Cover
Titel
Thinking Black. Britain 1964–1985


Autor(en)
Waters, Rob
Reihe
Berkeley Series in British Studies 14
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 303 S.
Preis
£ 27.00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Simeon Marty, Institut für Geschichtswissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Migration aus dem globalen Süden nach Großbritannien sprunghaft an. Besonders aus den Ländern des globalen Südens kamen Arbeitskräfte nach Großbritannien, um beim Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. Sie waren auf der Suche nach verbesserten ökonomischen Bedingungen oder flüchteten vor jenen Kriegswirren, die die Phase der territorialen Dekolonisation Afrikas, Asiens und der Karibik begleiteten. Großbritannien kam danach noch mehr als schon zuvor die Rolle einer „Kontaktzone“ des Kolonialismus zu. Spätestens mit Enoch Powells „Rivers of Blood“-Rede 1968 entstand außerdem ein Diskurs darüber, was „british“ bedeutete und wer und was dazugehörte. Dabei waren es vor allem Minderheiten, die angesichts anhaltender Diskriminierung Britishness innerhalb der Kategorien „race“ und „gender“ weiter ausdehnten. Hier setzt der britische Historiker Rob Waters mit seiner Monografie „Thinking Black. Britain, 1964–1985“ an.

Über fünf Kapitel schildert er die Geschichte von Aktivistinnen und Aktivisten, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren versuchten, das wachsende Selbstbewusstsein schwarzer Minderheiten in Großbritannien in eine funktionsfähige und schlagkräftige politische Bewegung umzumünzen. Waters benennt als Hauptziel der Aktivistinnen und Aktivisten, Rassismus zu bekämpfen, welchen sie als eine die britische Gesellschaft und Politik von oben nach unten strukturierende Kraft ansahen. Damit sich die britische Gesellschaft transformieren könne, müsse sie mit „thinking black“ beginnen, nämlich anzuerkennen, wie Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe historisch gewachsen war und weiterhin das soziale und politische Leben strukturiere. Waters fokussiert sich mehrheitlich auf London, berücksichtigt aber auch andere Städte im Vereinigten Königreich wie Birmingham, Bristol und Liverpool. Seine Studie baut auf einer Vielzahl von bisher erst wenig bearbeiteten Quellen aus Community-spezifischen Archiven auf. Darunter sind die Black Cultural Archives, das Institute for Race Relations und das George Padmore Institute, die selbst eng mit der Geschichte der „Black Power“-Bewegung verbandelt sind.

Im ersten Kapitel zeichnet Waters nach, wie die politischen Kämpfe der Black Power-Bewegung in den „langen 1970-Jahren“ in Großbritannien eng mit der „Black Panther“-Bewegung in den USA sowie mit antikolonialen Gruppierungen in den ehemaligen Kolonien verbunden waren. Waters unterstreicht dabei, dass „Black Power“ nicht lediglich ein intellektuelles Import-Produkt aus den USA sei. „Thinking Black“ ist für ihn ein distinkt britisches Phänomen, welches seinen Ursprung in der imperialen Vergangenheit des Landes hat.

In Kapitel zwei geht Waters auf das Konzept der „political Blackness“ ein. Der Begriff beschreibt die Regenbogenallianz nicht-weißer Menschen – vor allem afrikanischen, karibischen und südasiatischen Ursprungs – im gemeinsamen politischen Kampf gegen Rassismus und Kolonialismus. Jede von Rassismus betroffene Person oder Gruppe konnte sich als „politisch schwarz“ verstehen. Im Umkehrschluss machte dies die Bewegung größer und stärkte damit das gemeinsame Engagement gegen Diskriminierung. Der „political blackness“ haftet der Ruf an, ein rein strategischer Aufruf nicht-weißer Intellektueller gewesen zu sein, der zwar in Feuilletons eifrig diskutiert wurde, dem die nötige Rezeption auf der Straße jedoch fehlte. Dem stellt sich Waters entgegen, um mit Quellenbeispielen aufzuzeigen, wie sich aktivistische Netzwerke bemühten, das theoretische Konzept mit Leben zu füllen, etwa durch Literatur, Kleidung und Musik als kulturell schwarze Ausdruckspraktiken.

In den Kapiteln drei und vier geht Waters weiter darauf ein, wie die theoretischen Ansätze der Bewegung in politische Praktiken zur Dekolonisierung der britischen Gesellschaft übersetzt wurden. Nach dem territorialen Ende des Kolonialismus sollten auch dessen intellektuelle Grundlagen wie Ideen rassischer Überlegenheit in den Köpfen der britischen Gesellschaft aufgelöst werden. Waters beschreibt dafür in Kapitel drei das Fallbeispiel des „Mangrove Nine“-Prozesses. Das gleichnamige Restaurant war ein beliebter Treffpunkt der zahlenmäßig großen schwarzen Bevölkerung in Notting Hill, unter anderem auch für antirassistische Gruppierungen. Der zuständige Staatsanwalt versuchte den Aktivismus dieser Gruppierungen, der sich auch immer wieder direkt gegen den Staat richtete, aktiv zu diskreditieren. Nach einer Polizeirazzia im „Mangrove“-Restaurant und Protest dagegen wurden 1971 neun Personen verhaftet und wegen Anstiftung zu Aufruhr vor Gericht gestellt. Die Angeklagten vermochten den Spieß jedoch umzudrehen. Sie verwendeten ihre Redezeit nicht zur Verteidigung, sondern klagten ihrerseits den institutionellen Rassismus der britischen Polizei an. Gekoppelt mit erfolgreicher Medienarbeit erzielte diese Taktik laut Waters eine zuvor nie dagewesene Aufmerksamkeit für die Anliegen der Black-Power-Bewegung in Großbritannien. In der Folge stieg die Popularität schwarzer politischer Gruppierungen stark an und zahlreiche politisch linksstehende Gruppierungen solidarisierten sich mit den Angeklagten. Für Waters ist dies der Höhepunkt der britischen „black power“-Bewegung.

