J. van Horn Melton: Cultures of Communication

Cover
Titel
Cultures of Communication from Reformation to Enlightenment. Constructing Publics in the Early Modern German Lands


Autor(en)
van Horn Melton, James
Erschienen
Aldershot 2003: Ashgate
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
$114.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Hamburg

Der vorliegende Aufsatzband ist das Ergebnis einer Tagung aus dem Jahr 1998 an der Duke University. Er behandelt die Frage nach der Herstellung von Öffentlichkeiten durch kommunikative Kulturen. Öffentlichkeit ist dabei nicht im modernen Sinn einer kritischen Bürgerlichen Öffentlichkeit zu verstehen, wie sie von Jürgen Habermas im Jahr 1962 beschrieben worden war.1 Es geht dem Herausgeber – in Abgrenzung zu den Forschungen von Habermas – vielmehr um den Plural von je eigenen spezifischen oder fallweisen Öffentlichkeiten in meist ebenso spezifischen sozialen Ordnungen. Von einer Gesellschaft kann in der Frühen Neuzeit ohnehin kaum gesprochen werden. Die einzelnen Aufsätze stellen folglich verschiedene Gemeinschaften dar, die schon aufgrund von Bildungsunterschieden und sozialer Abschließung recht klein gewesen sein dürften. Man mag also fragen, ob der Begriff der Öffentlichkeit hier nicht etwas groß geraten ist. Dennoch ist es ein berechtigtes Anliegen der Tagung, den Blick auf die ganz unterschiedlichen Medien und Kommunikationsformen zu richten, die Grundlage solcher Öffentlichkeiten waren. Dabei macht es Sinn, immer erneut darauf hinzuweisen, dass diese keineswegs nur über gedruckte Texte hergestellt werden, sondern auch über Bilder, Architektur, Zeremonie, Lieder, Predigten, Gerede und körperliche Gewalt.

Um der üblichen Fixierung auf das geschriebene Wort zu entgehen, war die Tagung ausdrücklich interdisziplinär angelegt, bezog auch mündliche und symbolische Kommunikationsformen ein. In diesem Zusammenhang entsteht freilich ein methodisches Problem: Für die Vergangenheit kann nur das behandelt werden, was überliefert ist - und das geschieht nun einmal zumeist in Textform. Daraus darf jedoch keine Aussage über die frühneuzeitlichen Kommunikationskulturen insgesamt abgeleitet werden. Am Beginn der Bemühungen steht daher die Suche nach bisher ungenutzten Zeugnissen auch für nichtschriftliche Öffentlichkeitskulturen – und da bieten frühneuzeitliche Bibliotheken, Archive und Museen noch viel ungenutztes Anschauungsmaterial.

Ein Anliegen des Bandes richtet sich auf die Stoßrichtungen dieser Öffentlichkeiten, die keineswegs nur gegen die Herrschaft oder Obrigkeit gerichtet waren. Dem breiten Spektrum der Arenen, in denen auf unterschiedliche Arten kommuniziert wurde, entspricht vielmehr eine Vielfalt von herrschaftskritischen bis hin zu disziplinierenden Öffentlichkeiten. Die Themen Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung werden daher im Vorwort wie auch in einzelnen Beiträgen immer wieder angesprochen. Die Position Heinz Schillings, dass Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung nicht miteinander vermengt werden sollten, verliert mit Blick auf die durchgängig religiösen Fundierungen der dargestellten sozialen Ordnungen allerdings an Überzeugungskraft. In dem Zusammenhang haben die Debatten der letzten Jahre keine ausreichende Klarheit über den konkreten Inhalt beider Begriffe herstellen können. Das hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass noch immer nicht recht geklärt ist, in welchen Arenen der ständischen Gesellschaft beide Prozesse denn nun zu verorten sind.

Das zeigt etwa der Beitrag Robert von Friedeburgs, der über konfessionelle Identität und Kirchendisziplin in Hessen im 18. Jahrhundert schreibt. Diese Themen wurden in den Gemeinden diskutiert, ohne dass davon ein spürbarer Einfluss auf die Autorität des Staats ausging.

Auch William Bradford Smith erörtert konfessionelle Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit. Es geht ihm um den Gebrauch antiklerikaler Gedanken im Zusammenhang mit reformatorischen Debatten in Bamberg. Es zeigt sich, dass der Antiklerikalismus ein schlagkräftiges Argument war, weil mit ihm politische und soziale Forderungen transportiert werden konnten. Dass die traditionellen Argumente des Antiklerikalismus diese Wirkung entfalten konnten, ist für Smith ein weiterer Beleg für die nicht zu trennenden Sphären von sozialer und konfessioneller Ordnungsstiftung.

Dies zeigt auch der Beitrag von Jonathan Strom über Hofpredigten der Rostocker Geistlichkeit in den 1660er und 1670er-Jahren, die sich gelegentlich gegen die Obrigkeit richteten (und offenbar nur dann überliefert wurden). Die Obrigkeit wehrte sich entschieden gegen diese Predigten als einem Angriff auf ihre Autorität. Strom zeigt allerdings deutlich auf, dass es der Geistlichkeit vor allem um eine Stärkung ihrer Autorität in Glaubensfragen und ein re-christianisierte Gesellschaft ging, in aller Regel also nicht um eine Kritik an der Obrigkeit insgesamt.

Eine andere Vorgehensweise der Obrigkeit beschreibt Andreas Würgler. Er untersucht den Fall einer internen Krise in der Stadt Bern im Jahr 1749, in der eine Verschwörung gegen den oligarchisch regierenden Rat aufgedeckt wurde. Der Rat konnte alle öffentlichen Erörterungen seiner Politik unterdrücken und das Mittel der Denunziation nutzen. Der Fall Bern bietet damit ein Beispiel für eine verhinderte Öffentlichkeit. Die Politik des Rates war zwar erfolgreich, wurde aber europaweit diskutiert und entzog, laut Würgler, langfristig einer auf Geheimhaltung und die Unterdrückung von Öffentlichkeit gestützten Herrschaft den Boden.

