M. Demantowsky u.a. (Hgg.): Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik

Cover
Titel
Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik. Schnittmengen, Problemhorizonte, Lernpotentiale


Herausgeber
Demantowsky, Marko; Schönemann, Bernd
Reihe
Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik 33
Erschienen
Bochum 2004: projekt verlag
Anzahl Seiten
183 S.
Preis
€ 13,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Heinrich Pohl, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Der verdienstvolle Sammelband beschäftigt sich mit der – vor allem für die Geschichtsdidaktik wichtigen – Problematik, wie und in welcher Weise sich Zeitgeschichtsforschung und Geschichtsdidaktik wissenschaftlich befruchten könn(t)en. Die Herausgeber gehen von der Beobachtung aus, dass zwar die Geschichtsdidaktik in den letzten Jahrzehnten die zeitgeschichtliche Forschung in hohem Maße rezipiert habe, dies umgekehrt aber eher selten geschehen sei. Das sei umso bedauerlicher, als Geschichtsdidaktik und Zeitgeschichte aufgrund ihrer Forschungsfelder eine besondere Nähe zueinander aufweisen: Die Zeitgeschichte thematisiert historische Erfahrungen, die im gegenwärtigen Gedächtnis der Lebenden verankert sind, und die Geschichtsdidaktik beschäftigt sich vertieft mit dem „Geschichtsbewusstsein“ der gegenwärtig Lebenden, das sich wiederum (auch) aus ihren zeitgeschichtlichen Erfahrungen und einschlägigen Forschungen der Zeitgeschichte entwickelt. Der Sammelband versteht sich damit als ein Angebot an die Zeitgeschichte, die Resultate der geschichtsdidaktischen Diskussionen der letzten Jahre zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Überlegungen mit einzubeziehen.1

Was hat die Geschichtsdidaktik der Zeitgeschichtsforschung nun anzubieten? In diesem Band findet sich eine Fülle verschiedener Beiträge mit verschiedenen Zielrichtungen. Sie werfen wichtige Fragen auf, zeigen aber noch keine rechte Konsistenz und zielen – auch wegen des geringen Forschungsvorlaufs – in keine einheitliche Richtung. Das ist den Herausgebern durchaus bewusst. Neben Gedanken über den Geschichtsort „Villa ten Hompel“ in Münster (Alfons Kenkmann) steht eine Analyse der „Ideologisierung des heimatkundlichen Unterrichts in der Grundschule während der Zeit des Nationalsozialismus“ (Margarete Götz). Marko Demantowsky und Saskia Handro wiederum referieren substantielle Ergebnisse ihrer erst kürzlich veröffentlichten Dissertationen zur DDR-Geschichtsmethodik. Hartmut Voit publiziert erneut einen – allerdings sehr bedenkenswerten – Beitrag über „Zeitgeschichte als Aufgabe“.2 Michael Jeismann schließlich steuert einen knappen, aber kenntnisreichen Essay über „Erinnerung und Intervention“ bei, in dem er nach dem Nutzen des politischen Gedächtnisses fragt.

Da die Aufsätze – zumindest auf den ersten Blick – nur selten direkt aufeinander bezogen sind, ist eine gewisse Redundanz nicht zu übersehen. Zwar können Variationen ein und desselben Themas durchaus weiterführend sein, aber nach der Lektüre von neun Beiträgen begreift selbst der Unaufmerksamste, dass die Definition von „Zeitgeschichte“ schwierig ist und eine lange Geschichte hat, dass diese Begrifflichkeit in der Forschung heiß diskutiert wird – und jeweils eine Klärung des Gemeinten notwendig ist.

Zu einigen Einzelbeiträgen: Hartmut Voit stellt einleitend in überzeugender Weise ein Modell historischen Lernens vor, das für verschiedene Epochen (und besonders für die Zeitgeschichte) jeweils einen eigenen Zugriff präferiert. Darin stimmt er mit früheren Überlegungen Uwe Uffelmanns, die dieser besonders zum Mittelalter angestellt hat, weitgehend überein. Voit greift in seinen Ausführungen vor allem auf die Differenzierung zwischen „Vergangenheitsgeschichte“ und „Gegenwartsvorgeschichte“ zurück. In der prinzipiellen Unabgeschlossenheit der Zeitgeschichte sieht er ein besonderes Potenzial, das – aus didaktischer Perspektive – dahingehend genutzt werden sollte, den Schülern elementare Ansätze historischer Methodenkompetenz nahezubringen. Denn gerade die zeitgeschichtliche Periode sei einer außerwissenschaftlichen Indienstnahme in besonderem Maße ausgesetzt. Angesichts der „Offenheit“ gegenwärtigen Geschehens könnten geschichtsdidaktische Anregungen für die eigenen Methodendiskussionen der Zeitgeschichte durchaus nützlich sein. Dieser Argumentation Voits kann man voll zustimmen.

