S. Benz: Zwischen Tradition und Kritik

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Titel
Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im barocken Heiligen Römischen Reich


Autor(en)
Benz, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
794 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Döring, Historische Kommission, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Das vom Protestantismus geprägte und bis in die Zeit der Aufklärung zurückgehende Urteil, der Katholizismus habe nur wenig zur Herausbildung der modernen Wissenschaften beigetragen, ja habe auf diesen Prozess retardierend gewirkt, wird auch für den deutschsprachigen Raum seit längerer Zeit in Frage gestellt. Dennoch mangelt es nach wie vor an Untersuchungen, die auf der Grundlage intensiver Quellenerfassungen den Anteil katholischer Forschung an der Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit darstellen. Mit dieser Problemstellung verknüpft sich die weiterführende Frage, ob es im Bereich des Katholizismus allein darum ging, den behaupteten Rückstand gegenüber dem Protestantismus aufzuholen, oder ob es hier zur Entstehung einer eigenständigen katholischen Aufklärung kam und ein eigenständiger Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaften geleistet wurde.

Die vorliegende voluminöse Arbeit, eine im Jahr 2000 von der Universität Erlangen angenommene Dissertation, unternimmt den Versuch, einen Gesamtüberblick über das Gebiet der Historiografie in den katholischen Gebieten des Alten Reiches zu entwerfen. Dass die Darstellung in der Literatur- und Quellenerfassung alles leistet, was unter den gegenwärtigen Möglichkeiten immer nur als denkbar erscheint, zeigt schon der Blick auf die Verzeichnisse der benutzten 31 Archive und ca. 2.500 herangezogenen Literaturtitel. Da es an soliden biobibliografischen Aufstellungen zur katholischen Geschichtsschreibung mangelt, leistet Benz mit seinem Buch, von allen inhaltlichen Aussagen abgesehen, wahre Grundlagenforschung. So bietet der Band eine Fülle an Informationen zu Persönlichkeiten, zu Werken, zu Institutionen, zu Debatten innerhalb der katholischen Res publica litteraria, die in einer Rezension nicht im Einzelnen diskutiert werden können. Das Werk ist so zuerst und vielleicht auch im eigentlichen Sinn ein Kompendium, ein Nachschlagewerk zur katholischen Geschichtsschreibung, das unabhängig von den inhaltlichen Aussagen des Autors auf lange Zeit maßgebend sein wird. Ein Buch, dass zur fließenden Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite einlädt, ist Benz´ Opus freilich nicht. Die schier überbordende Menge an Informationen überfordert die Aufnahmekraft auch des engagiertesten Lesers alsbald.

Der Autor gliedert die katholische Historiografie des Barock in drei große Blöcke. An erster Stelle steht die vor allem von Geistlichen betriebene Geschichtsschreibung der Gegenreformation, die als direkte Erwiderung auf die Entstehung des protestantischen Geschichtsbildes zu verstehen ist, das sich zuerst in den berühmten Magdeburger Zenturien Ausdruck verschaffte. Auf den unterschiedlichsten Bereichen, z.B. Papstgeschichte und Hagiografie, wird nicht ohne Erfolg der protestantischen Partei Paroli geboten, zwar in polemisch-apologetischer Art und Weise, aber mit Hilfe der Mittel einer sich verfeinernden philologischen Methode der Quellenforschung. Das ist als ein durchaus eigenständiger Beitrag zur Entwicklung der historisch-kritischen Methode zu werten. In einer Zeit der protestantischen Verurteilung des Mittelalters als Epoche der Barbarei kommt es dabei zu einer Aufwertung, zum Versuch eines Verständnisses jener Jahrhunderte, wie es auf der anderen Seite der Konfessionsgrenze erst im 19. Jahrhundert erfolgte.

Der Übergang von der konfessionellen zur späthumanistischen Geschichtsschreibung war fließend. Deren Handwerkszeug entsprach weitgehend dem der gegenreformatorischen Historikergruppe, doch tritt bei den „Humanisten“ der theologische, polemische Aspekt in den Hintergrund. An dessen Stelle rückt ein stärker antiquarisches Interesse und eine damit verbundene patriotische Gesinnung. Im „uferlosen Sammeleifer“ (S. 216) wird in den Archiven und Bibliotheken historisch relevantes Material erfasst und geordnet; die Empirie gewinnt an Dominanz gegenüber der Verteidigung dogmatischer Sätze. Weder die Kirche noch ein bestimmter Orden bildet Hintergrund und Intention des Wirkens jener Historiker, sondern eine bestimmte Region oder ein Territorium. Wenn Benz dies auch nicht näher hervorhebt, so ist doch damit die „späthumanistische“ katholische Historiografie Teil der von Arnoldo Momigliano erst eigentlich entdeckten antiquarischen Forschung.

