H. Zedelmaier: Werkstätten des Wissens

Cover
Titel
Werkstätten des Wissens zwischen Renaissance und Aufklärung.


Autor(en)
Zedelmaier, Helmut
Reihe
Historische Wissensforschung 3
Erschienen
Tübingen 2015: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
VI, 167 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreea-Bianca Badea, Deutsches Historisches Institut, Rom

Die Forschung zu Wissensgeschichte ist mittlerweile in einem Maße ausdifferenziert, dass sich ein Bedarf an Büchern einstellt, welche nicht erst bei den aktuellen Forschungsdebatten einsetzen, sondern ein offenes Forschungsfeld einladend gestalten und es einem ermöglichen, sich schnell und einprägsam auch mit den eigentlichen, derzeit stark im Fokus stehenden „Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit“ vertraut zu machen. Dass ausgerechnet Helmut Zedelmaier ein solches Buch vorgelegt hat, überrascht deshalb wenig. Das Buch erklärt ganz nebenbei zahlreiche Begriffe kurz und prägnant und wagt über die Beschreibung der Vergangenheit auch eine Thematisierung des Hier und Jetzt unserer multimedialen Welt, die vielleicht nicht so ganz und gar anders ist.

Der Aufbau des Bandes folgt gewissermaßen einem Kreislauf der gelehrten Praktiken, ausgehend vom Wissenserwerb bis hin zur Disziplinierung bzw. zu den Beschränkungen, mit denen sich nicht nur Gelehrte, sondern diverse Bereiche einer sich pluralisierenden Gesellschaft konfrontiert sahen. Ausgangspunkt sind die eigene Forschung des Autors und einige seiner bisher veröffentlichten Studien, die er im Abschnitt „Textnachweise“ des Anhangs den einzelnen Kapiteln des Bandes zuordnet. Interessant ist vor allem, wie es ihm gelingt, die Themen der einzelnen Kapitel in Relation zur Aktualität einer fortschreitenden digitalisierten Welt zu setzen, in dem er etwa eine Brücke zwischen virtuellen Clouds und der nur noch wissenschaftlich zu erschließenden Wissensakkumulation gelehrter Netzwerke schlägt. Jedoch erschöpft sich der Band nicht in Parallelen, sondern nutzt sie vielmehr punktuell als didaktische Einstiegshilfe. Zedelmaier verwebt den historischen Stoff der einzelnen Beiträge untereinander und fügt so zahlreiche Querverweise zwischen den Kapiteln ein.

Jedes Kapitel nimmt sich eines oder mehrerer Fallbeispiele an und präsentiert erfreulicherweise nicht nur frühneuzeitliche gelehrte Praktiken, sondern stellt den Lesern auch die aktuelle deutsche Forschung vor. Neben den Studien der letzten Jahre liefert der Autor Einschätzungen derzeitiger Forschungsschwerpunkte sowie einen prägnanten Überblick über potentielle Wege zur möglichen Weiterführung und Vertiefung.

Gewissermaßen als Klammer für den gesamten Band fungiert das vorbereitende erste Kapitel „Wissen erwerben. Lesen als Tätigkeit“. Die unterschiedlichen Lesepraktiken versteht Zedelmaier als „historisch wandelbare gesellschaftliche Formationen“ (S. 16). Das Kapitel an sich kann als Knoten verstanden werden, der schlagwortartig Inhalte, methodische Diskussionspunkte und Forschungsliteratur verknüpft und den Lesern so die Wahl zwischen einem linearen oder einem Querverweisen folgenden Weg durch die folgenden Ausführungen überlässt.

Ausgehend von „De inventoribus rerum“ (1499) des Polydorus Vergilius aus Urbino behandelt das zweite Kapitel „Wissen suchen. Der aufschlussreiche Index“ die für die gelehrte Welt grundlegenden Indices des 16. Jahrhunderts und die in ihnen manifest gewordenen Vorstellungen von Wissensordnung. Anschließend führt das dritte Kapitel weiter in die Erläuterung der „ars escerpendi“ als Grundlage der Wissensakkumulation sowie für die Produktion neuen Wissens – sei dieses nun kompilatorisch oder innovativ. Konsequenterweise schließt sich diesem Kapitel eine detailreiche, illustrative Erläuterung der Verwaltung des so erlangten Wissens in Form von Zettelkästen im vierten Abschnitt an. Das fünfte Kapitel setzt erneut bei Polydorus Vergilius an, um sich nicht nur mit der recht gut dokumentierten römischen, sondern auch mit frühneuzeitlicher Zensur allgemein auseinanderzusetzen.

Mit dem Kapitel „Wissen repräsentieren. Die Bibliothek als Herrschaftsinstrument“ bewegt sich der Autor wieder in einem seiner genuinen Forschungsterrains, indem er auf die komplizierten Umstände der Gründung der bayerischen Hofbibliothek – heute die bayerische Staatsbibliothek – aus der Bibliothek des Philologen und Diplomaten Johann Albrecht Widmannstetter (um 1506–1557) eingeht und ihr repräsentatives Potential für die Wittelsbacher untersucht. Das anschließende Kapitel zu „Wissen disziplinieren. Der Vielwisser in der Kritik“ richtet den Blick von der im 18. Jahrhundert immer lauter werdenden Kritik am Polyhistor über die Dichotomie zwischen ‚selbständiger‘ gelehrter Arbeit mit Anspruch auf Innovation und überbordenden Wissensansammlungen bis hin zur Herausbildung der heutigen Wissenschaftsdisziplinen.

Abschließend geht es um „Wissen ausgrenzen. Vorsintflutliche Zeiten“, womit eine der großen transkonfessionell geführten historiographischen Debatten des 17. und 18. Jahrhunderts behandelt wird. Dabei geht es um den Versuch, eine in der gelehrten Welt anerkannte Nutzung der Sintflut als Periodisierungskriterium einzuführen. Unter denjenigen, die sich damit von Isaac La Peyrères Theorie von den Präadamiten im 17. Jahrhundert abgrenzten, nennt Zedelmaier Georg Horn (1620–1670) als Beispiel und verfolgt die so angestoßenen Diskussionen bis zu ihrem Abklang im 18. Jahrhundert.

Der Gewinn der Lektüre liegt in dem unbefangenen Brückenschlag zwischen der Wissensorganisation der Frühen Neuzeit und den Praktiken ihrer Erforschung, d.h. etwa die Möglichkeit am heimischen Computer ganze Bibliotheks- und Archivbestände durchblättern zu können, wobei die Qualität oder Relevanz eines Archivs sich nicht selten auch am Vorhandensein eines digitalen Findbuch und dessen freier Zugänglichkeit misst. Ungeachtet der gebotenen Rücksicht auf die Historizität des Gegenstandes scheint hier die Chance auf, den akademischen Nachwuchs für dieses Forschungsfeld mit einem anregend geschriebenen Buch zu gewinnen, und im gleichen Maße das Interesse derer, die Zedelmaiers frühere Arbeiten kennen, zu fesseln.

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