Cover
Titel
Ungeliebtes Erbe. Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin und Wien 1945 bis 2010


Autor(en)
Töpfer, Steffi
Reihe
Visuelle Geschichtskultur
Erschienen
Dresden 2022: Sandstein Verlag
Anzahl Seiten
232 S., 117 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Endlich, Berlin

Steffi Töpfers Leipziger Dissertation konzentriert sich auf die großen Sowjetischen Ehrenmale in Wien und Berlin, die gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet wurden. Die Autorin schildert ihre Entstehungsgeschichten, beschreibt und interpretiert ihre Merkmale und fragt danach, wie Politik und Gesellschaft im Zeitraum bis zum Jahr 2010 mit ihnen umgegangen sind. Das Erscheinen der großzügig gestalteten Publikation fällt in eine Zeit, in der durch die russische Annexion der Krim von 2014 und durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 auch die Sowjetischen Ehrenmale (wieder) verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung geraten sind, nicht zuletzt aufgrund ihrer militärischen Attribute.

Von wichtigen früheren Publikationen zum Thema1 unterscheidet sich Töpfers Studie vor allem durch ihren kulturwissenschaftlichen Ansatz, mit dem sie zur Geschichte und Gestaltung der Sowjetischen Ehrenmale eine „vergleichende Analyse“ vornimmt und die Anlagen „kunsthistorisch und erinnerungskulturell“ sowie „geschichtspolitisch“ einordnet (siehe Rücktitel und S. 11). Darüber hinaus unternahm die Autorin umfangreiche Recherchen zur politischen und gesellschaftlichen „Nutzung“ und zur baulichen Instandhaltung der Anlagen im Lauf der Jahrzehnte.

Das Sowjetische Ehrenmal am Wiener Schwarzenbergplatz wurde von Mai bis August 1945 in der noch gänzlich sowjetisch besetzten Stadt erbaut. Vor einer gewölbten Kolonnadenreihe erhebt sich auf mehrstufigem Sockel eine 20 Meter hohe Stele, die die bronzene Figur eines Rotarmisten mit Fahne und Wappenschild trägt. Im Sommer und Herbst 1945 entstand auch das Ehrenmal im Berliner Tiergarten. Eine mächtige, durch Freitreppen erhöhte Pfeilerreihe wird von zwei sowjetischen Panzern und Geschützen flankiert. Auf dem zentralen Postament steht auch hier die Bronzefigur eines Rotarmisten. Zum Zeichen des Kriegsendes hat er das Gewehr über die Schulter gehängt. Das Ehrenmal im Treptower Park wurde nach zweijähriger Bauzeit am 8. Mai 1949 eingeweiht. Die durch zwei Triumphbögen zugängliche weiträumige Anlage führt entlang einer zentralen Achse von der Skulptur „Mutter Heimat“ durch ein symbolisches Fahnentor hindurch zu einem Hügel mit kuppelgewölbtem Mausoleum, auf dem ein bronzener Sowjetsoldat mit gesenktem Schwert steht. Er trägt ein Kind auf dem Arm und schreitet über ein zerbrochenes Hakenkreuz. Im gleichen Zeitraum entstand das Ehrenmal im Volkspark Schönholzer Heide in Pankow, das Töpfer allerdings nur am Rande erwähnt. Ein Ehrenhain, dessen Auftakt zwei Baukörper mit Darstellungen des trauernden und des kämpfenden Sowjetvolkes bilden, führt zur Skulptur „Mutter Heimat“, die um ihren Sohn trauert; hinter ihr erhebt sich ein Obelisk mit Ehrenhalle.

Eine Besonderheit dieser Sowjetischen Ehrenmale ist ihr doppelter Charakter als Monument und als Ehrenfriedhof. Für Wien trifft dies allerdings nur für die Entstehungsetappe zu; die dort vor dem Denkmal in „Heldengräbern“ bestatteten Soldaten wurden 1956 auf die sowjetische Kriegsgräberanlage des Zentralfriedhofs umgebettet. Die drei Berliner Ehrenmale jedoch sind nach wie vor zugleich Grabstätten für die etwa 22.000 im Kampf um Berlin gefallenen Sowjetsoldaten. In dem Ehrenmal im Tiergarten stellte man das Motiv des militärischen, heroischen Sieges über das NS-Regime ins Zentrum und legte die Sammelgräber im hinteren Bereich eher versteckt an. Die später erbauten Anlagen in Treptow und Pankow mit ihren Sammelgräbern im Mittelbereich hingegen sind wesentlich das Ergebnis der großen Umbettungsmaßnahmen der zunächst dezentral im Stadtgebiet schnell begrabenen toten Soldaten. So entstanden hier zum einen landschaftsgärtnerisch aufwendig und symbolhaft angelegte Bereiche entlang der Ehrenhaine mit künstlerisch gestalteten Grabmalen und Kenotaphen, zum anderen Bildprogramme, die auf Motive der Trauer, des Kampfes gegen die Wehrmacht und der Opferbereitschaft des sowjetischen Volkes konzentriert sind. Aus diesem Doppelcharakter als Monument und als Kriegsgräberstätte resultiert ihr Denkmalstatus wie auch die 1990 im deutsch-sowjetischen „Nachbarschaftsvertrag“ vereinbarte Verpflichtung der Bundesrepublik, sie dauerhaft zu erhalten und zu pflegen.

