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Titel
Die Natur des Krieges. Militärisches Wissen und Umwelt im 17. und 18. Jahrhundert


Autor(en)
Bothe, Jan Philipp
Reihe
Krieg und Konflikt (11)
Erschienen
Frankfurt am Main 2021: Campus Verlag
Anzahl Seiten
491 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Mann, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Dass Kriege nicht nur Not, Verderben und Tod über Land und Leute bringen, ist keine neue Erkenntnis. Im Verlauf der jüngsten Phase der Globalisierung, wie sie sich seit den 1990er-Jahren entfaltet, sind Produktionsstätten nach Marktgesichtspunkten weltweit verteilt und die Lieferketten danach ausgerichtet worden. Im Falle des Krieges Russlands gegen die Ukraine drohte im Sommer 2022 eine Nahrungsmittelkrise in verschiedenen Ländern Asiens und Afrikas, weil zum einen die Gefahr bestand, dass die Felder in der Ukraine nicht mehr bestellt werden würden, und zum anderen dessen Getreideexport über das Schwarze Meer nicht mehr gewährleistet werden konnte. Es braucht keine „verbrannte Erde“ mehr, um regionale und überregionale Nahrungskrisen auszulösen.

Von „verbrannter Erde“ handelt das 5. und resümierende Kapitel der Studie von Jan Philipp Bothe, in der er sich mit der Wahrnehmung von Natur im Zuge der Verschriftlichung der Kriegskunst als Verwissenschaftlichung der Kriegsführung im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigt. „Verbrannte Erde“ bedeutet damals nichts anderes, als die Verbindung zwischen Land und Leuten zu kappen und dem Gegner die Operationsgrundlage zu entziehen. Allerdings sollte weniger das Land des Feindes verwüstet werden als das eigene, um dem Feind das Vordringen ins eigene Land unmöglich zu machen. Freilich war das stets ein ambivalentes Unterfangen, drohte doch jegliche Art der Verwüstung auch die eigene Operationsgrundlage zu zerstören, wenn Ackerflächen verwilderten, die Bodenfruchtbarkeit abnahm, Menschen emigrierten und die Infrastruktur verfiel, sofern sie nicht ohnehin schon zerstört worden war, kurz: wenn Kulturlandschaften dem Ruin preisgegeben wurden.

„Verbrannte Erde“ wird im Lichte der Vernunft, wie es die Aufklärung fordert, betrachtet. Hier zeigt abschließend der Verfasser die Grenzen der Verschriftlichung als Ausdruck der Vernunft an. Die Studie beginnt mit dem Kapitel über den Krieg als Wissenschaft, als im 17. und 18. Jahrhundert versucht wurde, der Heterogenität von Kriegswissen eine gewisse Systematik zu verleihen. Dazu gehörte, wie im zweiten Kapitel ausgeführt wird, zunehmend die Kontrolle der Natur, um den Krieg kontrollieren zu können. Verzeichnen von Wissen um die Natur, sprich die Kartografie, nahm im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine zentrale Funktion in den Kriegsplanungen ein, wie im dritten Kapitel ausgeführt wird. Das vierte Kapitel verweist auf die Ressourcen verschlingende Militärkolonne, die gleich einer mobilen Stadt – die Heere des 18. Jahrhunderts umfassten nicht selten die Bevölkerung einer damaligen Großstadt – ungeheure Mengen an Nahrungsmitteln, Fouragierung und Holz verbrauchte. Natur und natürliche Ressourcen stellen in ihrer verschriftlichen Erfassung die Schnittstelle von den sich formierenden Kriegswissenschaften und der einsetzenden Naturwahrnehmung dar.

Zu dieser gehörte auch der Wald, der im Zuge des Krieges entweder als Hindernis auf dem Vormarsch oder bei der Schlacht gesehen und deshalb abgeholzt wurde, oder, weil er die einzige Energiequelle zum Heizen und Kochen war, allein aus diesem Grund geschlagen wurde. Je größer die Not nach Holz war, desto ärger gingen Soldaten bei der Beschaffung von Brennmaterial vor. Weder Obstbäume, Buschwerk oder Zäune, noch Scheunen und das Fachwerk von Gehöften waren vor dem Zugriff des Militärs sicher. Holz wurde auch als Konstruktionsmaterial benötigt, zum Schanzen, zum Bau von Wagen und Lafetten und nicht zuletzt zum Baum von Schiffen für die Marine von Seemächten wie England, Frankreich und die Niederlande.1 Was nach willkürlichem Requirieren aussah, wurde nun seitens der zeitgenössischen Militärschriftsteller als rationale Kriegsführung angesehen, war aber wohl nichts anderes als die Systematisierung und Verstetigung bisheriger Kriegsstrategien. Solch Verschriftlichung war zugleich Ausdruck aufklärerischer Vernunft, deren Referenzpunkt, gerade was Militärtheorien anbelangt, oftmals die Antike war. Mit Hilfe neuester Wissenschaften wie Mathematik-Geometrie (Fortifikation und Artillerie) sowie Kartografie und Medizin verhalf sie der bisherigen „Kriegskunst“ zur „Kriegswissenschaft“.2

