Titel
KZ-Souvenirs. Erinnerungsobjekte der Alltagskultur im Gedenken an die nationalsozialistischen Verbrechen


Herausgeber
Dittrich, Ulrike; Jacobeit, Sigrid
Anzahl Seiten
137 S.
Preis
kostenlos
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian P. Gudehus, Center for Interdisciplinary Memory Research, Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Schon die von Ulrike Dittrich konzipierte Tagung zu KZ-Souvenirs, die im März 2004 in Ravensbrück stattfand1, folgte einer klaren Konzeption, die sich im ungewöhnlich schnell produzierten Tagungsband wieder findet.2 An die Einleitung schließen sich drei das Terrain absteckende Texte an. Einer hervorragenden kulturwissenschaftlichen Einführung durch Christiane Holm folgen Jörg Skriebeleits Überlegungen zum touristischen Charakter von Gedenkstättenbesuchen. Alexander Prenninger beschließt diesen Teil mit der Herausarbeitung von Symbolen und rituellen Praktiken, die sich in den alljährlichen Mauthausener Befreiungsfeiern etabliert haben. Es folgen Texte zu Erinnerungsobjekten, wie sie in KZ-Gedenkstätten bzw. KZ-Museen früher in der DDR und aktuell (Ravensbrück, Westerbork, Emden) vorzufinden waren und sind. Der dritte Teil schließlich enthält Beispiele für die künstlerische Auseinandersetzung mit eigenproduzierten oder vorgefundenen Erinnerungsgegenständen.

Christiane Holm liefert präzise Begriffsbestimmungen, etwa die Unterscheidung von Souvenir und Überbleibsel, die hilfreich ist, weil es in dem Band nicht ausschließlich um das geht, was gemeinhin unter „Souvenir“ verstanden wird. Es gelingt ihr auf wenigen Seiten, „Dinge mit Erinnerungsfunktion“ (S. 19) in den Kontext einer Entwicklungsgeschichte von Erinnerung an Geschehnisse zu stellen. Indem sie die affektive Seite der objektgebundenen Vergegenwärtigung betont, lenkt sie den Blick auf die rezipierenden Subjekte. So wird immerhin angedeutet, worin die Ursache für die unterschiedliche Beurteilung von Erinnerungsgegenständen auf einer Skala zwischen Kitsch und persönlichem Heiligtum liegt: „Wenn vermeintlicher Abfall den Status eines Andenkens erhält, lässt sich studieren, dass das Andenken über seinen Erinnerungswert nicht nur der ästhetischen Norm, sondern auch dem Tausch- sowie dem üblichen Gebrauchswert enthoben ist. Es wird allein über die sinnliche Affiziertheit der Beteiligten eingesetzt, und soll es seinen Status beibehalten, muss dieser Affekt immer wieder erneuert werden.“ (S. 20) Auch wenn Holm hier von Überbleibseln spricht, kann die Einschätzung mit Einschränkungen, etwa hinsichtlich des Tauschwerts, auf Souvenirs übertragen werden. Bei der Andenkenpraxis handelt es sich laut Holm „um einen dynamischen und kreativen Prozess, der allein für den Erinnernden Sinn machen muss. Deshalb ist es auch nicht möglich, formale Kriterien für die ästhetische Qualität oder Komplexität eines Andenkens zu erheben.“ (ebd.) Was Holm mit „Sinn machen“ bezeichnet, ist ein Vorgang, der auf Seiten der Rezipienten stattfindet. Es handelt sich um einen Konstruktionsprozess, zu dem der Erinnerungsgegenstand mehr oder weniger geeignetes Material liefert. Erinnert wird dabei an zweierlei: an das Geschehen im Konzentrationslager und an den Besuch der Gedenkstätte.

