In den 1950er- und 1960er-Jahren stieg mit dem Wirtschaftswachstum und nach dem Mauerbau der Arbeitskräftebedarf in der Bundesrepublik, den man mit der Anwerbung ausländischer Arbeiter:innen zu decken begann. Die „Gastarbeiter“ und die Prägekraft der Arbeitsmigration auf den gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik sind Thema einiger in jüngerer Zeit erschienener zeithistorischer Studien.1 Beiträge zum Thema Arbeitsmigration, die sich ihrem Gegenstand auf der Betriebsebene nähern, sind dabei bisher nur in geringer Zahl vorhanden. In diese Forschungslücke stößt Lena Foerster mit ihrer 2021 als Buch veröffentlichten Dissertation. Anhand von drei Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie untersucht sie das Handeln von Unternehmensleitungen, Betriebsrat und Gewerkschaften sowie der deutschen und ausländischen Belegschaften in Bezug auf die Ausländerbeschäftigung. Im Mittelpunkt ihres Erkenntnisinteresses steht die Bedeutung der Branche, der Produktionsstrukturen und des Standortes für das Verhältnis der beteiligten Akteure und die Entscheidungsprozesse. Zudem werden Fragen nach Konflikten, ihrer Lösung und der Etablierung sich neu herausbildender Konfliktlösungsmuster gestellt.
Leitend für die Untersuchung ist das bewusste Handeln der ausländischen Arbeitskräfte, das auf die Verbesserung ihrer Situation abzielte. Die „Gastarbeiter“ sind mitnichten lediglich Spielball von Unternehmenspolitik, sondern als aktive Akteure im Betrieb zu verstehen. Dementsprechend folgt die Studie einem mikropolitischen Ansatz, einem aus der Industrie- und Organisationssoziologie stammenden Konzept, das ab Mitte der 1990er-Jahre von Historiker:innen aufgegriffen wurde.2 Durch einen sozial- und alltagsgeschichtlichen Zugriff auf den Betrieb werden dabei die Kommunikations- und Sozialbeziehungen in den Blick genommen und Entscheidungen im Unternehmen nicht als reines Ergebnis von Managementhandeln, sondern als Produkt von Aushandlungsprozessen zwischen verschiedenen betrieblichen Akteuren verstanden. Foerster fokussiert dabei nicht ausschließlich auf den Betrieb, sondern nimmt auch politische und soziale Wirkzusammenhänge außerhalb des betrieblichen Handlungsfeldes wie die Wohnsituation und den Austausch innerhalb der Branche in den Blick. Als Fallbeispiele werden Betriebe von Thyssen in Duisburg, Krupp in Rheinhausen und Essen sowie der Hüttenwerke Oberhausen AG (HOAG) herangezogen.
Als Quellengrundlage dienen unter anderem die jeweiligen Konzernarchive, etwa aufschlussreiches Aktenmaterial aus den Personalbüros wie auch Werkszeitschriften. Für die Untersuchung der betrieblichen Mitbestimmung hat Foerster im Bestand der IG Metall recherchiert, der im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) in Bonn einsehbar ist. Neben der regionalen Presseberichterstattung zieht sie auch Quellen der betreffenden Branchenverbände und zeitgenössische Studien heran. Auf Oral History verzichtet die Autorin, greift aber auf schon vorhandenes Interviewmaterial zurück.
Die Studie ist systematisch gegliedert, wobei die einzelnen Kapitel teils einer chronologischen Darstellungsweise folgen. Im ersten Kapitel skizziert die Autorin die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für den von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren reichenden Untersuchungszeitraum. Im daran anschließenden Kapitel wird das Ruhrgebiet als Zuwanderungsziel näher beleuchtet und der Frage nachgegangen, wie die Fremd- und Zwangsarbeiter:innen, die im Zweiten Weltkrieg von den dortigen Unternehmen ausgebeutet wurden, die Wahrnehmung und den Umgang mit den „Gastarbeitern“ ab den 1950er-Jahren beeinflussten. Ein Überblick über den Austausch über die „Ausländerbeschäftigung“ innerhalb der Branche kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass dort auch die Belange der ausländischen Beschäftigten einen hohen Stellenwert hatten.
