Cover
Titel
The Pursuit of Glory. Europe 1648-1815


Autor(en)
Blanning, Tim
Erschienen
London 2007: Penguin Books
Anzahl Seiten
707 S.
Preis
€ 28,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Institutionen för kultur, genus och historia, Södertörns Högskola

Das populärwissenschaftliche Buch hat in der angloamerikanischen Welt eine lange Tradition. Deutsche Historiker beneiden ihre Kollegen mehr oder weniger offen um die Fähigkeit, ein breites Publikum mit ihren Erzählungen anzusprechen. Blanning bietet eine solche ganz explizit. Die auf dem Buchumschlag mitgelieferten Besprechungen nahezu aller großen englischen Tageszeitungen: „glorious best, magnificient, sparkling, triumph“ und dergleichen mehr sind damit in gewisser Weise berechtigt. Blanning schreibt ein kundiges Buch über die frühneuzeitliche Geschichte Europas für ein an Geschichte interessiertes und gebildetes Publikum, also für die Leser der betreffenden Zeitungen. Dies birgt sowohl Vorteile als auch Nachteile.

Blanning unterteilt seine Geschichte Europas in vier große Kapitel. Das einleitende Kapitel: „Life and Death“ bietet einen fast 200-seitigen Aufriss zu den Themen Kommunikation, Bevölkerungsentwicklung, Handel und Landwirtschaft. Damit legt er die wirtschaftshistorischen Grundlagen der Epoche. Das zweite Kapitel: „Power“ berichtet über wesentliche politische Entwicklungen mit einem Schwerpunkt auf den großen Höfen Europas. „Religion and Culture“ beschreibt Konfession und Hochkultur, und ist dabei ebenfalls auf die europäischen Höfe fokussiert. Der abschließende vierte Teil: „War and Peace“ stellt in einem chronologischen Überblick die Kriege dieser Epoche dar, vor allem die Kriege Frankreichs.

Die Leichtigkeit, mit der Blanning Beispiele aus unterschiedlichen Kulturen nebeneinander stellt, zeigt ihn ebenso wie die Fülle der verarbeiteten Fakten als einen souveränen Kenner der Epoche. Zwar deckt die Darstellung die Zeit von 1648 bis 1815 nicht gleichmäßig ab: Der Autor fühlt sich offenkundig am wohlsten, wenn es um die Politik und Kultur der Aufklärungszeit geht. Das ist jedoch kein wesentlicher Einwand. Wesentlicher ist hingegen, dass Blanning nicht für seine Kollegen schreibt, wie schon der Mangel an Nachweisen zeigt. Seine Popularisierungsleistung, die Übersetzung von Fachwissenschaft in Erzählung, folgt notwendigerweise anderen Regeln als denen des fachwissenschaftlichen Publizierens. Blanning wendet diese Regeln an, möglicherweise mit Rücksicht auf Vorgaben des Verlags, der das Buch in einer Reihe von historischen Darstellungen herausgebracht hat. Die Regeln sind für eine angemessene Besprechung des Buchs freilich entscheidend.

Der Autor beginnt mit den Grundlagen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit, anschaulich und mit Hilfe vieler Zitate. Auf diese Weise gelingt ihm ein sehr durchdachter und überzeugender Überblick. Es ist allerdings nicht zu übersehen, dass diese Einführung für den Rest der Darstellung weitgehend ohne Bedeutung bleibt. Denn Blanning schreibt über weite Strecken eine Geschichte der höfischen wie intellektuellen Eliten: Im Mittelpunkt stehen die Könige großer Reiche und einzelne Heroen der Aufklärung, insbesondere Voltaire und Newton.

Mit dem Titel: „The Pursuit of Glory“ verweist Blanning auf ein Deutungsschema der feudalen Ständegesellschaft, an dem die meisten Glieder dieser Gesellschaft allenfalls als Steuerzahler oder Soldaten, mit anderen Worten als Opfer, Anteil hatten. Er verzichtet dabei allerdings auf jeden soziologischen oder kulturhistorischen Zugang zu dieser „glory“ und führt das Thema lediglich mit einem Zitat Ludwigs XIV. ein (S. 540). Ansonsten wird das Streben nach Ruhm zu keinem Zeitpunkt thematisiert. In der knapp dreiseitigen Zusammenfassung (S. 675-677) stellt Blanning vielmehr zwei Meistererzählungen gegenüber, wobei er es anschließend dem Leser überlässt, sich für eine zu entscheiden: Die erste Erzählung weist der Aufklärung größtes Gewicht für das Verständnis dieser Epoche zu – und Blanning teilt diese Sicht ganz offenkundig. Die andere Erzählung betont die Kontinuität feudaler Besitzstrukturen; sie findet in der Darstellung aber kaum Erwähnung, auch wenn Blanning ihre Bedeutung klar erkennt.