Die Kontrolle der Natur mittels wissenschaftlicher Methoden bedeutete vor dem Hintergrund der Kriegsstrategie und der Kriegstaktik die vermeintliche Planbarkeit von Feldzügen. Kontrolle der Natur hieß diese zu systematisieren, „offene“ und „geschlossene“ Landschaften zu unterscheiden, um in weiten Ebenen gegebenenfalls Festungen anzulegen und den Naturraum durch Menschenwerk zu verbessern, oder Berg, Tal und Fluss als natürlichen Schutzraum zu betrachten und in geostrategische Überlegungen mit einzubeziehen. Pfälzer Erbfolgekrieg (1689–1698) und Bayerischer Erbfolgekrieg (1778/79) dienen Jan Philipp Bothe als Beispiele für seine Analyse, wenn der erste für den Versuch steht, mittels der „verbrannten Erde“ den Krieg zu gewinnen, und der zweite für das Bemühen, über die Beherrschung der Natur und des Raumes Material und Menschen zu schonen – vergeblich, denn schätzungsweise 30.000 Soldaten starben an Hunger, Auszehrung und Krankheit im sogenannten „Kartoffelkrieg“.

Alles Bemühen, die Natur ins militärisch-operationale Kalkül zu ziehen, schlug spätestens dann fehl, wenn Regen und Nebel nicht vorhersehbar waren, ebenso wenig wie Hochwasser und Stürme. Karten versagten, wenn die Tiefen von Flüssen und Bächen sowie die Höhen von Hügeln und Bergen nicht oder ungenau verzeichnet waren, womit das Terrain unkontrollierbar blieb. Landeskundige über die natürlichen Begebenheiten zu befragen, war riskant, da dies Tür und Tor für Fehlinformationen öffnete und zugleich ein Landmann angeblich kaum etwas von militärischen Dingen verstand wie etwa der Befahrbarkeit von Wegen, dem Nutzen von Brunnen und Bächen oder den Möglichkeiten zur Fouragierung. Das eigene Augenmaß der Offiziere und des Feldherrn blieb folglich die einzig verlässliche Quelle zu Natur und Raum, zu Topografie und Terrain. So ist auch zu erklären, warum ab etwa der Mitte des 18. Jahrhunderts, mit zunehmenden Landeskenntnissen und dem verstärkten Einsatz der Artillerie in der Feldschlacht, die langwierige Belagerung von Festungsstädten und Forts zu Gunsten des beweglichen Krieges mit der so schnell wie möglich herbeigeführten Entscheidungsschlacht aufgegeben wurde. Im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) ging diese Strategie, trotz allen Bemühens seitens Friedrich II., indes noch nicht auf.

Jan Philipp Bothes Studie basiert nicht nur auf einer überaus soliden Kenntnis der Sekundärliteratur, sie besticht vor allem durch die versierte Analyse der zeitgenössischen Militärautoren. Sie waren es, die den „Kriegswissenschaften“ zwischen 1650 und 1800 zum Durchbruch verhelfen. Erschienen im 16. Jahrhundert etwa 169 „militärtheoretische Traktate“, waren es Ende des 17. Jahrhunderts 367, also mehr als das Doppelte. Für das 18. Jahrhundert sind 667 Publikationen bekannt. Nach 1750 verschoben sich allerdings die Inhalte. Behandelten im 17. Jahrhundert über die Hälfte Werke Fortifikationskunst und Artilleriewesen, waren es nun Abhandlungen zur Taktik und zur allgemeinen Kriegskunst, die den Markt der Militärliteratur dominieren (vgl. Angaben S. 56f.). Autoren waren zum einen rangniedrige Offiziere, die sich durch publizistische Aktivitäten eine Förderung ihrer Karriere erhofften, zum anderen gelehrige Selbstzeugnisse von Artillerie- und Ingenieur-Offizieren. Des Weiteren sind altgediente adelige und hochadelige Offiziere zu nennen, deren Lebenserfahrung auf dem Schlachtfeld in oft postum veröffentlichen Manuskripttexten Eingang gefunden hatte, oder es handelte sich schlicht um die Publikationen von Gelehrten. So heterogen wie die Autorenschaft war auch das Lesepublikum, das aus Offizieren und akademisch gebildeten Bürgern bestand.

