W. Roell: Sozialdemokraten im Konzentrationslager

Titel
Sozialdemokraten im Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945. Unter Einbeziehung biographischer Skizzen


Autor(en)
Röll, Wolfgang
Herausgeber
Stiftung Gedenkstätten Buchenwald Mittelbau-Dora
Erschienen
Göttingen 2000: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
357 S.
Preis
DM 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bärbel Schindler-Saefkow, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Die von Wolfgang Röll erarbeitete Studie ist für die Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung wie zur Geschichte der faschistischen Konzentrationslager ein wissenschaftlicher Gewinn. Der Autor widmet sich einem Thema, das in den zurückliegenden Jahren wenig aufgearbeitet und trotzdem im Zusammenhang mit der Rolle der Funktionshäftlinge in Konzentrationslagern kontrovers diskutiert wurde. Das Fehlen konkreter Kenntnisse über Sozialdemokraten in Konzentrationslagern machte sich dabei schmerzlich bemerkbar. Die Studie füllt eine Lücke und bearbeitet sozusagen ein unaufgearbeitetes Thema. Der Autor gibt sich als Kenner der erschienenen Literatur in Ost und West zu erkennen, verarbeitet diese und stellt sie in seinem Buch gut strukturiert vor.

Seiner Ausarbeitung lag ein umfangreiches Quellenstudium zugrunde, was durch einen guten wissenschaftlichen Apparat ausgewiesen ist. Insbesondere die biographischen Forschungen zu 120 Sozialdemokraten waren für das Gelingen der Studie sehr ertragreich. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit dem kürzlich erschienenen Gedenkbuch für verfolgte Sozialdemokraten, in dem 505 Biographien von Frauen und Männern aufgenommen wurden. 1 Im Text des Buches von Wolfgang Röll sind über die besprochenen Personen hinaus noch zahlreiche weitere biographische Angaben über Menschen enthalten, die den Weg der Sozialdemokraten in Buchenwald kreuzten.

Der von dem Autor gewählte inhaltliche Aufbau widmet sich unterschiedlichen Seiten des Themas:

Zunächst ordnet Wolfgang Röll das Thema in grundsätzliche Fragen der Verfolgung und des Widerstandes ein, um den Anteil der Sozialdemokraten im Widerstand erklären zu können. Dabei bemüht er sich um realistische Einschätzungen, diesen nicht überbewerten. In einem zweiten Abschnitt werden die Sozialdemokraten in Buchenwald als Gruppe der politischen Gefangenen charakterisiert und in chronologischer Reihenfolge die Gründe für die Einweisung nach Buchenwald im Zusammenhang mit bestimmten Verhaftungswellen dargelegt.

Schon bald nach Hitlers Machtergreifung wurde die SPD verboten, und ihre Mitglieder wurden als politische Feinde verfolgt. Vor dem Krieg wurden viele Sozialdemokraten bei politischen Massenprozessen verurteilt und zur Verbüßung der Haftstrafe in Konzentrationslager deportiert. Während des Krieges erfolgten zwei große Verhaftungsaktionen, von denen in starkem Maße Sozialdemokraten betroffen waren.

Insgesamt schätzt der Autor die Zahl der inhaftierten Sozialdemokraten in Buchenwald auf 600. Die Bezeichnung Sozialdemokraten verwendet Röll ausdrücklich auch auf viele Splittergruppen, etwa die SAP (Sozialistische Arbeiterpartei), Rote Kämpfer und ISK (Internationaler Sozialistischer Kampfbund). In manchen Biographien findet man auch ein Schwanken innerhalb der politischen Richtungen in der großen Strömungen in der Arbeiterbewegung. Die Methode des Buches - Biographien und Schicksale im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen der Verfolgungsgeschichte darzustellen - beginnt mit den aus dem KZ Lichtenburg nach Buchenwald überführten Sozialdemokraten Johannes Bremer und Carlo Mierendorf. Die Dramatik der Ereignisse um die Flucht von Peter Forster wird im Zusammenhang mit der Unterstützung dargestellt, die der "Neue Vorwärts" gegen dessen Auslieferung aus der Tschechoslowakei leistete. Besonders in diesem Kapitel wir die Brutalität und die moralische Verlogenheit der SS gegenüber politischen Häftlingen aufgezeigt.

In einem weiteren Kapitel untersucht Wolfgang Röll die Gruppe der "Politischen Juden", die im September 1938 aus Dachau nach Buchenwald kamen nach den darunter befindlichen Sozialdemokraten. In diesem Zusammen wird der Lebensweg und der tragische Tod von Ernst Heilmann analysiert und gewürdigt. Noch in die Vorkriegszeit gehört der dargestellte Weg der bisher weniger bekannten Sozialdemokraten Ernst Walz und Herbert Goßmann aus einem Zuchthaus in das KZ. Den prominenten Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und Hermann Brill wird jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet.

