Titel
Echoing Hooves. Studies on Horses and Their Effects on Medieval Societies


Herausgeber
Ropa, Anastasija; Dawson, Timothy George
Reihe
Explorations in Medieval Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 179,76
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Isabelle Schürch, Historisches Institut, Universität Bern

In Armagh findet im 19. Jahrhundert ein Bauer bei der Feldarbeit ein metallenes Gebissstück. Er nimmt es mit nach Hause, putzt und repariert es und zäumt kurzerhand sein Pony damit. Und die beiden arbeiten damit weiter. Dass es sich bei der gefundenen Trense um ein Metallkunstwerk aus der „späten Eisenzeit“ handeln könnte, das die damalige wohlhabende Elite zur Zurschaustellung ihres Reichtums für ihre Pferde herstellen ließ, spielte wohl für das arbeitende human-equine Gespann im Süden Irlands keine grosse Rolle: Es ist ein fernes Echo. Umso bezeichnender mag es sein, dass der „Wert“ des Metallobjekts erst von einem „sharp eyed“ Antiquar erkannt wurde, wie es ein Beitrag des vorzustellenden Sammelbandes beschreibt (S. 291). Was vordergründig als amüsante Anekdote über den Umgang irischer Bauern mit wertvollen historischen Kunstobjekten daherkommt, birgt bei genauerem Hinsehen ungleich mehr: Ist der menschliche Umgang mit Pferden so alt, dass er eine historische Konstante bildet? Wie ähnlich sind sich vormoderne und moderne Mensch-Pferd-Beziehungen wie etwa das Reiten? Wie ordnen wir Artefakte in die Geschichte von Mensch-Tier-Interaktionen ein? Und nicht zuletzt: Müssen wir als Historiker:innen nicht auch darauf achten, unseren durchaus klassistischen Standpunkt zu reflektieren, wenn wir vergangene Wertvorstellungen analysieren und beurteilen? Ist uns der Blick des Antiquars näher als der des Bauern?

Publikationen zur Geschichte von Mensch-Tier-Beziehungen sind in der mediävistischen Forschungslandschaft vielleicht noch nicht Mainstream, aber auf jeden Fall mehr als ein rarer Fund. Damit einher gehen unterschiedliche Ansprüche: Ist Tiergeschichte eine konsequente Geschichte mit Tieren? Oder reicht eine Geschichte über Tiere, um dem aktuellen Bedürfnis nach mehr Tieren in der Geschichte Rechnung zu tragen? In dem hier diskutierten Band versammeln sich Beiträge, die auf diese beiden Fragen, die die beiden Enden eines Spektrums des Verhältnisses von Tieren und Geschichtswissenschaft markieren, unterschiedliche Antworten geben, sich aber meist gar nicht zu diesen Fragen verhalten: Es kommen einfach überall Pferde vor (S. 3). Das Anliegen des Sammelbandes lautet gemäß der Hauptherausgeberin Anastasija Ropa, die ebenfalls den abschließenden Beitrag verfasst hat, vielmehr: „to highlight the existence of close relationships between horses and humans in various ethnic, social and professional communities.“ (S. 1). Und darum kreisen auch alle Beiträge: Texte, Artefakte, Diskurse und Symbole, die davon zeugen, dass im Mittelalter „equines“ allgegenwärtig waren, so der erste Satz der Einleitung. Die Einleitung vergegenwärtigt dann in erster Linie, dass Pferde in mittelalterlichen Gesellschaften ständig irgendwo auftauchten und dass sie in der älteren wie neueren mediävistischen Forschung eine Rolle spielen, ohne sich beispielsweise zu Jeremy J. Cohens und Susan Cranes zentralen Arbeiten zu human-equiner chivalry zu positionieren.1 Die Arbeiten werden zwar aufgeführt, aber es bleibt unklar, wie das Anliegen des Bandes sich zu solchen posthumanistischen Ansätzen verhält. Die in der Einleitung und in mehreren Beiträgen des Bandes konstatierte „Ubiquität“ von Pferden im Mittelalter könnte die eine oder andere Leserin zum naheliegenden Neologismus „Ubequität“ verführen – darauf haben jedoch die Herausgeber:innen verzichtet.

Die Allgegenwart von Pferden wird in den 15 Beiträgen kaum historisch reflektiert, sondern mehrfach in der Gegenüberstellung von „realen Pferden“ und ihrer „symbolischen“ Funktion postuliert. Ein großes Verdienst des Bandes ist es, dass er aus einer fachlich wie akademisch divers zusammengestellten Sessionserie des IMC Leeds 2018 hervorgegangen ist und dadurch weit über Europa hinausreichende Fallbeispiele aus den Bereichen Skandinavistik, Byzantinistik, Sinologie, Archäologie, Literaturwissenschaften, Kulturwissenschaften, Philologie, Philosophie, Martial Culture und Praxisbezug versammelt. So reichen die Beiträge von der Analyse der Funktion von Pferden in der „Tanguten-Gesellschaft“ (11.–13. Jh.) auf dem Gebiet des heutigen China (Romain Lefebvre) und pferdetauglicher Architektur im mamlukischen Kairo (Agnès Carayon) über die Rolle von Pferden in der byzantinischen Hagiographie (Alexia-Foteini Stamouli), in skandinavischen Epen (Rebecca Henderson) und in Wolframs Parzival (Anna-Lena Lange) bis hin zu Fragen nach den Ursprüngen von Kavallerieformationen (Jürg Gassmann), irischen Zaumzeugen (Rena Maguire) und dem Artefakt, das schon manche technologiegeschichtliche Forschungskontroverse ausgelöst hat: dem Kummet (Gail Brownrigg). Diese Anlage bedingt es, dass die Texte von ganz unterschiedlichen fachlichen Interessen zeugen und sich an entscheidenden Stellen gegenseitig kaum rezipieren. Um Orientierung in dieser thematischen, geographischen und zeitlichen Heterogenität zu ermöglichen, wird im Band eine Einteilung in vier Sektionen vollzogen: 1. Socially Formative Horses, 2. Literary Horses, 3. Martial Horses und 4. The Hardware of the Horse – Real and Symbolic.

Was in der Gesamtschau des Sammelbandes kaum zum Tragen kommt, ist die Frage nach den historischen Bedingungen, Charakteristika und Konsequenzen: Was heißt es für eine Gesellschaft, sich „mit“ Pferden zu konstituieren? In Bezug auf das Anliegen, Mensch-Pferd-Beziehungen in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Relevanz zu diskutieren, erscheinen der Rezensentin vier Beiträge besonders erwähnenswert. In der ersten Sektion führt Agnès Carayon die komplexen sozialen, wirtschaftlichen und vor allem infrastrukturellen Verflechtungen des Städtebaus in Kairo während der mamlukischen Herrschaft aus (ca. 1250–1517). Sie verknüpft kulturelle Praktiken wie etwa den Pferdegeschenktausch und die Rolle der Reiterei im mamlukischen System des gesellschaftlichen Aufstiegs mit der konkreten architektonischen Ausgestaltung Kairos: Die noch heute zentralen Versammlungsplätze (maydan) zeugen als städtebauliche Soziotope davon, wie die Reitkunst der „Steppe“ in die Stadt integriert wurde. Für die literarische Bearbeitung der Mensch-Pferd-Beziehung wiederum kann Luise Borek mit ihrem Beitrag zu den toten Pferden in Artusromanen besonders überzeugen, fragt sie doch gerade danach, was der Verlust eines Pferdes in der Welt der Ritter bedeutete. Damit gelingt es ihr, die Bedeutung von Pferden für das Selbstverständnis von chivalry, aber auch deren literarischer Bearbeitung vielschichtig zu beleuchten: (Tote) Pferde standen nicht nur als pars pro toto für das Rittertum, sondern wurden als „narrative prop“ (S. 167) eingesetzt, um Dynamiken und Effekte der Erzählung zu ermöglichen, die ein pferdeaffines Publikum sehr wohl deuten und schätzen konnte. In der Sektion zu „Martial Horses“ zeigt Loïs Forster, wie sich nur schon anhand von burgundischen Chroniken aus dem 15. Jahrhundert komplexe und vor allem variable Typologien von Pferden herausarbeiten lassen. Die in der Forschung oft zitierte Vorstellung, es gäbe im Mittelalter vier Pferdegrundtypen, nämlich Schlachtrösser (destrarii), Reisepferde (palefridi), Renner (curriles equi) und Arbeitspferde (runcini), die zudem direkt an den sozialen Status ihrer Besitzer:innen zurückgebunden waren, muss als zu starke Pauschalisierung verstanden werden, die mehr über historische Typologisierungsanstrengungen als über tatsächliche Pferdetypen aussagt. Die Bezeichnungen für Pferde konnten nicht nur stark variieren, sondern so fluide sein, dass das gleiche Pferd von unterschiedlichen mittelalterlichen Kommentatoren unterschiedlich typisiert wurde. Zwar mag die Schlussfolgerung von Forster, dass Pferde sich einer klaren Typologisierung entzogen und dass von mehr Komplexität und Diversität im Umgang mit Reit- und Arbeitspferden auszugehen sei (S. 245), etwas trivial klingen. Doch sollten solche zur Vorsicht mahnenden Befunde aus textuellen Analysen unbedingt aufgenommen und weiterdiskutiert werden, um überzogene Generalisierungen in der historischen Analyse von Mensch-Pferd-Beziehungen zu vermeiden. Denn in der abschließenden Sektion des Bandes selbst zur „Hardware of the Horse“ wird deutlich, wie schwierig es ist, Pauschalisierungen, Essentialisierungen oder technologischen Entwicklungsgeschichten zum „Pferd“ im „Mittelalter“ auszuweichen. Dem wirkt Gavina Cherchis Parforceritt durch literarische und ikonographische Darstellungen des „ungezäumten Pferdes“ entgegen. Ihr gelingt es, anhand unzähliger Dokumente die semantische, metaphorische, materielle und vor allem gendergeschichtlich zentrale Beziehung von Zäumung, Zähmung und Zügelung auf unterschiedliche Weise zu zeigen. Der Beitrag schließt jedoch nicht mit einem Fazit, sondern überlässt die Leserin dem Eindruck eines unausgeschöpften Bezugsfeldes rund um Domination.

Obwohl es das titelgebende Ziel des Bandes ist, die Effekte von Pferden auf mittelalterliche Gesellschaften zu untersuchen, bleibt genau dieses Anliegen erstaunlich unreflektiert, und zwar sowohl in der Einleitung wie in den meisten Beiträgen des Bandes. So ist zwar immer wieder von der „Rolle“, „Funktion“, „Symbolkraft“, „Statusmarkierung“ oder eben dem „Effekt“ von Pferden auf ihre menschliche Umgebung zu lesen, aber die Diskussion, was es für mittelalterliche Gesellschaften in Europa, Zentralasien und Nordafrika heißt, wenn Pferde sozial relevant sind, bleibt in diesem Band nur punktuell reflektiert. Gerade durch die Vielfalt der Beiträge und deren jeweilige disziplinäre oder individuelle Interessen haben sich die beiden Herausgeber:innen das Problem eingeholt, dass der letztlich noch erkennbare kleinste gemeinsame Nenner „Pferde“ und „Mittelalter“ war. Gewonnen wird damit tatsächlich ein Eindruck davon, wie vielfältig Pferde in mittelalterlichen Texten und Artefakten vertreten sind. Das ist durchaus lobenswert. Die gesellschaftliche Ubiquität belegt es jedoch nicht. Im Beitrag von Ropa, der zugleich als Konklusion fungiert, hätte eine Diskussion der Frage, wo Pferde gerade nicht auftauchen, zu einer erhellenden Gegenprobe führen können. Stattdessen werden abschließend Parallelen zwischen mittelalterlichem Rittertum und modernem Rennsport nahegelegt, wobei eine dezidiert gendergeschichtliche Perspektive auf die männliche Ritter- und die massivem Sexismus ausgesetzte weibliche Jockeyfigur hier etwas überstrapaziert wird. Eine Diskussion von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten anhand der sozialen Praxis des Reitens im jeweiligen historischen Kontext hätte hier mehr zu überzeugen vermocht.

Somit ist die Aussage des Bandes – überspitzt formuliert –, dass Pferde nicht nur überall waren, sondern noch ein bisschen „überaller“ und weit über Europa hinaus. Nimmt man als Leser:in das Anliegen des Sammelbandes ernst, dann erstaunt es doch sehr, dass eine sozialhistorische Perspektive genau nicht eingebracht wurde. Selbstverständlich soll dies den Herausgeber:innen, die aus einer Panelserie heraus einen Sammelband produzieren wollten, nicht zu sehr zur Last gelegt werden. Sammelbandbeiträger:innen zu einer Bearbeitung eines spezifischen Anliegens anzuhalten ist eine Aufgabe, an der Herausgeber:innen immer wieder scheitern. Vielleicht hätte es aber der Sache der Echoing Hooves mehr gedient, wenn einerseits die Heterogenität der vorgestellten Ansätze, Erkenntnisinteressen und disziplinären Bedingungen offensiver in Rechnung gestellt worden wäre und andererseits eine konsequentere Historisierung der jeweiligen Fallbeispiele ans Herz gelegt worden wäre. Die Epochenklammer „Mittelalter“ erscheint dadurch eher institutionell-organisatorisch bedingt als konkret auf mittelalterliche Gesellschaften hin problematisiert. Vielleicht führte auch dies dazu, dass der Versuchung – die in so einigen der Beiträge Oberhand gewonnen hat – kaum widerstanden werden konnte, zu pauschale Aussagen über „Pferde im Mittelalter“ zu machen, mittelalterliches mit heutigem Reiten zu analogisieren oder kaum zu reflektieren, dass mittelalterliche „Pferde“ als Tierart, Typen, Rassen und Individuen genauso entfernt von heutigen Pferden sind wie wir. Besonders in Bezug auf Pferdetypen und die sich im späten Mittelalter abzeichnende Konzeptualisierung von Pferderassen wäre es mehr als angezeigt, die historischen Bedingungen herauszuarbeiten. Wo Menschen über Pferde schreiben, können wir einiges über deren Beziehung zueinander lesen, aber neuere Einsichten verspricht sich eine Tiergeschichte dort, wo Tiere ihre Körperlichkeit, ihre emotionale und kognitive Eigenart und schlicht ihr Wesen in und zwischen den Zeilen hinterlassen haben. Tiergeschichte kann da überzeugen, wo sie konsequent historisiert und reflektiert, ob und wie historisch spezifisch Mensch-Tier-Beziehungen gesellschaftlich konstitutiv sind.

Anmerkung:
1 Jeffrey J. Cohen, Medieval Identity Machines, Minneapolis 2003; Susan Crane, Chivalry and the Pre/Postmodern, in: Postmedieval. A Journal of Medieval Cultural Studies 2 (2011), S. 69–87.

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