J. Henderson: Morals and Villas in Seneca's Letters

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Titel
Morals and Villas in Seneca's Letters. Places to dwell


Autor(en)
Henderson, John
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 189 S.
Preis
£45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Wilker, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

John Henderson, Reader in Latin Language an der University of Cambridge, widmet sich in der anzuzeigenden Monografie Seneca und seinen Epistulae ad Lucilium. Hendersons Anliegen ist es, einen neuen Zugang zu diesem Spätwerk des Philosophen zu eröffnen, der sich insbesondere auf dessen Beschreibung von Villen und deren Funktion innerhalb des Werkes stützt. Diese villae werden nach der Interpretation von Henderson nicht nur als Orte in die Briefe an Lucilius eingeführt, sondern erfüllen gleichfalls einen symbolhaften Zweck. Dementsprechend stehen auch die drei Briefe der Sammlung, in denen ausführlich auf Villen, ihre Anlage und ihren Charakter eingegangen wird, im Zentrum des Werkes. Dabei handelt es sich in Brief Nr. 12 um Senecas Villa selbst, während in Brief 55 die Villa des Vatia und in Brief 86 schließlich die berühmte Villa des Scipio behandelt wird.

Henderson beginnt jedoch mit einem Überblick zu den übrigen Briefen, die den Leser im Hinblick auf seine Fragestellung weg von Rom und in die Welt der behandelten Villen führen. Für diese Kapitel empfiehlt es sich freilich, eine Textausgabe griffbereit zu haben, um den Gedanken des Autors folgen zu können. Diese kursorische Führung durch das gesamte Werk wird unterbrochen von einer längeren Behandlung des Briefes 12, der die Beschreibung von Senecas Landsitz enthält (S. 19-27). Für diesen wie die beiden anderen im Zentrum der Untersuchung stehenden Briefe bietet Henderson neben dem Originaltext auch eine eigene Übersetzung und hilft damit bei den zahlreichen Querverweisen und Referenzen. Die relativ ausführliche Beschreibung der Villa Senecas im 12. Brief stellt den logischen Ausgangspunkt im Rahmen der übergeordneten Fragestellung dar. Seneca beklagt sich hier über den zunehmenden Verfall der Bauten wie der landwirtschaftlichen Anlagen und die unzureichende Pflege durch das von ihm beauftragte Personal. Auf der philosophischen Ebene, um die es Henderson freilich eigentlich geht, kann er diese Klage des Landgutbesitzers und die bekannte Geschichte von dem inzwischen zum Greis gewordenen, ehemaligen Spielkameraden mit den Beschwerden über den eigenen Alterungsprozess und die zunehmende Resignation Senecas nach seinem Rückzug aus der Politik verbinden. Die Villa wird hier, wie auch in den folgenden Beispielen, zur übergeordneten Metapher für ihren Besitzer und dessen Lebenswelt, seinen Charakter und seine Reaktion auf die Umwelt und insbesondere die Verhältnisse in Rom.

Nach der Vorstellung der gesamten Briefsammlung und den Texten der Briefe 55 und 86 einschließlich ihrer Übersetzung (S. 53-61 bzw. 62-66) widmet sich Henderson ausführlichen Einzelanalysen. Zunächst geht es hier um die in Brief 55 beschriebene Villa des Vatia (S. 67-92), in die sich dieser unter Tiberius aus Rom zurückgezogen hat. Der Luxus dieses selbstgewählten "Exils" bietet freilich, soviel kann Seneca Lucilius bzw. dem Leser seiner Briefe deutlich machen, keinen begrüßenswerten Ausgleich zu dem aktiven, wenn auch bedrohten Leben in der Hauptstadt, vor dem der Besitzer hierher floh. Die Parallelen zur zeitgenössischen Situation Senecas unter Nero werden deutlich, gleichzeitig aber wird das Modell des Vatia verworfen.

Den ausführlichsten Raum in Hendersons Analyse nimmt schließlich zu Recht der 86. Brief an Lucilius mit der Beschreibung der berühmten Villa des P. Cornelius Scipio Africanus Maior ein (S. 93-169). Bereits Livius beschreibt dessen enttäuschten Rückzug in sein Landhaus (Liv. 38,53,8; vgl. auch Cic. off. 3,2; Val. Max. 2,10,2). Die Villa des Scipio dient in ihrer Einfachheit ohne jede der modernen Aufwendungen, wie sie das Anwesen des Vatia repräsentierte, gemeinhin als Symbol der traditionellen römisch-republikanischen mores. Henderson ordnet ihre Beschreibung durch Seneca in den Rahmen der weiteren Quellen, insbesondere Ennius mit seinem nicht erhaltenen Gedicht "Scipio", Cicero, Horaz und Vergils Georgica, ein. Wie bereits in der Interpretation des 55. Briefes liefert Henderson eine detailgenaue Interpretation des Textes in Bezug auf seinen philosophisch-moralischen Aussagegehalt. Besondere Aufmerksamkeit verdient schließlich auch seine Behandlung der häufig unterschlagenen zweiten Hälfte dieses Briefes, die sich mit dem zeitgenössischen Besitzer der scipionischen Villa, dem auch aus der Naturgeschichte des Plinius Maior (14,49) bekannten Vetulenus Aegialus, beschäftigt. Henderson vermag es auch hier, den philosophischen Hintergrund der Beschreibung zu beleuchten, nach dem Aegialus, der Sohn eines Freigelassenen, als zeitgenössisches Kontrastbild zu Scipio fungiert. Ein Verzeichnis der in den Epistulae genannten Personen und Orte, eine Bibliografie, ein Stellenregister sowie ein allgemeiner Index schließen das Werk ab.

Hendersons "Morals and Villas in Seneca's Letters" bietet einen innovativen und anregenden Zugang zum philosophischen Spätwerk Senecas. Der Kern seiner Interpretation, die Villenbeschreibungen als moralische Metaphern zu lesen ("imagery plumbs the depths to implant lessons in morality topicalized through mimesis", S. 4), überzeugt. Obwohl nicht als eigenes Erkenntnisziel formuliert, wird er dabei auch der Bedeutung, die die Villenkultur in ihren verschiedenen Phasen für die allgemeine Entwicklung der römischen Gesellschaft von der späten Republik bis in die Kaiserzeit einnahm, in diesem Zusammenhang gerecht. Das für Senecas Epistulae Morales getroffene Ergebnis der Villenbeschreibung als "interior designs for living" (S. 4) ließe sich so sicher noch ausbauen. Sowohl aufgrund des spezifischen Stils als auch des Aufbaus des Buches erschließt sich diese Interpretation freilich insbesondere dem, der mit dem Werk Senecas insgesamt und vor allem mit den im Zentrum stehenden Epistulae ad Lucilium vertraut ist. Eine Einführung in die Gesamtthematik wird somit kaum geboten.1 Hendersons unkonventioneller Stil ist, wie bei den meisten seiner Werke, zweifellos gewöhnungsbedürftig, viele seiner Wortspiele dürften dazu die Lektüre für Nicht-Muttersprachler erschweren. Wer sich jedoch dennoch auf das Buch einlässt, wird es zweifellos mit Gewinn lesen.

Anmerkung:
1 Vgl. das geradezu programmatische "There are no dates. Not one", S. 5.

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