Zu Recht stellt der Verfasser fest, militärtheoretische Schriften des 17. und 18. Jahrhunderts hätten in den Geschichtswissenschaften und der Historiografie ein bislang stiefmütterliches Dasein geführt. Anscheinend hatten die antiken Autoren bereits alles niedergeschrieben und die Theoretiker der Frühen Neuzeit nichts anderes geliefert als Derivate und Zusammenfassungen. Wie Jan Philipp Bothe überzeugend darlegen kann, war das bei weitem nicht der Fall. Es gelingt ihm, die eigenständige Rolle der frühneuzeitlichen Autoren und deren eigenständigen Beitrag zur Etablierung einer neuen Wissenschaftsdisziplin – nach Auffassung der Zeit – herauszuarbeiten. Dabei entwickelt das Genre der Militärliteratur durchaus eigene Dynamiken, und sei es nur, dass der Kartografie vor dem Hintergrund der strategischen und taktischen Beherrschung des natürlichen Raumes eine immer stärkere Rolle bei militärischen Planungen, Feldzügen und Schlachten zugewiesen wurde und ein Offizier zu Beginn des 19. Jahrhunderts ohne Karte nicht mehr denkbar war.3

Hier hätte vielleicht pointierter und explizierter herausgearbeitet werden können, dass es sich bei der Verschriftlichung des militärischen Wissens seit den Schriften der Antike und vor allem seit dem Dreißigjährigen Krieg, der den Militärschriftstellern ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer wieder als Referenzpunkt diente, vor allem wenn es um die Zähmung der Bellona durch die Vernunft ging, tatsächlich um durchweg eigenständige Leistungen handelte. Dass das „Vernünfteln“ bisweilen noch Widersprüche produzierte, wenn das „Ravagieren“ von Landstrichen grundsätzlich, weil unproduktiv und inhuman, abgelehnt wurde, gleichzeitig aber das Verheeren von Territorien als ultima ratio zur Erreichung des Kriegsziels akzeptiert wurde, ist Ausdruck einer zunehmend breiter geführten Debatte.

Ebenfalls deutlicher hätte betont werden können, dass mit der wachsenden Zahl an militärtheoretischen Publikationen auch eine Art „militärwissenschaftliche Öffentlichkeit“ im Sinne eines (spät-)aufklärerischen Ideals entstand und es sich daher keinesfalls nur um eine „Flut“ von Militärliteratur handelte. Vor solchem Hintergrund sind denn auch Offizieren zugedachte philanthropische Bildungsprojekte wie die eines Ferdinand Friedrich von Nicolai (1730–1814) zu verstehen, der darum bemüht war, wachsendes militärisches Wissen in Form von Bildungswissen zu etablieren. Kurzfristigen Erfolg zeitigte dieser Ansatz von „Verwissenschaftlichung“ in der von Nicolai initiierten Stuttgarter „Hohen Carlsschule“ (1770–1794) und dem „Wilhelmstein“ (1767–1777) des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, einer der führenden Militärtheoretiker seiner Zeit.4 Hier fehlt ein wenig der Rahmen zum großen Ganzen.

Abgesehen von diesen Monita fällt beim Lesen formal besonders die mangelhaft durchgeführte Silbentrennung auf. Inhaltlich stören Abundanzen, wenn Sachverhalte des Öfteren aufgegriffen und wiederholt werden, ohne dass dadurch ein Erkenntnisfortschritt erreicht wird. Hinzu kommt die überaus häufige Verwendung von „dabei“, die die Argumentation drückt statt sie zu beflügeln, was besonders dann schwerwiegend wirkt, wenn das „dabei“ sich nicht anschließen lässt und man nach dem „wobei“ fragt. Insgesamt ist die Studie jedoch höchst lesenswert, stellt sie doch einen gelungenen Forschungsbeitrag und zweifelsohne eine Bereicherung der Militärgeschichtsschreibung dar.

Anmerkungen:
1 Gerne verweise ich hier zusätzlich auf meine eigenen, sich auf Britisch-Indien beziehenden Beiträge: Flottenbau und Forstbetrieb in Indien 1794–1823, Stuttgart 1996; Franz Wrede, Heidelberger Beamtensohn in Diensten der Vereenigden Oostindischen Compagnie und East India Company, ca. 1785–1805, in: Michael Mann (Hrsg.), MIDA (Modernes Indien in deutschen Archiven). In Memoriam Dietmar Rothermund, Heidelberg 2022, S. 197–236.
2 Mit ihrem Messen, Zählen und Zeichnen waren gerade die Forstwissenschaften profunder Ausdruck dessen, was im deutschen Kulturkontext als Kameralismus bezeichnet wird; vgl. Joachim Allmann, Der Wald in der frühen Neuzeit. Eine mentalitäts- und sozialgeschichtliche Untersuchung am Beispiel des Pfälzer Raumes 1500–1800, Berlin 1989; Marten Seppel / Keith Tribe (Hrsg.), Cameralism in Practice. State Administration and Economy in Early Modern Europe, Woodbridge 2017.
3 Ein zeitgenössisches Bonmot, wonach Napoleon seine Offiziere auf dem Ägyptenfeldzug 1799 darauf hingewiesen habe, es sei das Terrain, das im Zweifelsfall richtig sei, nicht die Karten, beschreibt noch deutlich die Vorbehalte gegenüber der Kartografie vor allem von völlig fremden Territorien.
4 Daniel Hohrath, Die „Bildung des Offiziers“ im 18. Jahrhundert, in: Die Bildung des Offiziers in der Aufklärung. Ferdinand Friedrich von Nicolai (1730–1814) und seine enzyklopädischen Sammlungen, Stuttgart 1990, S. 28–63.

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