P. Terhoeven: Liebespfand fürs Vaterland

Cover
Titel
Liebespfand fürs Vaterland. Krieg, Geschlecht und faschistische Nation in der italienischen Gold- und Eheringsammlung 1935/36


Autor(en)
Terhoeven, Petra
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 105
Erschienen
Tübingen 2003: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
594 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Tacke, Castelfiorentino

Man könnte meinen, dass der Forschungsbereich der politischen Symbolik, nationalen Repräsentation und Festkultur angesichts einer Vielzahl von Publikationen in den letzten Jahren mittlerweile ‚ausgereizt‘ sei und neue Publikationen im Grunde nur noch Variationen eines Themas darstellen könnten. Weit gefehlt! Petra Terhoeven hat sich mit ihrer Dissertation über die faschistische Gold- und Eheringsammlung in Italien 1935/36 mit gutem Spürsinn einem Ereignis zugewandt, dass eigentlich bereits mehr als bekannt war, jedoch bisher nicht systematisch untersucht worden ist. Das Thema erlaubt ihr nicht nur, zentrale Aspekte vor allem der Regimephase des italienischen Faschismus wie durch ein Brennglas zu bündeln und aufeinander zu beziehen, sondern auch bisher vernachlässigte Fragen der Geschichte des faschistischen Ventennio aufzugreifen und zu bearbeiten. Dabei ist es ihr gelungen, zentrale Aspekte der Geschlechtergeschichte, insbesondere des Verhältnisses von Geschlecht und Nation mit der Analyse faschistischer Staatsrepräsentation und -symbolik zu verbinden.

Unter dem Motto „oro per la patria“ – Gold fürs Vaterland – startete das faschistische Regime im Herbst 1935 eine propagandistisch groß angelegte Kampagne zur Mobilisierung der italienischen Bevölkerung, mit der es nicht nur den Konsens der Italiener für den völkerrechtswidrig im Oktober vom Zaun gebrochenen und mit verbrecherischen Methoden geführten Krieg gegen Äthiopien innen- wie außenpolitisch darzustellen suchte, sondern, so eine der zentralen Thesen von Petra Terhoeven, gleichzeitig eine grundsätzliche Zustimmung der italienischen Bevölkerung zur gegenwärtigen und zukünftigen faschistischen (Kriegs-)Politik einforderte. Kulminationspunkt dieser Kampagne war die am 18. Dezember 1935 zeitgleich in allen Städten und Dörfern des Landes veranstaltete „Giornata della Fede“, bei der die italienische Bevölkerung, vor allem aber die Frauen aufgerufen waren, ihren Ehering zur Sanierung der italienischen Goldreserven und als Reaktion gegen die Sanktionen des Völkerbundes in einem öffentlichen Festakt zu spenden.

Petra Terhoeven beleuchtet die Kampagne der Goldsammlung und besonders die „Giornata della Fede“ aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Nach einem einführenden Kapitel in die Hintergründe des italienischen Angriffskriegs auf Äthiopien, widmet sie sich der Entstehungsgeschichte der Goldkampagne und beleuchtet die Durchführung und Organisation der Spendenaktion, ihre propagandistische Begleitung in Bild (mit 88 Abbildungen!) und Wort. Darüber hinaus beschreibt und interpretiert sie die Symbolik und Repräsentationsformen des Großereignisses „Giornata della Fede“, und, was besonders hervorgehoben werden muss, sie beschäftigt sich ausgiebig mit der Beteiligung und Reaktion der Bevölkerung auf die Gold- und Eheringssammlung, wobei sie die zeitgenössischen Quellen durch – behutsam interpretierte – Erinnerungen von Zeitzeugen ergänzt.

