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Titel
Oliver Cromwell. England und Europa im 17. Jahrhundert


Autor(en)
Berg, Dieter
Erschienen
Stuttgart 2019: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
243 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Pecar, Historisches Institut, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Dieter Berg stellt zu Beginn seiner Studie zu Recht fest, dass es in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung bisher keine Biografie Oliver Cromwells gibt, die heutigen wissenschaftlichen Maßstäben genügt. Eine Biografie wird man allerdings auch Bergs Untersuchung nicht nennen können. Eher geht es, wie der Untertitel ausweist, um eine Darstellung der politischen Ereignisse vornehmlich in England, Schottland und Irland von der Thronbesteigung Jakobs I. in England bis zur Wiederherstellung der Monarchie unter Karl II.

Dieser zeitliche Rahmen wirft Fragen auf. Oliver Cromwell entfaltete ein besonderes Profil erst in Folge seines militärischen Kommandos im Bürgerkrieg, also seit 1642. Weshalb bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit den Regierungszeiten der englischen Könige Jakob I. und Karl I.? Für Berg bieten die ersten beiden Kapitel vor allem Gelegenheit, die Stuarts für den Untergang der Monarchie verantwortlich zu machen. Insbesondere bei der Schilderung Karls I. betont Berg sowohl dessen übersteigerten Herrschaftsanspruch als auch dessen politische Unfähigkeit, so dass er stets zur falschen Zeit das Falsche getan habe. Da ist die Rede von einer „exzessiven Ausgabenpolitik der Stuarts“ (S. 17); von einer Herrschaftspraxis, die dem Parlament „jeglichen politischen Mitwirkungsanspruch verweigerte“ (S. 27) – in einer Zeit wohlgemerkt, als Karl in wenigen Jahren gleich mehrere Parlamente einberief; von seiner „Führungsunfähigkeit“ (S. 37); einer von ihm gestarteten „Korrumpierungskampagne“ (S. 42) in Schottland, während es seinen Widersachern im Long Parliament doch nur darum gegangen sei, die „alte konstitutionelle Balance“ (S. 38) wiederherzustellen. Die Revolution, so Berg, habe der König durch „despotische Aktionen“ und eine „fragwürdige Außenpolitik“ ausgelöst; hinzu kämen eine bedrückende „Steuerpolitik der Krone“ sowie ein von „Korruption“ belastetes Hofsystem (S. 46).

All diese Urteile entbehren jeglichen Vergleichsrahmens: Verhaftungen unbotmäßiger Parlamentarier etwa waren für Elisabeth I. ein probates Mittel ihrer Regierung, die Vergabe von Ämtern und Gnaden zählten zu den üblichen Instrumenten königlicher Patronage. Wenn man dies als korrupt wertet, so fällt man damit ein Urteil über frühneuzeitliche Herrschaftspraktiken insgesamt, nicht aber über Karl I. oder die Stuarts im Speziellen. Strukturelle Probleme der Stuartmonarchie wie der immer geringere Anteil der – vom Parlament zu bewilligenden – Steuern an den Einnahmen der Krone wandelt Berg in Werturteile gegen handelnde Personen um, insbesondere gegen Karl I.

Auch seine Hinrichtung habe Karl I. hauptsächlich selbst zu verantworten, aufgrund seiner „Unaufrichtigkeit“ (S. 56), „Unzuverlässigkeit“ (S. 56), seiner „Arroganz und Überheblichkeit gegenüber den sozial niedriger stehenden Commoners“ (S. 57) und seiner „permanenten Verweigerungshaltung“ (S. 58) gegenüber seinen Anklägern, die ihm eine Brücke nach der anderen gebaut hätten, um seine Hinrichtung zu vermeiden. Bei all diesen Urteilen spart Berg die Legitimitätsfrage des Prozesses konsequent aus, um die es Karl I. bei seinem Verhalten ja wohl eher ging als um ständischen Snobismus.

Der Autor erzählt die Ereignisse des Bürgerkriegs, der Commonwealth- und der Protektoratszeit aus der Perspektive Oliver Cromwells und übernimmt dabei auch dessen Wertungen. Lagen die Versäumnisse bis zum Bürgerkrieg stets bei den Stuarts, nicht bei den Mitgliedern des Parlaments, so ändert sich dieses Urteil in dem Moment, als die Armeeführung seit 1645 zunehmend Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt und hierbei auch Cromwell eine immer größere Bedeutung zukommt. Da Cromwell eine Hinrichtung Karls I. am Ende befürwortete, nennt Berg die Skeptiker und Gegner dieser Maßnahme „Ängstliche und Wankelmütige“ (S. 58). Da Cromwell mit den drei Parlamenten seiner Regierungszeit haderte, kreidet der Autor den Abgeordneten deren Obstruktionspolitik „durch endlose Debatten und Vertagungen“ (S. 69) an, sieht in ihnen „selbstgerechte, reformunwillige Oligarchen“ und macht für die Auflösung des Rumpfparlaments allein die „Reformunfähigkeit und Indolenz der Commoners“ (S. 70) verantwortlich. Aber auch das Heiligenparlament zeichnete sich Berg zufolge durch „Eigeninteressen, Missgunst und Fraktionsbildung“ (S. 73) aus und er scheint Cromwells Verbitterung über das „anhaltende Parteiengezänk“ (S. 74) vollauf zu teilen.

