Die Mehrheit derer, die diese Rezension lesen, tut dies in aktuellen Lockdownzeiten wohl von zu Hause aus. Der bequeme Zugriff auf Computertechnologie in den eigenen vier Wänden ist für viele unabdingbar und so selbstverständlich geworden, dass sich ein Blick darauf lohnt, wie Computer dereinst heimisch wurden. Mit dieser Frage beschäftigt sich Sophie Ehrmanntraut in der vorliegenden Publikation, die 2018 an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation eingereicht wurde und bei Transcript in der Rubrik Mediengeschichte gelistet ist. Trotz seiner sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung für die Gegenwart hat das personal computing nur eine schleppende historische Aufarbeitung erfahren, meist im Schatten von Phänomenen mit größerer allgemeiner Strahlkraft wie der „Computerisierung“ oder „Digitalisierung“.1 Umso begrüßenswerter sind Monografien, die sich mit einer Historisierung des PC an sich befassen. Im Falle von Wie Computer heimisch wurden liegt nun eine solche Monografie vor, die jedoch – so viel sei vorweggenommen – große Angriffsfläche für Kritik bietet.
Ehrmanntrauts Vorhaben ist, „die historischen Bedingungen“ zu untersuchen, „unter welchen sich das kollektive Phantasma, Computertechnologie ermögliche quasi automatisch eine freie und selbstbestimmte Gesellschaft, durchsetzte, und wie diese Vorstellung umgesetzt wurde“ (S. 12). Sie stellt die Frage nach dem „Prozess des Heimischwerdens von Computertechnologie“ (S. 15) und konzentriert sich auf den gesellschaftlichen Domestizierungsprozess in den USA der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre, für den die Menschen Computer mit unterschiedlichen Vorstellungen aufluden und an dessen Ende die Geräte in vielen Privathaushalten einen Platz fanden. Ihren methodischen Ansatz findet die Autorin bei Foucault. Sie geht davon aus, dass die „innige Beziehung der Menschen zu Informationstechnologien“ der „Effekt des personal-computing-Dispositivs“ gewesen sei (S. 14). Verstanden als ein Dispositiv sei der PC mehr als Hardware und Software, er sei Performativität und Effekt kultureller Praktiken, materielle Vergegenständlichung von Diskursen und Subjektivierungsangeboten. Das PC-Dispositiv hätte auf den herrschenden Technologiediskurs der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft geantwortet und sich in einer Zeit formiert, in der die US-Bürger die Einschränkung ihrer Freiheit fürchteten beziehungsweise die individuelle Souveränität der militärischen und industriellen Macht der USA ohnmächtig gegenüberstand. Der Personal Computer sei zum „Image und Symbol der Befreiung des Individuums und einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Zukunft“ geworden (S. 23, S. 31).
Ehrmanntraut gliedert das Buch in zwei große Teile. Der erste Teil skizziert „das diskursive Feld“ (S. 34), auf dem sich die Auseinandersetzung über personal computing entwickelte und Ende der 1970er-Jahre mit den ersten Geräten buchstäblich greifbar wurde. In den ersten zwei von vier Unterkapiteln werden die Leser/innen auf einen Parforceritt über Gemeinplätze der Computer- und Kybernetikgeschichte zwischen circa 1950 bis 1970 mitgenommen. Interessant sind hier die Abschnitte, die etwa Marshall McLuhans medientheoretisches Wirken vor dem Hintergrund einer im Werden begriffenen Informationsgesellschaft historisieren oder die wachsende Konsumkultur der USA beschreiben, in der sich eine von Werbeindustrie und Marketing gestützte Vorstellung herausbildete, technologischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wohlstand mittels Konsum miteinander verknüpfen zu können.
