K. Naumann (Hg.): Nachkrieg in Deutschland

Cover
Titel
Nachkrieg in Deutschland.


Herausgeber
Naumann, Klaus
Erschienen
Anzahl Seiten
576 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Küchenmeister

Der Herausgeber des gehaltvollen und anregenden Sammelbandes, der zeitgeschichtliche Forschung und zeitdiagnostische Erwägungen vereinen will, beginnt sein Vorwort mit der unbestrittenen Feststellung, dass „eine der erstaunlichsten und zugleich irritierendsten Leistungen der deutschen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg darin bestand, wie sie die Kriegsfolgen meisterte. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg gelang es nach 1945 in jahrzehntelangen, sich schubweise vollziehenden Entwicklungen, Zivilität zu etablieren, die in der deutschen Vergangenheit ohne Vergleichsfall ist“ (S. 9). Dieser Ausgangspunkt lässt ihn dann aber zu Recht fragen, wann die deutsche Nachkriegszeit denn eigentlich endete – mit der Währungsreform 1948, mit der Blockeinbindung 1955, mit der Protestbewegung der 68ziger oder erst mit dem Fall der Mauer und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990, und womöglich ist sie auch einfach mit der Zweistaatlichkeit gleichzusetzen.

Die Vielfalt der Ansätze verbirgt gleichermaßen Konzeptionen wie sie durch ihre offensichtliche Interpretationsunsicherheit irritiert. Und hier versuchen Herausgeber und Autoren mit ihren Fallstudien und Übersichtsdarstellungen anzusetzen und die Geschichte der alten Bundesrepublik – die der DDR leider unzureichend, nur „mit Seitenblick“ (S. 12) – so zu beschreiben, „dass die Unwahrscheinlichkeiten und die Kontingenzen, die schweren Beschädigungen und die bis ins private reichenden Tiefenkonflikte der Entwicklung dieser aus der Gewalt eines totalen Krieges entstandenen Gesellschaft erkennbar werden“ (ebenda).

Der Band enthält zwanzig Beträge, die in den Teilen „Integration“, „Trauma“ und „Generation“ zusammengefasst sind. Die erste Rubrik vereint Artikel von Robert G. Moeller, Frank Biess, Thomas Kühne, Michael Schwartz, Elizabeth Heinemann, Heide Fehrenbach, Franka Schneider sowie Uta G. Poiger. Diese Beiträge spannen den Bogen von den sozialen und kulturellen Veränderungen bis zum nation building – Kriegsgefangene, Heimkehrer, Vertriebene und ihre Einbindung, NS-Verfolgte, Veteranenkultur, Wandel zur Freizeitkultur, Geschlechterfragen lauten die Stichpunkte.

Michael Geyer, Thomas W. Neumann, Svenja Goltermann, Vera Neumann, Regina Mühlhauser und Micha Brumlik steuerten die Artikel zum zweiten Teil des Bandes bei, in denen sie auf die physischen und psychischen Verletzungen und ihre vielfältigen Nachkriegswirkungen eingehen. Die Beiträge entgehen den Gefahren, die dem häufig strapazierten Modethema „Trauma“ innewohnen. Für den Herausgeber verdeutlichen sie, dass die Kriegsfolgengesellschaft „immer auch eine Angstgesellschaft – sowohl im Hinblick auf die Folgen des eigenen Tuns wie vor den Unwägbarkeiten der zeitgeschichtlichen Entwicklungen des Kalten Krieges“ (24f.) war.

„Generationen“ – der dritte Teil – untersucht die unterschiedlichen Kriegsprägungen der verschiedenen Altersgruppen (Soldatengeneration, Flak-Helfer, Kriegskinder) und ihr Wirken bis zum heutigen Tage. So waren es die um 1930 Geborenen, die die scharfen Konturen des Nachkriegs schnell verschwimmen ließen, ohne sich jedoch von den tiefen Erlebnissen befreien zu wollen oder zu können. Und diese Generation prägte dann entscheidend die Entwicklung in der Bundesrepublik als „45er“ (oder auch in der DDR als „FDJ-Generation“) fast bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Die Beiträge stammen von Jörg Echterkamp, Klaus Neumann, Jörg Lau, Dagmar Herzog und Harald Welzer.

Das Buch zeigt, welche Verletzungen, Ängste, Verunsicherungen, Lebenszweifel aber auch Lebenshoffnungen die Geschichte der „Bonner Republik“ untergründig, aber nachhaltig beeinflussten und in einigen wesentlichen Fragen noch immer in der deutschen Gesellschaft nachwirken. Neben der wissenschaftlichen Leistung der einzelnen Beiträge im engeren Sinne liegt dann auch hier der vielleicht größte Vorzug des zusammengestellten Bandes: Er erhellt nämlich so manche heftig geführte aktuelle politische bzw. geschichtspolitische Debatte in der Öffentlichkeit der „Berliner Republik“. Deshalb ist es sogar ein Gewinn, wenn gefragt und nicht voreilig und oberflächlich beantwortet wird, ob ein Ende des „Nachkriegs“ vorstellbar ist und welche die Bedingungen dafür wären.

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