Welche merkwürdigen Blüten es treibt, wenn man das Herrschaftshandeln allein aus der Perspektive Cromwells betrachtet, zeigt sich in zahlreichen Urteilen zur Sachpolitik. Die Erhebung einer Zwangsabgabe unter Karl I. brandmarkt Berg als „Willkürmaßnahme“ (S. 29), seine Schritte zur Angleichung der Kirchenstruktur in Schottland an das englische Vorbild deutet er als Strategie der Herrschaftsintensivierung (S. 36). War von einer bedrückenden Steuerlast unter den Stuarts die Rede, so hätte man gerne erfahren, um wieviel bedrückender die Lasten waren, die die Armee und das Parlament den Engländern in den Bürgerkriegsjahren und anschließend in der Zeit der Militärdiktatur auferlegten. Von einer jährlich garantierten Steuer zur Finanzierung der Armee in Höhe von einer Millionen Pfund – ohne weitere Mitspracherechte des Parlaments – hätten die Könige Jakob I. und Karl I. kaum zu träumen gewagt. Was den Stuarts als Maßnahmen der Herrschaftssteigerung angekreidet wird, bekommt für die Cromwellzeit andere Namen: Da ist dann von der „Integration Schottlands in das Commonwealth“ (S. 66) die Rede, womit neben anderem auch die Abschaffung des schottischen Parlaments verbunden war. Da wird die Formulierung „Liberty of Conscience“ aufgegriffen, ohne darzulegen, dass diese mitnichten als „Sicherung von Glaubens- und Gewissensfreiheit“ (S. 69) im heutigen Sinne verstanden werden darf. Da geht es bei zentralisierenden Zwangsmaßnahmen, durch die Cromwell mit Hilfe entsandter Kommissare die lokale Selbstverwaltung außer Kraft setzen wollte, um Reformmaßnahmen zur „Effizienzsteigerung“ (S. 79).

Geradezu rührend nimmt sich schließlich Bergs Versuch aus, Cromwell von den Gewaltakten in Irland zumindest partiell freizusprechen. Zwar lässt sich an den von ihm angeordneten Massakern während seiner Eroberung Irlands nur wenig umdeuten; Berg konstatiert, dass die „Vorgänge um Drogheda und Wexford umstritten sind“ (S. 116). Die daran anschließenden Deportationen (Transplantations), die Umsiedlungen und Enteignungen seien Cromwell jedoch nicht anzulasten; diese habe das Parlament zu verantworten, genauso wie seine Nachfolger als Lord Deputies auf der grünen Insel (S. 116). Cromwell sei hingegen „bereits zu Lebzeiten Opfer einer konzertierten Verleumdungskampagne englischer Royalisten und irischer Nationalisten“ (S. 116f.) geworden. Es ist schön zu sehen, mit welcher Empathie Berg hier dem Opfer zur Seite steht.

Der Autor sieht die „Bedeutung der Ausnahme-Persönlichkeit Oliver Cromwells“ darin, dass er maßgeblich zur Errichtung einer „Republik und zu ihrem Erhalt“ (S. 100) in England beigetragen habe und als „Protektor uneigennützig in Erfüllung eines göttlichen Auftrags zur Schaffung einer ‚gottgefälligen Lebensweise‘ im Inselreich tätig gewesen war“ (S. 100). Er habe im Bürgerkrieg zur „Verteidigung der Freiheiten des Individuums“ (S. 176) zu den Waffen gegriffen und sich nach Ende des Bürgerkriegs bemüht, die „vor allem durch Karl I. verursachte Spaltung des Landes“ zu beenden und eine „dauerhafte Befriedung des Inselreiches herbeizuführen“ (S. 177). Berg gesteht zwar ein, dass Cromwell mit diesen hehren Zielen kurzfristig gescheitert sei. Langfristig habe sein Wirken aber „die Rechte des Parlaments gegenüber dem König gesichert“ und die „Entstehung einer parlamentarischen Monarchie“ befördert (S. 181) und die Ideen seiner Zeit hätten im Laufe der Jahre zu einem Siegeszug angesetzt: Vorstellungen von der „Gleichheit und der Freiheit des Menschen, von der Einhaltung der Gesetze“, von der „Gewissens- und Meinungsfreiheit einschließlich der Pressefreiheit“ (S. 182) führt Berg letztlich alle, wenn auch nicht auf Cromwell persönlich, so doch auf das Commonwealth zurück.

Es wäre besser gewesen, wenn sich Dieter Berg seinen Helden stärker vom Leib gehalten hätte. So ist die „Whig Interpretation of History“ um ein weiteres Buch reicher.

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