Die Autorin beleuchtet zunächst die für Entstehung und Nutzung der Ehrenmale wesentlichen außenpolitischen Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik, der DDR und Österreich. Sie erwähnt einige Theorien zur Konstruktion des gesellschaftlichen Gedächtnisses und gibt einen kurzen Überblick zum Gefallenengedenken und zu den sowjetischen Ehrenmalen im deutschsprachigen Raum, in der UdSSR und nach 1990 in den postsowjetischen Ländern. Es folgt eine Beschreibung der architektonischen und künstlerischen Merkmale der Anlagen in Wien sowie in Berlin-Tiergarten und Berlin-Treptow, ergänzt um die ikonografische Deutung speziell jener „gestalterischen Attribute“, die die Autorin als „paradigmatisch für die Staatsarchitektur der Stalin-Zeit“ charakterisiert (S. 83f.). Die anschließende Untersuchung der Errichtung und baulichen Erhaltung sowie des Umgangs mit den Ehrenmalen in Wien und Berlin stützt sich auf detaillierte Quellenrecherchen. Wesentlicher Aspekt der Darstellung und der jeweiligen „geschichtspolitischen Einordnung“ ist die Frage nach der öffentlichen Wahrnehmung der Anlagen im Osten wie im Westen. In einem Abschnitt zum Umgang mit den Berliner Ehrenmalen nach 1990 (Kap. 5.3) geht es vor allem um den rechtlichen Status und die behördlichen Zuständigkeiten, um die Sanierungsproblematik, um Kommentierungstafeln und um die Auseinandersetzungen über die Stalin-Zitate, die in Treptow (wie auch in Wien und Pankow) integraler Teil der Bildprogramme sind.

Das Buch „Ungeliebtes Erbe“ ist eine fundierte Grundlage für weitere Beschäftigungen mit den Ehrenmalen sowie ihrer Rolle in früheren und heutigen Kontexten. Es enthält eine Fülle von Einzelinformationen, Bezügen und Gedanken zum Umgang mit den Anlagen bis ins Jahr 2010. Allerdings bleiben nach der Lektüre einige Leerstellen und Irritationen. Zunächst stellt sich die Frage, warum die dritte große Berliner Anlage, das Sowjetische Ehrenmal in der Schönholzer Heide, nur mit einem einzelnen Passus (S. 44) und zwei Anmerkungen (auf S. 18 und S. 201) erwähnt ist. Diese Entscheidung wird auch nicht begründet. Mit seinen Grabstätten für etwa 13.000 Soldaten, also einer weit höheren Zahl als in den beiden anderen Ehrenmalen, mit seiner Dimensionierung, seinem Bildprogramm sowie mit seiner besonderen Standortgeschichte ist Schönholz ein essenzieller Baustein im Ensemble der Berliner Ehrenmale.