Blanning führt nur wenige Diskussionen, so etwa über die Themen Protoindustrialisierung und Absolutismus. Seine Darstellungsform ähnelt letztlich eher einem Märchen als einer geschichtswissenschaftlichen Analyse. Die wichtigsten Akteure sind klar durch spezifische, moralische Qualitäten gekennzeichnet, die sie im Verlauf der Darstellung ausleben. Im Kapitel über die Abgabenlast der Bauern lernen wir: „As if the endless variety of dues in cash, kind and labour exacted by state and lord were not enough, a third group of predators – simpler but more menacing – loomed in the shape of the clergy“ (S. 171). Diese wohlfeile Polemik, für die sich weitere Beispiele anführen lassen, ist symptomatisch: Das Buch beschreibt einen gierigen Klerus, einen korrupten Adel und einen unterdrückten, aber würdevollen Bauernstand. Als lebendige Personen treten vor allem kriegerische Könige wie Ludwig XIV., große Denker und immer wieder Friedrich der Große auf. Blanning begeistert sich für Friedrichs zynische Kommentare, denen viel Raum gegeben wird. Schließlich bieten sie kurze und prägnante Zusammenfassungen.

Es sind diese und viele andere Zitate, die die Erzählung vorantreiben. Sie tragen somit eine gewaltige argumentative Last. Blanning greift dabei bevorzugt auf die notorisch reise- und auskunftsfreudigen Aufklärer zurück, wobei es allenfalls Ansätze einer Quellenkritik gibt, dafür umso mehr Zustimmung. Die entscheidenden Veränderungen in der Frühen Neuzeit gehen bei Blanning von den Urhebern dieser Zitate und damit von der Aufklärung aus. Die von ihm postulierte Gegenpartei in Gestalt von Kirche und Klerus bleibt hingegen farblos. Der Autor hat offenbar sehr wenig Verständnis für Fragen von Religion und Theologie, die zu Opfern der Aufklärung werden. Damit erfüllt er ein Klischee, das jeder Frühneuzeithistoriker zu Genüge kennt.

Blannings Buch zeichnet sich durch einen Mangel an wissenschaftlichen Debatten, die allenfalls am Rande geführt werden, durch die Personalisierung historischer Entwicklungen und durch zahllose Zitate aus. Diese stilistischen Mittel sind Elemente einer historiographischen Gattung, eben dem populärwissenschaftlichen Buch. Sie dienen der Reduktion von Komplexität, wobei ihr Einsatz den Interessen der Leser oder jedenfalls dem bei ihnen vorausgesetzten intellektuellen Horizont geschuldet ist. Nicht zu übersehen ist der Preis, den Blanning und andere dafür zahlen: Es ist die Anpassung des Niveaus der historischen Darstellung an die dem Leser unterstellte Erwartungshaltung. Diese beinhaltet unfehlbar die Entzauberung der irrationalen und unterdrückerischen Religiosität der Vormoderne sowie der vermeintlich immanenten moralischen Verkommenheit der Feudalgesellschaft, wohl gemerkt einer Gesellschaft, die durch fortwährenden Wandel mehr als ein halbes Jahrtausend überlebte. Kurz, Blanning verdammt eine Gesellschaftsform, die von der Moderne gründlich beseitigt wurde. Der Bedarf an dieser mit Verve vorgetragenen Kritik ist jedoch unklar. Eine etwas weniger voreingenommene Darstellung wäre wünschenswert gewesen, zumal die von Blanning und anderen präsentierte Fortschrittserzählung zum Verständnis der Feudalgesellschaft wenig beizutragen hat.

Blanning ist zweifellos ein sehr guter Kenner der Materie und sein Buch findet sich auf der Auswahlliste von H-Soz-u-Kult für „Das Historische Buch 2007“ im Bereich Frühe Neuzeit. Und doch machen die von ihm akzeptierten Regeln der Populärgeschichte das Buch, so lesenswert und bunt es ist, zu einer letztlich unbefriedigenden Lektüre. Es scheint daher an der Zeit, dass deutsche Historiker sich endlich darüber verständigen, welchen Voraussetzungen diese Gattung zu gehorchen hat, damit sie als seriös und meritierend von der Zunft akzeptiert wird. Denn es gibt nicht nur einen großen Bedarf an guter populärwissenschaftlicher Geschichtsschreibung – eine gute Meistererzählung kann die weitere Forschung auch unter Kollegen befruchten.

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