Insgesamt tauschte im Winter 1935 ungefähr die Hälfte der potenziell dazu in Frage kommenden italienischen Bevölkerung ihren goldenen Ehering gegen einen unansehnlichen und schnell rostenden Eisenring, der statt des Namens des Ehepartners und des Datums der Hochzeit nun das faschistische Liktorenbündel und das Datum des Inkrafttretens der Völkerbundsanktionen trug. Die öffentliche Geste des Ringtausches forderte nicht nur die Bereitschaft der Männer ein, ihr Leben für die faschistische Kriegspolitik zu lassen, sondern zielte besonders auf das Versprechen der Frauen, ein zukünftiges Opfer ihrer Söhne und Ehemänner klaglos hinzunehmen, nein, sogar tatkräftig zu unterstützen, und die mit der Autarkiepolitik verbundenen, besonders für den weiblichen Teil der Bevölkerung spürbaren Entbehrungen und Mehrbelastungen mitzutragen. Angesichts dieser Zumutungen kann die hohe Beteiligung an der „Giornata della Fede“ sicherlich als propagandistisches „Meisterstück“ des faschistischen Regimes gewertet werden. Dass die Zeit des Äthiopienkrieges, mit dem das faschistische Italien im Zeichen der Sanktionen und gesteigerter Autarkiebemühungen eine zehnjährige Phase nahezu ununterbrochener kriegerisch-imperialistischer Aktivitäten eröffnete, durch einen breiten Konsens der italienischen Bevölkerung gegenüber dem faschistischen Regime getragen war, der sich erst in der Folgezeit allmählich verflüchtigte, ist mittlerweile eine nicht mehr angezweifelte Tatsache der italienischen Faschismusforschung. Allerdings gelingt es Petra Terhoeven in ihrer Analyse eine dichotomische Gegenüberstellung von Konsens und Zwang zu verflüssigen und damit die Zwischentöne herauszuarbeiten, die zwischen einer bedingungslosen Hingabe an das Regime und einem ebenso bedingungslosen Widerstand im faschistischen Alltag liegen.

Der Frage, inwiefern es sich bei diesem Opfer um eine Geste der Zustimmung oder gar Unterwerfung unter das faschistische Regime handelte, beantwortet Petra Terhoeven mit einem behutsamen „ja und nein“. Zunächst kann sie zeigen, dass die Initiative zur Goldsammlung und zur „Giornata della Fede“ nicht von der faschistischen Zentralregierung einer unwilligen Bevölkerung aufoktroyiert worden ist, sondern von lokalen faschistischen Parteigenossen und -sympathisanten „von unten“ an sie herangetragen wurde. Die allen öffentlichen (nationalen) Spendenaktionen tendenziell innewohnende Ambivalenz von politischer Begeisterung, persönlicher Profilierung, Gruppendynamik und sozialem Druck wurde unter den Bedingungen eines diktatorischen Regimes deutlich erhöht, so dass das Opfer des Eheringes oftmals freudig, oftmals aber auch in subjektiven oder objektiven Zwangslagen erbracht wurde. Es war jedoch nicht so sehr die Spende an sich, die als Zumutung empfunden werden konnte, sondern vielmehr der mit der Ringspende symbolisierte Eingriff des faschistischen Staates in die emotional besetzte Privatsphäre von Ehe und Familie. Nicht wenige der Betroffenen lieferten billige Kopien statt des eigenen Eheringes ab oder ersannen andere Formen der heimlichen Resistenz. Die „sprichwörtliche italienische furbizia“ (S. 270) im Umgang mit als Zumutung empfundenen staatlichen Anforderungen entband sie allerdings nicht davon, öffentlich ihre Zustimmung zum Regime zu bekunden, indem sie während des feierlich inszenierten Zeremoniells ihre „Fede“ (=Ehering) spendeten und ihre „Fede“ (=Treue, Glauben, Zuversicht) bekundeten. Dank ihrer List konnten ungezählte Frauen ihren Ring vor dem Zugriff des Regimes verbergen, von ihren Söhnen und Ehemännern, die sie zunächst nur symbolisch der mörderischen Kriegsführung des Regime überantworteten, konnten sie – um im Bild zu bleiben und den interpretatorischen Faden der Autorin weiterzuspinnen - allerdings kein Duplikat herstellen.