Der zweite Buchteil hat die „diskursive Zuschreibung und praktische Zurichtung der Technologie hin zum Dispositiv des Personal Computers“ (S. 34) zum Gegenstand und ist in fünf Unterkapitel organisiert. Hier analysiert Ehrmanntraut unterschiedliche Druckerzeugnisse zum kurzen Zeitraum von circa 1976 bis 1982, in dem „PCs ihrer Zielgruppe [...] präsentiert [...] und bei ihr [...] allmählich heimisch wurden“ (S. 34f.). Zu Beginn wird das Silicon Valley – der „Geburtsort des PC-Dispositivs“ (S. 115) – als besonderer Ort ausgewiesen, wo sich „heterogene gesellschaftliche Positionen“ (S. 125) versammelten und sich Computertechnologie als eine „Projektionsfläche“ darbot, „die sich zwischen den Polen von Unterwerfung und Freiheit aufspannte, und zwischen welchen das Individuum sich positionieren konnte bzw. positioniert wurde“ (S. 132). Fortan dienen Reklame und Werbeannoncen neben begleitenden journalistischen Texten aus Zeitungen und Szenemagazinen hauptsächlich als Quellenmaterial, anhand dessen Ehrmanntraut zeigt, wie Werbung und Marketing das Heilsversprechen von befreiender und ermächtigender Computertechnologie transportierten. Die Einführung von Personal Computern habe die Menschen nicht vor die Entscheidung gestellt, ob, sondern wie Computertechnologie genutzt werden könnte. „Wer sich verweigerte bzw. passiv blieb, überließ es anderen, die eigene Zukunft und die des Personal Computers zu bestimmen.“ (S. 157) Diesem Werbeimpetus spürt Ehrmanntraut bis in die Sphären von Familie und Heim nach, wofür die Projektionsfläche „Computer“ etwa mit Unterhaltungswerten, Bildungsvorteilen, Produktivitätssteigerungen oder Selbstverwirklichungspotentialen aufgeladen wurde; mittels neuer Programmiersprachen, die auf dem englischen Wortschatz aufbauten, wurde Distanz abgebaut und Vertrautheit geschaffen (S. 176); und mittels Anthropomorphisierungen wurden Heimcomputer als „Freund der Familie“ (S. 160) inszeniert, als „Spielkamerad und Lehrer“ (S. 170), als „freundliche Haushaltshilfe“ (S. 183) und als „identitätsstiftende Medien der Persönlichkeitsbildung oder Individuation“ (ebd.). Einmal mit familiärem Charakter versehen und begleitet vom „Echo des subversiven Do-It-Yourself-Spirits der Counterculture“ wurden Computer heimisch, wonach „die Menschen intime Beziehungen mit der Technologie ein[gingen], die fortan Begehren und Denken eines jeden Individuums mitgestalteten“ (S. 202).
Warum nun ist Wie Computer heimisch wurden ein überaus kritikwürdiges Buch? Das kündigt sich in der Einleitung an. Unmittelbar nach jener Absichtserklärung, die „historischen Bedingungen“ des Heimischwerdens von Computern untersuchen zu wollen, hält Ehrmanntraut fest: „Kontroverse Positionen, die Computer als Bedrohung betrachten, werden in der Arbeit größtenteils vernachlässigt, weil sie einer Kritik des Verhältnisses der Menschen zum Computer und des damit verbundenen Interaktionsbegriffs, sowie einer Kritik des Interfacebegriffs, die die Aktualität und Relevanz des Forschungsgegenstandes reflektiert, nicht zuträglich ist [sic!].“ (S. 12) Das scheint ein Standpunkt zu sein, auf den sich Ehrmanntraut aus forschungspolitischen Gründen zurückzieht, um den diskursiven Status von „Interaktion“ und „Interface“ innerhalb der Medienwissenschaft zu berücksichtigen. Doch für Leser/innen, die – wie angekündigt – eine kritische Untersuchung historischer Begebenheiten erwarten, ist dieser Standpunkt unhaltbar, zumal der Darstellung durch dieses Ausblenden kontroverser Positionen dynamische Elemente im großen Stil abhanden gehen, die vielerorts die Einführung von Heimcomputern begleitet haben. Da hilft es nicht, wenn eingangs betont wird, das Heimischwerden des Computers sei „nicht reibungslos bzw. nicht ohne Widerstand der Menschen und der Technologie“ verlaufen (S. 15) oder dass der Umgang mit Computern „gelernt werden“ musste (S. 23). Vielversprechend verweist Ehrmanntraut hier zwar auf „die gestalterischen Eingriffe verschiedener Akteure und auf gesellschaftliche Interessen“ (S. 23), welche die technologische Entwicklung der Geräte und nicht zuletzt das Entstehen eines neuen Verbrauchermarktes vorantrieben. Aber leider bleibt es bei diesem Verweis, denn das breit gefächerte Akteurs- und Interessenfeld schrumpft in späteren Untersuchungskapiteln (S. 133–192) überwiegend auf die diskursive Wirkung von Werbeanzeigen und begleitender journalistischer Textproduktion zusammen.
