J. Tesch u.a.: "Der Deiwel soll die ganze Poltik holen"

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Titel
"Der Deiwel soll die ganze Politik holen". Ein Briefwechsel aus Deutschlands erster parlamentarischer Demokratie 1919–1925


Autor(en)
Tesch, Johanna; Tesch, Richard
Erschienen
Frankfurt am Main 2022: Henrich Editionen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Irmela Diedrichs, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Wie präsent sind und waren Frauen in den deutschen Parlamenten? Welche Positionen besetzten die Politikerinnen? In welchen Themenfeldern brachten sie sich besonders ein? Welche Rolle spielt Gender im politischen Betrieb? Spätestens seit dem Jubiläum von 100 Jahre Frauenwahlrecht im Jahr 2018/19 sowie der Bundestags- und Kanzler:innenwahl 2021 stehen diese Fragen wieder auf der Tagesordnung. Während sich Historiker:innen bemühen, eine geschichtswissenschaftliche Perspektive in die Debatte einzubringen, sind trotz einiger neuerer Publikationen anlässlich des Jahrestags1 nach wie vor Forschungslücken in der geschlechtergeschichtlichen Demokratie- und Parlamentarismusforschung zu konstatieren.

Frische Impulse gehen von dem hier zu rezensierenden Quellenband aus. Er enthält eine Auswahl aus dem umfangreichen Briefwechsel des in Frankfurt am Main beheimateten Ehepaars Johanna und Richard Tesch aus den Jahren 1919 bis 1925. Johanna Tesch wurde in dieser Zeit für die SPD in die Nationalversammlung gewählt und saß bis 1924 im Reichstag. Im Anschluss war sie für die Partei und die Arbeiterwohlfahrt als Agitationsrednerin und als Vorstandsmitglied der SPD Frankfurts tätig. Sie war eine der ersten Parlamentarierinnen der Weimarer Republik. Während sie als Abgeordnete arbeitete, ging ihr Ehemann zuhause seiner Erwerbsarbeit für die sozialdemokratische Tageszeitung „Volksstimme“ nach, kümmerte sich um die Söhne (Jahrgang 1899 und 1902) und organisierte (zumindest zum Teil) den Haushalt und Garten. Der Quellenband setzt sich zusammen aus einer Auswahl von Schriftstücken aus dem Konvolut der 354 Briefen und Postkarten aus den Jahren 1909 bis 1945, die Johanna Teschs politisches Engagement in Nationalversammlung, Reichstag und darüber hinaus beschreiben. Sie berichten vom Arbeitsalltag der sozialdemokratischen Abgeordneten, ihren Netzwerken, von Wahlkämpfen und den politischen wie wirtschaftlichen Sorgen und Plänen des Ehepaars – mitten in gesellschaftlich umkämpften Zeiten wie den Auseinandersetzungen um das Betriebsrätegesetz, dem Kapp-Putsch oder dem Mord an Walther Rathenau.

Die Enkelin des Ehepaars, Sonja Tesch, hatte dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurts am Main 1983 ein erstes Konvolut an Briefen gespendet und ein zweites im Jahr 2020. Sie war zugleich Teil der Arbeitsgruppe, weiter bestehend aus Jutta Roitsch, Bruni Marx, Lothar Wentzel und Dieter Wesp, die die Briefe für den Quellenband transkribierten und zusammenstellten. Dieser Veröffentlichung ist ein Dokumentationsband des gesamten Briefwechsels Johanna Teschs mit ihrer Familie vorausgegangen.2

Der kommentierte Quellenband, auch „Lesebuch“ genannt (S. 12), richtet sich sowohl an geschichtsinteressierte Leser:innen als auch an Forschende. Sonja Tesch fasst in einem Vorwort die Geschichte der Familie Tesch zusammen. Jedem der chronologisch angeordneten Kapiteln gehen von Lothar Wentzel verfasste Anmerkungen zum sozialen, wirtschaftlichen und politischen Hintergrund der Briefe sowie zur Einordnung in die Geschichte der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter:innenbewegung voraus. Sie erleichtern fachfremden Leser:innen ebenso den Einstieg in das Thema wie die Kommentare am Rand der Briefe. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Fehlen einer Einleitung zu bemängeln. Stattdessen gibt es ein Grußwort, mehrere Vorworte und einen Nachtrag. Wenn Dieter Wesp in seinem Vorwort schreibt, dass der entstandene Quellenband zeige, „unter welchen Bedingungen Johanna Tesch als erste weibliche Abgeordnete aus Frankfurt am Main ihr persönliches und politisches Leben gestaltete“ (S. 12), ist immerhin implizit eine Fragestellung benannt. Auf den Forschungsstand geht erst Jutta Roitsch am Ende des Buches in ihrem Nachtrag ein, allerdings ohne den – zweifelsohne vorhandenen – Beitrag des vorliegenden Briefwechsels einzuordnen.