B. Ann Tlusty und Joy Wiltenburg beschreiben die Thematisierung von Gewalt in Augsburg (1591) und Basel (1565), jeweils anhand konkreter Todesfälle. Ziel der öffentlichen Debatten war dabei, so Wiltenburg, die durch Reformation und andere Krisenerfahrungen verunsicherten städtischen Gemeinschaften mittels eines intensiven Diskurses erneut zu stabilisieren. Dies geschah einerseits über eine imaginierte transkonfessionelle Einheit, andererseits über die Kanalisierung von Emotionen im Umfeld der von ihm beschriebenen Morde. Das Interesse an der publizistischen Auseinandersetzung mit Gewalt habe insgesamt im 16. Jahrhundert stark zugenommen.

Die Aufsätze von Tlusty und von Marc R. Forster behandeln zudem das noch immer schwer zu beschreibende Verhältnis von so genannter „hoher“, gebildeter Kultur auf der einen Seite und von zumeist nicht schriftlicher Volkskultur auf der anderen Seite. So stellt Tlusty einerseits fest, dass der von ihr untersuchte Totschlag von der Obrigkeit unter Verweis auf Ehrvorstellungen des Täters, die vom Opfer vermutlich geteilt worden waren, auffallend milde bestraft wurde. Forster hingegen untersucht die Auseinandersetzung über eine Wallfahrt im Jahr 1733 in Steinbach, Schwaben. Obwohl die Glaubensvorstellungen der Wallfahrer den Lehren des hohen Klerus widersprachen, zeigten die Kleriker vor Ort Verständnis für diese lebendige Glaubensform. Sie weigerten sich folglich, gegen religiöse Praktiken vorzugehen, die vom hohen Klerus abgelehnt wurden.

Die Aufsätze von Jill Bepler, Donald McColl und Andrew Morrall konzentrieren sich auf Medien der Kommunikation. Bepler beschreibt das äußerst reiche gedruckte Material zu Bestattungszeremonien bei Hof, das wiederum vor dem Hintergrund einer wahren Flut von Leichenpredigten zu sehen sei. Dieses Material ist eine noch immer kaum genutzte Quelle für die Geschichte der Höfe im Alten Reich. Dabei weist Bepler den oft kostbar ausgestatteten und auf Kosten der Höfe in hohen Auflagen gedruckten Werken die Funktion kultureller und politischer Kompensation zu: Vor allem kleine Höfe mussten sich in Konkurrenz zu den wenigen großen Höfen gerade dann medial in Szene setzen, wenn durch den Tod des Fürsten eine vorübergehende Instabilität eintrat, der zeremoniell und durch höfische Repräsentation begegnet wurde.

McColl untersucht die kommunikative Funktion von öffentlichen Brunnen in Fribourg (Schweiz) in der Mitte des 16. Jahrhunderts, Morrall die Verspottung Christi in den Bildern Jörg Breus des Älteren. Beide Bildprogramme werden vor dem Hintergrund reformatorischer Auseinandersetzungen diskutiert, wobei beide sich klaren konfessionellen Zuschreibungen entziehen.

In den übrigen Aufsätzen geht es um Fragen der Musikpädagogik (Susan Forscher Weiss), um die rhetorische Verwendung von Tiermetaphern mit dem Ziel der sozialen Disziplinierung (Susan C. Karant-Nunn), um die Bereicherung der gelehrten Medizin durch Elemente der Volksmedizin (Martha Baldwin) und schließlich um einen gelehrten Streit über die Bestrafung von Hexen (Charles D. Gunnoe). Diese Aufsätze überschreiten allerdings deutlich die Grenze zur Ideengeschichte; Fragen der kommunikativen Kultur oder Öffentlichkeit spielen nur noch eine geringe Rolle.

Darin besteht in gewisser Hinsicht auch ein zentrales Problem des Bandes. Wer sich von Habermas’ Begriff der Bürgerlichen Öffentlichkeit absetzt, um einen erweiterten Öffentlichkeitsbegriff zu etablieren, hätte außerdem den im 17. Jahrhundert einsetzenden massiven Druck von Zeitungen in die Darstellung einbeziehen müssen. 2 Der Herausgeber James van Horn Melton erwähnt eine „explosion of print culture in the form of newspapers, political journalism, novels, and criticism across a variety of fields“ (S. 2). So auch Würgler (S. 131). Das vermag als Antwort auf das gerade von Historikern nach wie vor unterschätzte Medium Zeitung allerdings nicht zu überzeugen, zumal das 17. Jahrhundert im vorliegenden Band insgesamt unterrepräsentiert ist.

Dessen ungeachtet bietet der Band eine Fülle exemplarischer Aufsätze, die die übergeordneten Themen der Kommunikationsforschung wie der Konstruktion von Öffentlichkeiten in der ständischen Gesellschaft aufzeigen. Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung waren eng miteinander verknüpfte Prozesse, die weder nur von oben noch nur von unten vorangetrieben wurden. Es geht daher stets um die öffentliche, also kommunikative Begründung oder Kritik von Ordnungen, dem zentralen Thema der durch Glaubensspaltung und Krieg verstörten Gemeinschaften.

Anmerkungen:
1 Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 1962.
2 Böning, Holger, Welteroberung durch ein neues Publikum. Die deutsche Presse und der Weg zur Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel, Bremen 2002; Behringer, Wolfgang, Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2003.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch