Seit den 1980er-Jahren dient der Slogan „Drain the Swamp“ als wichtige Metapher in Wahlkämpfen der USA. Der Slogan soll darauf verweisen, dass politische Probleme verschiedenster Art ausgemerzt werden müssen, genauso wie auch Sümpfe trockengelegt werden, um die Bevölkerung vor Mücken und verschiedenen Krankheitsüberträgern zu schützen. Zuletzt benutzte Donald Trump den Slogan in seiner Wahlkampfkampagne im Jahr 2016, die erfolgreich zu seiner Präsidentschaft im Jahre 2017 führte. In ihrem Buch Vom „eroberten Land“ zum Renaturierungsprojekt. Geschichte der Feuchtgebiete in der Schweiz seit 1700 zeigen Martin Stuber und Matthias Bürgi, dass die US-Wahlkampfrhetorik zumindest mit der ökologischen Wirklichkeit der Schweiz des 21. Jahrhunderts nicht mitgehalten hat. Dort könnte man heute eher fordern, so Stuber und Bürgi (S. 13), ehemalige Sumpfgebiete zu vernässen, da mittlerweile etwa 90 Prozent der Schweizer Feuchtgebiete trockengelegt wurden und damit verschwunden sind. Die Folgen für die Biodiversität dieser Landschaften sind heute massiv erkennbar. Die 300-jährige Geschichte verschiedener Trockenlegungen wird in Vom „eroberten Land“ zum Renaturierungsprojekt anschaulich rekonstruiert. Die Autoren bringen die zentralen Akteure und ihre Vorstellungen, politischen Prägungen und Weltbilder, die zu den Trockenlegungen führten, aus verschiedenen Quellen ans Tageslicht.
In den ersten Kapiteln des Bandes zeigen Stuber und Bürgi, dass weite Gebiete des Schweizer Mittellands bis zum 18. Jahrhundert von Feuchtgebieten und mäandrierenden Flüssen geprägt waren. Dass dies heute nicht mehr der Fall ist, ist das Ergebnis jahrhundertelanger Bemühungen, trockenes Land zu erhalten bzw. neu zu gewinnen. Die dahintersteckenden Kausalitäten liegen in oft tief verwurzelten und ineinander verflochtenen kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Prozessen verborgen, die eine interdisziplinäre Herangehensweise in der historischen Analyse nahelegen. Ein besonders gelungenes Beispiel der Darstellung dieser Verwobenheit zwischen ökologischen und sozialen Prozessen ist die Geschichte der Begradigung und Zähmung („Korrektion“) des Alpenrheins zwischen 1862 und 1923 (S. 89–95). War der Rhein vor den 1860er-Jahren im Kanton St. Gallen durch eine weitgehend unbesiedelte Auenlandschaft von teilweise fast zwei Kilometern Breite gekennzeichnet, findet sich dort heute nichts mehr dergleichen. Früher wurden diese Auen, genauso wie die angrenzenden Moore, als Weideflächen genutzt, sie waren also auch vor den 1860ern Kulturlandschaften, die extensiver wirtschaftlicher Nutzung unterworfen waren. Allerdings, so Stuber und Bürgi, da zu dieser Zeit das „Geschiebe das Flussbett allmählich auffüllte, begann der Rhein wie auf einem Höhenzug zu fließen, brach immer öfter aus und drohte seinen Lauf ganz zu verlegen“ (S. 89). Die Folge davon war, dass das rheinnahe Land zunehmend vernässte, was Krankheiten wie Malaria, Typhus oder Tuberkulose förderte. Das heißt, es war mit Blick auf die Gesundheit von Mensch und Vieh gar nicht verantwortbar, den Fluss weiter „natürlich“ agieren zu lassen. Es musste etwas passieren. Die vielen politischen und finanziellen Hürden, die genommen wurden, um den Rhein als „Garten des Kantons St. Gallen“ (S. 95) zu gestalten, erforderten für mehrere Jahrzehnte viel im Anwendungskontext entwickeltes Ingenieurswissen, politisches Verhandlungsgeschick und finanzielle Ausdauer. Stuber und Bürgi gelingt es hier, die verschiedenen Perspektiven der einzelnen InteressensvertreterInnen neutral darzustellen, so dass sich die geneigte Leserschaft gut in die jeweiligen konträren Perspektiven hineinfühlen kann.
