Peter Bakumovs Buch The Ideological Aligment of Swiss National Socialists beruht auf einer soziologischen Dissertation der Jacobs University Bremen. Es befasst sich mit dem Schweizer Rechtsextremismus der 1930er- und 1940er-Jahre, der aufgrund seiner organisatorischen Zersplitterung in zahlreiche, sich oft als „Fronten“ bezeichnende Gruppierungen allgemein „Frontismus“ genannt wird. Die Standardwerke zur Thematik sind bereits vor einem halben Jahrhundert erschienen.1 Seither folgten weitere, von Bakumov nur selektiv rezipierte Studien zu einzelnen Aspekten, Regionen und Persönlichkeiten.2 Bakumov selber fokussiert auf die Weltanschauungen einzelner einflussreicher Frontisten, um so die ideologische Fragmentierung und die „unique hybrids of far-right views and Swiss national identity that were distinct from other types of fascism or national socialism“ (S. 19) herauszuarbeiten.
Ausgehend von der fragwürdigen Prämisse, die bisherige historische Forschung habe sich damit begnügt, Ereignisse zu beschreiben, und entbehre einer „social perspective“ (S. 78), kündigt Bakumov eine interdisziplinäre Vorgehensweise an, die stärker in der allgemeinen Faschismusforschung verortet sein soll. Bei deren Darstellung im ersten Hauptteil befremdet allerdings, dass Bakumov sämtliche Autoren mit sozial- und strukturhistorischen Interpretationen pauschal unter dem Label „Marxist theories of fascism“ abhandelt, so etwa Ernst Fraenkel, Martin Broszat und Hans Mommsen. Karl Marxens Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“, die er zu Recht als Grundlage einer wichtigen Interpretationslinie marxistischer Faschismustheorien sieht, bezieht Bakumov dabei fälschlicherweise auf den „authoritarian monarchism of the 18th century“ statt auf das 19. Jahrhundert (S. 29).
Bakumov selber fokussiert auf das „ideological alignment“ von acht prominenten Deutschschweizer Rechtsextremen (Jakob Lorenz, Robert Tobler, Rolf Henne, Hans Oehler, Jakob Schaffner, Franz Burri, Ernst Leonhardt, Theodor Fischer), das er durch ein diskursanalytisches Verfahren erhellen möchte. Anhand der Geschichten dieser Persönlichkeiten will er untersuchen, „how they constructed their worldview, given the innate contradiction of their far-right views and Swiss identity“ (S. 19). Als Materialbasis verwendet er Nachlässe, behördliche Akten, Publikationen und einzelne Zeitungsartikel, hingegen unterbleibt eine systematische Auswertung der frontistischen Presse. Vollständig ausgeklammert wird der Rechtsextremismus der lateinischen Schweiz. Bakumov begründet dies damit, dass die ihn interessierende ideologische Ausrichtung am deutschen Nationalsozialismus in der französischen und italienischen Schweiz zugunsten eines stärkeren Bezugs zum italienischen Faschismus schwächer gewesen sei (S. 46).
Dies führt zur Problematik der bereits im Titel des Buches verwendeten Bezeichnung der untersuchten Personen als „Swiss National Socialists“. Bakumov definiert dabei „Swiss national socialism“ als „a group of the German-speaking Swiss far right in the zone of influence of German National Socialism, particularly inclined to the application of racial theory, including segregation or the elimination of the Other“ (S. 20). Das „concept of ‚Swiss national socialism‘“ geht er an einem Set von 32 „key signifiers“ an, anhand derer er im zweiten Hauptteil die Diskurse der untersuchten Personen analysiert. Die Kontextualisierung dieser Begriffe und die ihnen zugeschriebenen „word clouds“ und „sub-codings“ sind allerdings zuweilen problematisch: So zählt Bakumov zur „word cloud“ von „Communism“ auf derselben systematischen Ebene sowohl „Bolshevism“ als auch „Marxism“, obgleich der letztere Begriff zeitgenössisch von rechtsextremer und rechtsbürgerlicher Seite oft als Label verwendet wurde, um Bolschewismus und Sozialdemokratie polemisch gleichzusetzen. Das „sub-coding“ von „Democracy“ ist „Hostile political regime“, obwohl in frontistischen und rechtskatholischen Kreisen der Demokratiebegriff häufig gerade nicht abgelehnt, sondern durch Zusätze wie „autoritär“ oder „ständisch“ umzudefinieren versucht wurde. Als Begründung des „key signifiers“ „Hereditary ill“ verweist Bakumov auf das nationalsozialistische Eugenikprogramm, erwähnt jedoch nicht, dass es eugenische Praktiken in der Schweiz seit dem späten 19. Jahrhundert gab und das eugenische Sterilisationsgesetz des Kantons Waadt von 1928, das europaweit eine Vorreiterrolle einnahm, politisch keineswegs aus der rechtsextremen Ecke stammte.
