M. Warstat: Theatrale Gemeinschaften

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Titel
Theatrale Gemeinschaften. Zur Festkultur der Arbeiterbewegung 1918-33


Autor(en)
Warstat, Matthias
Reihe
Theatralität 9
Erschienen
Tübingen 2004: A. Francke Verlag
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadine Rossol, History Department, University of Limerick

Feste und Feiern der Arbeiterschaft im deutschen Kaiserreich sind ein beliebtes und gut dokumentiertes Forschungsgebiet. Häufig werden sie als Teil einer politischen Kultur untersucht, wobei den eigentlichen Festinszenierungen weniger Beachtung zukommt als ihrem politischen Kontext.1 Die theaterwissenschaftliche Studie „Theatrale Gemeinschaften. Zur Festkultur der Arbeiterbewegung 1918-33“ von Matthias Warstat verschiebt den Zeitrahmen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik und die Perspektive vom politischen Gehalt zur Ästhetik der Feste. Warstat konzentriert sich auf kommunistische und sozialdemokratische Feierpraktiken. Er interpretiert die Weimarer Republik als wichtiges Experimentierfeld, in welcher sich ein entschiedener Bruch mit den Festlichkeiten des Kaiserreichs vollzog. „Viele Feste der Weimarer Arbeiterbewegung bedienten sich eines körpergestützten Vergemeinschaftungstypus, der nicht mehr primär auf unterhaltsamer Geselligkeit beruhte […] sondern auf ästhetischer Erfahrung.“ (S. 15) Die Studie gliedert sich in drei Teile, die unterschiedliche Elemente dieser Festinszenierungen beleuchten.

Im ersten Teil der Arbeit werden Räume und Atmosphäre, sowie Körper und Bewegung in den Mittelpunkt gestellt. Eine der wichtigsten Entwicklungen, so Warstat, war der Übergang von geschlossenen Festräumen zu Feiern unter freiem Himmel. Restriktive Regelungen für Feste der Arbeiterschaft außerhalb geschlossener Räume änderten sich in der Weimarer Republik und ermöglichten eine sichtbare Besetzung des öffentlichen Raumes. Nach der Gestaltung von Festräumen, analysiert Warstat die gesteigerte Bedeutung von Körpern und Bewegung in der Festkultur der Arbeiterschaft. Er beschreibt wie politische Reden in den Hintergrund gedrängt wurden, um körperbetonten Inszenierungen Platz zu machen. Das Einsetzen von Massensprechchören, Sportvorführungen und Bewegungsgruppen zeugen von dieser Wandlung. Allerdings warnt Warstat davor, Köpereinsatz, Gemeinschaftsgefühl und Rhythmus zwangsläufig mit der vielbeschworenen Militarisierung der Weimarer Republik zu erklären. Er unterscheidet verschiedene Festtypen, wobei manche besonders durch einen militärischen aggressiven Stil, andere wiederum durch tänzerisch schwingende Bewegungen geprägt waren. Warstat verbindet die erste Stilform mit der KPD. Den eher tänzerisch und sportlich beeinflussten Einsatz von Körpern bezeichnet er als charakteristisch für Feste der SPD. Selbstverständlich waren Mischformen beider Stile an der Tagesordnung.

Der zweite Teil der Arbeit behandelt festliche Rituale. Am Beispiel der kommunistischen Totemfeiern für Lenin, Liebknecht und Luxemburg und der sozialdemokratischen Jugendweihe analisiert Warstat Ritualbildungen. Die kommunistischen Feiern waren von dafür wichtigen Elementen geprägt. Jährliche Wiederholung des Gedenkens, bekannte Gelöbnisse, Gesänge und Eidesformeln gehörten dazu. Warstat benennt allerdings auch „Ritualisierungshemmnisse“, die bei der KPD besonders durch die Instrumentalisierung der Feiern für den tagespolitischen Klassenkampf verursacht wurden. Warstat spricht deshalb von „einer begrenzten Ritualisierung“ bei kommunistischen Gedenkfeiern (S. 192). Für die Sozialdemokratie erkennt er ritualhafte Züge in den Feiern der Jugendweihe. Jedoch gab es auch bei der SPD Hindernisse eines Ritualisierungsprozesses. „Denjenigen, die Pathos, Emotionalisierung und kultische Elemente offensiv einforderten, schlug die Skepsis vieler marxistisch und rationalistisch orientierten Bildungsaktivisten entgegen.“ (S. 253)

Geregelte Feierabläufe und Rituale verlangen nach disziplinierten Verhalten von allen Festteilnehmern. Warstat unterscheidet zwischen internen und externen Disziplinierungsversuchen. Externe Disziplinierung entstand durch Überwachungstätigkeiten der Polizei, die in der Weimarer Republik jedoch abnahmen. Interne Disziplinierungsmaßnahmen wurden durch Parteiorganisationen ausgeübt. Warstat beschreibt wie Festorganisatoren beider Parteien versuchten, auf die Festgestaltung Einfluss zu nehmen. Bei der SPD waren die Forderungen nach „kultureller Hebung“ der Feste weit verbreitet. Alkoholkonsum, leichte Unterhaltung und dilettantische Vorführungen sollten vermieden werden. Bei der KPD lag die Betonung auf straff organisierten Propagandafeiern. Warstat weist daraufhin, dass trotz dieser internen Disziplinierungsversuche, Vergnügungs- und Unterhaltungsfeste ihren wichtigen Stellenwert bei Feierlichkeiten der Arbeiterbewegung behielten.

