Cover
Titel
Anglo-Danish Empire. A Companion to the Reign of King Cnut the Great


Herausgeber
North, Richard; Goeres, Erin; Finlay, Alison
Reihe
The Northern Medieval World
Erschienen
Berlin 2022: de Gruyter
Anzahl Seiten
550 S.
Preis
€ 149,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Bruhn, Deutsches Historisches Institut London (DHI London)

Der hier zu besprechende Band ist aus der Tagung „Æthelred II and Cnut the Great: The Siege of London in 1016“ hervorgegangen, welche vom 6. bis zum 9. Juli 2016 in London und Winchester stattfand. Die Konferenz bildete ihrerseits den Abschluss eines vom „Arts und Humanities Research Council“ (AHRC) geförderten Forschungsnetzwerks zur dänischen Eroberung Englands von 1016, das die vielfältigen europäischen Bezüge wie Resonanzen dieses Herrschaftswechsels fokussierte.1 Damit ist der Band zu jenen Publikationen zu zählen, die anlässlich des tausendsten Jahrestages der Eroberung erschienen sind2, sodass weniger ein konkretes Forschungsproblem oder -desiderat als vielmehr eben das „anniversary“ (S. XIX) selbst den Ausgangspunkt bildet. Diese konzeptionelle Offenheit könnte auch mit ein Grund dafür sein, dass die Aufsatzsammlung explizit nicht als Sammelband, sondern als „companion“ (so programmatisch im Titel) beziehungsweise „handbook“ (so im Klappentext) deklariert wird, was eine gewisse Einheitlichkeit, Allgemeinverständlichkeit und vor allem Repräsentativität der zusammengeführten Beiträge impliziert. Der gegenüber der Tagung veränderte Titel erweist sich dabei nach Meinung des Rezensenten als misslich, da er das transitorische Moment des Herrschaftswechsels sowohl in England als auch in den anderen von Knut übernommenen Reichen ausblendet, obwohl dies weiterhin in der Mehrzahl der Beiträge diskutiert wird.

Die starke Ereignis- respektive Personengebundenheit spiegelt sich auch in der Gliederung des Handbuchs wider. Die insgesamt 20 Fallstudien sind gleichmäßig auf drei Sektionen verteilt, die unterschiedliche Phasen von Knuts Herrschaftsetablierung in England und Skandinavien in den Blick nehmen („Part I: Cnut’s Conquest“, „Part II: Cnut’s Kingdom“ sowie „Part III: Cnut’s Empire“) und somit einem chronologischen Muster folgen. Sie werden gerahmt von einem „Prologue“ sowie einem „Epilogue“. Abgerundet wird der Band durch die üblichen Verzeichnisse, eine Gesamtbibliographie sowie ein detailliert aufgeschlüsseltes Register, welches die Orientierung im Band sehr erleichtert.

Der von den Mitherausgebenden Erin Goeres und Richard North verfasste „Prologue“ (S. 1–18) bietet nach dem Muster englischsprachiger Einleitungen vor allem einen konzisen Überblick über die nachfolgenden Beiträge (S. 8–12). Über die Leitlinien des Handbuchs erfährt man indes wenig. Zwar werden im letzten Abschnitt einige übergeordnete Fragestellungen formuliert (S. 17f.), die allerdings kaum aus den vorherigen Darlegungen folgen. Als „Alleinstellungsmerkmal“ des Bandes definieren die Mitherausgebenden vielmehr ein „overaching narrative that follows Cnut to the English throne and from there to the rise of his great Domain through conquest, kingdom, and empire“ (S. 8), was in seiner starken Fokussierung auf die mittlerweile sprichwörtliche „Geschichte großer Männer“ nicht mehr zeitgemäß erscheint. Demgegenüber wären insbesondere terminologische Differenzierungen, gerade mit Blick auf den titelgebenden Empire-Begriff, angezeigt gewesen, zumal solche Reflexionen im Vorwort in Bezug auf ethnische Kategorien grundsätzlich geleistet werden (S. XXIf.).