Neben den theoretischen und methodischen Präliminarien gibt Bakumov im ersten Hauptteil einen Überblick über die Entwicklung des Frontismus. Hier (wie auch bei den späteren Ausführungen) zeigen sich immer wieder gravierende Fehler, inhaltliche Lücken und eine erschreckende Unkenntnis von Forschungsständen und -kontroversen zur Schweizer Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts. So werden der landesweite Generalstreik vom November 1918 und weitere von den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie getragene Streiks der unmittelbaren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg mehrfach faktenwidrig als „communist“ oder „pro-communist“ charakterisiert (S. 53, 60, 249). Die in der Landesstreikzeit entstehenden Bürgerwehren, die analog zu den zeitgleichen paramilitärischen Organisationen anderer Länder einen Nährboden für rechtskonservative und faschistische Bestrebungen bildeten, werden dagegen nicht thematisiert und erst in Theodor Fischers Biografie beiläufig erwähnt (S. 249). Falsch sind das Statement, die Schweizer Presse habe keine antisemitischen Artikel publiziert, die Schilderung der politischen Konstellation beim Beitritt der Schweiz zum Völkerbund sowie die Behauptung, die Schweiz sei 1938 aus diesem ausgetreten (S. 15, 17, 57, 60). Verteidigungsminister Karl Kobelt wird als „a deputy from the FDP“ (S. 129) bezeichnet, Nationalrat und Ex-Bundesrat Jean-Marie Musy als „former national parlamentarian“ (S. 127). Die sozialdemokratische Zeitung „Volksrecht“ heisst bei Bakumov „Volksfront“ (S. 61) und allenthalben wird der Neoliberalismus-Begriff anachronistisch verwendet.
Der zweite Hauptteil umfasst für jede der acht untersuchten Personen einen biografischen Abriss sowie eine ideengeschichtliche Analyse mit den Unterkapiteln „Political views“, „German National Socialism“, „Foreign policy and international relations“, „Economy“, „Race and discrimination“ und „Political enemies“. Auch hier finden sich Fehler und wichtige Lücken. So fehlt beim rechtskatholischen Korporatisten Jakob Lorenz der Hinweis auf seine Anfänge in der Arbeiterbewegung und wird sein Verhältnis zu ideologisch nahestehenden Diktaturen in Österreich und Portugal nicht diskutiert. Bei Robert Tobler bleibt die Kandidatur für die Zürcher Stadtregierung als Teil eines alle bürgerlichen und frontistischen Parteien umfassenden, antisozialdemokratischen Wahlbündnisses im September 1933 unerwähnt. Rolf Henne wird für das Jahr 1932, als er Mitglied der Freisinnigen Partei war, als „moderate socialist“ charakterisiert (S. 160). Zu Theodor Fischers Mutter wird ausgeführt, sie habe nach der Vermählung mit einem Deutschen entschieden, auf das Schweizer Bürgerrecht zu verzichten (S. 249), obwohl damals Schweizerinnen bei der Heirat mit einem Ausländer automatisch des Bürgerrechts verlustig gingen. Die „Heimatwehr“, der Fischer 1925 beitrat, charakterisiert Bakumov als „the organization of the Swiss conservatives and patriots“ (S. 249) – in der Forschung (unter anderem der umfangreichen, von Bakumov nicht verwendeten Dissertation von Fritz Roth3 über diese Organisation) gilt sie als eine der frühesten faschistischen Organisationen der Schweiz. Auch bezeichnet Bakumov Fischer als von der Forschung vernachlässigten „unknown frontist“, obgleich dieser in der (nicht verwendeten) Monographie von Michael Hagemeister über die „Protokolle der Weisen von Zion“ prominent behandelt wird.4 Zu diesem Gesamtbild passt auch eine relativ kurze, mehrere Titel zum engeren Forschungsthema vermissenlassende und chaotisch aufgebaute Bibliografie.