Im dritten Teil seiner Studie zeichnet Warstat den Einfluss des Theaters auf Festtheoretiker und Organisatoren nach. Außerdem konzentriert er sich auf theatrale Aspekte innerhalb von Feierlichkeiten. Er zeigt, dass der Theaterbegriff lange Zeit negativ besetz war und als Abwertung des politischen Gegners gebraucht wurde. Theater war dabei gleichbedeutend mit Manipulation und Inszenierung. Erst die Herausforderungen und Chancen, die durch eine expandierende Massenkultur entstanden, lenkten die Aufmerksamkeit von Festorganisatoren auf Anregungen durch das Theater. Auch dem Einfluss neuer Medien, wie Radio und Film, wurde Rechnung getragen, eine Aufgabe die der KPD weitaus besser gelang als den Sozialdemokarten. Trotzdem, so Warstat, könne von ein „Mediatisierung der Arbeiterfeste“ keine Rede sein (S. 286).

Die Konstruktion einer Gemeinschaftsidentität auf Festen und Feier war nicht neu und auch nicht auf die politische Linke beschränkt. Neu war allerdings, so Warstat, die Fokussierung auf Körper und Bewegung als Darstellungsweise kollektiver Gemeinschaften. Auch hier unterschieden sich Inszenierungsmethoden und Zielsetzungen beider Arbeiterparteien. Das Agitproptheater der Kommunisten war darauf angelegt, die Zuschauer auf eine aktive Beteilung am politischen Kampf einzustimmen. Straff organisierte Bewegungsformation und Sprechchöre traten auf, sollten aber die Trennung zwischen Zuschauern und Teilnehmern nicht aufheben. Bei sozialdemokratischen Massenfesten wurde versucht durch Massenspiele eine Gemeinschaft herzustellen, die das Publikum miteinbezog. Auch wenn dies manchmal nur durch das gemeinsame Singen eines Liedes zum Ausdruck gebracht wurde. Warstat beschreibt, dass sich das Publikum mit der dargestellten homogenen Gemeinschaft identifizieren und an ihr Teil haben sollte. Er gibt allerdings zu bedenken, dass das Einbeziehen der Besucher nicht mit demokratischer Teilnahme zu verwechseln sei. „Teilnahme hieß vielmehr Einordnung in eine vorstrukturierte Formation, über deren Regeln und Grenzen der Einzelne kaum mitzubestimmen hatte.“ (S. 379)

Mehrfach verweist Warstat auf den Mangel an Studien zur Feierpraxis rechter und nationalistischer Verbände für die Weimarer Republik. Dies trifft sicherlich zu, auch wenn die Arbeiten von Sabine Behrenbeck und Peter Fritzsche einen Anfang gemacht haben.2 Vielleicht hätte deshalb eine vergleichende Untersuchung zwischen links- und rechtsgerichteten Parteien mehr Aufschluss gegeben, als der Vergleich KPD und SPD innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung. Leider ist der Bildanteil der Arbeit gering, was bei der thematischen Ausrichtung, die sich so ausgiebig mit visuellen Eindrücken beschäftigt, sehr bedauerlich ist. Interessant wäre auch eine stärkere Konzentration auf lokale Festlichkeiten gewesen, welche vermutlich Unterschiede zwischen Feierpraxis und theoretischem Festdiskurs zum Vorschein gebracht hätte. Warstat hat diese Diskrepanz schon für die Weiterführung geselliger Vergnügungsfeste zeigen können, in anderen Bereichen war sie sicher auch vorhanden.

Matthias Warstat belegt mit seiner Studie eindrucksvoll, wie sich die Festkultur der Arbeiterbewegung, trotz Unterschieden zwischen KPD und SPD, hin zu Masseninszenierung und Visualisierung entwickelte hat. Damit unterschieden sich Feierlichkeiten in der Weimarer Republik deutlich von vorherigen Zeiten. Mit dem Fokus auf Festinszenierungen und Ästhetik gibt Warstat wichtige Anregungen für ein Forschungsgebiet, welches bisher für die Weimarer Republik vernachlässigt wurde. Auch wenn Warstat sich auf die Zeit bis 1933 beschränkt, führen seine Ergebnisse darüber hinaus. Seine Studie zeigt die Festigung und Verankerung von Inszenierungsweisen, die es den Nationalsozialisten leicht machten daran anzuknüpfen und sie auszubauen.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel Korff, Gottfried, Volkskultur und Arbeiterkultur. Überlegungen am Beispiel, der sozialistischen Maifesttradition, in: Geschichte und Gesellschaft 1 (1979), S.83-102; Düding, Dieter (Hg.), Öffentliche Festkultur. Politische Feste in Deutschland von des Aufklärung bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen, 1993.
2 Behrenbeck, Sabine, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923-1945, Vierow bei Greifswald 1996; Fritzsche, Peter, Rehearsals for Fascism. Populism and Political Mobilization in Weimar Germany, Oxford 1990.

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