Anschließend geht es um die auf der Betriebsebene angesiedelten Entscheidungen, die zur Einstellung von ausländischen Arbeitskräften führten oder diese verhinderten. Dabei stehen vor allem Unternehmensleitungen und Betriebsräte und ihr Handeln im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes im Mittelpunkt. Gefragt wird auch nach der Beteiligung ausländischer Arbeitnehmer:innen an der betrieblichen Mitbestimmung und den Arbeitskämpfen. Der Einsatz von „Gastarbeitern“ unterlag konjunkturellen Schwankungen und diente der Behebung von Arbeitskräftemangel. Wenn es möglich war, so ein Befund dieses Kapitels, wurde auf den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte zugunsten deutscher Arbeitnehmer:innen verzichtet. Betriebsräte waren nur bedingt auch Interessenvertretung für die ausländische Arbeitskräfte, häufig wurden sie von der Belegschaftsvertretung nicht als Teil der Stammbelegschaft gesehen. Gerade in Krisenzeiten unterschieden Betriebsräte deutlich zwischen deutschen und ausländischen Belegschaftsmitgliedern und positionierten sich mitunter gegen die Beschäftigung von „Gastarbeitern“. In den Vertretungsorganen der Eisen- und Stahlindustrie waren ausländische Arbeitskräfte deutlich unterrepräsentiert, obwohl sie in den verschiedenen Arbeitskämpfen durchaus sichtbar waren.
In einem weiteren Kapitel stehen die Unterbringung der ausländischen Arbeitskräfte und die damit zusammenhängenden Entscheidungsprozesse und Auseinandersetzungen sowie das Alltagsleben in den betrieblichen Unterkünften im Mittelpunkt. Aufschlussreich sind die Beschreibungen des Lebens im Wohnheim und wie die Bewohner:innen ihren Handlungsspielraum für die Verbesserung ihrer Wohnsituation zu nutzen wussten. Das Handeln der Unternehmen hinsichtlich der Unterbringung beschreibt Foerster als „verständnisvoll und entgegenkommend“ (S. 238). Hinweise auf eine diskriminierende Wohnungspolitik findet sie in den angeführten Beispielen nicht.
Das letzte Kapitel bezieht sich wieder auf den Betriebsalltag und lotet am Beispiel der HOAG alltägliche Konflikte im Belegschaftshandeln und deren Lösung aus. Im Unterkapitel „Diskriminierungen und Ausländerfeindlichkeit im Betrieb“ richtet Foerster den Blick auf eine Facette des deutschen Rassismus, der in der deutschen Zeitgeschichte immer noch ein Desiderat ist. Allerdings vermisst man hier eine vorangestellte Diskussion und Kontextualisierung einiger zentraler Begriffe. Im Buch werden zwar einige Begriffe wie etwa „Gastarbeiter“ zurecht in Anführungsstriche gesetzt, aber die Reflektion von nicht unumstrittenen Begriffen wie „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ fehlt. Diese begriffliche Unschärfe zeigt sich auch in einigen Einordnungen: Irritierend ist etwa, dass die von einem deutschen gegenüber einem jugoslawischen Arbeiter geäußerte Beleidigung „Knoblauchfresser“ von der Autorin „nicht deutlich als fremdenfeindlich charakterisiert“ wird (S. 270). Rassismus erscheint in dieser Darstellung mehr als eine Reihung von betrieblichen Einzelfällen und weniger als Ausdruck und Teil eines gesamtgesellschaftlichen Problems. Mit in der aktuellen Forschung diskutierten Begriffen wie der Binarität von „Deutschen und Ausländern“ oder dem des „strukturellen Rassismus“, wie sie etwa von Historikerin Maria Alexopoulou ins Feld geführt werden3, hätte dieser Aspekt in Foersters Studie sicher mehr Tiefenschärfe gewinnen können.
Trotz dieses Einwandes ist die Studie ein äußerst lesenswerter Beitrag zur historischen Arbeitsmigrationsforschung und Anknüpfungspunkt für weiterführende Studien zum facettenreichen Alltag der „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik. Ein ebenso mikropolitisch angelegter Vergleich mit dem Alltag der „Vertragsarbeiter“ in der DDR wäre sicher eine lohnenswerte Fortführung.
Anmerkungen:
1 Stefan Zeppenfeld, Vom Gast zum Gastwirt? Türkische Arbeitswelten in West-Berlin, Göttingen 2020.
2 Karl Lauschke (Hg.), Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts, Essen 1994.
3 Maria Alexopoulou, Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen, Ditzingen 2020.