Insgesamt gesehen bietet das Buch zum einen eine historische Analyse der Entwicklung der Landnutzung in Feuchtgebieten (Kapitel 2 bis 4), zum anderen eine historisch-kartografische Rekonstruktion der Feuchtgebietsausdehnungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (insbesondere Kapitel 5) und schließlich auch eine vorsichtige Bewertung ökologischer Folgen und meist nicht-intendierter Nebenfolgen dieser Trockenlegungen (Kapitel 6 und das bilanzierende Schlusskapitel). Immer dann, wenn Stuber (Historiker) und Bürgi (Umweltwissenschaftler) an die Grenzen ihrer disziplinären Expertise stoßen und ihr Wissen zur Analyse der gesammelten Materialien nicht auszureichen scheint, haben sie insgesamt 17 externe AutorInnen zu Beiträgen eingeladen (Kapitel 5 und 6). Dies ist ein eleganter Weg, die eigenen Defizite in der interdisziplinären Arbeit auszugleichen.
In der historischen Analyse konzentrieren sich die Autoren auf verschiedene Interessensgruppen und rekonstruieren deren oft widersprüchliche Ziele und Praktiken im Kontext der jeweiligen Zeit. Sie nutzen dazu auch verschiedene Kartenserien, wie sie seit etwa 1850 verfügbar waren. Seit 1850 wurden die Feuchtgebiete aufgrund der Torfgewinnung und -entwässerung um mehr als 90 Prozent reduziert, was bedeutet, dass diese Lebensräume heute weitgehend aus den Landschaften des Schweizer Plateaus verschwunden sind, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Kohlenstoffvorräte. Seit 1850 sind rund 85 Prozent des ursprünglich in den organischen Böden vorhandenen Kohlenstoffs verschwunden und haben zur Zunahme des CO2 in der Atmosphäre beigetragen. Der Rückgang der Feuchtgebiete hat sich zudem auf die Populationen und Artenzahlen der Tier- und Pflanzenwelt ausgewirkt. Sumpfpflanzenarten, die an extrem feuchte Standortbedingungen angepasst sind, sind überdurchschnittlich zurückgegangen, ebenso wie Vogelarten, die auf Schilfgebiete angewiesen sind. Das Buch zeigt aber auch auf, dass diese Entwicklung nicht irreversibel ist, belegt doch die Rückkehr verschiedener Amphibien oder Libellenarten (siehe hierzu anschaulich Kapitel 6), dass gut geplante Renaturierungsprojekte zerstörerische Eingriffe umkehren können.
Das Buch hat, wie bei langzeithistorischen Studien kaum vermeidbar, einige Schwächen, die in der Unausgewogenheit des zusammengetragenen Materials liegen. Nicht für jede Epoche finden sich Daten und Kartenmaterial, die zu einer dichten Beschreibung führen können. Teilweise werden minutiös Details in den Entscheidungsstrukturen der jeweiligen Kantone erläutert, dann wieder werden große Eingriffe in wenigen Sätzen abgehandelt. Was an diesem Buch jedoch hervorragend ist, ist neben der Einladung externer AutorInnen die angenehme Unaufgeregtheit der Analyse. Damit unterscheidet sich die vorliegende Studie von vielen aktuellen Veröffentlichungen der Umweltgeschichte und verwandter Disziplinen, in denen je nach kulturellem oder politischem Wertesystem der AutorInnen häufig moralisierende oder gar anklagende Aussagen im Vordergrund stehen. So wird die Umweltgeschichte entweder einseitig als großer Fortschrittsprozess oder als einzige Verlustgeschichte dargestellt. Dies ist hier zum Glück nicht der Fall. Das ist umso erfreulicher, als man heute beim Lesen historischer Studien oft den Eindruck bekommt, dass sich Arbeiten nur als relevant erweisen können, wenn sie ein klares „Argument“ vorweisen, also dass ein Phänomen (z.B. Sklaverei) noch viel schlimmer war als bis dato gedacht – oder eben auch umgekehrt. Dann werden ein paar historische Details nachgeliefert, die angeblich bis jetzt kaum beachtet wurden, und fertig ist der Skandal. Eine saubere Rekonstruktion, die die sozialen und ökologischen Zusammenhänge im Laufe der Zeit auf unterschiedlichen Ebenen aufzeigt und eine Analyse auf Grundlage möglichst vieler empirischer Daten vergleichend anstrebt, findet man heute leider immer seltener. Allein deshalb kann ich das Buch Vom „eroberten Land“ zum Renaturierungsprojekt jedem ans Herz legen, der eine empirisch saubere und analytisch klare Darstellung der Entwicklung von Feuchtgebieten lesen möchte. Nicht nur deshalb bin ich froh, dass ich das Buch rezensieren durfte. Aber auch wenn man nicht an Feuchtgebieten in der Schweiz interessiert ist – das Buch könnte durchaus Pate stehen für historische und interdisziplinäre Arbeiten mit wissenschaftlichem Anspruch.