Die Forschung zu weiblichen (sozialdemokratischen) Abgeordneten der Weimarer Republik steht, obwohl schon durch Christl Wickert 1986 erschienene Monografie und Dokumentation geprägt3, noch immer am Anfang. Der Quellenband kann hier Akzente setzen. So belegen Johanna Teschs Briefe die Aussage Wickerts, dass sich die sozialdemokratischen Parlamentarierinnen am stärksten zu sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Fragen einbrachten.4 Auch die in den Briefen zurückhaltend wirkende Johanna Tesch war in der Sozialpolitik aktiv, und dies bereits früh in ihrer politischen Biografie: Sie war seit 1902 im Bildungsverein für Arbeiterfrauen und -mädchen tätig, in Hausfrauengewerkschaften, später in der Kriegsfürsorge und sprach in den folgenden Jahren auf zahlreichen Frauenagitationsveranstaltungen. Im Rahmen einer Versammlung der sozialdemokratischen Parlamentarierinnen ließ sie sich 1919 für sozialpolitische Fragen vormerken; ihr einziger nachgewiesener Redebeitrag im Reichstag vom 5. Mai 1923 behandelt den Arbeitsschutz von Arbeiterfrauen und -jugendlichen, mit besonderem Fokus auf die Hausangestellten (S. 223-226). Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Frauenpolitik. Ansonsten hielt sich Johanna Tesch in ihren Briefen mit politischen Positionen eher zurück. Auffallend ist ihre mehrmalig geäußerte Kritik an der USPD. Aussagen über politische Diskussionen und Entscheidungen der Parteien sind selten und allenfalls kurz vermerkend beschrieben. Häufig berichtet sie stattdessen über die weibliche Vernetzung innerhalb der SPD-Fraktion, aber auch parteiübergreifend. Während diese Zusammenarbeit in der Forschung über Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik immer wieder thematisiert wird5, können Johanna Teschs Briefe die bisherigen Erkenntnisse um weitere Facetten ergänzen: In welchen Räumen trafen sich die Frauen? Wie stärkten persönliche Freundschaften, wie die zwischen Elfriede Ryneck und Johanna Tesch, ihre politische Arbeit?

Ganz generell eröffnet der Briefwechsel einen lohnenden Blick auf den weiblichen, politischen Alltag im Parlament – gerade auch von jenen Parlamentarierinnen, die – etwas despektierlich – als Hinterbänklerinnen bezeichnet wurden und daher in der Forschung bislang noch wenig Beachtung fanden.6 Johanna Teschs beruflicher Alltag bestand unter anderem daraus Vortragsreisen zu unternehmen, politische Freundschaften zu führen, Sitzungen (z.B. des Petitionsausschusses) vorzubereiten und daran teilzunehmen sowie Kulturveranstaltungen und Gesellschaften zu besuchen. Gerade letzteres brachte ihr von ihrem Ehemann mehrmals den Vorwurf ein, sich nur zu vergnügen. Dabei machte sie in ihren Briefen regelmäßig deutlich, wie viel sie arbeite. Gleichzeitig gab sie die Verantwortung für den Haushalt ihrer Familie in Frankfurt nicht gänzlich ab, obwohl sie mit ihrer politischen Arbeit zeitlich bis zur Erschöpfung ausgelastet war. Hier liefert der Band interessante Einsichten in die Vereinbarkeit von Mandat und Privat- und Familienleben, zumal Johanna Tesch innerhalb der SPD-Fraktion zu der Minderheit verheirateter Frauen gehörte. Richard Tesch führte den Haushalt, unterstützt durch die Lebenspartnerin des im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohnes. Johanna Tesch schickte aus der Ferne Kochanleitungen und Anweisungen zum Umgang mit Haus und Garten. Wenn sie zuhause weilte, übernahm sie weitere Arbeiten. Die Eheleute besprachen sich per Brief über ihre Sorgen: Dazu gehörten regelmäßig die Entwicklung der Söhne, aber auch Geldsorgen, die durch die Inflation vergrößert wurden.

Fazit: Der Quellenband kann wichtige Beiträge zur geschlechtergeschichtlichen Forschung über Parlamentarierinnen in der Weimarer Republik leisten. Der Briefwechsel dokumentiert detailreich die Perspektive einer Abgeordneten im männlich dominierten Arbeitsort Parlament. Er gibt wertvolle Einblicke in die Arbeits- und Lebensweisen innerhalb der Frauennetzwerke und den spezifischen Alltag von Parlamentarierinnen. Die zum Teil sehr liebevolle Auswahl des Briefwechsels (vermutlich durch die Enkelin Sonja Tesch geprägt) steht insofern einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse nicht im Weg. Vielmehr geben Johanna Teschs politische Einschätzungen, kombiniert mit ihren emotionalen Berichten und den herzlichen Worten, aber auch den Konflikten des Ehepaars ein komplexes Abbild ihrer Erfahrungen als Parlamentarierin.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Hedwig Richter / Kerstin Wolff (Hrsg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg 2018; Dorothe Linnemann (Hrsg.), Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht, Frankfurt am Main 2018; Kerstin Wolff, Starke Hessinnen – 100 Jahre Politikerinnen im Hessischen Landtag, Wiesbaden 2019.
2 Verein für Frankfurter Arbeitergeschichte e.V. und Sonja Tesch (Hrsg.), Johanna Tesch – Briefwechsel 1919-1945 Dokumentation, Frankfurt am Main 2020.
3 Christl Wickert, Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag und im Preußischen Landtag 1919 bis 1933, Bd. 1, Göttingen 1986.
4 Ebd., S. 125, S. 176.
5 Kirsten Heinsohn, Ambivalente Entwicklungen. 150 Jahre Frauenbewegung, Politik und Parteien, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 67/68 (2015), S. 40-48, hier S. 43f.; Heide-Marie Lauterer, Parlamentarierinnen in Deutschland 1918/19–1949, Königstein 2002, S. 124; Kerstin Wolff, Unsere Stimme zählt! Die Geschichte des deutschen Frauenwahlrechts, Überlingen 2018, S. 148.
6 Lauterer, Parlamentarierinnen, S. 70–85.

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