Auf den Beginn der COVID-19-Pandemie reagierten Bund und Länder Mitte März 2020 mit einem Lockdown, der unter anderem zur zeitweiligen Schließung von Museen und anderen kulturellen Einrichtungen führte. Nach den Lockerungen der Beschränkungen rief der Museumsberater und Leiter des Brandenburgischen Textilmuseums Jörn Brunotte Ende Mai 2020 zu einer Blogparade (einer Serie von Gastbeiträgen auf seinem Blog) auf: Sollen Museen wieder öffnen? Welche Erfahrungen hatten sie während des Lockdowns gemacht? Die Resonanz war groß. Mitarbeitende unterschiedlicher Museumssparten berichteten aus dem Corona-Alltag. Angesichts des zweiten Lockdowns ab Mitte Dezember 2020 startete Brunotte eine zweite Blogparade mit der Frage „Wie soll es weitergehen?“, auf die wiederum zahlreiche Antworten eingingen.
Der Sammelband bündelt die Blogtexte als Reaktionen von Museen auf die Corona-Krise und zeigt, welche Perspektiven sie aus dieser Situation heraus für ihre Zukunft entwerfen. Aus Sicht des Herausgebers begründet die Eigenschaft dieser Texte als „interessante Zeitdokumente“ (S. 23) die Wiederpublikation in Buchform. Die Unmittelbarkeit ihres Entstehens aus der Situation heraus sowie das knappe Format von Blogbeiträgen bringen allerdings auch mit sich, dass ein großer Teil der Texte nicht immer tiefgründig reflektiert erscheint. Eher sind es deskriptive bis anekdotale Erfahrungsberichte und manches, was der gemeinsam erlebten Pandemielage geschuldet ist, tritt repetitiv auf.
Die ersten beiden Teile versammeln insgesamt 33 Beiträge, die zwischen Mai und August 2020 unter dem Hashtag #closedoropen sowie zwischen Januar und März 2021 unter #museumforfuture erschienen. In beiden Teilen berichten Beitragende, welchen Aufgaben sie während des Lockdowns nachgegangen waren, wie sie versucht hatten, den Kontakt zum Publikum zu halten und mit welchen (Hygiene-)Maßnahmen sie sich auf die Öffnung vorbereiteten. Autor:innen schildern, dass sie nun Zeit für die Erschließung von Sammlungen hatten – eine Tätigkeit, die eigentlich zu den Basisaufgaben von Museen zählt, für die zumeist aber weder Zeit noch Personal vorhanden sind. Als starke Einschränkung erlebten viele, dass keine persönliche Vermittlung von Ausstellungsinhalten durchgeführt werden konnte. Die Existenzangst vor allem kleiner Museen wie auch freischaffender Künstler:innen und Museumsmitarbeiter:innen wird demgegenüber selten angesprochen, wie etwa durch Daniela Sistermanns, damals Leiterin des Kunstmuseums Marta Herford. Und dies, obwohl Letztere aufgrund der starken Einschränkung der Vermittlungsangebote vielfach Aufträge verloren.
Unter der Überschrift „Die Krise als Chance für Innovationen und neue (digitale) Wege?“ kommen im dritten Teil 14 Kommentare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hinzu, die eine „ganz aktuelle Perspektive von verschiedenen Museen“ einbringen sollen (S. 23). Die Texte dieses Teils haben eher Aufsatzcharakter und gehen stärker grundlegenden Fragen und Problemen des aktuellen Museumsbetriebs nach als die zuvor angeführten Blogbeiträge.
Zwei Schwerpunkte ziehen sich durch alle drei Teile des Sammelbandes: die Reflexion digitaler Strategien und Transformationsprozesse sowie der zukünftigen gesellschaftlichen Rolle von Museen. Dies sind Themen, die bereits in den letzten Jahren intensiv in der deutschsprachigen Museumslandschaft verhandelt wurden. Im Zuge der Corona-Krise scheinen sie aber noch einmal an Brisanz zugelegt zu haben.