Jörg Skriebeleit setzt solche Gedenkstättenbesuche in einen touristischen Kontext. Er bezieht sich auf eine vor allem im englischsprachigen Raum geführte Diskussion, die so schillernde Begriffe wie jenen des „dissonant heritage tourism“ hervorgebracht hat. Die Feststellung, dass ein Teil der Gedenkstättenbesucher die Orte ausschließlich aus touristischen Motiven, also scheinbar weniger zum Lernen3 oder zum Gedenken besucht, führt Skriebeleit zu einer Reihe von Fragen, die vor allem durch qualitativ ausgerichtete Besucherevaluationen zu beantworten seien. In diesem Zusammenhang plädiert er dafür, „dass wir die Fragen bezüglich der Besucher von Gedenkstätten auch von den Objekten des Besuchs und der sie umlagernden Bedeutungsschichten aus entwickeln müssen“ (S. 32). Es geht also darum, was die besuchten Orte und die dort zu besichtigenden Dinge für wen attraktiv macht. Im Text wird allerdings neben dieser analytischen Haltung auch deutlich, dass Skriebeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, dem touristischen Charakter von Gedenkstättenbesuchen durchaus kritisch gegenübersteht. Letztlich ist die Gedenkstätte für ihn ein Bildungsort, an dem nicht die noch genauer zu erforschenden Erwartungen der („dark tourism“) Besucher zu bestätigen sind, sondern diesen im Gegenteil beispielsweise der „historische Unterschied zwischen dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und der nahe gelegenen KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sinnhaft zu machen“ sei (S. 37). Was wir Leser uns unter der dazu notwendigen „symbolischen Dekonstruktion“ vorzustellen haben und wie diese beim Adressaten wirksam werden soll, lässt Skriebeleit leider offen.

Anne Bitterberg geht von einem ganz anderen Besuchertypus aus. Sie arbeitet in der niederländischen Gedenkstätte Westerbork, die einen gewissermaßen ganzheitlichen Ansatz verfolgt: Dort sollen den Besuchern ihre Ängste genommen und sie von ihren negativen Erwartungen befreit werden. Anstelle der sensationslüsternen Touristen, von denen Skriebeleit ausgeht, unterstellt man in Westerbork den Besuchern einen eher sensiblen Charakter. Was Bitterberg beschreibt, erscheint mir auf den ersten Blick befremdlich. Grund dafür ist zweifellos, dass der Ansatz aus deutscher Perspektive tatsächlich fremd ist. Der „huisstijl“, die grafisch, sprachlich und im Verhalten umgesetzte „corporate identity“ der Gedenkstätte, orientiert sich stark an den Gefühlen der Besucher, die weder durch die Verwendung historisch belasteter Farben und Symbole verletzt werden sollen (Gelb etwa, als Farbe des Antisemitismus, wird selbst aus Blumensträußen verbannt) noch durch ein möglicherweise dem historischen Geschehen unangemessenes Erscheinungsbild der Büros (die stets aufgeräumt sind). Es gibt sogar eigens einen Mitarbeiter, der das Erscheinungsbild der Gedenkstätte täglich kontrolliert. Aus dieser den Besuchern gegenüber deutlich aufmerksameren Haltung, als sie in vielen deutschen Gedenkstätten (aber auch Museen) zu beobachten ist, folgt als weiteres Zugeständnis an deren Wünsche ein Angebot von Souvenirs, die im Shop der Gedenkstätte erhältlich sind. Bitterberg erläutert an einigen Beispielen, welche Diskussionen es hinsichtlich jedes einzelnen Objekts gab – so etwa im Hinblick auf eine mögliche Postkartenproduktion. Man entschied sich schließlich, Fotos zu verkaufen und es „dem Besucher selbst zu überlassen, ob er die Fotos aufbewahrt oder sie als Ansichtskarte verschickt“ (S. 67).