Im vierten Kapitel geht Waters zur Dekolonisierung des Schulsystems über. Aufgrund des alltäglichen Rassismus an Schulen und der daraus resultierenden Unzufriedenheit mit dem staatlichen Erziehungssystem etablierte die „supplementary school“-Bewegung parallele, freiwillige Schulen für Schwarze, die abends oder am Wochenende besucht werden konnten. Waters hebt besonders hervor, wie schwarze Schulkinder in diesen alternativen Schulen stark zu autobiographischem Schreiben ermutigt wurden, wobei sie sich insbesondere mit erlebtem Rassismus auseinandersetzten, um passiv erlernte Rollenbilder infrage zu stellen und eine eigene Identität zu festigen. Dadurch spielten diese Schulen laut Waters eine prägende Rolle in der Formation eines schwarzen britischen Bewusstseins innerhalb einer ganzen Generation in den 1970er-Jahren.

Im letzten Kapitel zeigt Waters, wie sich „thinking black“ zum Ende der Untersuchungsperiode mit einer Welle von „race riots“ vom Schulzimmer auf die Straße verlagerte. Überhartes Vorgehen der Polizei gegen schwarze Jugendliche und deren Antwort durch Proteste, die regelmäßig in Straßenschlachten endeten, führten zu einem Teufelskreis an Gewalt. Das Leben schwarzer Jugendlicher in britischen Großstädten der 1980er-Jahre war dadurch zunehmend von Zusammenstößen mit der Polizei geprägt. Waters zeichnet in dem Kapitel die Antworten von schwarzen Intellektuellen auf die Zusammenstöße nach und zeigt, dass diese das Narrativ von schwarzen Jugendlichen als sozialem Problem ablehnten. Stattdessen verschoben sie den Deutungsrahmen, in dem sie die politische Bedeutung von Protesten schwarzer Jugendlicher gegen einen rassistischen Staat hervorhoben.

Diese Proteste markierten schließlich auch das Abflachen der „Black Power“-Bewegung in Großbritannien. Im Epilog zeigt Waters Parallelen zu Dekolonisationsbewegungen in der Karibik auf, die gleichzeitig ins Stocken gerieten. Er beruft sich dabei auf die Ermordung von Walter Rodney, der Gallionsfigur der dortigen „Black Power“-Bewegung, 1980 in Guyana oder den Sturz der kommunistischen Regierung in Grenada 1983 nach der US-Invasion. Die Regierung in Großbritannien bemühte sich in einem gewissen Maße, antirassistische Forderungen der „Black Power“-Bewegung umzusetzen, um den sozialen Konflikt zu entschärfen. Schließlich weist er auf den Aufschwung radikal-islamischer Bewegungen hin, die in Großbritannien in den 1980er-Jahren vermehrt Zulauf erhielten und eine Konkurrenzsituation im Anwerben Jugendlicher herstellten.

„Thinking Black“ ist ein akribisch recherchiertes und angenehm zu lesendes Buch. Durch das britische Fallbeispiel wird das traditionell auf die USA ausgerichtete Narrativ der „Black Power“-Bewegung dezentralisiert. Dazu beleuchtet Waters in Großbritannien durchaus einflussreiche, aber bisher wenig beachtete Aktivistinnen und Aktivisten wie Altheia Jones-Lacointe. Eines der wenigen Monita betrifft die Periodisierung von Waters' Studie. Autoren wie Marc Matera und Kennetta Hammond Perry haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sich schwarze Emanzipationsbewegungen in Großbritannien auf eine lange Tradition von Aktivismus gegen Rassismus und Kolonialismus seit der Zwischenkriegszeit und über die 1950er-Jahre hinaus bis zu den von Waters angeführten „langen 1970er-Jahren“ berufen konnten.1 Waters' Studie hätte davon profitiert, sorgfältiger in die langfristige Tradition von schwarzem Aktivismus in Großbritannien eingebettet zu werden und im Vergleich von Kontinuitäten und Wandel geschärft zu werden. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Waters eine ausgezeichnete Untersuchung einer bis anhin viel zu dünn erforschten Periode der britischen Geschichte vorgelegt hat. Historiker Großbritanniens des 20. Jahrhunderts werden nicht umhinkommen, dem Thema nach Waters' Buch mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Anmerkung:
1 Für die Zwischenkriegsjahre Marc Matera, Black London. The Imperial Metropolis and Decolonization in the Twentieth Century, Berkeley 2015; für die 1950er-Jahre Kennetta Hammond Perry, London is the Place for Me. Black Britons, Citizenship and the Politics of Race, New York 2015.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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