Trotz der aufwendig inszenierten Propaganda, die auf allen zur Verfügung stehenden Klaviaturen gespielt wurde und vor allem den weiblichen Teil der Bevölkerung auf ihren Opfergang am 18. Dezember 1935 vorbereiten sollte, wäre der propagandistische Erfolg der „Giornata della Fede“ ohne die große Koalition von faschistischem Regime, Monarchie und katholischer Kirche nicht denkbar gewesen. Besonders die katholische Geistlichkeit, die auf allen Ebenen der katholischen Hierarchie und Organisation - unter dem viel sagenden Schweigen des Papstes - der rassistischen Kriegspropaganda des Regimes ihren christlichen Segen gab, das Opfer der Frauen durch die Einsegnung der rostigen Ringe zum heiligen Opfer sakralisierte und erleichterte; kurz: den Griff des Regimes auf Ehe, Familie und Fortpflanzung tatkräftig und nachhaltig freigab und unterstützte. Angesichts der massiven personalen und symbolischen Präsenz von katholischer Kirche und sakralen Elementen argumentiert Petra Terhoeven sehr überzeugend gegen die in der Forschung herumgeisternde Vorstellung des Faschismus als neuer, politischer oder säkularer Religion. Das Beispiel des öffentlich inszenierten Ringopfers zeigt gerade nicht die Konkurrenz zwischen einer vermeintlich neuen faschistischen Religion und der christlichen Religion, sondern im Gegenteil die völlige Harmonie von Faschismus und katholischer Kirche.

In einem Schlusskapitel vergleicht Petra Terhoeven schließlich die faschistische Kampagne der Gold- und Eheringsammlung mit ihren historischen Vorgängern. Typisch faschistisch, so Petra Terhoeven, sei bei aller Ähnlichkeit an der „Giornata della Fede“, dass es bei den deutschen Goldsammlungen 1813 und 1914 vor allen Dingen um die Bereitstellung materieller Mittel zu einem präzise umrissenen Zweck, nämlich der Finanzierung des gerade in Gang befindlichen Krieges ging, während diese Motive 1935 zurücktraten. Die Symbolwirkung der Geste wurde für weitaus wichtiger erachtet als der materielle Ertrag. In der Tendenz kann die Rezensentin diesem Ergebnis durchaus zustimmen, jedoch würde sie vorsichtiger in der Einschätzung der Symbolwirkung von Spenden in nationalen Gesellschaften und Kriegen im langen 19. Jahrhundert argumentieren. Die symbolische Geste des privaten Opfers wurde auch im 19. Jahrhundert als Plebiszit für den Nationalstaat gewertet, der – vor allem in Kriegszeiten - auf die Zustimmung und das Opfer seiner Mitglieder angewiesen war. Dennoch bleibt unwidersprochen, dass die „Giornata della Fede“ in ihrer pompösen und unwiderstehlichen Inszenierung als „paradigmatisches Schlüsselereignis“ (S. 8) des italienischen Faschismus auf die grundsätzliche Zustimmung zur faschistischen Diktatur ausgerichtet war und vor allem ein Versprechen für die Zukunft beinhaltete, dem sich die Italiener kollektiv und individuell nur unter hohen Kosten wieder entziehen konnten. Sie war, wie Petra Terhoeven überzeugend argumentiert, eine „symbolische Devotionsformel faktisch entmündeter Bürger“ (S. 468).

Insgesamt überzeugt die Autorin über die gesamte Analyse hinweg durch eine ausgewogene, abwägende und vorsichtige Interpretation ihrer Quellen. Dabei verzichtet sie jedoch wo es sein muss nicht auf eindeutige Schlussfolgerungen. Herausgekommen ist ein rundum gelungenes Buch, das auch in seiner Sprache besticht und neben einem deutlichen Zugewinn an historischem Verständnis über das faschistische Italien sehr gut lesbar ist. Man kann ihm nur eine große Zahl von LeserInnen wünschen. Deshalb hat das Buch im Grunde nur ein Manko, für das allerdings nicht die Autorin verantwortlich gemacht werden kann: sein Preis.

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