Abseits davon findet kaum eine Untersuchung der konkreten Praktiken statt, mit denen Unternehmen, Hersteller und Werbeagenturen den Computer in die Heime der Benutzer gebracht haben, und wir erfahren nicht, welche inneren wie äußeren Widerstände dabei überwunden wurden. Überdies hören wir weder direkte Userstimmen, etwa aus Leserbriefen und anderen interaktiven Formaten, wie es sie in den frühen Szeneblättern für Heimcomputer, die Ehrmanntraut untersucht, gegeben hat; noch erfahren wir von den Aktivitäten lokaler Usergroups, die meist in engem Kontakt mit einzelnen Unternehmen standen. Kurzum: Das „Heim“ und die „User“ besitzen keine Agency. Sie fehlen im Diskurs – und das problematisiert Ehrmanntraut kaum. Stattdessen existieren das Heim, der PC und die Benutzer so, wie Werbeanzeigen oder techno-optimistische Aktivisten sie imaginierten. Das Resultat ist eine asymmetrische Perspektive, die einen Blick auf den Prozess des Heimischwerdens von Computern in seiner umfangreichen gesellschaftlichen Dynamik erschwert.
Dabei böten sich dann und wann durchaus Möglichkeiten, hinter die Hochglanzfassaden zu blicken. So gab es 1977 offenbar Differenzen zwischen Apple Computer und der Agentur Regis McKenna anlässlich der Inhalte einer Werbekampagne für den Apple II Mikrocomputer, weil der Firmenmitbegründer und Ingenieur Steve Wozniak unbedingt die technischen Daten des neuen Geräts beworben sehen wollte, während die Werbeprofis auf nicht-technische Botschaften setzten, um potentiellen Kunden aufzuzeigen, was mit einem PC daheim überhaupt anzufangen sei (S. 148–150). Gerade solchen Friktionen wäre weiter nachzugehen, um die strategischen Manöver jener sonst nur abstrakt bleibenden Großakteure zu beleuchten. Und natürlich interessieren insbesondere die von Ehrmanntraut kategorisch vernachlässigten Stimmen und Aktivitäten der Menschen, die die Computer letztlich in ihre Heime holten – oder eben nicht. Ohne eine ausgewogene Darstellung dieser Vorgänge hinterlassen pauschale Aussagen wie die Folgende nichts als einen bitteren Nachgeschmack: „Kaum war der Personal Computer zu Hause akzeptiert und eingezogen, nahm er nach und nach seinen neuen vorrangigen Bestimmungsort in den Arbeitszimmern der Welt ein“ (S. 179).2
Des Weiteren mangelt es den Kapiteln im zweiten Buchteil an begrifflicher und analytischer Klarheit. Noch in der Einleitung spricht Ehrmanntraut mit Blick auf das Heimischwerden dezidiert von Strategien der „Familiarisierung oder auch Intimisierung und der Funktionalisierung“ (S. 15). Diese Begrifflichkeiten verschwinden in den Untersuchungskapiteln allerdings. Sie bleiben dort höchstens immanent, da Ehrmanntraut zumindest thematisch die Felder Familie und Heim oder die Frage nach der Nützlichkeit von Heimcomputern bearbeitet; dafür begegnen den Leser/innen andere, uneingeführte Konzepte wie das der Anthropomorphisierung. Auch der Begriff der Domestizierung verliert in späteren Kapiteln sein analytisches Profil, gerade weil Ehrmanntraut Domesitizierung eingangs (S. 19) noch erhellend als zweiphasigen Prozess beschreibt3, diesen dann jedoch nicht mehr explizit am historischen Material konkretisiert. Auch wichtige Analysekategorien wie race, class und gender werden angesichts der hochfiktiven und erklärungsbedürftigen Werbeinszenierungen, wenn überhaupt, nur punktuell gestreift.