Wie eine große Zahl an Beiträgen belegt, griffen etliche Museen jedweder Größe zu digitalen Maßnahmen, insbesondere, um während der Schließungsphasen weiterhin für ihr Publikum zugänglich zu sein. Zu diesen Angeboten zählten Online-Ausstellungen und -Führungen, Webinare und Erklärfilme, partizipative Foto-Ausstellungen und Aufrufe in sozialen Medien, Objekte für die Sammlung einzureichen. Die Beiträge zeigen, dass so manches Museum auf diese Weise sogar neue Zielgruppen ansprechen konnte. Martin Otto-Hörbrand, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, konstatiert mit Verweis auf die während der COVID-19-Pandemie eröffnete Plattform „Sammlung digital“ des Linden-Museums Stuttgart, das einen virtuellen Zugang zu den Museumsbeständen bietet: „Digitalisierung verstärkt Teilhabe“ (S. 123).
Es fehlt daneben nicht an kritischen Stimmen zum digitalen Aufbruch während der Pandemie. So gibt Johannes Reiss, Direktor und Geschäftsführer des Österreichischen Jüdischen Museums, zu bedenken, die meisten Tipps von politisch Verantwortlichen, die die Museen nun zur Digitalisierung drängten, „zielten auf Substitution. Weder für Schüler:innen noch für Erwachsene können aber Onlineführungen Ersatz für einen Museumsbesuch bieten“ (S. 50).
Doreen Mölders, Leiterin des LWL-Museums für Archäologie, meint, dass der Umstieg auf digitale Mittel oft zu schnell erfolgt sei. Sie konstatiert ein grundlegendes „Learning aus der Pandemiezeit“: „Digitalisierung ist nur mit einem digitalen Mindset zu haben“ (S. 215). Mölders unterstreicht, dass Arbeit an digitalen Formaten „vielmehr nach Kreativität und Gestaltungsfreiraum verlangt als nach institutioneller Bereichsstruktur“ (S. 216). Neben einer ihrem Medium entsprechenden Technik sei qualifiziertes Personal wichtig sowie eine Etablierung von Arbeitsweisen, die einer Kultur von Digitalität entsprächen. Diese müssten kollaborativ, experimentell, nutzer:innenorientiert und iterativ sein.
Johannes Waldschütz, der das Museum und Archiv in Stockach leitet, macht demgegenüber auf ein Defizit aufmerksam, das vor allem kleinere Häuser betrifft: Es fehle an Technik, Sachverstand und Geld. Sich tiefer in das Thema Digitalisierung einzuarbeiten bedeute, dass andere Aufgaben wie die Kuratierung von Ausstellungen auf der Strecke blieben. Daher plädiert er dafür, die Ergebnisse von „Leuchtturmprojekten“, die zumeist an größeren Museen durchgeführt würden, in die Fläche zu tragen und „[d]igitale Produkte von der Stange für kleine und mittlere Museen“ bereitzustellen (S. 180).
In den Selbstreflexionen nimmt immer wieder auch die soziale Relevanz von Museen und damit verbunden ihre künftige Rolle in der und für die Gesellschaft eine zentrale Position ein. David Vuillaume, u.a. Geschäftsführer des Deutschen Museumsbunds, erinnert daran, dass die mehr als 7.000 Museen in Deutschland während der Pandemie von der Politik schlicht vergessen wurden. Vor diesem Hintergrund betont er die bedeutende Rolle der Museumsverbände: Sie hätten den Museen nicht nur praktische Instrumente, Informationen und Empfehlungen zur Bewältigung der Krise zur Verfügung gestellt, sondern ihnen auch „eine starke öffentliche Stimme gegeben“ (S. 254), ihre Relevanz aufgezeigt.