Im Fazit gibt Bakumov tabellarische Vergleiche der Ansichten der acht untersuchten Personen in zentralen Politikbereichen und identifiziert für jede von ihnen einen anderen „central signifier“. Auf der einen Seite sind seines Erachtens die ideologischen Gemeinsamkeiten und Bezugspunkte zum deutschen Nationalsozialismus genügend gross, um von einem „Swiss national socialism“ sprechen zu können, auf der anderen Seite schlussfolgert er aber, dass „no such thing as ‚Frontism‘, with its own synthetic discourse, ever existed“ (S. 269). Diese Erkenntnis ist nun allerdings nicht so neu, wie Bakumov glauben machen will, und die der bisherigen Forschung unterstellte „monolithische“ Betrachtungsweise des Frontismus gibt es nicht wirklich. Bereits Walter Wolf hat in seinem Standardwerk von 1969 zwischen frontistischen Organisationen „ohne Bindung an das Ausland“ und „mit Bindung an das Ausland“ unterschieden und auch innerhalb dieser Kategorien auf weltanschauliche Unterschiede hingewiesen.5 Im „Historischen Lexikon der Schweiz“ differenzierte derselbe Autor dann weiter zwischen „der extremeren Richtung“ und „der gemässigteren Richtung“.6 Insgesamt vermag Bakumovs Studie damit trotz des an sich interessanten diskursanalytischen Ansatzes und dem Fokus auf unterschiedlich gut erforschte Protagonisten weder methodisch noch empirisch zu überzeugen und bringt die Forschung zum schweizerischen Rechtsextremismus nicht wesentlich voran.
Anmerkungen:
1 Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegung in der deutschen Schweiz, 1930–1945, Schaffhausen 1969; Beat Glaus, Die Nationale Front. Eine Schweizer faschistische Bewegung, 1930–1940, Zürich 1969; Klaus-Dieter Zöberlein, Die Anfänge des deutschschweizerischen Frontismus. Die Entwicklung der politischen Vereinigungen Neue Front und Nationale Front bis zu ihrem Zusammenschluss im Frühjahr 1933, Meisenheim am Glan 1970.
2 So fehlen z.B. die folgenden Titel: Peter Stadler, Die Diskussion um eine Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung 1933–1935, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 19 (1969), S. 75–169; Fritz Roth, Die Schweizer Heimatwehr. Zur Frontenbewegung der Zwischenkriegszeit im Kanton Bern, Bern 1974; Roger Joseph, L'Union nationale, 1932–1939. Un fascisme en Suisse romande, Neuchâtel 1975; Heinz Bütler, „Wach auf, Schweizervolk!“ Die Schweiz zwischen Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung, 1914–1940, Gümlingen 1980; Claude Cantini, Le colonel fasciste suisse, Arthur Fonjallaz, Lausanne 1983; Urs Lüthi, Der Mythos von der Weltverschwörung. Die Hetze der Schweizer Frontisten gegen Juden und Freimaurer – am Beispiel des Berner Prozesses um die „Protokolle der Weisen von Zion“, Basel 1992; René Zeller, Emil Sonderegger. Vom Generalstabschef zum Frontenführer, Zürich 1999; Nicolas Haymoz, „Das Aufgebot“ von Jacob Lorenz – für eine geistige Mobilmachung. Zur Schweiz der 1930er und 1940er Jahre im Kontext der „Erneuerung“ und der „Erneuerungsbewegungen“, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 94 (2000), S. 117–136; Christian Koller, Der Frontenfrühling von 1933 und die Bürgerlichen, in: Rote Revue 86/1 (2008), S. 35–40; Katrin Rieder, Netzwerke des Konservatismus. Berner Burgergemeinde und Patriziat im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 2008; Tobias Holzer: Frontismus und bürgerliche Politik in Muri AG 1933–1942, in: Argovia 121 (2009), S. 114–144; Ursula Stadlmüller: Fronten im Kanton St. Gallen 1938–1943, Lizentiatsarbeit Universität Zürich 2009; Ralph Hug, Schweizer in Francos Diensten. Die Francofreiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 61 (2011), S. 189–207; Yves Schumacher, Nazis! Fascistes! Fascisti! Faschismus in der Schweiz 1918–1945, Zürich 2019.
3 Fritz Roth, Die Schweizer Heimatwehr, 1925–1937. Ein Beitrag zur Geschichte der schweizerischen Frontenbewegung, 2 Bde., Bern 1973.
4 Michael Hagemeister, Die „Protokolle der Weisen von Zion“ vor Gericht. Der Berner Prozess 1933–1937 und die „antisemitische Internationale“, Zürich 2017.
5 Walter Wolf, Faschismus in der Schweiz. Die Geschichte der Frontenbewegungen in der deutschen Schweiz, 1930–1945, Zürich 1969.
6 Walter Wolf: "Frontenbewegung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 01.12.2006. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/017405/2006-12-01/ (Stand: 22. Mai 2023).