Die dritte von Benz untersuchte Gruppe von Geschichtsschreibern bilden die Hofhistoriografen. Die Darstellung, von einem Exkurs über Bayern abgesehen, konzentriert sich hier auf den Kaiserhof in Wien. Von der Regierung Maximilians I. bis zur Zeit Karls VI. werden minutiös das Leben und Werk der am Hofe wirkenden Historiker (und Bibliothekare) geschildert. Bemerkenswert ist, dass bis ins frühe 17. Jahrhundert und dann wieder seit der Regierung Leopolds I. auch Protestanten im Dienste des Kaisers standen. Das entspricht der tendenziellen Überordnung der Interessen des Reiches und des Hauses Habsburg (Reichs- und Kaiserpatriotismus) über die apologetisch-polemischen Bestrebungen der Ecclesia militans. So finden sich in den einschlägigen Schriften romkritische Aussagen oder Kritik an bestimmte als abwegig empfundene Formen des Mysterienglaubens. Damit steht die Hofhistoriografie zumindest mit einem Bein bereits im Lager der Aufklärung. Als spekulativ erscheint mir jedoch die mehrfach vorgetragene These, das gleichzeitige Entstehen der Reichspublizistik nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges sei „die intellektuelle Antithese“ des Protestantismus auf die Vorherrschaft der kaisertreuen Geschichtsschreibung gewesen. Dies würde den (bei Benz fehlenden) Nachweis erfordern, dass man im zeitgenössischen Protestantismus tatsächlich eine „Präponderanz kaiserlich-katholischer Geschichtsschreibung„ empfunden hätte. Pufendorf jedenfalls, auf den Benz immer wieder verweist, hat seinen „Monzambano“ gewiss nicht mit dem Blick auf kaiserliche Historiografen verfasst, sondern vor dem Hintergrund der konkreten politischen Situation der 60er-Jahre des 17. Jahrhunderts.

Einen abschliessenden, hauptsächlich ins 18. Jahrhundert führenden Teil widmet der Autor dem Thema „Probleme der Geschichtschreibung“. Gemeint sind damit die Ursachen für die von ihm konstatierte Stagnation der katholischen Geschichtsschreibung außerhalb der Höfe nach dem Ende des Dreissigjährigen Krieges. Benz sieht in der „Segmentierung der katholischen Res publica litteraria“ die Hauptursache dieser Krise (S. 529 ff.). Im wachsenden Maße begannen die Orden, die wichtigsten Stätten der konfessionellen Geschichtsschreibung, sich untereinander zu bekämpfen. Dies geschah nicht zuletzt dadurch, dass die Ansprüche und Traditionen der Gegner mit Mitteln der Historiografie in Frage gestellt wurden, was zu einer allgemeinen Krise der Geschichtsschreibung im katholischen Raum geführt habe. Als erheblicher Nachteil wird auch das Fehlen leistungskräftiger publizistischer Zentren nach dem Niedergang der Kölner Offizien in der Mitte des 17. Jahrhunderts gewertet. Hier ist eine vom Autor mehrfach vorgetragene Beobachtung bemerkenswert, die auch für den Historiker, dessen Interesse sich auf das protestantische Reichsgebiet konzentriert, von Bedeutung ist: Das Urteil, das im „deutschsprachigen Raum alle erzittern ließ“, sei jenes „der Leipziger Rezensenten“ gewesen (S. 546). Die konfessionellen Gruppierungen waren nämlich gegeneinander nicht gänzlich abgeschottet, sie standen auch im Kontakt zueinander. Das Fehlen öffentlichkeitswirksamer eigener Periodika zwang katholische Autoren dazu, protestantische Blätter als Kommunikationsmedien in Anspruch zu nehmen, allen voran die Leipziger Acta Eruditorum. Andererseits war das im Reich meinungsbildende Leipzig protestantisch und entsprechend konnten hier die Urteile über die katholische Geschichtsschreibung ausfallen – als Überbleibsel des „finsteren Mittelalters“. Dieses Thema der Beziehungen zwischen katholischer und protestantischer Wissenschaft sollte unbedingt weiter verfolgt werden. So führt Benz das so lange vorherrschende Negativurteil über die kulturellen Leistungen des Katholizismus sicher nicht ganz zu Unrecht in einem erheblichen Maße auf das Wirken des Leipziger Kreises um Johann Christoph Gottsched zurück. Gleichzeitig pflegte aber Gottsched wie kaum ein anderer Protestant die Kontakte zur katholischen Wissenschaftskultur.

Die katholische Geschichtsschreibung im Reich, so möchte man als Fazit der Lektüre des vorliegenden Buches feststellen, hat bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts adäquate oder sogar überlegene Leistungen im Vergleich zur protestantischen Entwicklung aufzuweisen. Die im Katholizismus ausbrechenden inneren Konflikte und die Schwäche der katholischen Medienwelt führte jedoch zum Niedergang der Historiografie. Dazu trat die Schwierigkeit, katholische Dogmen und Traditionen gegen die wachsende, von der Aufklärung geförderte historische Kritik verteidigen zu können. Der Sieg der protestantischen Kulturwelt im 19. Jahrhundert zog schließlich das weitgehende Vergessen eines gewichtigen Kapitels der Geschichte der Historiografie in Deutschland nach sich. Das Verdienst von Stefan Benz besteht darin, diese verschüttete Tradition über weite Strecken freigelegt zu haben.

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