Die Leitung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück kam noch vor der Wiedervereinigung zu derselben Entscheidung – offenbar im Hinblick auf das „SS-Album“, das aus während der Lagerzeit für die Täterseite angefertigten Fotografien besteht. Darauf weist Matthias Heyl in seinem Aufsatz zu den „Souvenirs der Tat“ hin (S. 93). Ziel seines Beitrages ist es, über die Fotos deutscher Soldaten von ihren Taten – die sie selbst anscheinend gar nicht als Verbrechen deuteten – die Brücke zum Ereignis zu schlagen (S. 88). Damit möchte er einer Repräsentation des Geschehens entgegenwirken, die der Sache selbst, dem Morden und der möglichen Beteiligung der Vorfahren daran, ausweiche. Hier wäre kritisch anzumerken, dass die Analyse der Erinnerung erst den Blick auf ihre sozialen und psychologischen Funktionen jenseits einer stets anklagenden Suche nach Verdrängtem ermöglicht hat.

Ebenfalls am Beispiel Ravensbrücks zu DDR-Zeiten erläutert die Mitherausgeberin Ulrike Dittrich überzeugend und materialreich die Funktion der in den ostdeutschen Gedenkstätten seinerzeit verkauften Anstecknadeln, Wandteller und Medaillen. Sie weist nach, „wie die Objekte durch die häufige Verwendung bestimmter Symbole sowie die ihr immanenten Auslassungen ein engführendes Geschichtsbild transportieren. An ihnen lässt sich aber auch verfolgen, wie Ende der 1980er Jahre eine offenere Symbolik des Gedenkens manifest wird.“ (S. 70) Das ist nicht völlig neu, zeigt aber, dass der von ihr vertretene kommunikationswissenschaftliche Ansatz ein geeignetes Instrumentarium zur Analyse solcher Erinnerungsobjekte bereitstellt. Es wäre sicher ertragreich, sich auf ähnliche Weise gegenwärtigen Souvenirs anzunehmen, etwa jenen aus Westerbork.

Trotz der hier angedeuteten Vielfältigkeit der thematischen Zugänge und disziplinären Ansätze, die sich in den vier nicht besprochenen Texten fortsetzen, bleiben zwei Leerstellen. Die erste betrifft die Rezipienten. Auf deren Erwartungen, Gefühle und Deutungen wird zwar rekurriert, doch fehlt empirisches Material, aus dem sich diese Wahrnehmungen tatsächlich ableiten lassen. Die zweite Lücke betrifft die Frage der „Angemessenheit“: Zwar legen alle Autoren Argumente vor, warum diese oder jene Darstellung ihnen akzeptabel erscheint und warum andere nicht – zumeist vermag ich ihnen dabei auch zu folgen. Offen bleibt aber, wie sich diese Norm konstituiert. Es fehlt mir ein Text, der diese Frage systematisch angeht, der die Normen sowie ihren soziologischen und psychologischen Kern herausarbeitet und so helfen würde, die Souvenirs in Westerbork, Ravensbrück und auch in osteuropäischen Gedenkstätten (die hier kaum Berücksichtigung finden) zunächst analytisch und weniger normativ in den Blick zu bekommen. Ein Kriterium für „Angemessenheit“, das sich aus den Texten herauslesen lässt, ist etwa, inwieweit die Repräsentationen vom Ereignis wegführen und es entdramatisieren. Der Genese und Funktion derartiger Kriterien wäre dann genauer nachzugehen. Trotz dieser Leerstellen ist der Band als Anregung für weitere Diskussionen und Forschungen zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Vgl. das Programm: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=2449>.
2 Das Buch ist auch vollständig online verfügbar: <http://www.politische-bildung-brandenburg.de/publikationen/pdf/kz_souvenirs.htm>.
3 Heiner Treinen hat darauf hingewiesen, dass „sich bilden“ durchaus ein Freizeitvergnügen sein kann (vgl. Treinen, Heiner, Bildung, Unterhaltung, Entertainment – Besucherprobleme von Museen und Industriedenkmalen, in: Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 1 (2001), S. 13-17, hier S. 16).

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