Die beiden Aufsätze von Margarete Götz und Horst Gies befassen sich mit Geschichts- und Heimatkundeunterricht im Nationalsozialismus, sind also an einer anderen Schnittstelle von Geschichtsdidaktik und Zeitgeschichte angesiedelt. Götz’ Beitrag stützt sich vor allem auf amtliches Schriftgut der Schulbehörden. Der Befund, es habe gleichzeitig Kontinuitäten und Diskontinuitäten gegeben, deckt sich mit vielen ähnlichen Ergebnissen der Zeitgeschichtsforschung. Die spannende Frage, inwieweit die von „oben“ gewollten Zielsetzungen in der Praxis umgesetzt wurden und schließlich im Geschichtsbewusstsein der Schüler verankert werden konnten, bleibt allerdings ausgespart. Gerade auf diesem Gebiet versucht Horst Gies mit seinem Beitrag weiter vorzudringen. Sein Bemühen, die Realität des Geschichtsunterrichtes im „Spiegel der Aufsatzthemen der gymnasialen Oberstufe“ zu verorten, ist ein weiterführender (wenn auch nicht gänzlich neuer) Zugang. Beide Aufsätze ergänzen sich insofern gut, als sie gemeinsam beide Ebenen abdecken – die Sicht von „oben“ und die von „unten“. Insgesamt werden dort aber keine wirklichen Innovationen vorgestellt, mit denen die gegenwärtige Didaktik die theoretische Diskussion der Zeitgeschichtler bereichern könnte.

Die Beiträge von Günther Heydemann (zur „Revolution von 1989/90 in Städten und Gemeinden der DDR“), Saskia Handro und Marko Demantowsky befassen sich mit dem Themenkomplex DDR-Geschichte. Heydemann analysiert das Verhältnis von Peripherie und Zentrum. Auf diese Weise versucht er – wie schon andernorts –, die Etappen der „Wende“ zu strukturieren und deren gegenseitige Abhängigkeit zu belegen. Die speziellen geschichtsdidaktischen Komponenten seiner Ausführungen bleiben jedoch eher versteckt. Handro verbindet in ihrem quellengesättigten Beitrag Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik hingegen überzeugend und kommt zu dem Ergebnis: „Zeitgeschichte als geschichtskulturelles Konstrukt konnte am Ende der DDR nicht mit der anderen Seite der Medaille, der Zeitgeschichte als Erfahrung der Zeitgenossen, vereinbart werden.“ (S. 119) Dieser Beitrag ist ein gelungenes Beispiel für das begründete Anliegen des Sammelbandes. Vor allem wird hier mit Kategorien operiert, die sich die Zeitgeschichte ebenfalls zu Eigen gemacht hat. Ergiebig für weitere Diskussionen sind auch Demantowskys Ausführungen, in denen die DDR als „Erziehungsstaat“ untersucht und die DDR-Geschichtsmethodik aus vielfältigen Perspektiven beurteilt wird. Neben den spannenden zeithistorischen Ergebnissen zeigt Demantowskys abschließende „Standpunktreflexion“ ebenfalls, wie sich Geschichtsdidaktik und zeitgeschichtliche Forschung sinnvoll ergänzen können.

Uwe Uffelmann („Der Frankfurter Wirtschaftsrat im Ansatz des Problemorientierten Geschichtsunterrichts“) und Alfons Kenkmann befassen sich mit bundesdeutscher Zeitgeschichte. Uffelmann verbindet didaktische und zeitgeschichtliche Ansätze über die Kategorie der „Betroffenheit“ und die Konzeption eines „problemorientierten Zugriffs“, wie er ihn schon seit Jahrzehnten vertreten hat. Kenkmanns Beitrag ist als eine praxisnahe Ergänzung zur Thematik des Sammelbandes zu verstehen: Vorgestellt wird ein „Geschichtsort“, an dem gleichzeitig erinnert, gelernt und geforscht werden kann.

Misst man die Beiträge an den Ansprüchen des Sammelbandes, kann man aus ihnen in der Tat wichtige Anregungen herauskristallisieren, die die gemeinsame Diskussion von Zeithistorikern und Geschichtsdidaktikern neu in Gang bringen könnten. Gerade eine jüngere Generation von Didaktikern schickt sich offensichtlich an, methodische Ansätze beider Disziplinen kreativ aufzunehmen und geschickt miteinander zu verbinden. Dafür, dass der interessierte Leser einen leichten Zugriff auf diese Forschungsergebnisse erhält, sei den Herausgebern gedankt. Dass ein noch etwas disparater Band vorgelegt wird, ist demgegenüber verzeihlich. Unnötig sind hingegen formale Unstimmigkeiten etwa in der Zitierweise bei den einzelnen Beiträgen. Sie verstärken (ungewollt) den Eindruck, dass im Band noch manches hätte besser zusammenwachsen können.

Anmerkungen:
1 Siehe auch die Debatte „Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik“ in Heft 2 (2005) von „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“ (mit Essays von Martin Sabrow, Stefan Jordan, Dietmar von Reeken und Simone Rauthe): <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Vorwort-Debatte-2-2005>.
2 Dieser Text ist inzwischen auch online verfügbar: <http://www.zeitgeschichte-online.de/zol/_zf/documents/pdf/voit_didaktik.pdf>.

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