibeitritt, die dort ausgeübten Funktionen und die Zugehörigkeit zu innerparteilichen Gruppierungen (“Fraktionen”) nachvollziehen. Für die Zeit nach 1933 werden wir über Widerstandstätigkeit, Exil, Verfolgung, Haft und Urteile und Todesumstände informiert. Für die Jahre nach 1945 werden die Parteizugehörigkeit, die Funktionen, die Veröffentlichungen und die Ehrungen angegeben, die die Porträtierten ausgeübt oder erhalten haben. Abgerundet werden die einzelnen biografischen Artikel durch Hinweise auf weiterführende (auto-)biografische Literatur, auch wenn dies nicht systematisch geschieht.

Die 1.400 Beiträge sind zumeist sehr dicht geschrieben und enthalten alle für den Leser eines derartigen Handbuchs relevanten Informationen. Sofern - wie etwa bei Max Opitz (S. 548ff.) oder Joseph Schlaffer (S. 662ff.) - ausführlicher aus Quellen zitiert wird, ist dies zumeist gut begründet. Der Umfang der biografischen Artikel schwankt zwischen einem Drittel einer Spalte für Kurzzeitpolitiker wie Karl Höflich (S. 317) und den neun Spalten, die Weber und Herbst für Rosa Luxemburg reserviert haben. Am schmerzlichsten empfindet man das Fehlen jeglicher Belege für Aussagen in den einzelnen Artikeln. Das fällt besonders bei der Beschreibung der innerparteilichen politischen Ausrichtung der aufgeführten Funktionäre ins Gewicht. Daher wird nicht transparent, ob eine Person sich laut eigener Aussage mit bestimmten Richtungen (relativ dauerhaft) identifiziert hat oder ob es sich nur um eine (eventuell zweifelhafte und zeitlich begrenzte) Zuschreibung durch andere Funktionäre handelt.

Die biografischen Informationen sind im Allgemeinen sehr zuverlässig. Die beiden Autoren haben mit großer Akribie eine Unmenge von Quellen aus verschiedensten Beständen ausgewertet. Leider haben sie aber offenbar darauf verzichtet, auch noch die im Berliner Bundesarchiv vorhandenen umfangreichen Akten der Parteibezirke näher heranzuziehen. Darauf lassen jedenfalls gewisse Ungereimtheiten schließen. So war zum Beispiel Horst Fröhlich laut internen Unterlagen der Bezirksleitung (BL) Berlin-Brandenburg nicht nur 1926/27 (S. 223), sondern bis 1929 Leiter der Agitprop-Abteilung der BL. In diesem Jahr wurde er von Ewald Blau abgelöst, was im entsprechenden Handbucheintrag nicht vermerkt ist (S. 101). Dementsprechend war Bernward Gabelin 1927/28 nicht Agitpropleiter der BL Berlin-Brandenburg; er blieb wie zuvor (und auch im Handbuch auf S. 230 vermerkt) Leiter des Literaturvertriebs der BL.

Schon ein erster kursorischer Durchgang der biografischen Artikel zeigt einmal mehr die doppelte Herkunft der KPD aus der Vorkriegssozialdemokratie und der Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs. Für so gut wie alle hier erfassten Funktionäre, die nicht aus Arbeiterfamilien stammten, waren die Teilnahme am Weltkrieg oder ihre Erlebnisse an der “Heimatfront” einschneidende Erfahrungen, die bei vielen einen lang anhaltenden Radikalisierungsschub auslösten. Wer hingegen aus proletarischen Verhältnissen stammte, war zu großen Teilen schon früh Mitglied der SPD und der freien Gewerkschaft geworden. Die ebenfalls durch das Kriegserlebnis ausgelöste Radikalisierung führte die meisten über die USPD 1920 in die Vereinigte Kommunistische Partei. Bezüglich der Nachkriegszeit fällt besonders die Systematik des Misstrauens gegenüber den West-Emigranten in der DDR auf sowie die Vielzahl von SED-Mitgliedern, die durch ihren Kontakt zu Noel H. Field während des Zweiten Weltkriegs in der DDR Repressalien ausgesetzt waren.

Der Anhang, der das letzte Zehntel des Werkes umfasst, liefert weitere Daten zur historischen Einordnung der Biografien: Listen der Funktionäre der zentralen Instanzen auf Reichsebene, Listen der wichtigsten Funktionäre der verschiedenen Bezirke und Listen der Reichs- und Landtagsabgeordneten der KPD.

Fazit: Insgesamt ein opulentes, sehr informationsschweres Werk. Die Ressourcen wären aber effizienter eingesetzt gewesen, hätte man auf den Anspruch der hohen Zahl zugunsten einer noch tieferen Durchdringung des vielfältigen und disparaten Quellenmaterials und einer ausgefeilten, statistisch fundierten Analyse verzichtet.

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