Schließlich lässt das Literaturverzeichnis eine Rezeption der technik-, sozial-, wirtschafts- oder wissensgeschichtlichen Fachliteratur zum Computer aus den letzten 10 bis 15 Jahren vermissen. Das führt Ehrmanntraut mitunter zu fragwürdigen Interpretationen ihres Materials, die nicht nur an sich zu Widersprüchen neigen, sondern auch dem neuesten Forschungsstand zuwiderlaufen. Es sei folgend ein Beispiel stellvertretend ausgeführt. In ihrer Analyse einer Werbeanzeige für den Apple II resümiert die Autorin, die Werbung solle „dem PC einen ernsten Anstrich verpassen“ (S. 152). Zur Debatte stünde hier die vermeintliche Seriosität, die Computer- und Softwarehersteller für sich und ihre Produkte auf dem jungen Heimcomputermarkt bemühten – zumal Ehrmanntraut diese Seriosität Apple auch prompt attestiert, obwohl sie kurz zuvor den zentralen Slogan jener Werbeanzeige zitiert: „The home computer that’s ready to work, play and grow with you“ (S. 150). In diesem Slogan wurde offensichtlich mit unterschiedlichen Identitäten von Heimcomputern kokettiert, wie sie Michael Z. Newman in seiner Monografie von 2017 zu Videospielen und Spielekonsolen in den USA herausgearbeitet hat. Demnach sei eine flexible Identität für die frühen Heimcomputer und Konsolen zwischen Arbeits-, Spiel- oder Bildungsgerät („work, play, and grow“) anzunehmen, die von historischen Akteuren bewusst in ihrer Ambiguität bespielt werden konnte.4 Tatsächlich beinhalteten Produktkataloge vieler „seriöser“ Firmen dieser Zeit (z.B. Visicorp, des Marktführers bei Tabellenkalkulationsprogrammen) seit jeher auch Computerspiele, wodurch sie die ambivalente Wahrnehmung der frühen Heimcomputer durch die Kunden gleichermaßen ausnutzten wie reproduzierten.
Wie Computer heimisch wurden fragt nach den Bedingungen, Erwartungen und Praktiken rund um die Einführung des Personal Computers in Privathaushalte. Zwar gelingt es Ehrmanntraut punktuell, Aspekte jenes Domestizierungsprozesses zu beleuchten, etwa bei der Analyse unterschiedlicher Werbeanzeigen für Heimcomputer, in denen sich die Vorstellungen von Herstellern und Agenturen verdichteten. Doch abseits davon bleibt das Anliegen des Buches auf weiten Strecken uneingelöst. „Wie Computer heimisch gemacht wurden“ wäre der ehrliche Titel, denn er ließe – wie das Buch – die Frage offen, ob oder wie die Menschen Computer auch in ihre Heime holten.
Anmerkungen:
1 Themen, Schwerpunkte und Ansätze der neueren Literatur zur Computergeschichte sind am besten zugänglich über Forschungsüberblicke, jüngst etwa: David Gugerli / Daniela Zetti, Computergeschichte als Irritationsquelle, in: Martina Heßler / Heike Weber (Hrsg.), Provokationen der Technikgeschichte, Paderborn 2019, S. 193–228; Gleb Albert, Der vergessene ‚Brotkasten‘. Neue Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Heimcomputers, in: Archiv für Sozialgeschichte 59 (2019), S. 495–530. Des Weiteren nach wie vor sehr lesenswert: Martin Schmitt u.a., Digitalgeschichte Deutschlands. Ein Forschungsbericht, in: Technikgeschichte 83 (2016), S. 33–70, https://zeithistorische-forschungen.de/sites/default/files/medien/material/2012-2/Schmitt_ua_2016.pdf (20.06.2020); Jürgen Danyel, Zeitgeschichte der Informationsgesellschaft, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 186–211, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2012/4441 (20.06.2020).
2 Das Potential von Ansätzen, die kleinteiligere Akteure jenseits von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft in den Blick nehmen, um eine Geschichte rund um das personal computing zu erzählen, haben unlängst etwa Elizabeth Petrick und Jaroslav Švelch mit ihren preisgekrönten Büchern demonstriert: Elizabeth Petrick, Making Computers Accessible. Disability Rights and Digital Technology, Baltimore 2015; Jaroslav Švelch, Gaming the Iron Curtain. How Teenagers and Amateurs in Communist Czechoslovakia Claimed the Medium of Computer Games, Cambridge, Mass. 2018.
3 Erste Phase: Popularisierung, Familiarisierung oder auch Intimisierung durch Alltagssprache; zweite Phase: Einrichtung des Computers im Heim, im Zuhause, die zur Entgrenzung von Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatsphäre führt (S. 19).
4 Michael Z. Newman, Atari Age. The Emergence of Video Games in America, Cambridge, Mass. 2017.