Matthias Jäger, Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbunds, stellt Überlegungen zur Rolle von Kunst und Kultur in Zeiten gesellschaftlicher Transformation an. Er fordert einen grundlegenden Perspektivwechsel „von der in den vergangenen drei Jahrzehnten dominierenden Orientierung und Ausrichtung der eigenen Inhalte auf wirtschaftlichen Erfolg, Management und Marketing hin zu einem neuen Verständnis von Kunst und Kultur als einer für die Gestaltung unserer sozialen Wirklichkeit unverzichtbaren Instanz“. Er konkretisiert: Die Aufgabe bestehe darin, „die drängende Frage, wie wir heute und morgen unser (Zusammen-)Leben gestalten wollen, aus einer unabhängigen, dem Menschen verpflichteten Perspektive zu beleuchten“ (S. 273).
In seinen Gedanken über das „globalisierte Museum als gesellschaftliche Instanz“ schlägt Udo Gößwald, ehemaliger Leiter des Museums Neukölln, eine ähnliche Richtung ein. In einer globalisierten, komplexen Welt sieht er das Museum als einen Ort, „an dem nicht die Geschichte präsentiert wird, sondern die Besucher:innen die Möglichkeit erhalten, durch die Auseinandersetzung mit dinglichen Zeugnissen, andere Perspektiven verstehen zu lernen und sich selbst in der Geschichte der anderen wiederzuerkennen“ (S. 172). Hier lässt sich der Beitrag von Claudia Emmert, Direktorin des Zeppelin Museums Friedrichshafen, anschließen, die verstärkt für Agilität und partizipative Strukturen eintritt. Sie fordert, dass Museen, statt ausschließlich Forschungsergebnisse zu präsentieren, „Denkanstöße geben, die partizipativ-demokratische Prozesse auslösen können“ (S. 228). So entstünden „weitgehend konsumfreie Räume mit besonderer, progressiver und nachhaltiger Aufmerksamkeitsökonomie“ (S. 230).
Léontine Meijer-van Mensch, Direktorin der Völkerkunde-Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut, beschreibt ein Vorhaben für die von ihr geführten Einrichtungen: die Entwicklung eines Netzwerkmuseums, „welches Menschen, Orte und Zeiten miteinander verbindet“ (S. 282). Zentral dafür seien die Aktivierung des Publikums, eine enge Zusammenarbeit mit den Herkunftsgemeinschaften der Sammlungen und verschiedenen Akteur:innen aus unterschiedlichen Kontexten, die Einbeziehung migrantischer Perspektiven sowie die enge Verknüpfung zu aktuellen Fragen und globalen Geschehnissen. Und sie folgert: „Es geht also vor allem um die Relevanz im Jetzt.“ (ebd.) Meijer-van Mensch beschreibt hier ein Projekt, das – ggf. in modifizierter Form – auch für andere Museen Vorbildfunktion haben kann.
Es ist eine Stärke und zugleich eine Schwäche des Bandes, dass er Texte zusammenbringt, die in maximaler zeitlicher Nähe zur Corona-Krise entstanden. Insbesondere die ursprünglich für den Blog geschriebenen Beiträge fallen oft eher seicht aus. Beim Lesen ergeben sich zudem häufig Redundanzen, da sich in den Museen während der COVID-19-Pandemie zumeist ähnliche Zwangslagen einstellten. Und vielleicht ist es auch dem Wunsch nach Erscheinen des Bandes in zeitlicher Nähe zur Pandemie geschuldet, dass sich regelmäßig Schreibfehler finden.
Dass der Großteil der Texte aus dem unmittelbaren Corona-Alltag heraus entstand, ist aber eben auch eine Stärke. Hier zeigt sich, wie sich im Laufe der Pandemie die Fragestellungen der Museen änderten: von der Bewältigung der akuten Krisensituation zur Erarbeitung längerfristiger Veränderungsstrategien. Wer sich in Zukunft mit der Reaktion von Museen auf die COVID-19-Pandemie beschäftigen möchte, findet hier eine nützliche Quellensammlung. Und wen aktuelle Selbstverständnisse und Zukunftsvisionen im Museumssektor interessieren, wird hier ebenfalls fündig.