Sozialdemokraten fielen der Einweisung nach Buchenwald außerdem im Zusammenhang mit den Verhaftungswellen zu Beginn des Krieges und im Jahre 1944 unter der Bezeichnung "Gitter" zum Opfer, die speziell untersucht werden. In seinem Buch bietet der Autor über die Gruppe, der von ihm untersuchten Personen eine soziologische Analyse an, in der er die parteipolitische Zugehörigkeit, deren Dauer, die soziale Herkunft, die Altersstruktur und die politische Tätigkeit nach 1945 vorstellt. Schließlich wird auch der Frage nachgegangen, ob es einen eigenständigen Widerstand bzw. eine Solidarität zwischen den sozialdemokratischen Häftlingen gegeben hat. Der Darstellung ist die Bemühung um eine ausgewogene Wertung zu entnehmen, die sowohl die Umstände des KZ-Alltags unter denen sich das Handeln der Sozialdemokraten abspielte berücksichtigt, als auch die Auseinandersetzung mit den Vorwürfen, dass sich die Unterstützung einer bestimmten Gruppe zum Nachteil anderer ausgewirkt habe. Hier wird auch das schwierige zwiespältige Verhältnis der politischen Häftlinge zur sogenannten Häftlingsselbstverwaltung aufgezeigt. Sozialdemokraten haben im Verlaufe der Jahre der Existenz von Konzentrationslagern von einer zunächst grundsätzlichen Ablehnung der Übernahme von Häftlingsfunktionen zu einer Bereitschaft gefunden, auf bestimmter Ebene Kapo-Funktionen auszuüben, mit denen man die Häftlinge sowohl vor der SS als auch vor skrupellosen brutalen Häftlingen schützen konnte. Dafür werden mehrere Beispiele genannt.

Das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten beleuchtet der Autor besonders und setzt sich mit verschiedenen Thesen in diesem Zusammenhang auseinander. Es belegt die Existenz sozialdemokratisch geprägter Gruppen, die dem Widerstand zugeordnet werden können und stellt dazu fest, dass jedoch die illegale Lagerleitung von Kommunisten dominiert war. Wolfgang Röll nennt unterschiedliche Wege, durch die aus Sozialdemokraten Kommunisten wurden und umgedreht. Um das Verhältnis von Kommunisten und Sozialdemokraten näher zu beleuchten, befasst sich der Autor damit in einem speziellen Kapitel. Dabei erkennt er ausdrücklich die herausragende Rolle der Kommunisten in der Häftlingsgesellschaft an. Für den Leser sehr aufschlussreich ist die Wiedergabe der unterschiedlichen Meinungen in dieser seit 1945 kontrovers geführten Diskussion. Das Verhältnis zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Buchenwald durchlebte unterschiedliche Phasen, in denen der Kontakt mal stärker und mal distanzierter war. Es erlebte seine engsten Zeiten durch die Unterstützung von Hermann Brill, der ab Frühjahr 1944 einem Volksfrontkomitee vorstand und zerbrach schon bald nach der Befreiung.

Ein besonderes Kapitel des Buches ist die Behandlung des Buchenwalder Manifests der demokratischen Sozialisten vom April 1945. Dieses bisher nur zu speziellen Anlässen beachtete Dokument wird in seinem Inhalt, seiner Entstehungsgeschichte und seiner Wirkung in den ersten Monaten nach der Befreiung von Buchenwald beschrieben. Das Nichtbeachtung dieses Dokument in der DDR-Geschichte wird auch der Tatsache zugeschrieben, das einer der Hauptinitiatoren Hermann Brill in den Westen ging und es seitdem keine Gemeinsamkeiten zwischen ihm und den kommunistischen Buchenwalder Häftlingen mehr gab. In der Veröffentlichung wird der Inhalt des Manifest referiert - ein Gesamtabdruck im Anhang wäre für dieses Buch sicher von Interesse gewesen. Theoretisches Denken der Sozialdemokraten wird so auch in Buchenwald nachgewiesen. Wolfgang Röll hat versucht über alle Unterzeichner des Dokuments Angaben zu finden. Von den 42 Sozialisten waren 32 Deutsche, 7 Österreicher, 1 Belgier und ein Niederländer.

Als Nachbemerkung äußert sich der Autor zur Erinnerungskultur an die Sozialdemokraten in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald der DDR, in dem er die Würdigung für Rudolf Breitscheid und Ernst Heilmann, die in Buchenwald gestorben sind, aufzeigt. Die Herabsetzung der Leistungen von Hermann Brill beleuchtet er kritisch.

Die als Anhang bezeichneten Kurzbiographien umfassen schätzungsweise ein Fünftel der sozialdemokratischen Häftlinge. Sie sind mindestens für das noch zu vervollständigende Gedenkbuch für verfolgte Sozialdemokraten eine wertvolle Ergänzung, zumal sich Wolfgang Röll nicht nur den Biographien bekannter Politiker widmete, sondern auch solchen, die auf regionaler Ebene wirkten.

Anmerkung:

1 Der Freiheit verpflichtet. Gedenkbuch der deutschen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert, Marburg 2000.

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