Dabei fällt auf, dass nur beim Wiener Ehrenmal die Ortsgeschichte und die Faktoren für die Wahl des Standorts ausführlich behandelt werden. Zu den Berliner Beispielen hingegen gibt es sehr knappe Hinweise. Die Entscheidung, das Ehrenmal am Tiergarten genau auf dem Kreuzungspunkt der Ost-West- mit der Nord-Süd-Achse zu bauen, um so den Sieg über das NS-Regime zu demonstrieren, wird lediglich kurz erwähnt, während die allgemeine Geschichte des Tiergartens und seiner Denkmäler eingehend beschrieben wird. Um den programmatischen Charakter der Standortentscheidung zu erkennen, wäre ein Abschnitt über die Planungen Albert Speers genau für diesen Bereich – mit „Soldatenhalle“, „Führer-Palais“ und Hinführung zur „Großen Halle“ – hilfreich gewesen. Der Treptower Park wiederum war nicht nur, wie im Buch erwähnt, einer der großen historischen Volksgärten Berlins und Schauplatz von Friedensdemonstrationen, sondern auch Standort der berühmten Gewerbeausstellungen. 1896 fand in deren Rahmen die „Berliner Kolonialausstellung“ statt, mit mehr als 100 Menschen aus den Kolonien des Deutschen Reichs, die auf rassistische Weise in Kulissendörfern präsentiert wurden. Bei den aktuellen Debatten um die Aufarbeitung der Kolonialismusverbrechen und um Erinnerungskonkurrenzen spielt die Nachbarschaft und teilweise Überlagerung des Kolonialausstellungs-Bereichs durch das Ehrenmal seit Jahren eine fatale Rolle. Im Zentrum des Volksparks Schönholzer Heide schließlich befand sich ein Vergnügungspark, auf dessen Gelände während des Zweiten Weltkriegs ein großes Zwangsarbeiterlager eingerichtet wurde. Sowjetsoldaten befreiten die Insassen im April 1945. Wenige Schritte nordwestlich des Lagerstandorts, in einem bombenzerstörten Bereich, wurde 1947–1949 das Ehrenmal erbaut.

Fragen bleiben schließlich auch zur ikonografischen Deutung der Ehrenmal-Gestaltungen. Die Gleichsetzung der Sowjetischen Ehrenmale mit den geplanten menschenverachtenden NS-Totenburgen in den besetzten Ländern (S. 84 und S. 164), die Behauptung, die künstlerische Gestaltung des Treptower Ehrenmals sei „Vorbild“ für die „Mahn- und Gedenkstätten“ der DDR gewesen (S. 166), die mehrfach auch ohne An- und Abführung übernommene Bezeichnung „Russendenkmal“ für das Wiener Ehrenmal und andere Textstellen verweisen auf eine problematische Grundhaltung. Man kann den Eindruck gewinnen, dass es vor allem darum geht, die Eignung der Ehrenmale für ideologische Gedenkzwecke im Rahmen von militärischen Siegerrepressionen und Kaltem Krieg nachzuweisen und daraus auch eine ablehnende Haltung der Bevölkerung zu erklären. Die kritische Analyse der stilistischen Merkmale und der Gedenkrituale reicht jedoch, wie wir aus der NS-bezogenen Architektur- und Kunstdebatte wissen, zum Verständnis der Ehrenmale nicht aus. Im Buch weitgehend unberücksichtigt sind wichtige thematische Kontexte: vor allem der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, aber auch die Bedeutung der Ehrenmale als herausfordernde Sachzeugnisse der Zeitgeschichte und der kritische Blick auf die jahrzehntelange verengte Gleichsetzung der Sowjetunion mit Russland. Es waren ukrainische Truppenteile, unterstützt von belarussischen Einheiten, die beim Kampf um Berlin eingesetzt waren.

Der Titel „Ungeliebtes Erbe“ trägt zu den Irritationen bei. Die Wortwahl ist ein Statement, das die Ergebnisse von Steffi Töpfers Untersuchung vorwegnimmt. Doch wird dies durch die Studie bestätigt? Das Ehrenmal im Tiergarten wurde zur militärisch bewachten Enklave im Westteil der Stadt, deren Ablehnung während des Kalten Kriegs gewissermaßen vorprogrammiert war. Für das Treptower Ehrenmal hingegen, zentraler Ort der politischen Inszenierungen der DDR wie auch der „sowjetischen Erinnerung“ (S. 158), können die DDR-Quellen aus Archiven und Publikationen nur bedingt Auskunft über die öffentliche Wahrnehmung und die innere Einstellung der Besucherinnen und Besucher zum eigentlichen Thema des Gedenkens geben. Ritualisierte Kundgebungen, gelenkte Wegeführung und dramatisch angelegte Denkmäler gab es auch in westlichen Gedenkstätten. Über Alltagsdeutung und Verbreitung der Ehrenmal-Motive hätte das hier nicht erwähnte Museum Karlshorst manche Kenntnisse beigetragen. Ein aktueller Besuch der Berliner Ehrenmale mit Blick auf die große Zahl der Menschen dort könnte übrigens einen vielschichtigeren Eindruck vom historischen, touristischen oder ganz alltäglichen Interesse der Besucher:innen vermitteln.

Anmerkung:
1 Matthias Marschik / Georg Spitaler (Hrsg.), Das Wiener Russendenkmal. Architektur, Geschichte, Konflikte, Wien 2005; Helga Köpstein, Die sowjetischen Ehrenmale in Berlin, Berlin 2006.