Der erste Abschnitt (S. 19–166) ist dem ursprünglichen Projekt- respektive Tagungstitel am stärksten verpflichtet und beleuchtet die militärische Durchsetzung von Knuts Herrschaftsanspruch in England, wobei ein besonderer Fokus auf die Rolle Londons gelegt wird. Auf archäologische Beiträge zur Besiedlungsgeschichte Londons im Frühmittelalter (S. 21–64), Münz- sowie Waffenfunden im Stadtgebiet (S. 65–74; S. 75–96) folgen ein kartenbasierter Überblick zur Herrschaft Æthelreds II. (S. 97–112), zwei Neuinterpretationen zum sogenannten „Æthelredian Fragment“ der Angelsächsischen Chronik als wichtigstem zeitgenössischen Bericht (S. 113–128; S. 129–144) sowie eine Reevaluation der Bedeutung Londons für den Thronkonflikt (S. 145–165). Die Beiträge folgen dabei weitestgehend der im Prolog entfalteten personenzentrierten Lesart des Geschehens als konfliktvolles Aufeinandertreffen von Thronprätendenten und blenden die Handlungsspielräume und Wahrnehmungen der unmittelbar von dem gewaltvollen Umbruch Betroffenen nahezu vollkommen aus. Einzige Ausnahme bildet hier die traumageschichtliche Lesart des „Æthelredian Fragment“ von Michael Treschow, der die Annalen vor allem als Verarbeitung von Kriegsleid und erfahrener Verunsicherung deutet. Generell hätte den Eroberten aber deutlich mehr Raum gegeben werden können und müssen.3

Die zweite Sektion (S. 167–300) nimmt die Herrschaft Knuts in England in den Blick. Hier wird vor allem das Wechselverhältnis von angelsächsischen Traditionen und skandinavischen Einflüssen innerhalb der Inszenierung und politischen Praxis des Königs diskutiert. Während die Beiträge zur frühen Herrschaftsphase 1017 bis 1019 (S. 169–190) sowie zur Beziehung Knuts zu Winchester (S. 209–234) zur räumlichen und zeitlichen Differenzierung der Herrschaft beitragen, wird mit der Darstellung der Hinrichtung Eadric Streonas in der anglonormannischen Historiographie (S. 191–208) auch die spätere Wahrnehmung und Einordnung des Königs analysiert. Die Studien zum Sigmundr-Stein (S. 235–254), zum Englandaufenthalt des Skaldendichters Sigvatr Þórðarson (S. 255–276) und zur möglichen Verortung des Beowulf-Epos im Umfeld Knuts (S. 277–300) beleuchten ferner die interkulturelle Hofkultur des anglodänischen Herrschers und ihre Ausstrahlungskraft nach Skandinavien. Besonders hervorzuheben ist dabei die überzeugende Relativierung der Rolle Winchesters als politischen Zentrums durch Barbara Yorke, die über die Beleuchtung der agency des königlichen Umfelds zugleich zu einer herrscherbiographischen Dezentrierung der Forschung beiträgt (vor allem S. 234). Weniger überzeugend gestalten sich indes die Studien zur anglodänischen Hofkultur, da diese von klar abgrenzbaren Kulturbereichen beziehungsweise Antagonismen (laikal/klerikal, pagan/christlich, englisch/skandinavisch) ausgehen, was im Licht der neueren Transkulturalitätsforschung diskussionswürdig erscheint.

Die Beiträge des letzten Abschnitts (S. 301–458) thematisieren die Herrschaft Knuts in Dänemark und Norwegen, wobei auch die Rolle von Kontakten innerhalb des transmaritimen Reichsgefüges sowie ins Baltikum diskutiert wird. Neben einer Studie zur möglichen Krönungsstätte in Viborg (S. 305–336) bietet die Sektion somit auch Fallstudien zu englischen Einflüssen in Dänemark (S. 337–354), zur Etablierung reichsübergreifender Kirchenstrukturen (S. 355–378), zur herrschaftslegitimatorischen Instrumentalisierung von Heiligenkulten (S. 379–398; S. 431–458) sowie zu den dynastischen Verbindungen des Königs nach Polen sowie seiner Beziehung zu den Elbslawen (S. 399–418; S. 419–430). Insbesondere die Beiträge von Laura Amalasunta Gazzoli und Jakub Morawiec zu den Kontakten Knuts in den Ostseeraum eröffnen wichtige neue Perspektiven, wurden die Interessen des Königs doch bisher meist auf den Raum der Nordsee enggeführt. Zugleich ist allerdings allen Beiträgen gemein, dass die in der Überlieferung fassbaren Kontakte und Austauschprozesse zu stark verallgemeinert werden, mithin eine äußerst enge Verflechtung angenommen wird.

Beschlossen wird der Band durch einen „Epilogue“ von Timothy Bolton zu den Auswertungsmöglichkeiten und -grenzen der hoch- und spätmittelalterlichen Sagaliteratur für die Herrschaftszeit Knuts (S. 459–484). So reflektiert und tragfähig Boltons Ansatz ist, geht er doch von einem äußerst engen Geschichtsbegriff aus, der im Wesentlichen die ereignisgeschichtliche Aussagekraft dieser Zeugnisse fokussiert. Hier wäre es nach Meinung des Rezensenten zielführender gewesen, neue Fragen aufzuwerfen, die sich an das Material herantragen ließen, auch wenn dies vom eigentlichen Fokus des Handbuchs weggeführt hätte. Zudem ist nicht ersichtlich, warum der Beitrag am Ende steht, reflektiert er doch grundlegende methodologische Probleme der Quellenkritik.

Das Verdienst des Bandes liegt in dem breiten Panorama, welches die aus unterschiedlichen Disziplinen (Geschichtswissenschaft, Skandinavistik, Anglistik und Archäologie) stammenden Fallstudien von der transmaritimen Herrschaft Knuts zeichnen. Gerade die unterschiedlichen Lesarten und Deutungen übergreifender Problemstellungen, die sich allerdings erst aus einer Gesamtlektüre ergeben, eröffnen dem Forschungsfeld vielfach neue Perspektiven und regen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den häufig umstrittenen Befunden an. Dem selbstgesetzten Ziel, ein Handbuch zum anglodänischen Königtum vorzulegen, wird der Band indes nicht gerecht. Hierfür fallen die Beiträge insgesamt zu heterogen aus. Eine Tendenz, die Fallstudien im Sinne von Handbuchartikeln zu vereinheitlichen, ist zwar stellenweise erkennbar, wie etwa der insgesamt lesenswerte Beitrag von Caitlin Ellis (S. 355–378) mit seiner klaren Gliederung zeigt, die sich auch in der Anlage anderer Studien widerspiegelt. Vielfach changieren die Beiträge aber sehr stark zwischen Spezialstudie und allgemeinem Überblick. Man wird den „Companion“ daher am besten als Sammelband einstufen, der die Ergebnisse einer aus einem runden Jahrestag erwachsenden Tagung publiziert – mit allen Stärken und Schwächen, die mit dieser Literaturgattung einhergehen.

Anmerkungen:
1 The Siege of London, 1016. Immigration, Government and Europe in the Age of Aethelred and Cnut, <https://siegeoflondon.wordpress.com> (20.01.2023)
2 Laura Ashe / Emily Ward (Hrsg.), Conquests in Eleventh-Century England 1016, 1066, Woodbridge 2020.
3 Rike Szill / Andreas Bihrer (Hrsg.), Eroberte im Mittelalter. Umbruchssituationen erleben, bewältigen, gestalten (Europa im Mittelalter 39), voraussichtlich Berlin 2023.

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